Fürst, Emma
Nachname: | Fürst |
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Vorname: | Emma |
geborene: | Leonie |
Geburtsdatum: | 21. Juni 1866 |
Geburtsort: | Mainz (Deutschland) |
Familienstand: | verwitwet |
Eltern: | Bernhard und Ida F. |
Familie: | Witwe von Dr. Otto F. (Senatspräsident beim Oberlandesgericht) |
1940: Seminarstr. (Schlieffenstr.) 1
Biographie
Lebenslauf der Emma Fürst, geborene Leoni
Frau Emma Fürst, geborene Leoni, war meine Großtante. Sie wurde am 21. Juni 1866 in Mainz geboren als Tochter des Bernhard Leoni, dessen "Stand" angegeben ist als "Privatmann", und der Ida Leoni, geborene Darmstädter. Über ihre Kinder- und Mädchenzeit kann ich leider nichts berichten, da auch sie uns nie davon erzählte. Erst in der Verlobungszeit erscheint sie in den Unterlagen des Generallandesarchivs Karlsruhe. Ihr zukünftiger Ehemann, der damals 27-jährige Amtsrichter in Überlingen am Bodensee Dr. jur. Otto Fürst hatte sich von Überlingen "weggemeldet" wegen "zu wenig Arbeit". Er brachte seine Bitte vor, ihn nach Mannheim zu versetzen, um in der Nähe seiner verwitweten, kranken Mutter zu sein. Dort scheint auch Emma Leoni aufgetaucht zu sein. Das Foto zeigt Emma Leoni als Braut.
1890 im August heirateten Otto und Emma, nachdem der zum Landgerichtsrat beförderte Dr. Otto Fürst nach Karlsruhe versetzt worden war. Sie bewohnten in der Kriegsstr. 97 a den 3. Stock. Ich glaube, dass Emma (Emmele, wie ihr Mann in Liebe sie immer nannte) und ihr Mann eine sehr glückliche Ehe führten. Der große Kummer war, dass die Ehe kinderlos blieb. Otto Fürst muss auch hart daran getragen haben. Er stammte aus einer kinderreichen Familie. Sein Vater, Geheimrat Moritz Fürst, war Rechtsanwalt in Mannheim gewesen und hatte die Ausbildung seines Sohnes sehr gefördert. Aber auch seine drei Töchter sollten eine gute Schul- und Berufsausbildung haben. Er erbat - mit andern Mannheimer Bürgern - beim Großherzog eine höhere Töchterschule, die nicht konfessionell festgelegt war. Diese wurde auch gewährt.
Als Dr. Otto Fürst, ein sehr geschätzter und kluger Jurist, über den Landgerichtsrat zum Oberlandesgerichtsrat 1904 befördert wurde, war es für Emma wichtig, auch ihre Kräfte einsetzen zu können. Sie arbeitete in einer Rechtsschutz- und Rechtsauskunftstelle für Frauen mit. Wahrscheinlich handelte es sich um die „Unentgeltliche Rechtsauskunftstelle für Frauen und Mädchen“, die 1903 in Karlsruhe ins Leben gerufen wurde und die 1908 73 weibliche Mitglieder hatte. Hier erhielten Frauen eine Beratung über Eheverträge, Mündigkeits- und Vormundschaftsangelegenheiten sowie Fragen des Arbeitsrechts. Über diese Tätigkeit Emmas soll ihr juristisch gebildeter Ehemann aber manches mal gestöhnt haben: „Emmele, Emmele, was hast Du da wieder gemacht...!“
Diese Sätze hat uns Emmas Nichte Hertha berichtet. Sie war von 1912 bis 1914 bei Fürsts. Ottos jüngste Schwester Anna war in Mannheim verheiratet und hatte fünf Kinder. Die älteste Tochter Hertha wurde von Otto und Emma eingeladen, ihre letzten Schuljahre am humanistischen Gymnasium in Karlsruhe zu absolvieren. Hertha war bei Onkel und Tante sehr gerne. Man hat sie sehr geliebt, wie auch die anderen Nichten und Neffen.
Otto Fürst, vom Großherzog zwar geschätzt und reich dekoriert mit dem "Ritterkreuz 1.Klasse mit Eichenlaub des Zähringer Löwenordens" (1910) hatte immer wieder gehofft, Senatspräsident beim Oberlandesgericht zu werden, wurde aber seines israelitischen Glaubens wegen stets übergangen. Erst nach der Revolution und der Absetzung des Großherzoges wurde Dr. Otto Fürst am 1. Oktober 1919 Senatspräsident beim Oberlandesgericht Karlsruhe.
Wie ich den Akten des Generallandesarchivs entnommen habe, fuhr das Ehepaar Fürst jährlich vier Wochen in Urlaub, auch einmal zur Kur nach Karlsbad. Am 1. August 1925 trat Dr. Otto Fürst in den Ruhestand und verstarb am 18. August 1929 in Karlsruhe. Frau Fürst dankte am 24. August 1929 dem Justizminister in Karlsruhe für sein Beileidschreiben folgendermaßen: „Für die an mich gerichteten Worte warmer Anteilnahme anlässlich des Heimganges meines lieben Mannes und für die seinem Wirken gezollte Anerkennung bitte ich, meinen aufrichtigen Dank entgegen zu nehmen. Mit vorzüglicher Hochachtung, Frau Emma Fürst.“ Eine klare, schöne Handschrift hatte sie!
Nun beginnt die Zeit ihrer Witwenschaft und auch die Zeit, in der ich sie kennen lernte. Der Anlass unserer Besuche war stets ein "schmerzhafter". In Karlsruhe lebte und praktizierte der "Familien-Zahnarzt". Wir, die Großnichten und Großneffen samt der Mütter fuhren von Mannheim aus mit Chauffeur nach Karlsruhe, wenn sich genügend "zahnkranke" Familienmitglieder angesammelt hatten. Zwischen und nach den Behandlungen kamen wir zu Tante Emma. Sie hatte sich mit ihrem Dienstmädchen zusammen auf uns eingerichtet. Weiches Essen, Liegemöglichkeiten, aber auch zum Ablenken von allem Kummer Spiele - an alles hatte sie gedacht.
Tante Emma war eine beeindruckende Persönlichkeit. Sie war damals schon über 65 Jahre alt, aber sie kam mir nie alt vor. Eine schlanke, sehr große und sich kerzengerade haltende Dame mit fast ganz schwarzem Haar und einer tiefen, tönenden Stimme sehe ich vor mir. Da sie immer lange Röcke trug, Modernes war ihr nicht "commode", wirkte sie wohl noch ehrwürdiger. Und Tante Emma hatte - oh Wunder - einen leichten schwarzen Bart am Kinn und Oberlippe! Ich sehe mich noch, mit Zahnschmerzen und großem Kummer auf dem Sofa liegen. Tante Emma hatte meinen Kopf auf ihrem Schoß und tröstete mich liebevoll und versuchte, mir die Angst vor dem nächsten Besuch beim Zahnarzt zu nehmen. Und ich sah hoch zu ihr und -- bewunderte den "Bart".
Die Wohnung in der Kriegsstr.97a war sehr schön, mit vielen Ölgemälden, die auf mich großen Eindruck machten. Sogar auf der Toilette waren Bilder! Aber das Interessanteste fand ich in der Küche bei der Köchin. Hier gab es einen "Spion". Dies war ein Spiegel, der so angebracht war, dass wir sehen konnten, wer unten an der Haustüre stand. Immer wieder verschwand ich in die Küche, um diesen Spion zu besuchen. Gewiss hat Tante Emma in den späteren schweren Jahren oft an diesen Spiegel gedacht.
Bis 1931 hat Tante Emma im Haus Kriegsstr. 97a gewohnt, dann zog sie in die Moltkestr. 31, wo sie den 2. Stock bewohnte. Ob es die Geldsorgen waren , die sie nach der Kürzung all ihrer Bezüge traf - wie es allen Juden in diesen Jahren geschah - oder andere Dinge, ich weiß es nicht, auf jeden Fall zog sie 1935 in den Dachstock des Hauses Moltkestr. 31. Und bis 1939 hat Tante Emma dort oben alleine gewohnt. Besucher kamen nur noch selten - man besuchte damals Juden nicht ohne Not(!). Meine Tanten kannten aber die Wohnung und manches Mal sah man sich.
1940 wurden auch in Karlsruhe so genannte "Judenhäuser" eingerichtet, meist in ehemaligem jüdischem Besitz. Ein solches Haus, Besitz der Erbengemeinschaft M.A. Straus, stand in der Schlieffenstr. 1 (heute wieder Seminarstraße genannt). Dorthin musste auch Emma Fürst 1940 ziehen, ob sie wollte oder nicht. Von der Zeit an war es Gesetz, dass Jüdinnen den Vornamen "Sarah" annahmen. Frau Gertrud "Sarah" Fürst, Witwe des Juristen Dr. Friedrich Fürst und Frau Frieda Goldschmidt wohnten mit Tante Emma dort zusammen. Die anderen Bewohner dieses Judenhauses sind in der Liste nicht erwähnt.
Ab September 1941 mussten Juden den "Judenstern" tragen, an das Kleid oder den Mantel angenäht. Tante Emma schrieb an die verteilende Stelle: "Bitte, geben Sie mir 3 Judensterne, da es jetzt doch wärmer wird." Diese Postkarte ist noch vorhanden! - Tante Emma wusste ja, dass sie nur aus dem Haus durfte, wenn sie sichtbar an ihrer Kleidung diesen gelben Stern trug.
In den Häusern Schlieffenstr. 3, 5 und 7 lebten und arbeiteten Dominikanerinnen. Ihre Lehr- und Erziehungsanstalt hatten sie schließen müssen im Dritten Reich. Aber manche der Schwestern arbeiteten zum Teil im Schuldienst. Diese haben sich um ihre so genannten "Pensionärinnen"- wie sie auch als Selbstschutz ihre Nachbarinnen nannten – gekümmert. In Briefen der Nonnen an ihr Konstanzer Mutterhaus bemerkten sie über ihre Arbeit: „Die Luftangriffe halten uns in Trapp, Spreng- und besonders Brandbomben haben unsere Häuser sehr mitgenommen.“ Dieser Angriff muss am 16./17. September 1941 gewesen sein, der auch das Bismarckgymnasium gegenüber traf. Durch die Luftangriffe wurde der Kontakt zu den „Pensionärinnen“ enger.
Als Emma Fürst im Frühsommer 1942 einen Selbstmordversuch machte, da die Abschiebung der so genannten "privilegierten" Juden drohte, haben diese Nonnen sie gerettet und versorgt. Sie hatte sich die Pulsadern durchschnitten. Diese Dominikanerinnen bemerkten in Briefen an ihr Mutterhaus, dem Kloster Zoffingen in Konstanz, dass ihre drei "Pensionärinnen" konvertiert wären, darunter eine Jüdin kurz vor ihrem Tod. Ob das nun Emma Fürst war, das weiß ich nicht.
Am 20. August 1942 hat sich dann Emma Fürst das Leben genommen. Um sicher zu gehen, drehte sie den Gashahn auf und durchschnitt sich die Pulsadern.
So entkam sie der Abschiebung!
Ihr Grab habe ich nicht gefunden....
(Erika Beck, Mai 2003)