Goldberger, Betty

Nachname: Goldberger
Vorname: Betty
abweichender Vorname: Beile
Geburtsdatum: 17. September 1882
Geburtsort: Bardejov (Österreich-Ungarn, heute Slowakei)
Familienstand: ledig
Eltern: Abraham und Chana, geb. Gottdiener, G.
Familie: Schwester von Debora
Adresse:
Baumeisterstr. 28, 1928 von Frankfurt a.M. zugezogen,
Nowackanlage 11,
Kronenstr. 50, 1939 nach Frankfurt a.M. verzogen
Beruf:
Haushaltsgehilfin u.a. in Wilhelmshaven, 1912
Handelsreisende
Deportation:
20.10.1941 von Frankfurt a.M. nach Lódź (Polen)
Sterbeort:
Lódź (Polen) eventuell auch Chelmno oder Auschwitz

Biographie

Betty Goldberger

Betty Goldberger, eine streng-orthodoxe, unverheiratete Frau aus der damals ungarischen Slowakei, lebte von 1928 bis 1939 in Karlsruhe, arbeitete als Hosenträger-Vertreterin und sorgte für ihre kranke Schwester. Nach deren frühem Tod wurde Betty 1941 wegen ihres Judentums verschleppt, im Ghetto Lodz interniert und an unbekanntem Ort ermordet.

Bettys Vater Abraham Jehuda Goldberger, Sohn des Elieser, wurde am 6. Januar 1844 im damaligen Bartfeld, ungarisch Bartfa, in Österreich-Ungarn geboren. Die heutige Stadt Bardejov liegt in der nordöstlichen Slowakei. Bettys Mutter Hanni (Chana), geborene Gottdiener, kam am 25. Juli 1845 ebenfalls dort zur Welt. Bartfeld/Bartfa hatte im ausgehenden 19. Jahrhundert ungefähr ein Viertel jüdischen Bevölkerungsanteil. Die Familie gehörte zu orthodoxen Kreisen in der Kleinstadt nahe der Grenze zu Polen. Die Inschrift auf Abraham Goldbergers Grabstein in Frankfurt (Main) weist ihn als von Kindesbeinen frommen und gelehrten Juden aus. Über seinen Beruf gibt es leider keine Information. Noch im 19. Jahrhundert bedeutsam waren in Bartfeld die eisenhaltigen Heilquellen, der Silber- bzw. Goldbergbau und der Leinwandhandel. In der Umgebung liegen nordwestlich die Stadt Neu-Sandez, heute Nowy Sacz in Polen, südlich die Stadt Kaschau, heute Košice in der Slowakei. Bardejov mit seinem wohlerhaltenen jüdischen Viertel gehört heute zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Ehepaar Goldberger hatte vermutlich mehrere Kinder, aber nur zwei Töchter sind uns bekannt: Betty (Beile), geboren am 17. September 1882 und Dora (Debora), geboren am 15. September 1889, beide in der Vaterstadt. Als Dora zur Welt kam, war die Mutter schon 44 Jahre alt, sie muss daher die jüngste unter ihren Geschwistern gewesen sein.

Der Karlsruher Isaak Ettlinger, dessen Frau Selma Charlotte, geborene Wolff, in Frankfurt aufgewachsen war, gab 1930 in einem Empfehlungsschreiben an, er kenne Familie Goldberger „seit über 25 Jahren“. Belegbar sind die Goldbergers durch fragmentarische Meldedaten ab 1913 in der Uhlandstraße 46.I in Frankfurt, im selben Haus wie Familie Wolff. Das Haus im Ostend gehörte der Kaufmannsfamilie Lassar Mainz Erben. Betty zog am 13. Juli 1914 vorübergehend nach Mannheim, wo sie vermutlich als Hausangestellte oder Kindermädchen arbeitete.

Der Vater wurde am 20. Januar 1916 „ungeheilt aus der Irrenanstalt entlassen“, so heißt es in der damals üblichen Ausdrucksweise in Frankfurter Meldeunterlagen. Es ist zu vermuten, dass es sich um ein geriatrisches Leiden des 72-jährigen handelte und er nun zu Hause gepflegt wurde. Abraham Jehuda Goldberger ist kurz darauf, am 26. Januar 1916, in Frankfurt (Main) verstorben. Er wurde auf dem Gräberfeld der Israelitischen Religionsgesellschaft im Friedhof Rat-Beil-Straße beigesetzt.

Ursprünglich österreich-ungarische Staatsangehörige, sind Betty und Dora Goldberger 1917 von Amts wegen als staatenlos eingestuft worden, angeblich weil gültige Papiere fehlten. Ihre Mutter Hanni ist am 16. April 1917 von Frankfurt weggezogen nach Budapest, vielleicht zu Verwandten. Am 17. Mai 1926 ist sie verstorben, an welchem Ort, war nicht herauszufinden.

Bettys Schwester Dora hatte offenbar ein psychiatrisches Leiden, denn am 28. März 1920 wurde sie „als gebessert aus der Irrenanstalt entlassen“, wie die Frankfurter Meldekarte lapidar angibt. Am 12. April 1920 wohnte sie wieder in der Uhlandstraße 46, wo sie noch im Juni 1926 nachgewiesen ist.

Im Januar 1928 sind die beiden Schwestern nach Karlsruhe zugezogen, wohl weil Betty hier eine Arbeitsstelle antrat. Seit November 1928 (und ebenso noch 1931) wurden die beiden zwar vom Fürsorgeamt unterstützt; ohne Zweifel arbeiteten sie aber, was wohl nicht zum Leben reichte. Direkte Angehörige sind in Karlsruhe nicht zu finden – die hiesige Familie Josua und Lina Goldberger war offenbar nicht verwandt.

Betty und Dora stellten im Dezember 1930 Anträge auf Einbürgerung in die badische Staatsangehörigkeit. Isaak Ettlinger, so etwas wie Küster und ehrenamtlicher Vorbeter in der orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft sowie im so genannten „Ettlingerschen Minjan“ und in der „Frühschul“, setzte sich als Vertrauensperson für die beiden ein: Sie seien arm, aber wegen ihrer untadeligen Lebensführung in der Gemeinde sehr angesehen, so schrieb er. Aufgrund ihres unklaren Status in Bezug auf die frühere ungarische Staatsangehörigkeit wurde der Antrag der beiden 1932 abgewiesen.

Um 1930 wohnten Betty und Dora in der Baumeisterstraße 28, Hinterhaus 2. Stock zur Untermiete bei Huber, um 1933 waren sie selbst Mieterinnen im Haus. Im erwähnten Antrag wird im Dezember 1930 auch die Adresse Nowackanlage 11, Hinterhaus 1. Stock genannt. Das Haus gehörte dem Kaufmann Albert Falk (für ihn gibt es auch einen Beitrag im Gedenkbuch). In der Nowackanlage 11 wohnte der Kaufmann Bernhard Heumann mit Frau Fanny, geborene Richheimer, Sohn Hans Norbert und Tochter Margot (Ruth), geboren 1923. Vielleicht arbeitete Betty bei Heumanns als Hausangestellte oder Kindermädchen?

In den Adressbüchern 1933/34 und 1937 steht bei den Einträgen von Betty und Dora Goldberger, Baumeisterstraße 28 ein Stichwort zu ihrem Gewerbe: „Hosenträger“. Betty handelte als Vertreterin bzw. Hausiererin mit solchen Kurzwaren, offenbar unterstützt von ihrer Schwester.

Die beiden Schwestern finden sich auf den Ergänzungskarten der Volkszählung im Mai 1939 in der Kronenstr. 50, Hofgebäude 2. Stock. In dem Haus, das der Witwe von Nathan J. Homburger gehörte und von Ferdinand Homburger verwaltet wurde, wohnten damals neben Nichtjuden auch Mieter aus den Familien Pinkas Dank-Rubinfeld, Moses Färber, Salli Kirchheimer und Berthold Dreyfuß. Moses Färber hat den Schwestern Goldberger zwei Zimmer im Seitenbau untervermietet, bevor er im Oktober 1938 ohne Frau und Kinder nach Polen abgeschoben wurde.

Als staatenlose Juden mussten die Geschwister Goldberger auch mit Abschiebung rechnen. In einer Gestapoakte vom 12. September 1939, in der es eigentlich um die forcierte Ausreise polnischstämmiger Frauen und Kinder geht, sind die beiden auch aufgeführt: „Selbst angegebener voraussichtlicher Reisetermin: unbestimmt“. Im selben Aktenkonvolut unter „Polnische Jüdinnen, die hier noch gemeldet, aber nicht mehr anzutreffen sind“, finden sich unter dem 15. September 1939: „Goldberger, Betty, 17. 9. 1882 Bartfeld, wh. Kronenstr. 50; Goldberger, Dora, geb. 15. 9. 1889 Bartfeld, wh. Kronenstr. 50.“ – Die Gestapo war schlecht informiert. Nicht nur, dass Bartfeld nicht in Polen liegt; Dora, „Privatiere, 49 Jahre alt“, war laut Standesregister bereits am 22. August des Jahres im Städtischen Krankenhaus verstorben und zwei Tage später auf dem Friedhof der Israelitischen Religionsgesellschaft an der Haid-und-Neu-Straße beerdigt worden.

Betty Goldberger ist nach dem Tod der Schwester nach Frankfurt zurückgekehrt. Wen sie dort kannte, ist schwer zu sagen. In der Uhlandstraße 46 ist bei der Volkszählung im Mai 1939 eine Rosa Berger, geboren 1874 in Bartfeld erwähnt – gut denkbar, dass sie eine Verwandte war. Ein Isaak Berger hatte laut Adressbuch 1935 eine Hosenträgerfabrik in der Allerheiligenstraße in Frankfurt. Es gab vielerlei Beziehungen zwischen Frankfurter und Karlsruher jüdischen Familien. An der Friedberger Anlage stand die große Synagoge der orthodoxen Austrittsgemeinde, Vorbild für jene in der Karlsruher Karl-Friedrich-Straße 16, in der auch die Ettlingers beteten. In Frankfurt lebten z.B. die Karlsruher Siegmund und Adolf Ettlinger. Auch die inzwischen verwitwete Selma Charlotte Ettlinger, geborene Wolff, zog im Mai 1939 wieder in ihre Geburtsstadt Frankfurt, in ein Heim. Mit im Haus Uhlandstraße 46 wohnte die 1881 in Karlsruhe geborene Rebekka Rachelsohn, Tochter des Ritualschlachters Jakob Hirsch aus der Durlacher Str. 15.

Am Sonntag, dem 19. Oktober 1941 wurden in Frankfurt die als Juden gebrandmarkten Menschen von SA-Trupps festgenommen und in den Keller der Großmarkthalle an der Hanauer Landstraße gebracht. (Heute ist dort, auf dem Gelände der Europäischen Zentralbank, eine Gedenkstätte). Auf der Deportationsliste findet sich die inzwischen 59-jährige „Goldberger, Betty Sara“ mit ihrer letzten Adresse Obermainanlage 28. Am frühen Morgen des 20. Oktober wurden alle mit dem Reichsbahn-Sonderzug Da6, einem Personenzug 3. Klasse mit blickdicht verklebten Fenstern, über Posen/Poznan nach dem Ghetto „Litzmannstadt“/Lodz deportiert, wo der Transport mit über 1100 Personen am nächsten Tag eintraf.

In Lodz verliert sich Betty Goldbergers Spur. Im Ghetto sind viele der Deportierten durch Gewaltmaßnahmen, Unterernährung und Krankheiten bereits im harten Winter 1941/42 gestorben. Da Betty fast 60 Jahre alt war und wohl keine Angehörigen im Ghetto hatte, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie dort umgekommen ist. Auf dem gut dokumentierten Jüdischen Friedhof Lodz, der damals innerhalb des Ghettos lag, ist Betty allerdings nicht verzeichnet. Der Judenrat im Ghetto, kontrolliert und dirigiert von den Nazis, musste unter der unglücklichen Führung von Chaim Rumkowski nach wöchentlichen Quoten Deportationslisten zusammenstellen. Im Mai bzw. August 1942 wurden so mehrere Hundert Menschen aus dem Frankfurter Transport nach Kulmhof/Chelmno verschleppt und dort vergast. Die Übriggebliebenen sind im August 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert worden, wo sie – bis auf einige arbeitsfähige Männer – zu Tode kamen. Weder in Chelmno noch in Auschwitz scheint aber geklärt zu sein, wer genau zu den Betroffenen zählte.

An Betty Goldberger erinnert an der Frankfurter Gedenkstätte Neuer Börneplatz außen an der Friedhofsmauer ein kleiner Stein, mit ihrem Namen.

(Christoph Kalisch, Januar 2017)



Quellen:
Auswertung Ergänzungskarten Volkszählung Mai 1939.
Stadtarchiv Karlsruhe, Einbürgerungsanträge 6/BZA 4556 und 4557.
Stadtarchiv Karlsruhe, 1/H-Reg 1492 „Wohnraum jüdischer Eigentümer“.
IST Arolsen Gestapo Ordner 26, V.C.C. 155/XIII, in Stadtarchiv Karlsruhe 8/StS 34/136.
http:db.yadvashem.org/deportation/transportDetails.html?language=de&itemId=9437819 .
http:
bardejov.org/a/jewish-bardejov/bardejov-jewish-history/ .
Meldeunterlagen „Nullkartei“ bei Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a.M., geführt bis ca. 1930.
Auskunft Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a.M., Aug 2016.
Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Sterberegister J386, Bü 311, S. 174f.
http:gedenkbuch.informedia.de/index.php/PID/12/name/1754/ .
http:
db.yadvashem.org/deportation/transportDetails.html?language=de&itemId=9437819 .
http:*bardejov.org/a/jewish-bardejov/bardejov-jewish-history/ .