Haas, Lothar

Nachname: Haas
Vorname: Lothar
Geburtsdatum: 4. Oktober 1921
Geburtsort: Mannheim (Deutschland)
Familienstand: ledig
Eltern: Salomon und Melanie H.
Familie: Bruder von Richard und Ingeborg (1922-1928)
Adresse:
Kronenstr. 10, 1938 aus Rülzheim zugezogen
Beruf:
Lehrling landwirtschaftliche Ausbildung
Deportation:
22.10.1940 nach Gurs (Frankreich),
1941 nach Les Milles (Frankreich),
14.8.1942 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Sterbeort:
Auschwitz (Polen)

Biographie

Salomon und Melanie Haas mit Lothar

Salomon Haas wurde am 18. Februar 1879 in Rülzheim in der Pfalz geboren. Seine Eltern waren Leopold Haas (geboren am 27. Juli 1848, gestorben am 15. Januar 1908 in Rülzheim) und Bertha, geborene Klaus aus Rülzheim (geboren am 26. Dezember 1856, gestorben am 11. November 1931). Salomon hatte sechs Geschwister.

In den 1870er Jahren war Rülzheim eine Gemeinde mit einem großen jüdischen Bevölkerungsanteil, etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die jüdische Gemeinde verfügte neben der Synagoge über eine eigene konfessionelle Elementarschule, ein rituelles Bad (Mikwe) und einen eigenen Friedhof. 1877 zählte die jüdische Gemeinde 380, nach der Reichspogromnacht 1938 nur noch 37 Mitglieder. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die jüdische Gemeinde zerstört und danach gab es keine mehr. Die jüdische Gemeinde Rülzheim gehörte zum Bezirksrabbinat Landau, die jüdischen Einwohner waren überwiegend Tabakbauern und Viehhändler. In diesem Umfeld wuchs Salomon auf und wurde selbst Viehhändler und Kaufmann.

Am 9. Dezember 1920 heiratete Salomon in Arzheim bei Landau die dort lebende Melanie, geborene Abraham, geboren am 16. Februar 1894. Die Eltern von Melanie waren Samuel Abraham und Bertha, geborene Sonnheim. Salomon war also 15 Jahre älter als Melanie.

Am 4. Oktober 1921 kam der erste Sohn, Lothar, in Mannheim zur Welt, am 29. November 1922 die Tochter Ingeborg und am 20. Februar 1926 der zweite Sohn Richard, ebenfalls in Mannheim geboren. Aus den gewählten Vornamen der Tochter und der Söhne kann man schließen, dass die Familie Haas assimilierte Juden waren und vermutlich so deutschnational dachten wie viele im städtischen Bürgertum.

Salomon war als Viehhändler erfolgreich und hat gut verdient, so betrug sein Jahreseinkommen 1929 etwa 8.560 RM.
Die Familie wohnte in Rülzheim im eigenen Haus mit Garten und Acker in der Neuen Landstraße 20. Sie hatten einen bestens eingerichteten Hausstand, wertvolle Möbel. Zusätzlich besaßen sie ein Haus in Landau-Queichheim in der Hauptstraße 76. Melanie Salomon brachte in die Ehe auch einen Acker in Arzheim mit.
Der Sohn Lothar machte eine landwirtschaftliche Lehre, er sollte einmal das Geschäft des Vaters übernehmen.
Die Tochter Ingeborg starb am 7. Dezember 1928 in Herxheim.
Der Sohn Richard besuchte vom Mai 1932 an die jüdische Volksschule und nach deren Auflösung im Herbst 1932 die Katholische Volksschule in Rülzheim.

1933 brachen die Umsätze von Salomon Haas deutlich ein. Er wurde so früh geschädigt durch die nationalsozialistische Hetze und den Druck auf jüdische Geschäfte. Das Viehhandelsgeschäft musste Salomon Haas nach der Reichspogromnacht ganz aufgeben, am 7. Dezember 1938 schloss er es.

Richard Haas musste 1936 die Schule in Rülzheim verlassen, da „arische“ Kinder nicht mehr mit jüdischen gemeinsam die Schule besuchen sollten. Schon zuvor war er von den Mitschülern beschimpft und bedroht worden. Er besuchte bis zur Pogromnacht 1938 die nächstgelegene jüdische Schule, in Karlsruhe die jüdische Schulabteilung in der Lidellschule. So pendelte er also täglich von Rülzheim nach Karlsruhe.

In Rülzheim waren schon in der Nacht vom 29. auf 30. Oktober 1938 fast alle Häuser jüdischer Familien mit roter Farbe beschmiert, mit Parolen wie zum Beispiel: „Hängt die Kriegshetzer, Juden Tod“. Das berichtete der Regierungspräsident der Pfalz damals an seinen Vorgesetzten und weiter: „Die Juden beseitigten die Inschriften, erstatteten aber in keinem Fall Meldung, so wie auch andernorts. Der Grund für dieses Vorgehen der Juden lag in der Beobachtung, dass die Juden in den Tagen der Hochspannung aus ihrem Benehmen erkennen ließen, sie wünschten einen Krieg“. Mit Hochspannung meinte er den Konflikt zwischen Deutschland und Polen über den polnischen Erlass, künftig keine „polnischen Staatsbürger“ im Ausland anzuerkennen, die diese Staatsbürgerschaft nicht prinzipiell erneuert hätten und daraufhin Deutschland am 28. Oktober 1938 17.000 sogenannte polnische Juden an die Grenze abgeschoben hatte, Polen aber die Einreise verweigerte und heftige diplomatische Auseinandersetzungen folgten.
Das bedeutete aber auch, dass in Rülzheim wie andernorts in der Pfalz ein nationalsozialistischer Mob für solche brutalen Einschüchterungen vorhanden war.

In der anschließenden Pogromnacht kam es auch in Rülzheim zu gewalttätigen Ausschreitungen, die angeblich von ortsfremden Personen getragen wurden, so wurde die Synagoge demoliert, Fenster, Inneneinrichtungen und das Dach zerstört, Ritualgegenstände im Hof verbrannt. Die jüdischen Männer wurden ins KZ Dachau verschleppt; Frauen und Kinder mussten Rülzheim verlassen, durften aber wieder zurückkehren. In der Zwischenzeit waren die Wohnungen aufgebrochen und teilweise geplündert worden. Auch der jüdische Friedhof wurde verwüstet, so soll ein Drittel der Grabsteine zerstört worden sein. Die mehr als 100 Juden, die noch in Rülzheim verblieben waren, verließen nun den Ort und zogen in die umliegenden Großstädte Karlsruhe und Mannheim, versuchten zu „emigrieren“.

Die Familie Haas zog nach der Reichspogromnacht 1938 zusammen mit dem ledigen Bruder von Salomon, Julius, geboren am 14. Februar 1885 ebenfalls in Rülzheim, nach Karlsruhe in die Kronenstraße 10. Die Familie hoffte vielleicht, in der anonymen Großstadt besser überleben zu können und eventuell auch leichter emigrieren zu können.

Das Haus in Rülzheim wurde für 7.500 RM – also weit unter Wert – verkauft. Von diesem Geld hatte die Familie nicht viel, denn allein für die Judenvermögensabgabe waren 5.679 zu RM bezahlen.

Die Eltern Haas gaben Sohn Richard im Mai 1939 mit einem Transport des jüdischen Wohlfahrtbundes über die Niederlande nach England. Er gehörte offensichtlich zu den 10.000 Kindern bis 16 Jahren, denen das englische Parlament nach der Reichspogromnacht die Einreise in das Land ermöglichte, zu Verwandten oder im Falle eines Fehlens zu Pflegeeltern oder in Kinderheime, unterstützt durch karitative und jüdische Wohlfahrtsorganisationen. In Manchester lernte er auf der King David High School die englische Sprache. 1944 ging er, 18-jährig, von Manchester aus nach den USA. Festgehalten ist seine Abfahrt mit der MS Axel Johnson am 8. November 1944 von Liverpool. Richard Haas lebte in New York und erlangte 1950 die US-Staatsbürgerschaft.

Sohn Lothar war 1939 bereits 18 Jahre und konnte nicht mehr über einen Kindertransport nach England gelangen. Doch die Eltern versuchten auch für ihn eine Auswanderung. Sie beantragten einen Reisepass mit der Begründung wie bei Sohn Richard. Der Reisepass wurde tatsächlich am 2. Mai 1939 ausgestellt, aber nicht von Lothar unterschrieben und auch nicht abgeholt, so dass er sich bis heute in der Akte im Archiv befindet.

Am 22. Oktober 1940 wurden Salomon und Melanie Haas zusammen mit Sohn Lothar mit nahezu eintausend anderer Karlsruher Jüdinnen und Juden nach Gurs deportiert.
Der Generalbevollmächtigte für jüdisches Vermögen beim Polizeipräsidium ließ auch ihr Mobiliar versteigern.

Salomon und Melanie Haas scheinen die Auswanderung bereits in Karlsruhe versucht zu haben. Offensichtlich betrieben sie diese auch in Gurs weiter und es muss eine Chance dazu bestanden haben. Denn am 26. November 1941 wurden alle drei aus Gurs in Transitlager für Emigrierende verschubt: Salomon und Lothar Haas nach Les Milles, dem Männerlager, und Melanie Haas zum Hôtel Bompard, dem Frauenlager in Marseille. Dort blieben sie bis August 1942. Die erhoffte Auswanderung aber gelang nicht.

Melanie war vom 26. November 1941 bis 5. August 1942 im Hôtel Bompard in Marseille und wurde dann zurückgeschickt, so kam sie bis zum 11. August 1942 in das Lager Les Milles. Alle drei, Salomon und Melanie Haas mit Sohn Lothar wurden von Les Milles zum Transitlager Drancy bei Paris verbracht. Von dort kamen sie am 14. August 1942 nach Auschwitz, wo alle drei ermordet wurden.

Sohn Richard machte in New York eine Ausbildung als Zuschneider und verdingte sich wegen mangelnder Schulbildung in verschiedenen einfachen Berufen. 1951 kam er zurück nach Landau, Wallstraße 3 und versuchte von dort die Wiedergutmachungsanträge für seine Eltern einzuleiten. Ebenso wollte er den Verkauf des Hauses in Rülzheim rückgängig machen. Im Vergleich wurde ihm eine Summe von 7.500 DM zugesprochen. Er ist dann 1956 wieder zurück in die USA gezogen. Richard Haas starb in New York am 29. März 2004.

(Jürgen Müller, Oktober 2020)
Ich danke Karl Werner Geeck aus Rülzheim für seine unterstützenden Informationen.


Quellen:
Generallandesarchiv Karlsruhe: 330/422, 423; 480/6688, 15235, 25061;
Stadtarchiv Karlsruhe: 1/AEST 1237;
Israelitisches Gemeindeblatt Ausgabe B, 29.9.1937;