Hammel, Berta

Nachname: Hammel
Vorname: Berta
geborene: Bensinger
Geburtsdatum: 19. Februar 1862
Geburtsort: Bodersweier (Deutschland)
Familienstand: verwitwet
Familie: Witwe von Joseph Hammel (II.) (1861-1924);
Mutter von Siegfried, Mina und Irma
Adresse:
1940: Zirkel 20, von Offenburg zugezogen
Beruf:
Hausfrau
Deportation:
22.10.1940 nach Gurs (Frankreich),
später nach Rivesaltes (Frankreich)
Sterbeort:
Rivesaltes (Frankreich)
Sterbedatum:
25. März 1941

Biographie

Berta Hammel

Vor dem letzten selbstgewählten Wohnort in Offenburg, Gaswerkstraße 17, wurden Stolpersteine für drei Menschen verlegt: Irma Hammel, Julius Hammel, Berta Hammel.
Das Amtsblatt von Offenburg, das Offenblatt, berichtete am 2. Februar 2008:
„In der Gaswerkstraße Nr. 17 wohnten der aus Freistett stammende Handels¬mann Julius Hammel (geb. 19.6.1888) und seine Ehefrau Irma (geb. Hammel 5.4.1901). Sie erlitten beide das gleiche Schicksal der Deportation und späteren Vernichtung. Julius Hammel war selbst Hausbesitzer und hatte unter den nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen bereits An¬fang 1933 schwer zu leiden. Die Kinder Emilie Hedwig/Hedy (geb. 22.2.1924) und Ingeborg Lore (10.9.1925) wurden mit ihren Eltern nach Gurs deportiert, überlebten aber den Holocaust. Berta Hammel (geb. ¬¬Bensinger 19.2.1862), vermutlich eine Verwandte, starb 1941 im französischen Lager Rivesaltes.“

Tatsächlich aber war Berta Hammel die Mutter von Irma und Schwiegermutter von Julius. Sie selbst stammte aus dem etwa zehn Kilometer entfernten Bodersweier, heute ein Stadtteil von Kehl, wo sie am 19. Februar 1862 zur Welt gekommen war. Ihr Vater war Leopold (Löw) Bensinger (geboren am 15. März 1833), Sohn von Kalmus Bensinger und seiner Frau Carolina (Karoline). Ihre Mutter, Wilhelmine (Mina) Braunschweig (geboren am 24. Januar 1837), stammte aus dem nahen Rheinbischofsheim und war Tochter des Handelsmanns Löb Braunschweig und seiner Frau Sarah, geborene Greilsheimer. Leopold und Mina (Wilhelmine) heirateten am 30. August 1859 standesamtlich. Berta war das zweite von elf Kindern. Im August 1860 kam das erste Kind, Augustine zur Welt, dann Berta, es folgten 1864 Carl und am 6. Dezember 1865 die Zwillinge Elise und Frieda. Zwei Wochen nach der Geburt starb der Zwilling Frieda. In den folgenden Jahren wurden Fanny (1867), Isidor (1869), Babette (1871), Mathilde (1872) und Eduard (1874) geboren, das jüngste Kind, Regina (1877) wurde nur sechs Monate alt. Acht Monate später, am 10. September 1878, verstarb die Mutter der Kinder, Wilhelmine Bensinger, im Alter von nur 42 Jahren. Vermutlich übernahmen nun die 16-jährige Berta und die unwesentlich ältere Schwester Augustine Pflichten im Haushalt und versorgten die jüngeren Geschwister. Über eine zweite Ehe des Vaters ist nichts bekannt.

Die Eheschließung von Berta
Im Jahr 1886, am 14. Dezember, heiratete Berta Bensinger den ein Jahr älteren Joseph Hammel II., der einer der ältesten und weitverzweigten jüdischen Familien im Ort angehörte. Er war der Sohn des Handelsmanns („mit Verkaufswarenlager ohne Laden“) Isaak Hammel (geboren 1829 in Neufreistett) und seiner gleichaltrigen Ehefrau Jette (Theresa) Schurmann. Seine beiden älteren Schwestern hießen Therese (geboren 1857) und Rosa (geboren 1858). Joseph selbst war 1861 zur Welt gekommen. Noch im gleichen Jahr war mit nur 32 Jahren seine Mutter gestorben, vielleicht bei seiner Geburt. Der Vater Isaac der beiden Kleinkinder und des Säuglings hatte sich im gleichen Jahr wieder verheiratet, die zweite Ehefrau Fanni, geborene Braunschweig, brachte in den folgenden Jahren Bertha (1862), Sophia (1864), Leopold(1866), Elise (1868) und Caroline (1870) zur Welt. 1871 zahlte er Schulgeld für Joseph, Berta und Therese. 1892 wird Isaac Hammel als Viehhändler genannt.

Berta Bensinger und Joseph Hammel II. heirateten im Jahr 1886 standesamtlich nicht am Heimatort der Braut, sondern vermutlich in Freistett. Die Hochzeitszeremonie könnte, wie es bei jüdischen Paaren damals beliebt war, in Baden-Baden stattgefunden haben. Die Synagoge am Marktplatz von Neufreistett kam als feierlicher Ort eher weniger in Frage, denn der überaus bescheidene Bau war gerade in einem ausgesprochen unvorteilhaften Zustand, eine Komplettrenovierung war zwingend erforderlich.

Die Synagoge in Neufreistett
Unter dem Gemeindevorsteher Jakob Hammel konnte die Sanierung der Synagoge auch durchgeführt werden, allerdings erst einige Jahre nach der Hochzeit von Berta und Joseph Hammel. Am 25. August 1893 wurde sie dann neu eingeweiht, bestimmt nahm das Ehepaar bei den Feierlichkeiten auch teil. Die Zeitschrift „Der Israelit“ veröffentlichte am 4. September 1893 einen längeren Beitrag: „Aus dem Badischen. Die aus kaum 20 israelitischen Familien bestehende Gemeinde in Neufreistett feierte Freitag den 25. vorigen Monats die Einweihung ihrer renovierten Synagoge; schon viele Jahre war die Renovierung ein Bedürfnis, da die Synagoge von innen und von außen ein sehr notdürftiges Aussehen hatte. Es war zu bezweifeln, dass das Projekt zustande käme, da die Gemeinde bei ihrer kleinen Anzahl große Opfer zur Bestreitung ihres Kultusaufwandes aufbringen muss; jedoch der rastlosen Tätigkeit ihres Vorstandes Herrn Jakob Hammel ist es zu verdanken, dass hier ein Werk entstanden ist, welches der Gemeinde zur Zierde gereicht. Aus freiwilligen Spenden von Nah und Fern wurden die Mittel zum Bau aufgebracht. Auch Seine Königliche Hoheit der Erlauchte Großherzog und Erbgroßherzog von Baden trugen seiner Zeit ihr Scherflein dazu bei […].
Im Verlauf des Festes wurde folgendes Telegramm an Seine Königliche Hoheit den Großherzog abgesandt: Neufreistett, 26. August 1893.
Großherzog von Baden, Coburg! Die anlässlich der Synagogeneinweihung versammelten Festgäste entbieten Eurer Königlichen Hoheit ihren ehrerbietigsten und alleruntertänigsten Gruß. Für die israelitische Gemeinde Neufreistett. Hammel.
Worauf die nachstehende huldvolle Antwort erfolgte: Ich danke der Festgemeinde für den freundlichen Gruß bei Einweihung der neuen Synagoge. Friedrich, Großherzog.
Abends fand ein Festessen statt, wobei sehr schöne Toaste und Reden gehalten wurden. Der erste Toast galt Seiner Königlichen Hoheit unserem vielgeliebten Großherzog.“
Dass dieser mehrfach erwähnte Jakob Hammel der Zigarren- und Branntweinhändler, Gemeinderat von 1895- 1901 war, kann vermutet werden. Die familiären Bande zwischen ihm und Joseph Hammels Familie sollen an dieser Stelle nicht entflochten werden.

Die Familie Berta und Joseph Hammel II.

Das Ehepaar Berta und Joseph Hammel II. bekam in den folgenden Jahren drei Kinder. Am 22. November 1887 wurde der Sohn Siegfried geboren, 1889 folgte Mina und zwölf Jahre später, am 5. April 1901 kam das „Nesthäkchen“ Irma zur Welt. Die Familie des Handelsmannes, genauer gesagt Viehhändlers, Joseph Hammel II., wohnte im Haus Nr. 49. Es ist „aus Steinziegeln gebaut und mit Ziegeln bedeckt … in einem Sieben- Zimmer-Haushalt, hat den Hausrat in Höhe von 2.670 Mark versichert.“ Dies und weitaus mehr ist im „Erinnerungs- und Materialbuch“ über „Die „Jüdischen Gemeinden von Neufreistett und Rheinbischofsheim“ von Gerd Hirschberg zu lesen. Demnach war Joseph Hammel II. 1893 israelitischer Gemeinderechner, 1905 wohnte die Familie bei einer Volkszählung in der Landstraße 49 (offensichtlich waren Straßennamen eingeführt worden) mit sechs Personen in einem Sieben-Zimmer- Haushalt. Sie hatten also Mitbewohner oder Mieter im Haus. 1907 war Joseph Hammel II. wahlberechtigt zur Gemeinderatswahl, galt als „staatsbürgerlicher Einwohner“ und bezahlte Schulgeld für die gemeinsame Tochter Irma. 1910 erhielt er eine Strafe, weil er auf einer anberaumten Gemeindeversammlung nicht erschienen war.
Im Ersten Weltkrieg fiel Siegfried, der einzige Sohn von Berta und Joseph Hammel II. in Frankreich, der Schmerz der Eltern war sicher unermesslich. Er war beim 1. Bayrischen Ersatz-Infanterie-Regiment Nr. 1. Das Todes-/Vermisstendatum wird im Gedenkbuch des Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten mit dem 23. September 1914 angegeben.
1916 wohnte Joseph Hammel II. bei der Volkszählung in der Freiburgerstraße 22 (oder 21?) mit zwei Personen, das heißt mit der Ehefrau Berta und Tochter Irma. Die zwölf Jahre ältere Tochter Mina heiratete am 2. Februar 1920 in Neufreistett den Tabakwarenvertreter Leo (Lemmle) Braunschweig (geboren 1878), Teilnehmer im Ersten Weltkrieg, 1919 zum Gemeindeverordneten gewählt und anscheinend „ein Mann, der kein Blatt vor den Mund nahm.“
1923 heiratete Irma Hammel, das jüngste Kind von Berta Hammel, den etwa zwölf Jahre älteren Viehhändler Julius Hammel aus Freistett, das älteste von sechs Kindern des Leopold Hammel I. und der Emilia Bloch. Nach der Volksschule am Ort hatte er auf der Realschule in Rheinbischofsheim das sogenannte „Einjährige“ gemacht. Danach war er in das Geschäft seines Vaters, der in Freistett eine Viehhandlung betrieb, eingetreten, später machte er sich selbstständig. Etwa zeitgleich mit oder kurz nach der Heirat hatte er den Geschäftsbetrieb und seine Wohnung nach Offenburg verlegt. Die Stallungen wurden dort zunächst in der Wasserstraße, später in der Gaswerkstraße (gegenüber der Wohnung im eigenen Haus) und in Renchen unterhalten, so beschrieben es Nachkommen später. Die Wohnung war im eigenen Haus in der Gaswerkstraße 17.
1924 verstarb Bertas Ehemann Joseph in Neufreistett, er wurde 59 Jahre alt. Wie lange die Witwe noch in ihrem Haus auf dem 8,7 ar großen Grundstück in Freistett lebte, ist nicht bekannt. Auch als sie zur jüngeren Tochter Irma, den Enkelinnen Hedwig (geboren 1924) und Ingeborg Lore (1925) und dem Schwiegersohn nach Offenburg in die Gaswerkstraße 17 zog, verkaufte sie es nicht. Im Haus ihres Schwiegersohns Julius wohnte ab 1929 ebenfalls dessen jüngerer, unverheirateter Bruder, der Kaufmann Theodor Hammel (geboren 1904). Um 1939 zog dieser dann nach Berlin, von wo er 1942 nach Auschwitz kam und ermordet wurde.

Ausgrenzung, Bedrohung und Vertreibung
Nach der Machtübernahme der NSDAP musste Berta Hammel erleben, wie es ihrem Schwiegersohn angesichts der antisemitischen Maßnahmen immer schwieriger fiel seinen Betrieb weiterzuführen. Bertas Enkelinnen Hedwig und Ingeborg Lore beschrieben 1949 die Lebensumstände ihrer Eltern so: „Da unser Vater Jude im Sinne der Nürnberger Gesetze war, hatte sein Geschäft unter den nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen von Anfang 1933 an, schwer zu leiden. Von 1936 an war er nicht mehr in der Lage, in seinem Geschäft etwas zu verdienen und er lebte danach von dem Einkommen aus seinem Haus und seinem Vermögen.“. Auch Außenstände in Höhe von 4.000.- RM waren uneinbringlich, Julius Hammel musste seinen Betrieb schließen. Anlässlich „der November-Aktion im Jahre 1938“ wurde er verhaftet und im Konzentrationslager Dachau bis zum 10. Dezember 1938 inhaftiert. Auch der Mann von Bertas älterer Tochter Mina, Leo Braunschweig, war ein Opfer der Pogrome geworden. Schon auf dem Transport von Neufreistett nach Kehl war er bis zur Unkenntlichkeit blutig geschlagen worden. Noch nach seiner Entlassung am 28. Dezember 1938 musste er ärztlich behandelt werden. Leo Braunschweig, Lemmle nach seinem jüdischen Vornamen, der „kein Blatt vor den Mund nahm“, hatte im Gasthaus Lamm „oft mit dem Nazilehrer Dr. Gärtner diskutiert“ wie sich ein Zeitzeuge erinnerte.
Nach ihrer Haftentlassung kehrten sie zu ihren Familien zurück, Angst und Entsetzen brachten sie mit.
Das Leben von Berta Hammel in der nun folgenden Zeit lässt sich nicht exakt nachvollziehen. In Offenburg bei der Tochter wollte sie anscheinend nicht bleiben. 1938 soll sie nach Freistett zurückgezogen sein. Es heißt auch, sie sei dort die letzte jüdische Einwohnerin gewesen und am 22. Oktober 1940 von Freistett mit dem großen Transport der Badischen und Kurpfälzischen Juden nach Gurs deportiert worden sein. In der offiziellen Liste der Deportierten aus Baden wird Freistett jedoch nicht als einer der Orte genannt, aus dem am 22. Oktober 1940 Deportationen erfolgten.
In der Liste für die Stadt Offenburg stehen hinter den Nummern 5.005-5.008:
Hammel, Julius, Israel 19.6.1888 Gaswerkstraße 17
Hammel, Irma, Sara 5.4.1901 Gaswerkstraße 17
Hammel Hedwig, Sara 22.2.1924 Gaswerkstraße 17
Ingeborg, Lore, Sara 10.9.1925 Gaswerkstraße 17
In der Deportationsliste für Karlsruhe findet sich jedoch hinter der laufenden Nummer 1.520 der Name Berta Hammel, geboren am 19.2.1862. Als Adresse wird Zirkel 20 angegeben.
Wo sich Berta Hammel zwischen 1938 und 1940 aufgehalten hat, lässt sich nicht eindeutig nachweisen. Sicher ist jedoch, dass sie am 17. Januar 1939 das Haus in Neufreistett zum Einheitswert von 5.900.- Reichsmark verkauft hat.
Im Oktober 1940 hielt sich Berta Hammel, geborene Bensinger, in Karlsruhe auf. Wie ihr Cousin Eduard Bensinger und dessen Frau Elsa wurde sie im Haus Zirkel 20 aufgespürt und von dort nach Gurs deportiert. Vielleicht wohnte sie erst wenige Tage in dem Haus oder sie war nur als Besucherin in der Stadt. Vom Lager Gurs kam sie in das Lager
Rivesaltes. Dort starb sie am 25. Januar 1941 im Alter von 79 Jahren.
Über das Leben ihrer älteren Tochter Mina und des Schwiegersohns Leo Braunschweig nach seiner Rückkehr aus Dachau fanden sich keine Informationen in den Akten, auf den Deportationslisten wurden ihre Namen nicht gefunden. Auf der Genealogie- Webseite Geni fanden sich knappe Informationen über die Todesdaten des Ehepaares. Leo starb demnach im Jahr 1941, Berta Hammels Tochter Mina 1970.
Ihre jüngere Tochter Irma, der Schwiegersohn Julius und die Enkelinnen wurden am 22. Oktober 1940 von Offenburg nach Gurs deportiert. Sie blieben dort bis 1941, dann wurden sie nach dem Lager Rivesaltes verbracht. Berta Hammels Enkelinnen Ingeborg Lore und Hedwig schrieben am 29. Juni 1956: „Während wir … im Mai 1942 von Rivesaltes entlassen wurden, wurden unsere Eltern bis September 1942 in Haft gehalten. Aus der Korrespondenz, die wir danach mit unseren Eltern aufrecht hielten, erfuhren wir, dass sie am 11. September 1942 von Rivesaltes nach dem Lager Drancy verbracht wurden. Seitdem haben wir nichts mehr von unseren Eltern gehört. Wir müssen daher annehmen, dass sie später von Süd-Frankreich aus nach dem Osten deportiert wurden und in einem der von den Nazis dort unterhaltenen Vernichtungslager umgekommen sind. Durch Beschluss des Amtsgerichtes Offenburg vom 29. September 1949 wurden unsere Eltern mit Wirkung vom 8. Mai 1945 für tot erklärt.“

(Christa Koch, Juni 2015)