Baer, Karl
Nachname: | Baer |
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Vorname: | Karl |
Geburtsdatum: | 29. Mai 1891 |
Geburtsort: | Weingarten/Baden (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Eltern: | Berthold und Mina (21.12.1859-27.11.1942), geb. Rothschild, B. |
Familie: | Ehemann von Rosalie B.; Bruder von Anna (1880-1940), Julius, Max, Therese und Meta Wolf, geb. B. |
1910: Sophienstr. 118,
1928: Kriegsstr. 226,
1937: Schnetzlerstr. 4
22.10.1940 nach Gurs (Frankreich),
12.8.1942 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Biographie
Karl und Rosalie Baer mit Mina Baer, geborene Rothschild
Auch in Erinnerung an Anna Baer
Karl Baers Herkunft und Werdegang
Karl Baer wurde am 29. Mai 1891 in Weingarten/Baden geboren. Er war der Sohn von Mina und Berthold Baer und hatte fünf Geschwister. Die älteste und Erstgeborene war Anna, geboren 1880, Karl war der Letztgeborene. Die Familie war in Weingarten bereits seit dem 18. Jahrhundert wohnhaft. Unter dem Namen des Urgroßvaters hatten zwei seiner Söhne 1873 die Pferdehandlung „L. Baer Söhne“ gegründet, in die der Vater Berthold Baer 1880 miteinstieg. Die Firma verlegte 1906 ihren Sitz nach Karlsruhe, die beiden letzten Gesellschafter, David und Berthold Baer lösten die Firma 1916 auf. Berthold und Mina Baer zogen von Weingarten nach Karlsruhe, Berthold starb mit 67 Jahren 1920.
Karl Baer fuhr bereits aus Weingarten zur Schule nach Karlsruhe, besuchte von 1903 bis 1906 die damals noch unbenannte einzige Karlsruher „Realschule“, das heutige Kant-Gymnasium. Er war kein guter Schüler und verließ die Schule nach der achten Klasse. Die Noten in den Klassenbüchern zeigen uns, dass Karl die Fächer „Religion“ und „Geschichte“ offenbar deutlich mehr mochte als das Fach „Zeichnen“. Nach der Schule machte Karl Baer eine kaufmännische Lehre. Im Jahre 1913 ging Karl Baer nach London, um dort in das Geschäft seines älteren Bruders Max miteinzusteigen. Max lebte bereits seit 1906 in England und betrieb dort einen Handel mit Kinofilmen, ein damals sehr modernes Unternehmen. Ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkrieges wohnten die Brüder zusammen in London und führten erfolgreich ihr Geschäft. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wurden Max und Karl dann aber verhaftet und in ein Internierungslager gebracht, weil sie als feindliche Deutsche galten.
Die nächsten vier Jahre verbrachten Max und Karl in verschiedenen Lagern in England und Schottland. Diese schwierige Zeit der Internierung scheint bei Karl deutliche Spuren hinterlassen zu haben. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 ging er sofort wieder zurück nach Karlsruhe. Hier stieg er schließlich in die Tabakhandlung des Schwagers, „Gustav Wolf jr.“, ein. Gustav Wolf hatte das Geschäft 1909 gegründet und war der Ehemann von Karls 1889 geborener Schwester Meta. Er verstarb mit nur 41 Jahren bereits 1921 und das Geschäft war anschließend zunächst von Meta Wolf, geborene Baer, formal fortgeführt worden. 1924 wurde es als Offene Handelsgesellschaft (OHG) eingetragen, mit Karl Baer als persönlich haftendem Gesellschafter. Die Firma in der Herrenstraße 34 im 1. Obergeschoss bestand praktisch nur aus einem Büro, denn der Tabakhandel erfolgte über den Verkauf von im Hauptzollamt liegenden Rohtabakballen. Dieses Maklergeschäft war äußerst einträglich und brachte Karl Baer einen gehobenen Lebensstandard. 1932 nahm er seinen 21-jährigen Neffen und Sohn von Meta Wolf, Ludwig Wolf, in die Firma mit auf.
Heirat mit Rosalie, geborene Rosenberger
Lange wohnte Karl Baer in der elterlichen Wohnung, bezog dann etwa 1930 eine eigene in der Kriegsstraße 226. Im Jahr 1936 verheiratete sich der 45-Jährige mit der 1896 geborenen Rosalie Baer, geborene Rosenberger. Die Rosenbergers betrieben in der Schützenstraße 52 in der Karlsruher Südstadt seit 1882 eine Eisenwarenhandlung. Da die meisten Familienmitglieder Opfer des Holocaust wurden, befindet sich auch zu ihnen eine Biographie in diesem Gedenkbuch. Rosalies 1891 geborener Bruder Emil war wie Karl Baer Schüler der Realschule, des heutigen Kant-Gymnasiums, sie gingen zeitweilig in dieselbe Klasse. Familie Rosenberger war in den 1890er Jahren staatenlos geworden, nachdem der Vater Adolf Rosenberger, aus Österreich-Ungarn stammend, nach 10 Jahren Abwesenheit dort formal die ungarische Staatsbürgerschaft verloren hatte. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs stellten deshalb die erwachsenen Kinder Rosenberger Einbürgerungsanträge, so auch Rosalie. Diese Anträge wurden alle problemlos befürwortet und so wurde die hier geborene und aufgewachsene Rosalie badische bzw. deutsche Staatsbürgerin. Die Nationalsozialisten aber annullierten 1934 die während der Weimarer Zeit erfolgten Einbürgerungen entgegen jeder Rechtsstaatlichkeit. Rosalie war damit wieder staatenlos, was sich mit der Heirat von Karl Baer wieder änderte, da Ehefrauen die Staatsbürgerschaft des Ehemannes zugewiesen wurde. Das Ehepaar bezog nach der Heirat eine großzügige Erdgeschosswohnung in der Schnetzlerstraße 4. Dort zog 1939 die betagte und betreuungsbedürftige Mutter Mina Baer mit ein.
Mutter Mina Baer, geborene Rothschild
Mina Rotschild wurde am 21. Dezember 1859 als Tochter von Isack Rothschild und Theresia, geborene Gutmann, in Nordstetten, heute Stadtteil von Horb am Neckar geboren. Die Familie lebte zuletzt in Stuttgart-Cannstatt.
Sie verheiratete sich 1879 mit dem am 29. Januar 1853 in Weingarten geborenen Pferdehändler Berthold Baer und bekam mit ihm sechs Kinder: Anna (1880), Therese, Julius (1883), Max (1885), Meta (1889) und zuletzt den hier biographierten Karl (1891).
Nach dem Umzug der Familie 1906 von Weingarten nach Karlsruhe bewohnten sie eine großzügige Wohnung in der Kaiserallee 107, dann Sophienstraße 118. Das war unweit der Pferdehandlung von Berthold Baer, deren Stallungen sich für die jeweils kurze Unterbringung der Tiere zum Weiterverkauf auf dem Areal einer Bauunternehmung in der Mondstraße 4, einem kleinen Sacksträßchen.befanden.
Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1920 lebte Mina später einige Jahre im Haushalt der ebenfalls verwitweten Tochter Meta Wolf, geborene Baer, ehe sie zu ihrem Sohn Karl und seiner Frau Rosalie in die Schnetzlerstraße 4 zog, die die Schwiegermutter betreute.
Auf der Suche nach persönlichen Informationen zu Mina Baer erfuhren wir von George Steward-Lockhart, dem Urgroßneffen aus England, dass man in der Familie voller Wärme augenzwinkernd davon erzählte, dass Mina oft vor dem Zubettgehen, wie es damals üblich war, ein kleines Gläschen Perlwein trank, um die nötige „Bettschwere“ zu erhalten.
Aus Briefen und Erzählungen der Familie wissen wir auch, dass sich die Familie auch nach Beginn der NS-Diktatur einmal im Jahr in Baden-Baden traf. Zu unserem Erstaunen fand auch noch 1938, einige Wochen vor der Reichspogromnacht, ein solches Familientreffen statt. An diesem Treffen nahmen außer Mina, Karl und Rosalie auch einige weitere Verwandte aus England teil. Darunter war auch Max Baers Sohn, George, der später von diesem Familientreffen berichtete.
Anna Baer
Anna Baer wurde am 7. Oktober 1880 als erstes Kind von Berthold und Mina Baer in Weingarten geboren.
Über sie liegen keine persönlichen Informationen vor, auch ein Foto existiert nicht. Schon in jungen Jahren wurde bei ihr eine Veränderung festgestellt, die sie sowohl physisch als auch psychisch beeinträchtigte. Um ihr besser helfen zu können, brachten Berthold und Mina ihre Tochter mit 25 Jahren 1905 in die Heil- und Pflegeanstalt nach Wiesloch. Über ihr dortiges Leben ist wenig bekannt, jedoch lässt sich sagen, dass sich ihre Familie auch aus der Ferne weiter um sie sorgte. In der Inventarliste, die die Anstalt für jeden Patienten führte, ist zu lesen, dass ihr persönliche Gegenstände wie Taschentücher, Haarspangen, Wäsche und Handschuhe regelmäßig nachgeliefert wurden. Die nächsten 35 Jahre verbrachte Anna in Wiesloch, wo man sich um sie kümmerte.
Deportation und Ermordung von Karl und Rosalie sowie Mina und Anna Baer
Nach der Reichspogromnacht wurde Karl Baer zusammen mit seinem Bruder Julius am 10. November festgenommen und nach Dachau deportiert. Dort musste er mit vielen anderen jüdischen Männern 18 Tage im KZ verbringen.
Die Nachfahren von Karl Baer berichten, dass Karl auch im Jahr der Reichspogromnacht 1938 es ablehnte, nach London zurückzukehren. Die Situation für Juden war in Deutschland spätestens seit den Nürnberger Gesetzen 1935 immer schwieriger geworden und Karls Bruder Max wollte ihn vermutlich davon überzeugen, nach England auszuwandern. Aber Karl wollte in Karlsruhe bleiben. Die Erinnerungen an die langen Jahre der Internierung wogen offenbar zu schwer für ihn und er wollte Karlsruhe nicht verlassen. Sein Geschäft verlor Karl Baer nach der Reichspogromnacht durch die erzwungene Liquidation, derzufolge nach Anordnung von Reichswirtschaftsminister Hermann Göring alle nicht „arisierten“ jüdischen Geschäfte zum 31. Dezember 1938 erloschen. Die Firma wurde auch formal im Handelsregister gelöscht.
Am 22. Oktober 1940 wurde Karl zusammen mit seiner Frau Rosalie und seiner 81-jährigen Mutter Mina vom Karlsruher Hauptbahnhof nach Gurs in Südfrankreich deportiert. In dem überfüllten Lager verbrachten die Baers unter schwierigen Lebensbedingungen die nächsten knapp zwei Jahre.
Obwohl sie im Lager getrennt voneinander lebten, gelang es ihnen, Kontakt miteinander zu halten. Die letzte Karte von Karl an seinen Bruder Julius in England stammt vom 3. Dezember 1942. In diesen letzten Zeilen schrieb Karl, dass er die Briefe von seinen Brüdern erhalten habe und dass er täglich seine Mutter im anderen Lagerabschnitt besuche, unterzeichnet ist diese letzte Karte auch mit „Mama“.
Am 12. August 1942 wurde Karl zusammen mit seiner Frau Rosalie über Drancy nach Auschwitz deportiert. Nach der Ankunft am 14. August wurden beide vermutlich sofort von den Nationalsozialisten in der Gaskammer ermordet.
Nach der Deportation von Karl und Rosalie blieb Mina allein im Lager Gurs zurück. Wie schwer muss Mina der Abschied von ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter gefallen sein? Wir können ihren Schmerz nur erahnen. Nach drei weiteren Monaten allein im Lager ist Mina Baer am 27. November 1942 im Alter von 82 Jahren im Lager Gurs gestorben.
In Gurs erinnert noch heute der Grabstein an das Schicksal von Mina Baer.
Zu diesem Zeitpunkt war Anna Baer bereits längst tot, als „unwertes Leben“ ermordet worden.
Am 11. Juli 1940 war sie in die „Heil- und Pflegeanstalt“ nach Grafeneck „verlegt“ worden. Der Transport nach Grafeneck erfolgte mit den sogenannten „grauen Bussen“. Hier wollte man ihr aber nicht helfen. Sie wurde noch am Tag ihrer Ankunft von den Nationalsozialisten im Rahmen der sogenannten T4-Aktion als „Euthanasie-Opfer“ ermordet. Anna Baer wurde 60 Jahre alt.
Vor der Schnetzlerstraße 4 wurden im März 2023 Stolpersteine im Gedenken an Karl und Rosalie sowie Mina Baer und auch Anna Baer verlegt. Anna Baer hätte sonst keinen Ort des Gedenkens und mit den vier Stolpersteinen sind alle vier in Karlsruhe wieder vereint. So ist dies nun ein Ort des Gedenkens, sowohl für die Familie Baer als auch für die Karlsruher Bevölkerung.
(Projektgruppe der 10. Klassen des Kant-Gymnasiums, 2023: Amalia Engel, Bill Grabenbauer, Josua Huber, David Kazancev, Lukas Kemnitz, Amaer Maimaitialii, Zakhar Molivan, Sophia Schneider, Philine Schütte, Miriam Taoutaou und Lilly Tuloweit)
Redaktion Stadtarchiv Karlsruhe
Quellen und Literatur:
Generallandesarchiv Karlsruhe: 480/8444, 8445 und 10807;
Stadtarchiv Karlsruhe: 1/AEST 1237; 1/BOA 1476; 6/BZA 10837;
Archiv Gedenkstätte Dachau;
Archiv Kant-Gymnasium;
Israelitisches Gemeindeblatt, Ausgabe B, 10.9.1936;
Ortssippenbuch Weingarten, Landkreis Karlsruhe in Baden, von Karl Diefenbacher, 1980;
Mitteilungen der Familie 2022/2023;