Hess, Samuel Simon
Nachname: | Hess |
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Vorname: | Samuel Simon |
abweichender Name: | Heß |
Geburtsdatum: | 10. Juli 1863 |
Geburtsort: | Wittmund (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Familie: | Ehemann von Helene, geb. Norden, H.; Vater von Henriette (1894-?) und Max Jacob (1894-?), Hanna (1902-?), Paul Simon (1905-?) und Walter (1910-1951) |
Zähringerstr. 108,
Kaiserstr. 183
Privatier
Biographie
Samuel Simon Hess und seine Familie
Samuel Simon Hess (auch Heß geschrieben) und seine Ehefrau Helene stammen beide aus dem hohen Norden Deutschlands und kamen erst um 1926, also in ihrem siebten bzw. sechsten Lebensjahrzehnt nach Karlsruhe. Über beide ist wenig bekannt, auch eine umfangreiche Recherche konnte nicht viel über ihr Leben zutage fördern.
Samuel Simon Hess, kurz Simon, wurde am 10. Juli 1863 in dem kleinen ostfriesischen Städtchen Wittmund im sogenannten Harlinger Land geboren. Er war der Sohn des Schlachters Moses Hess, selbst 1813 bereits in Wittmund geboren und dessen Ehefrau Jette, geborene Weinthal, auch sie gebürtig in Wittmund, 1827. 1884 übernahm Simon Hess das väterliche Geschäft zusammen mit einem Bruder. Er verheiratete sich am 1. Juni 1893 in Hamburg mit der dort am 24. Mai 1871 geborenen Helene Norden. Deren Vater war 1833 in Emden geboren worden, damit ebenso ostfriesischen Ursprungs wie Familie Hess, die Mutter jedoch war Hanseatin, 1845 in Hamburg geboren.
Simon und Helene Hess hatten sieben Kinder, das erste im Jahr nach der Hochzeit und alle in Wittmund geboren:
- Henriette, am 26. März 1894
- Max Jakob, am 5. September 1895
- Julius, am 20. September 1897
- Karl, am 12. Dezember 1900
- Johanna, genannt Hanna, am 3. Mai 1902
- Paul Simon, am 7. Mai 1905
- und das Nesthäkchen Walter, am 14. April 1910.
In Wittmund lebte die Familie zuletzt in dem im Juli 1915 erworbenen stattlichen Geschäfts- und Wohnhaus in der Burgstraße 34. Es steht heute noch.
Wittmund zählte um 1900 etwas über 2.000 Einwohner und war damit für die Marsch- und Geestlandschaft hinter dem Deich ein nicht unbedeutendes Städtchen. Die jüdische Gemeinde der Stadt hatte eine eigene Synagoge und zählte 1905 noch 89 Mitglieder. Doch sie schrumpfte in quasi einer Generation auf die Hälfte und hatte 1930 nur noch 45 Mitglieder. Die Familie Hess lebte zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr am Ort.
Im „Anzeiger für Harlingerland“ in der Ausgabe vom 12. August 1925 findet sich folgende Nachricht: „Im August 1925 verkaufte der Schlachter Simon Heß sein an der Burgstraße gelegenes zweistöckiges Geschäftshaus mit Scheune mit Größe von 14 Ar an die Oldenburgische Spar- und Leihbank zum Antritt auf den 01. Oktober d.Js. Heß gibt sein Geschäft auf und will nach Karlsruhe verziehen.“
Am 22. September 1925 meldete sich Familie Hess tatsächlich ab in Wittmund und zog zuerst nach Hannover. Für Karlsruhe fehlen die Einwohnermeldeunterlagen, aber in der Adressbuchausgabe 1927 ist die Familie unter Simon Hess, Privatier, erstmals aufgeführt und war demnach 1925/26 in die badische Landeshauptstadt gekommen.
Die Gründe hierfür sind nicht überliefert. Simon Hess war über 60 Jahre alt. Ob er in Karlsruhe seinen Lebensabend zubringen wollte? Vielleicht waren die Lebensumstände der Familie durch die bereits während der Weimarer Republik in den ostfriesischen Amtskreisen außergewöhnlich früh erstarkten NSDAP beeinträchtigt gewesen? Schon in den frühen 1920er Jahren war Wittmund ein Zentrum der Aktivitäten völkisch-nationalistischer Bewegungen geworden, bei den Reichstagswahlen im Mai 1924 erhielten der völkische Block zusammen mit der NSDAP über 46 % der Wählerstimmen, zusammen mit der DNVP hatten die Antisemiten damit über 60 % der Wählenden hinter sich.
Der Zuzug von Ostfriesland nach Karlsruhe erstaunt. Dafür gab es jedoch mindestens zwei Bezugspunkte: Die Tochter Henriette hatte am 10. April 1920 in Karlsruhe den 1892 in Altmark, Westpreußen geborenen Siegfried Ruben geheiratet. Er betrieb in der Karlsruher Gartenstraße eine Kleiderfabrikation insbesondere für Berufskleidung. Das kinderlose Ehepaar hatte einen guten Lebensstandard. Die Ehe wurde jedoch später geschieden und Siegfried Ruben zusammen mit anderen seiner Familie Todesopfer der NS-Verfolgung (siehe den Beitrag zur Familie im Gedenkbuch). Der zweite Bezugspunkt war Sohn Paul Simon, der ebenfalls bereits in Karlsruhe lebte.
Dieser hatte in Rotenburg a.d. Wümme bis 1922 bei einer jüdischen Firma eine kaufmännische Lehre absolviert. Unmittelbar danach fing er mit kaum 18 Jahren beim Warenhaus Knopf in Karlsruhe als Verkäufer an. Ob ihn die Schwester Henriette bewogen hatte, nach Karlsruhe zu kommen? Schon 1923 wechselte er jedenfalls als Fabrikationsleiter in die Firma seines Schwagers, avancierte dort zum Generalvertreter, gründete dann aber einen eigenen Schneidereibetrieb.
Simon und Helene Hess kamen offensichtlich zusammen mit ihren erwachsenen Kindern Max, Julius und Johanna sowie dem Jugendlichen Walter nach Karlsruhe. Sie wohnten zunächst in der Kaiserstraße 100, das große Miethaus gehörte dem Schwager Siegfried Ruben. Allein Karl scheint unabhängig gelebt zu haben, wir wissen aber nichts über seinen Lebensweg.
Über die Kinder Hess
Sohn Max war als Metzgermeister in die Fußstapfen des Vaters getreten. Vielleicht hätte er das väterliche Geschäft einmal übernehmen sollen? Nun aber war er ebenfalls mit nach Baden gegangen. Anders als für Karlsruhe sind für das damals noch selbstständige Durlach die Einwohnermeldekarten überliefert. So ist Max‘ Anmeldung am 8. Dezember 1927 in Durlach nachgewiesen, er wohnte in der Ettlinger Straße 8, heute Badener Straße. Zusammen mit einem Kompagnon betrieb er die Viehagentur Liebler & Hess, trennte sich schon 1928 und führte das Geschäft in einem Büro des Schlachthofes alleine weiter. Daneben baute er 1931 eine Metzgerei als Großhandel und mit Ladenverkauf auf, die „Neue Fleischhalle“ in der Marie-Alexandra-Straße 44, die er jedoch 1933 wieder aufgab, um nur noch die Viehhandelsagentur zu betreiben. 1926 ist eine uneheliche Tochter verzeichnet. Er verheiratete sich Dezember 1927 in Karlsruhe mit der am 20. Dezember 1902 geborenen Schuhhändlerstochter Else Landauer, daraus ging 1928 die einzige gemeinsame Tochter hervor. Die Familie zog im Frühjahr 1930 nach Karlsruhe in die Leibnizstraße 7, zog dann um 1933 in die Kaiserstraße 183, das Haus der Eltern Felix und Johanna Landauer. Felix Landauer war ein Bruder des Literaten und Anarchisten Gustav Landauer. Else Hess betrieb in der Wohnung eine Ehevermittlung, zunächst eine allgemeine, zuletzt musste sie sich auf jüdische Heiratsinteressierte beschränken. Die Existenz der Beiden wurde durch die NS-Politik immer schwieriger. Max verlor 1937 die Zulassungsberechtigung als Viehagent, er arbeitete als Hilfskraft eine zeitlang in der Textilfabrik Vogel & Schnurmann und der Großbäckerei Schwarz in Neureut. Das Ehepaar emigrierte dann schon im August 1938 in die USA.
1926 ging Sohn Julius Hess wie der Bruder Max nach Durlach, wohnte in der heutigen Pfinztalstraße 38 und führte das „Haus der Stoffe“, ein Manufakturwaren- und Berufskleidungsgeschäft. Im gleichen Jahr hatte er in Bad Kreuznach die 1901 dort geborene Adele Gamiel geheiratet. Aus der Ehe gingen drei zwischen 1927 und 1931 geborene Kinder hervor. 1929 musste er sein Geschäft aufgeben und die Familie ging Anfang 1930 nach Bad Kreuznach. Adele führte das elterliche Manufakturwarengeschäft, Julius war als Vertreter für Stoffe und Wäsche tätig, was er 1936 wegen Zulassungsentzug aufgeben musste. Die fünfköpfige Familie zog daraufhin aus Bad Kreuznach zurück nach Karlsruhe, sie wohnten in der Zähringerstraße 84. Offensichtlich war die Auswanderung von vornherein geplant, im Januar 1938 schon machten sie sich auf den Weg nach Argentinien. Tragischerweise verstarb Julius kurz darauf am 27. März 1939 in der Colonia Avigdor. Diese deutsch-jüdische Agrarsiedlung war neben anderen in Argentinien 1935 von der weltweit wirkenden Jewish Colonisation Association (JCA) gegründet worden. Zwischen 1936 und 1940 hatten sich dort etwa 120 jüdische Familien angesiedelt, die auf unzählige Schwierigkeiten stießen. Ansiedeln sollten sich jüdische Menschen mit landwirtschaftlicher Qualifikation, Julius passte damit kaum in das Schema, in jedem Fall erwies sich die harte landwirtschaftliche Arbeit als zu schwer für ihn.
Ein Artikel aus den 1990er Jahren berichtet vom Auseinanderfallen der Colonia nach dem Krieg, in den 1990er Jahren lebten aber auch noch etwa zehn jüdische Bewohner dort. Witwe Adele Hess war bereits 1939 mit ihren drei Kindern aus der Kolonie in die USA gegangen, nach New York.
Sohn Paul Hess konnte sich geschäftlich etablieren. Anstelle der Schneiderei betrieb er seit 1932 mit der am 16. Juni 1909 geborenen Alice Kahn, Tochter des bedeutenden Karlsruher Möbelhändlers Ferdinand Kahn (siehe seine Biografie im Gedenkbuch) die „Möbelhandlung Paul Hess“. Der Handelsregistereintrag mit ihm als Geschäftsführer und Prokura für Alice Hess erfolgte zum 17. Juli 1934. Das Möbelhaus war gut gelegen am Friedrichsplatz 7 (Eckhaus zur Lammstraße), 1934 bezog es dann noch drei Stockwerke im stattlichen modernen Geschäftshaus Adlerstraße 13. Am 22. Oktober 1933 schlossen Paul und Alice vor dem Standesamt Karlsruhe die Ehe. Alice Hess mit ihrem Fachwissen aus dem väterlichen Geschäft und vielleicht auch mit dessen Unterstützung war die eigentliche Verkaufsleiterin. Paul Hess kümmerte sich um die kaufmännische Leitung und vor allem um Möbelstoffe. Er gab später an, dass der Vater Simon im Geschäft mitgearbeitet und dadurch ein hohes Einkommen erzielt habe. Dies scheint aber fraglich. 1938 wurde das Möbelhaus „arisiert“, mit Eintrag vom 20. Januar 1939 im Handelsregister dann offiziell gelöscht.
Tochter Johanna Hess arbeitete als kaufmännische Angestellte, wohnte bis zu ihrer Verheiratung am 15. September 1938 in Karlsruhe mit dem am 30. Juli 1899 geborenen Metzger Bernhard Müller, der am Geburtsort Binswangen bei Dillingen seine Metzgerei betrieb, bei den Eltern. Das Ehepaar lebte im Schwäbischen, es konnte gerade noch rechtzeitig im Mai 1940 in die USA ausreisen.
Der jüngste Sohn Walter beschritt auch den kaufmännischen Weg. 1932 war er in der Möbelhandlung seines Bruders Paul und der Schwägerin als Verkäufer und im Büro tätig, bis 1934. Er emigrierte alleine 1936 nach Brasilien, Rio de Janeiro.
Deportation, Tod von Simon Hess
Simon und Helene Hess waren etwa 1934 aus der Wohnung in der Kaiserstraße 100 in die Zähringerstraße 108 gezogen. Nach der durch die Emigration frei gewordenen Wohnung vom Sohn Max Jakob zogen sie dorthin in die Kaiserstraße 183. Dazu zogen nach der Existenzvernichtung auch Paul Hess und Ehefrau. Die Familie war also gezwungen, zusammen zu rücken.
Am 22. Oktober 1940 wurden Simon und Helene sowie Paul und Alice Hess in der Frühe aus ihrer Wohnung in der Kaiserstraße 183 geholt und zum Hauptbahnhof gebracht, wo sie mit einem der Züge abends nach Frankreich deportiert und zusammen mit über 6.500 badischen und saarpfälzischen Jüdinnen und Juden im Lager Gurs interniert wurden. Die extrem schlechten Lebensbedingungen sind vielfach beschrieben worden.
Simon Hess starb unter diesen Umständen wie viele andere alte Menschen nach drei Monaten am 28. Januar 1941 mit 77 Jahren im Lager Gurs.
Die überlebenden Familienmitglieder und ihr Lebensweg nach der Verfolgung
Helene Hess überlebte die Lagerbedingungen, sie war auch nicht unter den seit Sommer bis Herbst 1942 in die Vernichtungslager Deportierten. Nach Wiederaufnahme der Deportationen im Frühjahr 1943 kamen die verbliebenen älteren Lagerinsassen überwiegend nicht mehr zur Deportation, sondern in sogenannte Altenzentren. Sie lebten unter Internierungsbedingungen, waren aber nicht unmittelbar bedroht. Auch Helene Hess überlebte bis zur Befreiung in Frankreich. 1947 konnte sie mit ihrem Sohn Paul zu ihren Kindern in die USA. Zuletzt lebte sie bis zu ihrem Tod am 25. Juli 1957 in Toledo/Ohio bei ihrer Tochter Johanna.
Johanna ließ sich 1950 scheiden und heiratete nicht mehr. Zuletzt lebte sie in New Jersey wo sie 1994 starb.
Paul und Alice Hess betrieben, unterstützt von der Familie in Amerika, ihre Emigration. Dazu kamen sie im Frühjahr 1941 aus dem Lager Gurs in die sogenannten Transitlager Les Milles, für Männer, bzw. in das Hôtel Terminus für Frauen in Marseille. Die Ausreise gelang nicht mehr, aber beiden gelang es letzlich in Marseille und Umgebung unter quasi illegalen Bedingungen zu überleben. Nach der Befreiung lebten Alice und Paul Hess in Marseille, unterstützt vom Bruder bzw. Schwager Werner Kahn. Die Ehe der Beiden hielt nicht, wurde 1950 im Nachhinein offiziell geschieden. Alice Hess lebte weiterhin in Marseille, auch in den 1960er Jahren, danach bleibt ihr Weg im Dunkeln. Paul Hess ging 1947 in die USA. Es gelang ihm nicht Fuß zu fassen, er lebte unterstützt vom Bruder Max in New York und ging schließlich 1949 zum Bruder Walter Hess nach Rio de Janeiro. Diesmal war die Konstellation umgekehrt, denn Paul konnte in dessen Möbelgeschäft miteinsteigen. Nach Walters Tod in Rio 1951 gründete er zusammen mit der Witwe und Schwägerin Dora Hess eine OHG. Paul Hess heiratete 1955 abermals, die 1920 in der Türkei geborene Jüdin Rosa Rabischowsky, eine Schwester der Schwägerin Dora. Die Firma wurde zu einer größeren Möbelfabrikation erweitert und war äußerst rentabel. Paul Hess starb 1984 in Rio de Janeiro.
Familie Max und Else Hess mit Tochter Ingeborg lebten bereits seit 1938 in den USA. Auf ihnen lastete seit dem offenen NS-Terror und schließlich Deportationen die Hauptlast, die Eltern und Geschwister in die Staaten zu holen und sie zu unterstützen. Beide starben nach einem erfüllten Leben 1979 bzw. 1986.
Walter Hess hatte sich in Brasilien mühsam eine Werkstatt für Polsterfabrikation aufgebaut. 1945 heiratete er die 1919 geborene Dora Rabischowsky, das Paar hatte zwei 1945 und 1950 geborene Kinder. Walter verstarb infolge einer Komplikation nach einer Leistenbruchoperation früh mit 46 Jahren bereits 1951. Die Firma blieb in Familienhand zusammen mit der Schwester Rosa und dem Schwager Paul Hess.
Neben Simon Hess zählte die Kernfamilie Hess noch Karl Hess als Holocaustopfer. Wir wissen nichts über Karls beruflichen Weg und ob er geheiratet hat. Sicher ist, dass er aus Köln am 7. Dezember 1941 nach Riga in das Ghetto deportiert wurde. Das letzte Lebenszeichen von ihm war der Transport in das KZ Stutthof am 1. Oktober 1944.
(Jürgen Müller, Januar 2024)
Quellen:
Mitteilung Stadtarchiv Wittmund;
Stadtarchiv Karlsruhe: 1/AEST 1237; Adressbücher; Meldekarten Durlach; Standesregister;
Generallandesarchiv Karlsruhe: 480/10106 und 31637;
Zu den Kindern:
Generallandesarchiv Karlsruhe: 330/473, 474, 479, 483 und 485; 480/6876, 6881, 12649, 23302, 24554, 24775, 30369 und 30373;
Israelitisches Gemeindeblatt, Ausgabe B vom 26.5.1936, 28.6.1936, 10.3.1937 und 22.7.1938;