Hirsch, Julius
Nachname: | Hirsch |
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Vorname: | Julius |
Geburtsdatum: | 7. April 1892 |
Geburtsort: | Achern (Deutschland) |
Familienstand: | geschieden |
Eltern: | Benjamin und Emma, geb. Erlanger; H. |
Familie: | geschiedener Ehemann von Ella H. (Scheidung 2.12.1942);
Vater von Esther Carmen und Heinold Leopold |
1934: Murgstr. 7,
1942: Kronenstr. 62
Handelsvertreter für Stoffwaren
Hilfsarbeiter ehemaliger Fußballnationalspieler des KFV
Biographie
Julius Hirsch
Am 22. Januar 1998 wurde der Sporthalle des Ludwig-Marum-Gymnasiums in Pfinztal-Berghausen der Name „Julius Hirsch Halle“ gegeben. Wer war dieser Julius Hirsch? Was hat es mit seinem Leben auf sich und aus welchen Gründen wählte man ausgerechnet ihn als Namenspatron für unsere Halle? Ich habe schon seit einigen Jahren in dieser Sporthalle Unterricht und habe auch etliche Male den Text über ihn auf der Bronzetafel im Innern der Halle gelesen. Mich interessierte, warum er als Jude in der damaligen Zeit eine so erfolgreiche Karriere als Fußballspieler machen konnte und dann so lange in Vergessenheit geriet.
Jugend, Familie und Beruf
Julius Hirsch stammt aus einer jüdischen Karlsruher Kaufmannsfamilie. Sein Vater, Benjamin Berthold Hirsch, wurde am 10. Februar 1848 in Weingarten, damals Bezirksamt Durlach, geboren. Er war von Beruf Kaufmann und Teilhaber der Firma Gebrüder Hirsch Tuchhandlung in Karlsruhe, Kaiserstraße 166.
Seine Mutter, Emma Hirsch geb. Erlanger, geboren am 23. November 1850 in Buchau am Federsee (Oberschwaben), hatte den Beruf der Modistin erlernt, unter anderem in Paris. Sie betrieb zeitweise in Buchau ein Damen-Hutgeschäft. Emma wurde beschrieben als ein „lebhafter Geist mit Witz und Humor“ und hatte „von Natur aus ein liebevolles Wesen“. Am 23. Februar 1874 heiratete sie Berthold Hirsch.
In den folgenden Jahren bekam Emma Hirsch zahlreiche Kinder, von denen aber nicht alle am Leben blieben. Als Julius Hirsch am 7. April 1892 morgens um 9:30 Uhr in Achern geboren wurde, hatte er bereits sechs Geschwister: die damals 15 ¼ Jahre alte Anna, die 14 Jahre alte Rosa, den 13 ¼ Jahre alten Hermann, den 12 Jahre alten Leopold, den 5 Jahre alten Max und den 1 ¼ Jahre alten Rudolf. Julius sollte das letzte Kind bleiben.
Im Herbst 1891 musste sich Emma Hirsch zur Behandlung in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau bei Achern begeben. Ein zweites Mal wurde sie dort 1892 behandelt. Während dieses Aufenthaltes, am 7. April 1892 um 9:30 Uhr, wurde Julius Hirsch geboren. Offenbar kam für die Anstaltsleitung die Geburt überraschend, aber sie verlief normal.
Nach der vierstufigen Grundschule, in die Julius Hirsch 1898 eingeschult wurde, besuchte er die Oberrealschule bis zur Obersekunda und ging dann mit der Mittleren Reife von dieser Schule ab. Da Julius aus einer Kaufmannsfamilie stammte, lag der Gedanke nahe, selbst diesen Beruf zu ergreifen. Er besuchte ein Jahr die Pflichthandelsschule und machte danach vom 1. Oktober 1908 bis zum 1. Oktober 1910 eine Lehre bei der Firma Freund und Strauss, einer Lederhandlung in der Kreuzstraße 31 in Karlsruhe. Die Firma handelte mit Leder für Brandmalerei und kunstgewerbliche Zwecke, ebenso mit Möbelleder.
Nach der Lehre arbeitete Julius Hirsch vom 1. September 1910 bis zum 22. März 1912 bei dieser Firma. Am 1. April 1912 wurde er zum Militär eingezogen und musste bis zum 1. April 1913 beim Badischen Leib-Grenadierregiment 109 seinen Militärdienst, das so genannte Einjährige, ableisten. Anschließend arbeitete Julius bis zum 31. Juli 1914 bei der jüdischen Firma Gebrüder Bing AG, einer großen Nürnberger Spielwarenfabrik.
Als im August 1914 der Erste Weltkrieg begann, wurde Hirsch sofort am 7. August eingezogen. Er war an verschiedenen Kriegseinsätzen beteiligt, aber meist wurde er im Etappendienst eingesetzt. Zuletzt gehörte er dem Bayerischen Landwehr-Infanterieregiment Nr. 12 als Vizefeldwebel an. 1916 erhielt Julius Hirsch das Eiserne Kreuz II. Klasse und später die bayerische Dienstauszeichnung. Im Unterschied zu seinem Bruder Leopold, der am 30. Juni 1918 gefallen war, überlebte Julius Hirsch den Krieg und wurde am 18. November 1918 entlassen. Auch seine Brüder Max und Rudolf kamen aus dem Krieg zurück.
Am 1. Dezember 1918 nahm er seine Arbeit bei der Nürnberger Bing AG wieder auf. Jedoch verließ er diese Firma schon kurz darauf, am 30. März 1919, um zum 1. April 1919 in die Deutsche Signalflaggenfabrik seines Vaters als Mitarbeiter einzusteigen.
Die Deutsche Signalflaggenfabrik war 1902 von den Kaufleuten Berthold, Albert und Heinrich Hirsch in Form einer offenen Handelsgesellschaft gegründet worden. Die Herstellung und der Vertrieb der Firma bezogen sich auf viele verschiedene Produkte, wie z.B. Flaggen aller Art, Bekleidungs- und Ausrüstungsartikel für das Militär, die Post, die Eisenbahn und andere öffentliche Stellen. Nach dem Ersten Weltkrieg stellte die Firma hauptsächlich auf Sportartikel um.
1913 wurde die Deutsche Signalflaggenfabrik in eine GmbH umgewandelt. 1926 übertrug Berthold Hirsch seine Geschäftsanteile auf seine beiden Söhne Max und Julius. Ein Jahr später erwarb der Holzfabrikant Gottfried Fuchs vorübergehend Anteile an der Gesellschaft. Nach dem Tod des Vaters 1931 waren Max und Julius die alleinigen Gesellschafter. Die Firma hieß nun Sigfa Sport oder auch Max Hirsch Sportartikel.
1920 heiratete Julius Hirsch. Seine Frau Ella, geborene Hauser, war am 30. Juli 1893 in Karlsruhe geboren worden. Nach dem Besuch der Handelsschule wählte sie den Beruf der Modistin und arbeitete in der Konfektionsbranche. Sie war nicht jüdischer, sondern evangelischer Konfession. Am 3. September 1922 bekamen die Eheleute Hirsch einen Sohn, den sie Heinold Leopold (Heino) nannten. Am 3. März 1928 wurde ihre Tochter Esther Car-men geboren. Die Familie wohnte seit 1923 in der Kaiserallee 123 und zog im Jahr 1934 nach Karlsruhe-Weiherfeld in die Murgstraße 7 um.
Hirsch als Fußballspieler
Julius Hirsch hatte neben seinem Beruf als Kaufmann ein für diese Zeit eher seltenes Hobby: Er beschäftigte sich intensiv mit dem Fußballsport. Anfang des 20. Jahrhunderts war Fußball noch nicht so populär wie er heute ist. Es gab nicht sehr viele Leute, die sich für diesen Sport begeisterten und ihn ausübten. Julius Hirsch jedoch trat schon 1902, im Alter von zehn Jahren, in den Karlsruher Fußball Verein, den KFV, ein. Der KFV war zu dieser Zeit einer von drei Fußballvereinen in Karlsruhe. Er war am 17. November 1891 gegründet worden und gehörte damals zu den erfolgreichsten Fußballvereinen in Deutschland.
Julius Hirsch spielte zunächst in der Jugendabteilung, doch schon 1909, mit 18 Jahren, wurde er Mitglied der 1. Mannschaft des KFV. 1910 gelang dem Verein, der schon mehrere Male hintereinander Süddeutscher Meister geworden war, der erste ganz große Erfolg: Er wurde Deutscher Meister. Im Endspiel am 15. Mai 1910 in Köln besiegte er Holstein Kiel 1:0.
Julius Hirsch spielte auf der Stürmerposition Linksaußen und bildete zusammen mit seinen beiden Mitspielern Fritz Förderer und Gottfried Fuchs das damals in Baden berühmte Innentrio „Förderer-Fuchs-Hirsch“, den besten Sturm jener Zeit in Deutschland. Hirsch war für seine gebückte Angriffsweise, die zu seinem Markenzeichen wurde, und für seine Bombenschüsse bekannt. Gottfried Fuchs, geboren am 3. Mai 1889 in Karlsruhe, war wie Hirsch Jude. Er spielte schon seit 1907 in der 1. Mannschaft als Stürmer und galt als Spielmacher und Torjäger in einer Person.
In der Saison 1910/11 sicherte sich der KFV mühelos die Südkreismeisterschaft und auch die Süddeutsche Meisterschaft. Ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft kam er allerdings nicht. Im darauf folgenden Spieljahr 1911/12 gab es beim KFV einen Trainerwechsel. Der bisherige Trainer, der Engländer William Townley, wechselte zum Fußballverein nach Fürth. In diesem Jahr schaffte es der KFV wiederholt bis ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft; durch eine 0:1 Niederlage gegen Holstein Kiel am 26. Mai 1912 wurde er allerdings nur Vizemeister. Da Fuchs an einer Knieverletzung litt, fehlte das gewohnte Zusammenspiel des Sturmtrios.
Wegen seiner herausragenden Leistungen wurde Julius Hirsch 1911 zum ersten Mal in die Deutsche Fußball-Nationalmannschaft berufen, der auch Förderer (seit 1908) und Fuchs (seit 1911) angehörten. Sein erstes Spiel gegen Ungarn am 17. Dezember in München ging 1:4 verloren. Im Länderspiel gegen die Niederlande in Zwolle am 24. März 1912 trug Julius Hirsch mit vier Toren zum 5:5 Endstand bei. Diese Leistung war wohl der Grund, warum er in die Olympiamannschaft aufgenommen wurde.
1912 fand in Stockholm die Olympiade statt, bei der es auch ein Fußballturnier gab. Das erste Spiel am 29. Juni 1912 gegen Österreich verlor Deutschland 1:5. Das nächste Spiel am 1. Juli 1912 gegen Russland, das ohne Hirsch stattfand, wurde zu einem der merkwürdigsten und überraschendsten Spiele. Russland unterlag der Deutschen Nationalmannschaft mit 0:16. Allein zehn Tore dieses überragenden Endstandes schoss Gottfried Fuchs und blieb damit bis heute DFB-Rekordtorschütze. Am 3. Juli 1912 spielte Deutschland noch einmal in Stockholm, dieses Mal verlor man gegen Ungarn 1:3.
An den folgenden Länderspielen konnte Julius Hirsch nicht teilnehmen, da er während der Saison 1912/13 seinen Militärdienst zu leisten hatte. Nach dessen Beendigung siedelte er aus beruflichen Gründen nach Nürnberg um und wechselte somit auch den Fußballverein. Bis zum Ersten Weltkrieg spielte er bei der Spielvereinigung Fürth (SpVgg Fürth). Mit diesem Verein kam Julius Hirsch erneut in das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. Am 31.Mai 1914 siegte die SpVgg Fürth in Magdeburg mit 3:2 gegen den VfB Leipzig und wurde Deut-scher Fußballmeister.
Mit der Deutschen Nationalmannschaft nahm Julius Hirsch im Jahre 1913 an drei weiteren Länderspielen teil, die alle mit einer Niederlage endeten. Am 18. Mai 1913 verlor Deutschland in Freiburg gegen die Schweiz mit 1:2, am 26. Oktober 1913 in Hamburg gegen Dänemark mit 1:4 und am 23. November 1913 in Antwerpen gegen Belgien mit 2:6.
Die Spieljahre 1914 bis 1918 konnten auf Grund des Ersten Weltkrieges nicht ausgeführt werden. Auch in der Spielzeit 1918 bis 1919 war der Spielbetrieb durch die politischen Ereignisse, insbesondere die Novemberrevolution, fast völlig lahmgelegt.
Julius Hirsch spielte nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und seiner Rückkehr nach Karlsruhe wieder in den Reihen des KFV. Im Herbst 1918 fanden nur Spiele in der neu gebildeten Bezirksliga statt. Im Endspiel dieser Liga standen sich der KFV und der VfB Karlsruhe gegenüber; der KFV unterlag am Ende mit 1:3 Toren. Am 28. September 1919 begannen die Verbandsspiele des Südwestkreises; der KFV beendete die Saison mit dem dritten Platz. Das Spieljahr 1920/21 beendete der KFV ebenfalls mit dem dritten Rang. Besondere Höhepunkte waren immer die Spiele der Karlsruher Rivalen KFV und FC Phönix, die mal zugunsten des einen, mal zugunsten des anderen Vereins ausgingen. Als der KFV 1921 sein 30-jähriges Bestehen feierte, gewann er gegen den FC Phönix 3:1. Ein weiteres Jubiläumsspiel gegen Bayern München endete 3:3 unentschieden.
Das Spieljahr 1922/23 war für Julius Hirsch das letzte in der 1. Mannschaft des KFV. Seine Laufbahn als aktiver Fußballspieler beendete er mit rund 31 Jahren. Er blieb jedoch dem Verein noch weitere Zeit verbunden, saß im Spielausschuss und trainierte die Jugendmannschaft des KFV. Und natürlich besuchte er weiterhin die Spiele seines Vereins. Am Ende seiner aktiven Laufbahn konnte er auf eine er-folgreiche Karriere als Fußballspieler zurückblicken: Sieben Mal hatte er im Trikot der Deutschen Nationalmannschaft gestanden und dabei vier Tore erzielt, zweimal war er Deutscher Meister geworden, einmal mit seinem Heimatverein KFV und einmal mit der SpVgg Fürth. Vier Mal hatte er Anteil am Gewinn der Südmeisterschaft und neun Mal war er in die Südauswahl berufen worden. Ein Höhepunkt in seiner Karriere als Fußballer war sicherlich die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm.
Das Leben nach der Machtergreifung
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Hitlers Karlsruher Anhänger feierten diese Ernennung mit einem Fackelzug durch die Kaiserstraße. Mit diesem Datum sollte das Leben von Julius Hirsch und allen anderen Juden eine dramatische Wendung nehmen.
Auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 folgte die Gleichschaltung aller Bereiche der Politik und Gesellschaft und natürlich auch des Sports. Im Deutschen Fußballbund (DFB) und in allen Vereinen wurde das Führerprinzip eingeführt. Besonders judenfeindlich war die Führung der Deutschen Turnerschaft eingestellt. Aber auch aus den Fußballvereinen wurden im Laufe der Zeit die Juden ausgeschlossen. Am 19. April 1933 veröffentlichte der DFB folgende Bekanntmachung im „Kicker“, der Fachzeitschrift des Fußballsports: „Der Vorstand des Deutschen Fußball-Bundes und der Vorstand der Deutschen Sportverbände halten Angehörige der jüdischen Rasse, so auch Personen, die sich als Mitglieder der Marxistischen Bewegung herausgestellt haben, in führenden Stellungen der Landesverbände und Vereine nicht für tragbar. Die Landesverbände und Vereine werden aufgefordert, die entsprechenden Maßnahmen, soweit diese nicht bereits getroffen wurden, zu veranlassen.“
Die konkrete Umsetzung blieb den Vereinen überlassen; eine generelle Anordnung Juden auszuschließen, scheint es anders als bei den Turnern im Fußball nicht gegeben zu haben.
Dennoch hatten mehrere süddeutsche Fußballvereine, darunter die Karlsruher Klubs KFV und Phönix, bereits am 10. April 1933 erklärt, Juden ausschließen zu wollen. Nachdem Julius Hirsch von dieser Absicht in der Presse gelesen hatte, kam er seinem Ausschluss zuvor und schrieb folgenden Brief an seinen Verein:
„Sehr geehrte Herren! Ich lese heute im Sportbericht Stuttgart, dass die großen Vereine, darunter auch der KFV, einen Entschluss gefasst haben, dass die Juden aus den Sportvereinen zu entfernen seien. Ich gehöre dem KFV seit dem Jahre 1902 an und habe demselben treu und ehrlich immer meine schwache Kraft zur Verfügung gestellt. Leider muss ich nun bewegten Herzens meinem lieben KFV meinen Austritt anzeigen. Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, dass in dem heute so gehaßten Prügelkinde der deutschen Nation auch anständige Menschen und vielleicht noch viel mehr national denkende und auch durch die Tat bewiesene und durch das Herzblut vergossene Deutsche Juden gibt.“
Bis 1933 arbeitete Julius Hirsch in der Deutschen Signalflaggenfabrik, die seit 1929 den Namen SIGFA trug, als Geschäftsführer. Vermutlich in Folge der Weltwirtschaftskrise geriet die SIGFA in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Am 10. Februar 1933 wurde das Konkursverfahren eröffnet. Dies und der Austritt aus dem KFV, dem er jahrelang treu geblieben war, waren vermutlich zwei schwerwiegende Gründe, warum Julius Hirsch Deutschland verließ. Zunächst ging er für kurze Zeit in die Schweiz, wo er Verwandte hatte, und danach zog er ohne polizeiliche Abmeldung nach Frankreich. Er sprach Französisch und wollte auf der Suche nach neuer Arbeit seinem Hobby, dem Fußball, weiter nachgehen. Da ihm im nationalsozialistischen Deutschland alle Türen verschlossen blieben, bemühte er sich um eine Anstellung als Trainer im Ausland und fand am 10. Juni 1933 bei der F.A. (Fußball-Association) Illkirch-Grafenstaden kurzfristig eine Stelle. Jegliche weitere Versuche, ein Engagement als Trainer zu erhalten, scheiterten - trotz bester Zeugnisse, die er sowohl vom KFV als auch vom FIFA-Generalsekretär und von verschiedenen Fußballverbänden erhalten hatte. So verließ Julius Hirsch am 25. März 1934 Frankreich wieder. In Deutschland durfte Julius Hirsch nur Mitglied bei jüdischen Vereinen werden. Daher übernahm er beim jüdischen Turnclub Karlsruhe 03 (TCK 03), einem Verein im Sportbund „Schild“ des Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten, die Aufgabe als ehrenamtlicher Trainer in der Fußballabteilung.
Am 1. April 1934 nahm Julius Hirsch eine neue Arbeit an. Er war nun nicht mehr wie einige Jahre zuvor bei der SIGFA in einer höheren Position tätig, sondern verdiente seinen Lebensunterhalt als Vertreter für Manufakturen und Wäsche. Er machte hauptsächlich Hausbesuche. Am 18. Mai 1937 wurde er bei der jüdischen Firma Vogel & Bernheimer Zellstoff- und Papierfabriken mit Werken in Ettlingen und Maxau als Hilfslohnbuchhalter eingestellt, doch bereits am 30. Juni 1938 verlor er diesen Posten wieder, da die Firma am 1. April 1938 arisiert worden war.
Nachdem ein am 22. Juli 1938 unternommener Versuch, sich bei einem Verein der Schweizer Nationalliga als Trainer zu bewerben, ohne Erfolg geblieben war, brach Julius Hirsch im August 1938 nach Frankreich auf, um seine dort lebende Schwester Rosa zu besuchen, aber auch um sich nach einer neuen Existenzmöglichkeit umzusehen. Am 3. November 1938 verließ er Paris wieder, kam aber nicht in Karlsruhe an. Stattdessen erhielt seine Frau von ihm einen verworrenen Brief, den er aus einer französischen psychiatrischen Klinik abgeschickt hatte. Es stellte sich heraus, dass Julius Hirsch in einem sehr schlechten Gemütszustand Paris verlassen hatte. Zutiefst verzweifelt und deprimiert über die eigene aussichtslos Situation, zugleich in Furcht vor der Rückkehr nach Nazi-Deutschland, in ein Land, in dem Juden systematisch diskriminiert, entrechtet und verfolgt wurden, verübte er einen Selbstmordversuch. Wie er später seiner Familie berichtete, habe ihm unterwegs jemand erzählt, seine Frau und seine Kinder seien tot; daraufhin habe er sich aus dem Zug geworfen. Ein Leben ohne seine Familie schien ihm nicht mehr lebenswert.
Erste Hilfe erhielt er in einem Krankenhaus in Commercy, das ihn am 4. November 1938 an die Klinik Fains-les Sources bei Bar-le-Duc überstellte. Dort besuchte ihn Ende Dezember sein Schwager Alfons Hauser. Im Februar 1939 holte ihn seine Frau nach Karlsruhe zurück.
Als im Jahre 1939 im Nürnberger Kicker-Verlag das Sammelalbum „Die deutschen Nationalspieler“ erschien, fehlten darin die Einträge für Hirsch und Fuchs: Als Juden waren sie aus den Annalen des deutschen Fußballs gestrichen worden.
Nach seiner Rückkehr wurde Julius Hirsch als Hilfsarbeiter vom städtischen Tiefbauamt zwangsverpflichtet. Er musste auf einem Schuttplatz am Stadtrand von Karlsruhe arbeiten.
Um dorthin zu fahren benutzte Hirsch, der seit September 1941 wie alle Juden ab dem sechsten Lebensjahr den gelben Stern tragen musste, ein Fahrrad. 1942, im dritten Kriegsjahr, machte sich das NS-Regime für die Kriegsführung alle verwertbaren Eigentümer von Juden dienstbar. Die Juden mussten alle für entbehrlich gehaltenen Kleidungsstücke und Gegenstände abgeben. Auch Julius Hirsch sollte sein Fahrrad abliefern. Daraufhin wandte sich sein Arbeitgeber an die Geheime Staatspolizei: „Da die Juden nur außerhalb des Stadtkerns beschäftigt werden dürfen, sind wir, infolge Personalmangels öfter gezwungen, bei Waggonausladungen etc. auf unseren Lagerplätzen auch die Juden einzusetzen. Um Anmarschzeit zu ersparen, wäre es erwünscht, wenn Hirsch auch weiterhin sein Fahrrad benützen könnte“. Daraufhin erteilte der Obersekretär Philipp Haas von der Abteilung „Juden“ der Geheimen Staatspolizei telefonisch die Erlaubnis für Julius Hirsch, sein bereits abgeliefertes Fahrrad zurückzuholen.
Während Julius Hirsch auf dem Schuttplatz arbeitete, war sein Bruder Max in der Kleingartenanlage Fritschlach im Stadtteil Daxlanden eingesetzt. Um neues Gartenland zu gewinnen, wurde das Gelände eingeebnet und trockengelegt.
Am 22. Oktober 1940 ließ der badische Gauleiter Robert Wagner die badischen Juden, darunter 905 Personen aus Karlsruhe, nach Südfrankreich deportieren. Sie kamen dort zunächst u.a. in das Lager Gurs am Fuße der Pyrenäen. Später wurden sie in Richtung Osten weiter deportiert. Nur wenige überlebten die Konzentrationslager. Julius Hirsch entging dem Transport nach Gurs, weil er mit einer „arischen“ Frau verheiratet war. Ausgenommen von der Abschiebung blieben neben den Juden, die in einer Mischehe lebten, auch jene Menschen, die die Nazis als „Mischlinge ersten Grades“ ansahen. Zur Scheidung kam es dann aber doch noch. Die Ehe wurde laut Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe am 2. Dezember 1942 geschieden. Julius Hirsch zog in die Kronenstraße 62; seine Frau nahm wieder ihren Mädchennamen Hauser an. Etwa zeitgleich traten die Kinder zum evangelischen Glauben über und ließen sich taufen. Die Nationalsozialisten erfanden für sie die Bezeichnung "Geltungsjuden“, d.h. sie wurden wie Juden behandelt.
Ab Frühjahr 1943 wurden die zuvor verschonten Juden endgültig aus dem Deutschen Reich in Richtung Osten deportiert, um sie dort zu ermorden. Julius Hirsch unterrichtete seine Familie, zu der er immer noch Kontakt hatte, bei einem Besuch Ende Februar 1943, dass er zum Zweck eines „Arbeitseinsatzes“ wegkommen würde. Er erzählte, dass der ihm aus Fußball-Tagen bekannte Leiter des Karlsruher Postscheckamtes angeboten habe, ihn im versiegelten Kurierwagen in die Schweiz schmuggeln zu lassen. In Unkenntnis des Schicksals, das die nach Osten deportierten Juden erwartete und um vermeintlich Schlimmeres abzuwenden, riet ihm die Familie jedoch davon ab und machte ihn auf die große Gefahr aufmerksam, wenn er bei diesem Unternehmen erwischt werden würde. Julius Hirsch nahm das Angebot zur Flucht deshalb nicht an. Am 1. März 1943 musste er sich, auf Anordnung der Gestapo, mit elf weiteren Juden am Karlsruher Hauptbahnhof einfinden. Gemeinsam mit Juden aus anderen Städten wurden sie mit dem Zug nach Auschwitz gebracht. Dort sind sie, vermutlich schon wenige Tage nach ihrer Ankunft, ermordet worden.
Das letzte Lebenszeichen, das die Familie von Julius Hirsch erhielt, war eine Karte vom 3. März 1943 an seine Tochter: „Meine Lieben! Bin gut gelandet, es geht gut. Julius. Komme nach Oberschlesien, noch in Deutschland. Herzliche Grüße und Küsse Euer Juller“. An jenem Tag kam der Zug im Vernichtungslager Auschwitz an.
Am 23. Juni 1950 erklärte ihn das Amtsgericht in Karlsruhe rückwirkend mit Datum vom 8. Mai 1945, dem Kriegsende, für tot.
Seine beiden Kinder, von den Nationalsozialisten aufgrund der Nürnberger Gesetze als „Mischlinge ersten Grades“ eingestuft, hatten 1936 aus „rassischen Gründen“ ihre Schulen verlassen müssen. Sie konnten zunächst auf jüdische Schulen wechseln, bis auch diese 1940 geschlossen wurden. Seit dem 1. September 1941 bestimmte die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“, dass alle Juden in Deutschland einen gelben Stern, den so genannten Judenstern zu tragen hatten. Diese wurden auch der Familie aufgezwungen. Julius Hirsch verweigerte die Annahme mit dem Hinweis, dass sein Antrag beim Reichsministerium des Inneren laufe, damit die Kinder als „Mischlinge !. Grades“ anerkannt würden und schloss energisch: „solange kommt ein Tragen des Abzeichens für uns nicht in Frage!“
Seit 1941 hatten auch sie den Judenstern zu tragen. Am 14. Februar 1945 wurden der damals 22-jährige Heinold und die 17-jährige Esther gemeinsam in das Konzentrationslager Theresienstadt zum „Arbeitseinsatz“ deportiert. Sie überlebten diesen grausamen, bis zur Befreiung am 7. Mai 1945 dauernden Aufenthalt und kehrten am 16. Juni nach Karlsruhe zurück. Heinold Hirsch starb am 9. August 1996. Esther Hirsch lebt in Karlsruhe.
Gottfried Fuchs, Hirschs ehemalige Fußballkamerad, der seit 1928 mit seiner Familie recht wohlhabend in Berlin lebte, emigrierte 1937 zunächst in die Schweiz, dann nach Paris und schließlich im Mai 1940 über Großbritannien nach Kanada. Geradezu „in letzter Minute“ entkam er dem Schicksal, das fast alle europäischen Juden erleiden mussten. Einladungen und Ehrungen seines früheren Karlsruher Vereins KFV lehnte Fuchs mit Hinweis auf die Ermordung seines Teamkollegen und Freundes Julius Hirsch ab. Auch die Einladung Sepp Herbergers, der sportlichen Einweihung des Münchener Olympiastadions 1972 als Ehrengast beizuwohnen, schlug er aus. Fuchs starb am 25. Februar 1972 in Montreal.
An Julius Hirsch dachte lange Zeit niemand. Die erste und bislang einzige offizielle Erinnerung an ihn ließ fast 50 Jahre auf sich warten und fand auch nicht in seiner Heimatstadt Karlsruhe, sondern in Pfinztal-Berghausen statt. Die dort im Innern der Schulsporthalle aufgehängten Gedenktafeln wurden im Sommer 2000 im Rahmen einer Ausstellung im Gasometer Oberhausen anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Deutschen Fußballbundes gezeigt; ein Kapitel dieser Ausstellung war Julius Hirsch gewidmet. Es dauerte ein halbes Jahrhundert, bis der DFB zögernd bereit war, sich seiner Vergangenheit zu stellen. Eine offizielle Rehabilitierung fehlt bis heute.
(Alexandra Syré, Klasse 11d des Ludwig-Marum-Gymnasiums, Pfinztal-Berghausen, Schuljahr 2003/2004, Oktober 2003)