Homburger, Ferdinand
Nachname: | Homburger |
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Vorname: | Ferdinand |
Geburtsdatum: | 28. Dezember 1860 |
Geburtsort: | Karlsruhe (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Eltern: | Nathan Jakob (1825-1901) und Babette Rebekka, geb. Baer, H. |
Familie: | Ehemann von Rosa H.;
Vater von Paul, Alice und Lucie; Bruder von Karoline Lina (1857-1910), Fanni (1859-1936), Auguste (1863-1946), Julia (1865-1942) und Thekla (1870-1929) |
1939: Ettlinger Str. 9,
1940: Stephanienstr. 63
Biographie
Ferdinand Homburger
Ferdinand war der einzige Sohn der Familie Nathan Jakob Homburger und Babette Rebekka, geborene Baer , als dritter zwischen fünf Schwestern geboren. Nach seinen Erzählungen besuchte er den jüdischen Kindergarten, wo er unter anderem auch Stricken lernte. Er musste ihn um 1865 besucht haben. Der Kindergarten gehörte zur jüdischen orthodoxen Gemeinde und war einer der ersten in Deutschland. Seine Erziehung beruhte einerseits auf gründlichen jüdischen Fundamenten (er setzte sein Studium der heiligen Bibel sein ganzes Leben fort, meistens mit der Interpretation von Samson Raphael Hirsch (1808-1888), einem führenden Vertreter der neoorthodoxen Richtung im Judentum), andererseits wurde alles getan, um ihn zur Fortführung des väterlichen Geschäftes vorzubereiten. Nachdem er seine Studien beendet hatte, trat er in die Firma N.J. Homburger ein, zuerst als Reisender und mit der Zeit nahm er mehr und mehr Verantwortung auf sich. Doch erst mit der Verheiratung im Dezember 1890 wurde er offiziell Teilhaber der Firma.
Unter seiner Führung entwickelte sich die Firma weiter. Anfang der 1930er Jahre wurde er sogar Präsident der Getreidebörse in Mannheim.
Seine Frau war Rosa, geborene Oppenheim aus Hanau, die Tochter von Joseph Oppenheim, Bankier in Hanau, und Rebekka, geborene Kahn. Rosa war eine charmante, intelligente und liebevolle Frau, die sich bestens an das Leben in der Familie und der Stadt anpasste. Ferdinand und Rosa hatten zwei Töchter und einen Sohn. Alle drei schickte Ferdinand in den Religionsunterricht der orthodoxen jüdischen Gemeinde, weil ihm derjenige der liberalen Hauptgemeinde nicht genügte, obwohl er selbst niemals dort Mitglied war. Die Eltern wollten den Kindern die beste Erziehung geben und schickten die Tochter in eine private Höhere Töchterschule. Alice, die Älteste, durfte nicht in das angegliederte Lehrerseminar gehen, obwohl dies ihr Wunsch war, denn das galt als nicht fein genug. Sie wurde nach zehn Jahren, nach der Abschlussprüfung, in ein vornehmes Pensionat nach Wiesbaden geschickt. Lucy kam später in die soziale Frauenschule. Paul wurde für das Geschäftsleben vorbereitet, genau wie sein Vater.
Auch nach der Heirat der Töchter außerhalb von Karlsruhe blieb das Haus Homburger in der Karl-Friedrich-Straße 20, wo sie seit 1907 wohnten, das Zentrum der erweiterten Familie. Ferdinand liebte es, die Enkel auf den Schoß zu nehmen und ihnen Geschichten aus seiner Jugend zu erzählen. Rosa unterhielt sie alle mit ihrem Humor und stattete alle Enkel mit den besten Kleidern aus. Die Religion nahm einen wichtigen Platz im Leben ein. Ferdinand betete morgens und abends entweder in der Frühschule in der Karl-Friedrich-Straße oder in der Hauptsynagoge in der Kronenstraße, nahe dem Geschäft. Die Seder-Abende des Pessach-Festes wurden feierlich abgehalten.
Als die Nazis an das Ruder kamen, gehörte Ferdinand Homburger zu den Juden, die glaubten, dass diese schlechten Zeiten bald vorübergehen würden. Alice und ihre Familie wanderten 1936 nach Palästina, Lucie und Familie 1934 erst nach Paris und dann 1937 in die USA aus. Paul wanderte 1937 auch nach Amerika aus. Das Geschäft ging 1937 an einen „Arier“ über, der schon nichts mehr dafür bezahlte. 1939 musste Ferdinand wie alle Juden den Namen Israel als Vorname annehmen, Rosa musste den Vornamen Sarah führen. Das Ehepaar musste auch die Wohnung in der Karl-Friedrich-Straße aufgeben und zog in die Ettlinger Straße 9, später in die Stephanienstraße 63. Die Kinder in Palästina und Amerika gaben alle Papiere ein, damit die Eltern zu ihnen kommen konnten, aber es war für Ferdinand schwer, sich von allem zu trennen. Er glaubte immer noch, ihm würde nichts passieren.
Er wurde noch aktiver in der jüdischen Gemeinde: 1936 wurde er wieder zum Vorstand der Frühschule gewählt. In einem Brief an die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ – zwangsweise mit der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz im Juni 1939 anstelle der frei gewählten jüdischen Vertretung bestimmt – schrieb er im November 1939: „Gerade in der hiesigen Religionsgesellschaft wurde vom kritischen Tag an, auch nicht ein einziges Mal, weder an Werktagen, noch sonst der Gottesdienst ausgesetzt.“ Weiter schreibt er: „Ich selbst bin Mitglied der (Haupt)Gemeinde [liberale Gemeinde] und meine Vorfahren waren dies ebenso seit der Gründung der Gemeinde im Jahre 1722. Ich wandere demnächst aus [1939 war er bereit], bin konservativer Richtung. Mein Interesse an der Erhaltung unseres altwürdigen Judentums und der hier in Frage kommenden, mir ans Herz gewachsenen heimatlichen badischen Judenheit gebietet mir, mich an Sie zu wenden mit dem Vorschlag, Angehörige der Religionsgesellschaft [das ist die orthodoxe Gemeinde] in die Gemeindeführung zu wählen.“ Diese Fragen beschäftigten ihn im November 1939, nachdem der Krieg schon ausgebrochen war.
Die Beschränkungen für Juden wurden immer strenger: Acht Tage nach Kriegsbeginn durften sie zwischen acht Uhr abends und sieben Uhr morgens nicht mehr ausgehen. Am Jom Kippur 1939 wurden alle Radioapparate beschlagnahmt.
Und dann kam der verhängnisvolle 22. Oktober 1940. Innerhalb einer Stunde mussten sie das Haus verlassen und konnten nur 50 kg Gepäck und 100 Mark Bargeld pro Person mitnehmen. Else Kotkowski, die Sekretärin der Gemeinde schilderte die Abfahrt von Karlsruhe: „Gegen 7 Uhr abends wurden wir auf den Bahnsteig geführt. Dort stand ein sehr langer Zug mit französischen, gepolsterten 3. Klassewagen und Gepäckwagen. Plötzlich ertönte der Lautsprecher ‚Juden des Bahnsteig 1 einsteigen’. Und für Jeden war ein Platz da. Ich war stolz auf die ganze Gemeinde. Ruhig und gelassen stieg Jeder ein. Kein lautes Wort, keine Träne fiel… Gespannt warteten wir auf die Abfahrt; welche Richtung wird der Zug nehmen?... Der Zug setzte sich in Richtung Baden-Baden in Bewegung. Wir atmeten das erste Mal erleichtert auf, und als der Zug die Rheinbrücke nach dem Elsaß fuhr, atmeten wir das zweite Mal erleichtert auf. Also nicht nach Polen. Um 12 Uhr nachts kamen wir in Mühlhausen an. Es wurde eine heiße Suppe gereicht… Dann kam der Befehl durch den Lautsprecher, daß der von jedem Waggon gestellte Obmann die mitgenommenen 100 Mark einsammeln solle, die in Mühlhausen umgewechselt wurden. Gleichzeitig bemerkte der Lautsprecher: ‚Wer mehr als 100 Mark bei sich hat, wird erschossen.’“
Dann verließen die SS den Zug und die Juden fuhren weiter ohne Begleitung. Am dritten Reisetag kamen sie nach Oloron, eine kleine Bahnstation in Südfrankreich. Von dort wurden sie auf Lastwagen im strömenden Regen verfrachtet bis in das Camp de Gurs. Das Lager Gurs war im Mai 1939 für Flüchtlinge des Spanischen Bürgerkrieges errichtet worden und bot für etwa 15.000 Menschen Platz. Im Oktober 1940 waren dort etwa noch 700 Flüchtlinge aus Spanien, dazu kamen deutsche Zivilinternierte und jüdische Emigranten aus Deutschland und Österreich. Mit den 6.500 Ausgewiesenen aus Baden, der Pfalz und dem Saarland wuchs die Zahl der Insassen des Lagers innerhalb von wenigen Tagen auf 13.000 an.
Über das Lager schrieb Emmy Ettlinger, geborene Falk und Ehefrau von Max Ettlinger: „Wenn ich bedenke, wie wir vorher in Gurs hausten. Auf einer meiner Zeichnungen schilderte ich den dunklen Raum, ohne Fenster, nur mit Luken versehen, deren Öffnen oder Schließen immer von Zank und Streit begleitet war. Und wie hatten wir geschlafen? Zuerst nur mit unserer Decke auf dem Fußboden, dann auf Stroh, dem ein Strohsack folgte. So lag ich lange, bis es mir gelang, zwei leere Orangenkisten zu erstehen, eine dritte war nicht zu haben. Sie hatten den Vorteil, daß die Rattenplage für mich geringer wurde, den Nachteil, daß die Fläche zu kurz war und der Zwischenraum eine große Unbequemlichkeit bildete. Erst im zweiten Jahr bekam jeder eine Pritsche, auf der der Sack glatt liegen konnte.
Es war kalt im Winter und der Wind blies durch die Fugen und die Ritzen, der Regen rieselte durch das Dach, wenn auch aufgespannte, aufgehängte Regenschirme einen kleinen Schutz gaben. Wir zogen alle unsere Kleidungsstücke übereinander an, ehe wir uns in die Decken einwickelten, und zwei Kleider, die ich geerbt hatte, verlieh ich zu diesem Zweck.“
Männer und Frauen wurden getrennt.
Das Los von Ferdinand können wir uns vorstellen mit Hilfe der Beschreibung einer Illotvorsteherin: „Die Männer aus Baden waren zuerst ins Lager gekommen… Die Illots (abgeteilte Gruppen von Baracken) waren leer, dort war kein Mensch, der ihnen eine hilfreiche Hand bieten und über den ersten Schock weghelfen konnte. Dort waren nur französische Soldaten, deren Sprache die meisten nicht verstanden.“
So mussten Ferdinand und Rosa jeder allein versuchen, sich in diesen schrecklichen Verhältnissen zurechtzufinden.
Dort „feierten“ sie am 7. Dezember ihre goldene Hochzeit und Ferdinands 80. Geburtstag. Sogar dort weigerte sich Ferdinand Trefa (unkoscher) zu essen. Man sagt, dass es ihm manchmal gelang, ein geschächtetes Huhn zu bekommen, das er selber kochte.
Er starb am 25. Januar 1941 im Lager im Alter von 81 Jahren. In seiner Todesurkunde steht als Todesursache auf Französisch: Cardiopathie.
„Im Dezember wuchs die Zahl der Todesfälle“, notierte Hanna Schramm, „Es kamen schwere Grippefälle, schwere Durchfallerkrankungen, das Leiden der Herzkranken verschlimmerte sich und es setzte vor allem bei vielen Alten ein Schwächezustand ein, eine Herabminderung der Körperfunktion, ein allmähliches Verlöschen, dem schwer beizukommen war… Auf dem kleinen Friedhof schaufelten die Spanier Grube an Grube, das Grundwasser ging ihnen bis zum Knie.“
Nach dieser Tragödie gelang es der Familie Rosa aus dem Lager zu befreien und nach langem Warten in Marseille konnte sie mit dem Schiff „Villa de Madrid“ von Bacelona nach den Vereinigten Staaten fahren, wo sie am 4. Oktober 1941 angelangte.
Sie wohnte lange bei der Familie ihrer Tochter Lucy auf einer Hühnerfarm in Vineland, Pennsylvania und später in einem Altersheim in New York, wo sie am 13. April 1954 im Alter von 87 Jahren verschied. Sie behielt bis zuletzt ihren Lebensmut und ihren Humor. Von Gurs wollte sie nie sprechen.
Alice starb 1963 in Haifa, sie hatte drei Kinder und zahlreiche Enkel und Urenkel.
Lucie starb 1957, hatte vier Kinder und ebenfalls viele Enkel und Urenkel.
Paul starb, ledig, 1983 in New York.
(Esther Ramon, Enkelin von Ferdinand Homburger, Jerusalem 1988/2005)