Bär, Wilhelm
Nachname: | Bär |
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Vorname: | Wilhelm |
Geburtsdatum: | 27. Juni 1890 |
Geburtsort: | Malsch/Ettlingen (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Eltern: | Abraham und Lina, geb. Dreifuß, B. |
Familie: | Ehemann von Paula B.; Vater von Ellen und Gertrud; Bruder von Bella und Herbert |
Biographie
Wilhelm Bär
Erinnerung an die Familie Wilhelm und Paula Bär
Wilhelm und Paula Bär wurden 1944 zusammen mit ihrer Tochter Ellen von der deutschen Wehrmacht bei einer Razzia nach versteckten Juden in St. Pancrace in der Dordogne aufgespürt. Wilhelm Bär wurde zusammen mit anderen als Geisel erschossen, seine Frau und Tochter Ellen wurden nach Auschwitz deportiert. Sie überlebten mit großem Glück. Die jüngere Tochter Gertrud entging den Häschern nur durch einen Zufall…
Die elterliche Familie Abraham und Lina Bär
Als Sohn des 1862 geborenen Viehhändlers Abraham Bär und seiner Ehefrau Lina, geborene Dreifuß wurde Wilhelm Bär am 27. Juni 1890 in Malsch bei Rastatt geboren.
In Malsch lebten überdurchschnittlich viele Juden, um 1875 lag ihr Bevölkerungsanteil bei 7,5 % und damit hatte Malsch die größte jüdische Gemeinde im heutigen Landkreis Karlsruhe.
Wilhelm Bär war nach seiner Schwester Bella, die am 22. September 1888 in Malsch zur Welt kam, das zweite Kind der Eltern, wenige Jahre später folgte sein Bruder Herbert. Weitere Geschwister scheinen nicht vorhanden gewesen zu sein. Ein Foto von 1905, sicher in einem Fotoatelier aufgenommen, zeigt die gut gekleideten, posierenden Geschwister. Bella war zu diesem Zeitpunkt 17 und Wilhelm 15 Jahre alt, Herbert ist deutlich der Jüngste. Fotografische Aufnahmen hatten in dieser Zeit fast ausschließlich einen dokumentarischen Zweck. Man ließ sie für die Familiengeschichte, für Kinder und Kindeskinder erstellen, voller Ernst und in der besten Kleidung, auch um festzuhalten, dass man sich bürgerlich etabliert hatte. Die Familie des Abraham Bär lebte dem Anschein nach in gut geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Sohn Wilhelm besuchte die Volksschule, vermutlich in Malsch, und absolvierte im Anschluss die Höhere Handelsschule in Karlsruhe. Beim Möbel- und Ausstattungshaus M. Tannenbaum, einem Waren- Kredithaus in der Adlerstraße 13 in Karlsruhe, machte er eine Lehre zum Kaufmann und wurde danach als Angestellter dort weiter beschäftigt. Wie lange die Familie Bär in Malsch wohnte, ist nicht bekannt, aber spätestens 1907 zog sie in die nahe gelegene größere Stadt, nach Karlsruhe, wie es viele jüdische Familien in dieser Zeit taten.
Laut Adressbucheinträgen 1908 bis 1912 wohnte der Viehhändler Abraham Bär mit seiner Familie zunächst in der Adlerstraße 1 und 1911 am Zirkel 14. Zwei Jahre später, am 20. März 1913 heiratete die nun 24-jährige Tochter Bella Bär in Karlsruhe den Kaufmann Arthur Alfred Maier. Der Ehemann war der am 7. Juli 1883 in Straßburg geborene Sohn des dort wohnhaften Metzgers Max Maier und seiner Frau Rachel, geborene Gutmann.
Wilhelm Bärs Werdegang
Als Deutschland am 1. August 1914 mit der Kriegserklärung gegen Russland in den Ersten Weltkrieg eintrat, war Wilhelm Bär gerade 24 Jahre alt geworden und er wurde nun deutscher Soldat. Vermutlich wurde er bereits nach der allgemeinen Mobilisierung 1914 einberufen, nichts deutet darauf hin, dass er sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet hätte, er war einer von 4.758 jüdischen Kriegsteilnehmern aus Baden. Über seine Kriegserlebnisse, wo oder wie er eingesetzt wurde, hat er selbst nichts hinterlassen. Es ist möglich, dass er aufgrund seiner Ausbildung und seiner kaufmännischen Berufserfahrung in der Militärverwaltung eingesetzt wurde. Ein Foto von 1915 zeigt den 25-jährigen in einfacher Uniform. Nach dem Kriegsende und der Demobilisierung wohnte er wieder in Karlsruhe, diesmal in der Waldstraße 29, 3. Etage; das Adressbuch der Stadt Karlsruhe von 1919 belegt es.
Nun dachte er auch an eine eigene Existenz und ließ sich dazu ganz in der Nähe seines alten Arbeitgebers, des Möbelhauses M. Tannenbaum, mit seinem neuen Geschäft - ebenfalls ein Möbelgeschäft - nieder, nur wenige Häuser weiter, in der Adlerstraße 17. Hier in der Oststadtmitte Karlsruhes wohnten die meisten Juden und zahlreiche jüdische Händler betrieben ihre Geschäfte. Das Möbelhaus M. Tannenbaum verschmerzte diesen neuen „Mitanbieter am Markt“ vermutlich, denn es bestand weiter bis circa 1932/33. Am 5. April 1919 wurde die neu gegründete Firma Gebrüder Bär, OHG im Handelsregister eingetragen, persönlich haftende Gesellschafter waren Wilhelm und sein Bruder Herbert Bär. Die Firma „Gebrüder Bär, Möbelhaus“ hatte ihre „Verkaufslokale“, wie es im Adressbuch der Stadt Karlsruhe von 1920 steht, in der Kaiserstraße 111 und 115, der Eingang war in der Adlerstraße. Beide Inhaber wohnten zu der Zeit am Zirkel 14, in der 3. Etage des viergeschossigen Hauses. Dem Adressbuch von 1921 nach schien die Firma der Brüder Bär zu florieren. Es gab zusätzliche Geschäftsräume im Haus Kaiserstraße 115 und man hatte noch Reserve-Lagerräume in der Kaiserstraße 48 und 111 sowie in der Zähringerstraße 80, 82 und 53 angemietet. Ab dem 11. Mai 1921 hieß die Firma nun „Möbelhaus W. & H. Bär“ und die beiden Brüder machten im Adressbuch 1921 Werbung mit der Annonce:
„Möbelhaus Gebr. Bär
Komplette Wohnungseinrichtungen,
Einzelmöbel zu bekannt billigen Preisen und guten Qualitäten.“
Familiengründung
Knapp 31-jährig heiratete Wilhelm Bär am 17. Mai 1921 im hessischen Niederingelheim, heute Ingelheim am Rhein, am Geburtsort der Braut, die 22-jährige Paula Johanna Mayer, geb. am 10. Januar 1899. Sie war Tochter des Weinhändlers Sigmund Mayer und seiner Frau Frieda, geborene Mai, beide israelitischer Religion. Wie und wo Wilhelm Bär die zierliche, 156 cm große Paula Mayer kennen gelernt, später mit ihr eine gemeinsame Zukunft beschlossen hat, bleibt ein Geheimnis.
Ob auf dem malerischen Hochzeitsbild alle Eltern, alle Geschwister neben den Verwandten des jungen Paares zu sehen sind, lässt sich heute nicht mehr bestimmen. Vermutlich ist auch Paulas älterer Bruder Gerhard Max, geboren am 3. April 1897, auf dem Hochzeitsbild zu sehen und ihre Schwester Emilie Mathilde, geboren am 25.4.1905 dürfte bei der Hochzeitsgesellschaft auch dabei gewesen sein. Emilie Mathilde, später verheiratete Hahn wurde während des Krieges nach Polen deportiert und gilt als verschollen. Auf dem Hochzeitsfoto dürfte ebenfalls der Neffe Paulas, Ludwig Dreyfuss, geboren am 25. November 1894, abgebildet sein, der später im Lager von Récébédou in Frankreich ermordet wurde. Sicher standen die Geschwister Herbert und Bella ihrem Bruder Wilhelm Bär an diesem Tag zur Seite, aber leider kann heute niemand mehr den Personen auf dem Hochzeitsbild ihre Identität zuordnen.
Das junge Ehepaar wohnte nach seiner Hochzeit in Karlsruhe am Zirkel 14, auch der Bruder wohnte weiterhin dort. Paula Bär arbeitete nach der Heirat nun auch regelmäßig im Geschäft. Sie hatte zwar keine Berufsausbildung, doch sie arbeitete sich ein und war sowohl im Verkauf als auch im Büro tätig. Wie sie später sagte, ersetzte sie eine Angestellte und betrachtete ihr Mitarbeiten im Geschäft als ihre Pflicht als Ehefrau. Das Möbelhaus W. & H. Bär war ein, damals so genanntes „Abzahlungsgeschäft“, wie es auch das Waren-Credithaus M. Tannenbaum war, in dem Wilhelm Bär gelernt und gearbeitet hatte. Paula Bär schrieb 1957: „Das Geschäft ging sehr gut, und 1921-1924 besaß es noch eine weitere Niederlage in der Adlerstraße, wo sich auch das Lager befand. Das Geschäft wurde im eigenen Haus betrieben, und zwar in drei Stockwerken, die mit Möbeln angefüllt waren. Es wurden durchschnittlich sechs Arbeiter beschäftigt, aber diese Zahl stieg stetig bis zu 16 Arbeitern. Außerdem arbeiteten noch vier weibliche Angestellte im Büro. Daneben arbeitete die Schwägerin Bella Maier, geborene Bär im Geschäft mit.“ Am 2. Juli 1922 wurde als erstes Kind die Tochter Ellen Bär in Karlsruhe geboren.
Die Entwicklung des Geschäftes
Am 3. Januar 1925 wurde die OHG aufgelöst, alleiniger Inhaber war nun Wilhelm Bär. Der Name Herbert Bär erschien im Adressbuch 1926 nicht mehr und auch sein eigener Verbleib ist ungewiss. Im Jahr 1926, am 13. März wurde die zweite Tochter Gertrud Bär, in Karlsruhe geboren und die, nun vierköpfige Familie zog in die Stephanienstraße 62, eine gutbürgerliche Wohngegend in der Karlsruher Innenstadt. Das Geschäft war eine „Goldgrube“, so bezeichnete es Paula Bär selbst. Das Einkommen von Wilhelm Bär soll 1929/30 ca. 7.000 RM betragen haben.
Die in dieser Zeit entstandenen Bilder zeigen eine sorglose und zufriedene Familie. Wilhelm Bär lehnt leger am Kotflügel seines Autos, der Chauffeur steht hinter ihm. Paula Bär wurde 1931 lächelnd im Garten, auf Gartenmöbeln aus Buchenholz sitzend fotografiert und die 5- und 9-jährigen Ellen und Gertrud posierten im gleichen Jahr, zu Fastnacht verkleidet, vor einer Gartenlaube, dem Anschein nach eine gut situierte Familie.
Sie bewohnten eine „besonders gut eingerichtete 5-Zimmer Wohnung“ wie es Freunde der Familie 1962 in ihren eidesstattlichen Erklärungen später angaben. In dieser Wohnung gab es ein Herrenzimmer mit reichhaltiger Bibliothek samt Bärenfell, das Wohnzimmer war in italienischem Renaissancestil gestaltet. Die Küche war aus polnischer Kiefer geschreinert und das Schlafzimmer aus Eichenholz hätte ein langes Leben begleiten können. Außer Kristallgläsern, zwölfteiligem Tafelsilber, einem japanischen Teeservice belegten auch das Vorhandensein von Staubsauger und Teppichkehrmaschine, dass die Familie in gehobenem Wohlstand lebte. Auf Musik legte man in der Familie Bär Wert, wie eine Geige und ein Klavier beweisen. Religiöse Rückschlüsse sind nicht möglich, nur eine jüdische Sabbathlampe (Stern in Messing) im Hausrat weist auf jüdisches Traditionsempfinden hin. Über das gesellschaftliche Umfeld wurde nichts erhalten.
1928 wurde das Möbelhaus im Adressbuch in der Kaiserstraße 111 eingetragen, zusätzlich gab es nun eine Werkstatt in der Adlerstraße 17.
1931 jedoch gingen Wilhelm Bärs Einkünfte nach Aussagen seiner Frau auf circa 6.000 RM zurück. „Da es sich um ein Abzahlungsgeschäft handelte und wir in gewissen Grenzen von den guten Willen der Käufer abhängig waren, die noch längere Zeit nach dem Kauf unsere Schuldner blieben, waren wir schon seit den Jahren 1930 oder 1931 antisemitischen Angriffen ausgesetzt, da böswillige Schuldner sich darauf beriefen, dass sie dem Juden nichts zu zahlen brauchten. Wir kamen dadurch in Zahlungsschwierigkeiten.“ Ob sie das so richtig wahrgenommen hat, wissen wir nicht, aber Berta Bär empfand es rückblickend so. Der tatsächliche, reichsweite Judenboykott begann erst am 1. April 1933. Zuvor schwand jedoch die Kaufkraft der Menschen aufgrund der Weltwirtschaftskrise und damit verbunden, blieben viele Ratenschuldverträge offen. Das Möbelhaus W.& H. Bär wurde in der Folgezeit, um 1931/32 gänzlich in die Adlerstraße 17 verlagert, die Familie zog in die Stephanienstraße 96 um.
Das Jugendstil-Ensemble Stephanienstraße 94 und 96 wurde um 1902/1903 vom renommierten Architekten Hermann Billing geschaffen, eines der beeindruckendsten Wohngebäude in Karlsruhe und hat den Krieg überdauert. Es war eine gute Adresse, unter den vier Mietparteien waren auch ein Rechtsanwalt und ein Archivrat.
Doch die Zahlungsschwierigkeiten wurden nun so groß, dass das Vergleichsverfahren für die Firma beantragt werden musste, das am 22. Juni 1932 eröffnet wurde. Schon am 23. August wurde es wieder aufgehoben, auch weil schnell ein Vergleich zustande gekommen war. „Wir haben es übernommen, mit 60 % unsere Gläubiger zu befriedigen, Zahlungen wurden bis zum Letzten eingehalten“, letzte Raten seien noch von Straßburg aus nach der Auswanderung beglichen worden, berichtete Paula Bär. Im April 1933 wurden Wilhelm und Paula in Haft genommen. Sie wurden beide in das Gefängnis in der Riefstahlstraße in Karlsruhe verbracht. Ihr Jüdischsein war wohl verschärfend, die Verhaftung scheint aber keinen reinen antisemitischen Hintergrund gehabt zu haben, sondern dürfte von Gläubigern angestrengt worden sein.
Wilhelm Bär wurde dort vom 19. April 1933 bis 12. Mai 1933 inhaftiert, seine Frau
Paula Bär vom 19. April 1933 bis 26. April. 1933. Personalakten sind jedoch
nicht mehr vorhanden. Paula Bär berichtete später, im Schriftwechsel im
Wiedergutmachungsverfahren, sie seien nur aus dem Gefängnis entlassen worden,
nachdem sie sich schriftlich verpflichtet hätten, ihr Möbelgeschäft nicht mehr zu
betreten. Das war der endgültige Ruin für das Möbelgeschäft. „Das Haus in der Adlerstraße 17 wurde zu einem lächerlich geringen Preis versteigert und es war Herrn Bär nicht einmal möglich, sein Guthaben einzuziehen, wovon ein kleiner Teil genügt hätte, die Gläubiger zu befrieden“, so der spätere Rechtsanwalt von Paula Bär im Wiedergutmachungsverfahren dazu.
1933, die Familie verlässt Deutschland
Für Wilhelm und Paula Bär stand nach der Haftentlassung fest, dass sie Deutschland verlassen würden. Zuvor mussten sie ihren Haushalt auflösen, soviel wie möglich verkaufen, vielleicht auch manche Dinge verschenken und sie mussten ihre Gläubiger befriedigen, ohne Einnahmen zu haben. Sie waren gezwungen, ihr Mobiliar zu einem Spottpreis zu verkaufen und zwar en bloc an den Direktor einer Brauerei, der die Möbel bei seinem Umzug in das Ruhrgebiet mitgenommen hatte. Sie hätten es außerdem nicht ins Ausland bringen dürfen, da es zum Teil Kunstmöbel waren, und die Ausfuhr dieser war verboten. Tatsächlich brauchte die Familie zusätzlich auch Bargeld für die Ausreise und für den Neubeginn in Frankreich. Im September 1933 verließen Wilhelm und Paula Bär mit ihren beiden Töchtern Karlsruhe. Das Ehepaar Bär nahm bei seinem Wegzug aus Karlsruhe nur einen einzigen Koffer mit, schrieb Paula Bär 1957. Nach der Ausreise der Familie Bär wurde das Haus in der Adlerstraße 17 versteigert. Im Handelsregister wurde am 13. August 1934 die Löschung des Möbelhauses vermerkt.
Wilhelm Bär wanderte sofort in das benachbarte Elsass aus. Nach Eintragungen des Einwohnermeldeamtes Straßburg wohnte der Kaufmann Wilhelm Bär nach seiner Ankunft zuerst im Hotel Metropol, in der rue de Kuhn 16 und danach vom 11. bis 21. September 1933 in der Pension Regina, rue Ste. Aurelie 8. Wilhelm Bär versuchte, in seiner erlernten Branche eine neue Existenz zu gründen, aber es gelang ihm wohl nur mühsam. Seine Ehefrau Paula folgte ihm, nach den Eintragungen der Stadt Straßburg am 3. August 1934. Sie wohnten nun am Boulevard Clemenceau 24, und ab dem 1. Oktober in der rue de Bischwiller 7. Wann die Töchter nach Straßburg gefolgt sind, ist unbekannt. Jedenfalls lebten Ellen und Gertrud von 1933 bis zum 3. Dezember 1935 in Niederingelheim, Mainzer Straße 29, wohl bei den Großeltern.
Bis Kriegsbeginn 1939 lebte die Familie in Straßburg zusätzlich vom Verkauf von Wertgegenständen und auch von Unterstützungen, so beschrieb Paula Bär die wirtschaftliche Situation. Wer die Familie unterstützen konnte, hat sie nicht berichtet.
Ellen war 1935 13 Jahre alt, die damals 11-jährige Gertrud schrieb später: « Ma soeur et moi navions plus le droit de fréquenter l
école ni le conservatoire de musique. »
Das Leben in Straßburg scheint zumindest für Paula Bär eine eher glückliche Zeit gewesen zu sein, wie sie selbst später berichtete, ohne genauere Ausführungen. Auch ein Bild des Vaters Wilhelm Bär mit seinen beiden Töchtern Gertrud, liebevoll Trudy genannt und Ellen, 1936 in Straßburg aufgenommen, zeigt nicht Not oder Sorgen, aber Bilder können auch täuschen, sie sind nur Momentaufnahmen und spiegeln nicht die wahren Befindlichkeiten wider. Ob Wilhelm Bär damals die französische Staatsangehörigkeit angestrebt hat, ist nicht überliefert, erhalten hat er sie nicht.
Kriegsbeginn 1939, Angst und Unsicherheit
Bei Kriegsbeginn 1939 wurden die Bevölkerung Straßburgs, und damit auch die Familie Bär evakuiert. Sie allerdings wurden nicht wie die Franzosen größtenteils in die Dordogne in Sicherheit gebracht, sondern zusammen mit anderen Deutschen als Angehörige der Feindmacht zunächst im Camp von Mirecourt in den Vogesen interniert, von wo sie am 20. Januar 1940 wieder entlassen wurden und nun ebenfalls in die Dordogne gelangten. Dieser Landesteil gehörte nach der Niederlage Frankreichs dann zum unbesetzten Teil Frankreichs. Eine Rückkehr von Juden in das Elsass oder nach Lothringen war nicht mehr möglich.
Zunächst wurde die Familie Bär nach Saint-Crépin-de Richmont in der Dordogne weiterverwiesen, danach nach Saint Pancrace, einem Dorf im Westen Frankreichs, in der Region Aquitaine. Dort wurde Wilhelm Bär nach einem Bericht in dem Buch „Juden in der Dordogne“ am 19. Juni 1941 zu einer französischen Militäreinheit eingezogen. Zwei Verordnungen vom 12. April 1939 und vom 13. Januar 1940 gaben den französischen Behörden die Möglichkeit, Ausländer ohne Staatsangehörigkeit und Ausländer mit Asylrecht zum Militärdienst zu verpflichten. Diese so genannten „prestataire“ befanden sich in einem unklaren Zustand zwischen Internierten und Militärangehörigen. Dieser vage Status war 1939 geschaffen worden, um Ausländer ohne Staatsangehörigkeit und Ausländer mit Asylrecht zum Militärdienst zu verpflichten.
Saint Pancrace war zu dieser Zeit eine kleine Gemeinde. Nach einer Volkszählung 1999 ließen sich dort noch 120 Einwohner notieren, deutlich größer war dieser Marktflecken in der Dordogne 1939 sicher nicht. Nach einer Aussage des ehemaligen Bürgermeisters sind die Eheleute Wilhelm und Paula Bär mit ihren beiden Töchtern am 2. Oktober 1941 dort angekommen. Als Ausländer durfte Wilhelm Bär dort nach der Entlassung aus dem Militärdienst nicht arbeiten, berichtete Paula Bär 1957 und man hätte von der geringen Unterstützung, die die Straßburger Flüchtlinge vom französischen Staat erhielten, gelebt.
In einer eidesstattlichen Erklärung berichtete der ehemalige Bürgermeister von Pancrace, Gustave Sicard, am 16. Februar 1958, was er über das Leben der Familie Bär in seiner Gemeinde wusste und miterlebt hatte. Sein Bericht ist umfassend und spricht so für sich.
„Die Familie Bär ist am 2.10.1941 nach hier gekommen. Im August 1942 begannen Judenverfolgungen und Razzien wurden gemacht, sie haben sich hier versteckt. Sie haben ihre Wohnung verlassen und sich in ein verlassenes Zimmer des Bürgermeisteramtes begeben, wo ich sie aufgenommen habe. Sie haben auf Strohmatten geschlafen, die auf der Erde lagen und ich habe ihnen Decken zum Zudecken zur Verfügung gestellt. Es gab kein Wasser, dieses musste in großer Entfernung an der Zisterne geholt werden. Ich konnte ihnen keine Lebensmittelkarten zur Verfügung stellen, habe sie aber notdürftig mit Lebensmitteln versorgt, soweit ich dies konnte. Es wurden häufig Razzien nach versteckten Juden gemacht, Familie Bär musste sich dann in den Wald flüchten, manchmal sogar in einer verlassenen Hütte auf Stroh nächtigen. Die Familie lebte in andauernder Angst vor Verhaftung und zitterte täglich und stündlich um ihr Leben. Sie hat unter menschenunwürdigen Verhältnissen vom 20. August 1942 – 27. März 1944 ihr Leben in Pancrace gefristet.“
Die Familie fällt dem Terror zum Opfer
Im von der deutschen Wehrmacht geführten Kampf gegen die Résistance wurden Ende März 1944 im Departement Dordogne als „Unternehmen Brehmer“ so genannte Strafexpeditionen durchgeführt, die sich nicht nur gegen die Widerstandbewegung, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung richteten, bei der deutsche Einheiten die französische Bevölkerung einschüchterten und terrorisierten. Als Begründung galt ein Attentat. Am 25. März 1944 war ein Fahrzeug mit Angehörigen des Sicherheitsdienstes in Limoges, die der Aktion „Brehmer“ zugeteilt waren und die exakte Unterlagen des Widerstandes in der Dordogne mit sich führten, angeblich von Angehörigen des französischen Widerstandes beschossen worden, zwei Offiziere wurden getötet. Der SD machte danach erbarmungslos Jagd auf Juden aus der Provinz, die nicht den Deportationen der Jahre 1942/43 zum Opfer gefallen waren. Die Mehrzahl der Opfer waren elsässische Juden französischer Staatsangehörigkeit, die von 1939 bis 1940 in die Dordogne evakuiert worden waren, unter ihnen befanden sich auch Flüchtlinge aus Deutschland, wie die Familie Bär. Am 27. März 1944 wurde die Familie Bär entdeckt und verhaftet. Paula und Ellen Bär wurden zuerst in Perigueux, etwa 40 Kilometer von St. Pancrace entfernt, inhaftiert. Die jüngere Tochter Gertrud entging dieser Razzia, sie war zu diesem Zeitpunkt bis zum 28. August 1944 wegen einer Mandeloperation in einer Klinik in Clairvivre unter dem Schutz des Professors Fontaine. Nach dem Krankenhausaufenthalt konnte Gertrud Bär dank des Schutzes der französischen Widerstandsbewegung der Deportation entgehen. Auch andere Familienmitglieder scheinen gleichzeitig in Brantôme gelebt zu haben, wie es der Aufstellung zu Juden in der Dordogne zu entnehmen ist. So ist dort aufgezeichnet, dass die Deutschen an diesem Tag nicht die Schwiegermutter des Wilhelm Bär verhaften konnten, ebenfalls nicht den Cousin von Ellen und Trudy, Walter Hahn irrtümlich Hahm in dem Buch: „Les juifs en Dordogne, 1939-1944“ Bernard Reviriego, 2003). „Frau Bär und Fräulein Ellen Bär sind nach Auschwitz deportiert worden, während Herr Wilhelm Bär fortgeführt wurde“, schrieb der ehemalige Bürgermeister von Pancrace. Am 13. April 1944 wurden Mutter und Tochter mit dem Transport Nr. 71 von Drancy aus nach Auschwitz deportiert. Zu diesem Zeitpunkt wurden aus der Notwendigkeit nach Zwangsarbeit für den „Endsieg“ mehr Deportierte zur KZ-Arbeit selektiert, als in den Jahren zuvor. Paula Bär und Tochter Ellen waren darunter. Mit dem, am linken Unterarm tätowierten Häftlingsnummern 78590 und 78591 mussten sie dort qualvolle Monate verbringen. Bis November 1944 verbrachten Mutter und Tochter gemeinsam in den ungeheizten Baracken des Lagers Auschwitz. Sie wurden zu schweren Zwangsarbeiten im Straßenbau gezwungen, Paula Bär berichtete später, sie hätten diese Arbeiten teils barfuß, in Holzschuhen oder in Schuhen mit hohen Absätzen ausführen müssen. Es gab kaum etwas zu essen und fast kein Wasser. Sie selber sei dort an Fleckfieber und Ruhr erkrankt. In Auschwitz waren zu diesem Zeitpunkt die Baracken derart überfüllt, dass die Kommandantur zur Unterbringung der Gefangenen Zelte im Lager aufstellen ließ. Viele der darin untergebrachten Frauen und Kinder überlebten den Winter 1944/1945 nicht.
Ellen Bär wurde mit der beginnenden Räumung des KZ Auschwitz wegen der herannahenden Front im November 1944 weggebracht. Sie soll nach dem KZ Bergen-Belsen gekommen sein, was aber nicht endgültig geklärt ist. Gesichert dagegen ist, dass sie im Lager Raguhn in Schlesien, einem Außenlager des KZ Buchenwald, in dem hunderte Frauen in den Junkers Flugzeug- und Motorenwerken Zwangsarbeit leisten mussten, gewesen war. Von dort nämlich wurde sie am 19. April, als auch dieses Lager vor der nahenden Roten Armee „evakuiert“ wurde, in das KZ Theresienstadt überstellt, wie die dortige Zugangsliste ausweist. Hier erlebte sie das Kriegsende, als die Insassen des Lagers am 8. Mai 1945, dem letzten Kriegstag, von der sowjetischen Armee befreit wurden. Ellen Bär kam mit dem Flugzeug am 5. Juni 1945, völlig entkräftet, auf ein Körpergewicht von 30 kg abgemagert auf einer Tragbahre in Perigueux in Frankreich an und wurde umgehend in das Hospital des Roten Kreuzes in Lyon eingewiesen.
Auch ihre Mutter Paula überlebte Auschwitz. Sie gehörte zu den wenigen, die dort noch am 27. Januar 1945 von der Sowjetarmee befreit werden konnten. Sie kehrte am 14. Mai 1945 über Odessa nach Marseille mit dem Schiff kommend nach Pancrace zurück.
Erst 1945, nach der Rückkehr aus den Konzentrationslagern, erfuhren sie, dass der Ehemann und Vater Wilhelm Bär unmittelbar nach ihrer Verhaftung am 27. März 1944 in Puyjoubert, einer Gemeinde von Brantôme, etwa 7 Kilometer von Saint Pancrace entfernt, ohne Gerichtsverhandlung als „ jüdische Geisel“ erschossen worden war.
In der Gedenkstätte auf dem Friedhof Cronenbourg in Straßburg sind die Namen der verschleppten und ermordeten Menschen aus Straßburg festgehalten worden.
In Brantôme erinnert ein Gedenkstein an die am 27. März 1944 von der deutschen Wehrmacht erschossenen jüdischen Geiseln …
Der Name (Guillaume) Wilhelm Bär steht an erster Stelle.
Auf dem Gedenkstein stehen die Worte:
à la memoire
Guillaume Baer
Charles Bonem
Jules Bonem
Armand Ledermann
(Christa Koch, Dezember 2008)
Quellen und Literatur:
Stadtarchiv Karlsruhe 1/AEST/38,1; 8/StS 17/265,1; 8/Alben 194, 90.
Generallandesarchiv Karlsruhe 480/13484, 13485 und 14571.
Staatsarchiv Ludwigsburg EL 402/13, Nr. 386.
Ortssippenbuch Niederingelheim.
Kurzbiographie in Bernard Revriego, Les Juifs en dordogne 1933-1944 de l''accueil à la per´scution. Archives Départementales de la Dordogne 2003.
Christoph Schwarz: Verfolgte Kinder und Jugendliche aus Baden-Württemberg 1933-1945, Konstanz 2007, S. 61f..
Ahlrich Meyer: Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940-1944. Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung. Darmstadt 2000, S. 141.
Josef Werner, Hakenkreuz und Judenstern, Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, Karlsruhe 1990, S. 245, 446.