Bandel, Fanni
Nachname: | Bandel |
---|---|
Vorname: | Fanni |
abweichender Name: | Kuparitz, verwitwet |
abweichender Vorname: | Fanny |
geborene: | Blau |
Geburtsdatum: | 12. Juni 1878 |
Geburtsort: | Mágocs/Baranya (Österreich-Ungarn, heute Ungarn) |
Familienstand: | verwitwet |
Eltern: | Ignaz Nathan und Johanna (Janka), geb. Lederer, B. |
Familie: | Witwe von Josef Kuparitz (17.3.1876-verschollen im 1. Weltkrieg); Witwe von Ludwig B. (2.5.1874-26.8.1934) |
1931: Ritterstr. 32,
1936: Brunnenstr./Am Künstlerhaus (Durlacher Str.; Durlachertorstraße) 59
28.8.1942 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Biographie
Fanni Bandel, verwitwete Kuparitz, geborene Blau
Geboren am 12. Juni 1878 in Mágocs, Komitat Baranya in Ungarn, als Tochter des Arbeiters Nathan (Ignacz) Blau und der Johanna (Hanni, Janka) Lederer, wächst Fáni Blau, wie sie sich ursprünglich schreibt, in einer Ungarisch und Deutsch sprechenden Umgebung mit sieben Geschwistern auf: Hermina, Josef, Berta, Isidor, Jakob, Julia und Alexander (Sandor). Die Kleinstadt Mágocs (gesprochen: „Magotsch“) liegt im Süden Ungarns nahe der Grenze zu Kroatien, etwa 15 km entfernt von Pécs (Fünfkirchen). Die Gegend ist ganz überwiegend katholisch geprägt, Juden damals eine kleine Minderheit.
Fannis Herkunft ist in der Geburtsmatrikel des Oberrabbinats des Kreises Baranya-Mágocs belegt, beurkundet durch den örtlichen Rabbiner József Lebovits. Wie Familie Blau zum Judentum steht, wissen wir nicht. Über Fannis Kindheit und Jugend finden sich keine Quellen. Vielleicht ist die Familie in eine größere Stadt umgezogen.
Fanni heiratet etwa zwischen 1900 und 1910 den Katholiken Josef Kuparits, geboren am 17. März 1876 in der Hafenstadt Orșova an der Donau, im Banat, nahe der Grenze zu Serbien, Sohn von Peter und Sophie geborene Nogojewits. In den Budapester Adressbüchern der Jahre 1911 bis 1916 findet sich „Kuparits Jószef, szobafestö, VII, Szövetség-ut. 21“, übersetzt „Josef Kuparitz, Zimmermaler, VII., Unionsstraße 21“. Demnach wohnt das Ehepaar damals im VII. Budapester Bezirk, genannt Elisabethstadt, ein dicht besiedeltes Gründerzeitviertel auf der Pester Seite rechts der Donau, mit vielen Handwerksbetrieben, kleinen Läden und zahlreicher jüdischer Bevölkerung. Ein Zimmermaler streicht Innenräume, wozu damals auch das Auftragen aufwändiger Ornamente gehört.
Die Eltern Nathan und Hanni Blau sind offenbar nicht mit in die Hauptstadt gezogen. Sie sollen laut einer Akte über Fannis Bruder Alexander beide 1914 in Dombóvár, Komitat Tolna, verstorben sein.
Fannis Ehe bleibt kinderlos. Josef Kuparits ist zu Kriegsbeginn mit dem K.u.K. Infanterieregiment Nr. 23 Markgraf von Baden, benannt nach dem Türkenlouis, nach Zombor eingerückt und an die Front gekommen, wo er bei der Aufgabe der Festung Przemysl 1915 in russische Gefangenschaft gerät. Dort ist er verschollen.
Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zerfällt nach Kriegsende, Antisemitismus und Nationalismus flammen auf. Vor diesem Hintergrund kommt Fanni Kuparitz 1919/20 nach Karlsruhe. Im Adressbuch für 1922, Stand Oktober 1921, findet sie sich zum ersten Mal, mit Adresse Waldhornstraße 54.1 (parterre). Sie gibt ihren Beruf als Näherin an.
In den Adressbüchern 1926 bis 1929 finden wir „Kupritz, Josef, Maler (Frau)“ in der Durlacher Straße 101.3 (heute verschwunden, etwa im Bereich der verlängerten Straße Am Künstlerhaus) im Dörfle. 1926 erhält Fanni von einem Budapester Gericht die Todeserklärung für ihren vermissten Ehemann Josef, ausgestellt auf das Datum 31. Dezember 1920. 1927 wird ihr durch das Ungarische Konsulat auf Anfrage ergänzend mitgeteilt, dass sie aus Ungarn keine Kriegswitwenrente zu erwarten habe.
Fanni heiratet wieder, am 23. Februar 1929. Zunächst ist unklar, ob sie die ungarische oder rumänische Staatsbürgerschaft besitzt. Durch die Eheschließung mit dem am 2. Mai 1874 in Queichheim bei Landau in der bayerischen Pfalz geborenen, nach Baden eingebürgerten Ludwig Bandel wird sie nun badische bzw. reichsdeutsche Staatsbürgerin. Ludwig, Sohn des Arbeiters Joseph Bandel und der Elisabeth geborene Welsch, ist katholisch und seit 1907 geschieden. Fünf seiner sieben Kinder aus erster Ehe mit Franziska, geborene Günther aus Bruchsal, sind im Kleinkindalter gestorben, eine Tochter stirbt 1924, eine weitere – Anna verheiratete Ziegler – lebt seinerzeit noch in Karlsruhe. Ludwig hat die Realschule in Landau besucht und verdient sein Geld zu verschiedenen Zeiten als Arbeiter in der städtischen Gasanstalt, Tanzlehrer, Kutscher, Fuhrmann, „Taglöhner“ und schließlich als Packer, wohl im Versand oder bei einer Spedition. Bei der Eheschließung gibt Fanni ihre Konfession als „israelitisch“ an, von einem Übertritt zum Katholizismus ist keine Rede. Es liegt nahe, dass beide Eheleute eher kirchenfern sind.
Fanni Bandel wohnt zunächst mit ihrem Mann weiter in der Durlacher Straße 101. Als die beiden um 1931 umziehen, kommt dies einem sozialen Aufstieg gleich. Sie lassen die überfüllte, marode Altstadt hinter sich und wohnen nun in der von Industrie und neuen Mietshäusern geprägten, großzügig angelegten Südweststadt: Ritterstraße 32, 1. Hofgebäude 3. Stock (das Gebäude steht heute nicht mehr). Allerdings ist ab 1933 im benachbarten Braunen Haus Nr 28, bald auch Nr. 30 die Gauleitung der NSDAP, also die badische Zentrale der Nazipartei – der Wohnort also ein erhebliches Wagnis. Dann verstirbt auch noch Ehemann Ludwig am 26. August 1934 im Alter von 60 Jahren. Die inzwischen 56-jährige Fanni verliert damit den Schutz durch die Ehe mit einem Nicht-Juden („Mischehe“). Sie bekommt fortan Unterstützung von der öffentlichen Fürsorge und kann die Wohnung zunächst halten. Noch im Adressbuch 1937 (Stand Ende 1936) heißt es in zeittypischer Schreibweise: „Bandel, Ldw (Fanny), PackerWe, Ritterstr. 32.H3“.
Offenbar hat Fanni Bandel keinen Kontakt zur jüdischen Gemeinde und hofft, irgendwie den antijüdischen Repressalien der Behörden zu entkommen. So unterlässt sie Anfang 1939, sich nach nunmehr geltendem Recht beim Sozialamt ab- und bei der jüdischen Wohlfahrtspflege anzumelden. Auch bei der Volkszählung im Mai wird sie nicht als Jüdin erfasst. Eine Kennkarte mit dem eingedruckten roten „J“ und den Zwangsnamen „Sara“ führt sie ebenfalls nicht. Inzwischen ist sie in die Durlacher Straße 59, 2. Stock umgezogen, drei Parteien auf demselben Stockwerk. Im Erdgeschoss ist die Pferdemetzgerei Schmidt, nahe der Ecke Waldhornstraße. (Das Haus ist seit der Altstadtsanierung in den 1970er Jahren verschwunden).
Im Mai 1940 wird Fanni entdeckt – ob durch Denunziation, oder durch NS-amtliche Nachforschungen, wissen wir nicht – und im Juli vom Einzelrichter beim Karlsruher Amtsgericht mit zweimal 30 RM Geldstrafe und einem Monat Gefängnis bestraft. Die Geldstrafen entsprechen in etwa einem halben durchschnittlichen Monatslohn eines Arbeiters. Die Sache ist ein paar Tage später in der Zeitung „Badische Presse“ und im NS-Parteiblatt „Der Führer“ mit vollem Namen nachzulesen.
Viele jüdische Karlsruher haben bereits das Land verlassen, einige sind schon gewaltsam nach Polen abgeschoben worden. Am 22. Oktober 1940 in der Frühe werden Fanni und über 900 weitere Karlsruherinnen und Karlsruher, die von zwei jüdischen Elternteilen abstammen (im NS-Jargon „Volljuden“) aus der Wohnung geholt. 50 kg Gepäck und 100 RM sind erlaubt, zum Packen ist höchstens zwei Stunden Zeit, niemand weiß wohin es geht. Im Laufe des Tages werden alle zum Bahnhof abtransportiert. Nach mehr als dreitägiger Fahrt in neun Zügen aus alten Personenwagen mit Holzbänken landen etwa 6.500 Menschen aus Baden und der Saarpfalz, vom Baby bis zum Greis, in Oloron-Sainte-Marie am Rande der Pyrenäen, von wo sie per Lastwagen in das Internierungslager Gurs verfrachtet werden. Dort erwarten sie regnerische, kalte Herbstnächte in fensterlosen, unmöblierten Baracken, Not und Mangel an allem Notwendigen. In Karlsruhe bleiben nur wenige zurück: mit Nicht-Juden Verheiratete, Bettlägerige, Pflegepersonal und ein paar Amtsträger. Die Synagogen sind abgebrochen, das jüdische Leben zerstört.
Fanni Bandel übersteht 22 Monate lang Elend und Strapazen in Gurs. Die Ausrottungspolitik gegen die Juden wird aber im vierten Kriegsjahr immer offensichtlicher. Im Spätsommer 1942 beginnen die zwischen dem Reichssicherheitshauptamt und Vichy-Frankreich vereinbarten Massendeportationen „nach dem Osten“. Am 23. August 1942 von Oloron-Sainte-Marie nach Portet-Saint-Simon gebracht, trifft Fanni Bandel mit einer großen Gruppe Gefangener am 25. August im Durchgangslager Drancy bei Paris ein, wo sie am 28. August in der Spätsommerhitze einen Güterwaggon besteigen muss. Transport No 25 umfasst 1.000 Personen, etwa 50 Personen pro Wagen, mit Kübeln für Trinkwasser und Abort. Der überlebende Karlsruher Max Oling-Manaster hat über diese Deportation berichtet: * https:youtu.be/nHx_x-Vqxr4 *
Nachdem im schlesischen Cosel eine Gruppe Männer zur Zwangsarbeit den Zug verlassen können, werden bei der Ankunft in Auschwitz am 31. August 71 jüngere Frauen zu ähnlichem Zweck ausgesucht, an den Armen mit Nummern tätowiert und ins Lager aufgenommen. Alle anderen Menschen aus diesem Transport, sofern sie noch am Leben sind, werden innerhalb von Stunden vergast und verbrannt, darunter zahlreiche von ihren Eltern getrennte Kinder aus der Vel d'Hiv-Razzia, Fremdarbeiter der GTE, und Fanni Bandel.
Über das Schicksal ihrer Angehörigen finden sich bruchstückhafte Angaben: Fannis 1885 in Magócs geborener Bruder Alexander (Sandor) Blau, Fensterputzer in Budapest VII, Kiraly ut 89, verheiratet mit Maria Blau, Vater zweier Kinder, der auch 1914-18 in der K.u.K. Infanterie gedient hat, kommt, wenige Wochen nach seiner Verhaftung, am 28. November 1944 im KZ Buchenwald ums Leben.
Fannis 1898 geborene Nichte Julia, verheiratete Blum, eine Tochter ihrer Schwester Berta, verheiratete Bak, wird im Mai 1944 aus Mágocs mit einem der Ungarntransporte nach Auschwitz-Birkenau verschleppt, wo sie mitsamt ihrer Tochter ermordet wird.
(Christoph Kalisch, August 2023)
Quellen:
Arolsen Archives, 1.1.5.3 Individuelle Unterlagen Männer Buchenwald, 01010503 001.041.014: Blau, Alexander;
Ungarische Adressbücher unter https:*library.hungaricana.hu ;
Stadtarchiv Karlsruhe 1/AEST 1237; 6/BZA 1197; Heiratsregister-Beilagen 1929;
„Der Führer“, 12.7.1940; „Badische Presse“, 12.7.1940;