Kahn, Ferdinand
Nachname: | Kahn |
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Vorname: | Ferdinand |
Geburtsdatum: | 5. November 1875 |
Geburtsort: | Bruchsal (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Eltern: | Marx und Jette, geb. Odenheimer, K. |
Familie: | Ehemann von Lina K.;
Vater von Heinz, Herbert, Werner und Alice Hess, geb. K.; Bruder von Heinrich und Hugo K.; |
1909-1939: Waldstr. 22,
1940: Schubertstr. 2
später nach Récébédou (Frankreich)
Biographie
Ferdinand Kahn
Ferdinand Kahn wurde am 5. November 1875 in Bruchsal geboren. Sein Vater, Marx Kahn, oft auch nur Max genannt, stammte aus Wollenberg, einem Dorf im nordöstlichen Kraichgau, heute Stadtteil von Bad Rappenau. Zu Zeiten des Vaters gab es in Wollenberg noch eine lebendige jüdische Gemeinde und die jüdischen Einwohner machten mehr als ein Drittel der Einwohner aus. Auch seine Mutter, Jette, geborene Odenheimer, stammte aus dem ländlichen Judentum. Geboren war sie in Heidelsheim bei Bruchsal. Ferdinand Kahn hatte noch zwei Brüder: Heinrich (geboren am 6. Dezember 1870 starb er bereits am 6. Mai 1910) und Hugo Kahn (geboren am 14. September 1881, auch er verstarb mitten im Leben am 29. Januar 1930). Diese beiden Brüder hatten später ebenfalls in Karlsruhe gewohnt und gemeinsam erfolgreich ein Geschäft betrieben namens Gebrüder Kahn Darm- und Gewürzhandlung für Metzgereien, unmittelbar beim Schlachthof gelegen.
Die elterliche Familie von Ferdinand Kahn lebte zuerst noch im Herkunftsort Wollenberg. Dort war auch der genannte erste Sohn bzw. Bruder Heinrich geboren. Aber um 1874/75 zog die Familie vom Dorf in die bedeutendere Bezirksamtstadt Bruchsal, wo Marx Kahn eine Möbelhandlung eröffnete. Die Bildung des Deutschen Reiches, Industrialisierung und ein allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung hatten zu einer Steigerung des Wohlstandes geführt und damit auch zu einer Nachfrage nach Möbeln geführt. Ferdinand Kahn kam bereits in Bruchsal auf die Welt, besuchte die Realschule, danach die Handelsschule in Bruchsal. Der Vater Marx Kahn unternahm um die Jahrhundertwende nochmals eine bedeutende Lebensveränderung und verlegte sein Geschäft nach Karlsruhe. Seit 1901 ist er im Adressbuch nachweisbar. Das war eine Entscheidung mit unternehmerischem Weitblick, da in Karlsruhe, das gerade zur Großstadt geworden war und neben dem Hof- und Beamtenapparat nun auch eine bedeutende industrielle Grundlage aufwies, eine bedeutend höhere Nachfrage nach gehobenen Wirtschaftsgütern bestand, als in dem eher stagnierenden Städtchen Bruchsal. Die Familie und der bereits erwachsene Ferdinand wohnten anfangs in der Waldstraße 14, das Geschäft befand sich in der gleichen Straße unter der Hausnummer 22. Dieses Haus wurde schließlich auch 1905 erworben und die Familie zog in die oberen Stockwerke. Im Erdgeschoss befand sich das Möbelgeschäft „Marx Kahn Möbellager“. Es war ein schmales Haus von 8,2 m und einer Tiefe von 11 m plus Anbau, wie es in der Gründungszeit Karlsruhes üblich war, und das trotz höherer Bebauung um 1800 doch eher klein wirkte. Allerdings hatte das Grundstück, das sich weit bis zu den Anwesen der Akademiestraße zog, eine beträchtliche Tiefe. Insgesamt umfasste die Hoffläche fast 720 qm. Darauf errichtete er 1906 ein Magazin als Möbellager, so dass das Geschäft eine nicht unbedeutende Fläche zur Verfügung hatte. Dabei hatten die Möbelhandlungen jener Zeit wenig gemeinsam mit heutigen Einrichtungshäusern. Es wurde weniger Vielfalt ausgestellt, wie heute üblich, sondern vielmehr Muster, nach denen dann einzeln angefertigt oder nach den Kundenerfordernissen abgeändert wurde. Der Transport erfolgte nicht per Lkw sondern mit dem Pferdefuhrwerk. Dazu hatten die Kahns ein eigenes Pferd mit Stall im Hinterhof der Waldstraße 22.
1904 stieg Ferdinand Kahn, der aber bereits nach seiner Schulzeit im Geschäft mitgearbeitet hatte, als Teilhaber in das väterliche Geschäft ein. Zur gleichen Zeit verheiratete er sich mit Lina Baum, am 12. Januar 1880 in Alzey geboren, aber bereits lange mit den Eltern in Frankfurt a.M. wohnhaft. Ab diesem Zeitpunkt finden wir Ferdinand Kahn auch im Karlsruher Adressbuch aufgeführt. Ferdinand hatte zuerst in der früheren elterlichen Wohnung in der Waldstraße 14 gewohnt. 1907 kam der erste Sohn Herbert auf die Welt, 1909 folgte Tochter Alice. Die Familie zog im gleichen Jahr in eine Wohnung neben der der Eltern bzw. Schwiegereltern im Haus Waldstraße 22. 1911 wurde nochmals ein Sohn geboren, Werner, und als Nachzügler 1920 noch Heinz.
Das Möbelgeschäft lief scheinbar gut. 1910 wurde der Laden umgebaut. Durch Herausbrechen von Mauerwerk entstand ein größerer Laden und die Schaufenster wurden vergrößert und schöner gestaltet. Auch später wurde immer wieder in Umbauten investiert.
1919 verstarb Ferdinands Mutter Jette im Alter von 77, zwei Jahre danach Vater Marx Kahn.
Die Söhne Herbert und Werner Kahn gingen auf das Humboldt-Realgymnasium in Karlsruhe, Herbert von 1917 bis 1920, Werner von 1921 bis 1927. Herbert wechselte allerdings 1920 auf die direkt benachbarte Kant-Oberrealschule und besuchte diese bis 1923. Heinz besuchte von 1931 bis 1936 ebenfalls die Kant-Oberrealschule in Karlsruhe. Die älteste Tochter absolvierte die achtjährige Volksschule.
Nach dem Ende der in Deutschland herrschenden Inflationszeit vergrößerte Ferdinand Kahn 1924 den Ladenraum, 1925 baute er das Magazin doppelstöckig aus. Zu diesem Zeitpunkt war der älteste Sohn Herbert im Alter von 18 Jahren bereits mit im Geschäft tätig, der zweitgeborene Sohn Werner ab 1929. Die Auslieferung der Möbelstücke ging immer noch wie zu Beginn vonstatten, per Pferdefuhrwerk. Die Stallung für das einzige Pferd im Hinterhof der Waldstraße aber stieß nun auf Probleme. 1928 stellte ein Nachbar Anzeige, nicht aus rassistischen Gründen, es ging um die Geruchsbelästigung. Es stellte sich heraus, dass für den errichteten Stall keine baupolizeiliche Genehmigung vorlag. Die städtische Baubehörde schritt nun ein, verlangte einen Stallumbau und eine Abwasserleitung dazu. Ferdinand Kahn bat 1929 um Aufschub, gab an, im folgenden Jahr einen Lastkraftwagen anschaffen zu wollen. Das Verfahren zog sich in die Länge. Schließlich wurde es 1933, ohne dass die Baupolizei den Umbau durchgesetzt hatte. Doch im Herbst des gleichen Jahres wurde das Pferd aufgegeben. Dabei ist eine Verschärfung der baupolizeilichen Aktivität in der bereits angebrochenen NS-Zeit aus der entsprechenden Bauakte nicht zu erkennen. Die notwendige Modernisierung mit einem Lkw war zwischenzeitlich erfolgt. Vielleicht hing Ferdinand Kahns geschäftliche Zurückhaltung in dieser Angelegenheit mit der Weltwirtschaftskrise zusammen und mit eigenen wirtschaftlichen Problemen.
Die wirtschaftliche Situation im Möbelhandel veränderte sich innerhalb drei Jahrzehnte stark. Unmittelbar nach 1900 gab es zahlreiche kleine Möbelgeschäfte, in Karlsruhe etwa 50 solcher Geschäfte. Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Zahl trotz der bestehenden wirtschaftlichen Probleme noch weiter, 1930 waren 83 zu zählen, die Wirtschaftskrise ließ die Zahl dann 1932/33 auf 78 sinken und dies war bereits ein Zeichen für einen Konzentrationsprozess, der früher als in anderen Branchen stattfand, weil auch nach 1933 und dem Ende der Wirtschaftskrise die Zahl nicht mehr anstieg. Die Möbelhandlung Kahn war während dieses Prozesses zu einer der größten geworden. 1930/31 bot sich die Möglichkeit, die Möbelhandlung Baum & Co in der Erbprinzenstraße 30 zu übernehmen, mit 600 bis 700 qm Fläche ähnlich groß wie Kahn. Ferdinand Kahn griff zu und betrieb das Geschäft weiter, bis er seine beiden Söhne Herbert und Walter in dieses Geschäft aufnahm und unter Fortuna GmbH mit einem Stammkapital von 200.000 RM weiterführte. Die Eintragung in das Handelsregister erfolgte im August 1932. Die Söhne fungierten als Geschäftsführer der Fortuna GmbH. Daneben existierte handelsrechtlich unabhängig aber noch die Möbelhandlung Marx Kahn weiter, die Ferdinand als alleiniger Eigentümer führte. Die Familie Kahn war aber nun sozusagen der Platzhirsch in Karlsruhe. Die Fortuna GmbH hatte zahlreiche Beschäftigte. Im Büro waren die drei Inhaber Ferdinand und seine zwei älteren Söhne Herbert und Werner und drei Angestellte tätig. Zehn Schreiner, drei Polsterer, vier Verkäufer, Büroangestellte, Fahrer usw. waren beschäftigt. 100 Vertreter sollen für die Firma tätig gewesen sein (jedoch nicht nur für die Firma Kahn allein). Die Beschäftigten bildeten sogar eine Fußballmannschaft. Ferdinand Kahn verfügte über einen PKW, einen 8-Zylinder-Horch, besaß eine beachtliche Sammlung von Antiquitäten, z.B. auch einen Barockschrank aus dem Bruchsaler Schloss (noch von seinem Vater erworben), wertvolle Vasen, Kunstgegenstände und -gemälde. Betrachtet man Ferdinand Kahns Porträt für einen Pass 1935, fällt der Melonen-Hut ins Auge, ein Zeichen bürgerlichen Wohlstandes, der deutlich nach außen gezeigt wird. Vielleicht etwas altmodisch bereits, aber sicherlich mit deutlichem Selbstbewusstsein.
Wie hielt es Ferdinand Kahn und seine Familie mit der Religion? Vermutlich war er nicht gläubig und engagierte sich auch nicht im jüdischen Gemeindeleben. Nachweisbar ist, dass Ferdinand sogar den offiziellen Austritt aus der Israelitischen Religionsgemeinschaft, d.h. der so genannten liberalen Gemeinde in Karlsruhe vollzog. Dies geschah vor dem Amt im Mai 1932, immerhin doch bereits im fortgeschrittenen Lebensalter. Im gleichen Jahr trat Sohn Herbert aus und Sohn Werner war bereits 1928, also als Jugendlicher ausgetreten. Allein Lina Kahn und der minderjährige Sohn scheinen noch Mitglieder der Gemeinde gewesen zu sein.
Als sich Tochter Alice 1932 mit Paul Hess, einem kleinen Vertreter, liierte und dann auch heiratete, erhielt sie ihr gesamtes Erbe als Mitgift. Der eigentlich branchenfremde Schwiegersohn Hess baute damit sein eigenes Möbelgeschäft Hess in Karlsruhe am Friedrichsplatz auf. Eventuell, aber das ist eine Vermutung, gab es enge familiäre Zusammenarbeit. Später als der Nationalsozialismus die jüdischen Geschäfte 1938 „arisiert“ hatte, das heißt, dass sie in nichtjüdische Hände übergehen mussten oder aufgelöst wurden, und auch Ferdinand Kahn vom Ersparten leben musste, konnte er die Tochter und den Schwiegersohn noch finanziell unterstützen.
Der wirtschaftliche Druck hatte auch seine Schattenseiten. Der Geschäftsumsatz soll bei 700.000 RM im Jahr gelegen haben. Auffallend ist, dass die Söhne Herbert und Werner öfters wegen Wirtschaftsvergehen Geldbußen erhielten. So Werner Kahn 1930, weil er trotz Sonntagsarbeitsverbot Angestellte arbeiten ließ. Bis 1933 folgten drei weitere kleine Geldstrafen wegen Verstoßes gegen die Gewerbeordnung von jeweils etwa 100 RM. Auch zwei Strafen wegen fahrlässiger Körperverletzung infolge Kraftfahrunfällen hatte er zu tragen. Da die Strafen mit jeweils 25 RM 1930 und 1932 gering waren, handelte es sich vermutlich um leichtere Unfälle. Und ebenso wurde Bruder Herbert verschiedentlich zu geringen Geldbußen verurteilt: ebenfalls wegen Verstößen gegen das Sonntagsarbeitsverbot und gegen die Gewerbeordnung, aber auch empfindlicher mit 400 RM Strafe 1930 beispielsweise wegen „unlauterem Wettbewerb“. Ferdinand Kahn selbst hatte 1930/31 eine Strafe wegen Steuerhinterziehung erhalten.
Alles in allem waren das geringere Strafen wegen Vergehen, die wahrscheinlich unter dem Druck des Marktwettbewerbs begangen wurden, aber auch durchaus etwas zum Verhalten der Geschäftsleute aussagen. Fast ergibt sich der Eindruck, dass die drei Firmeninhaber Kahn durchaus ihre geschäftlichen Interessen durchzusetzen wussten. Sehr überraschend wirkt dann aber, dass Herbert Kahn sich offensichtlich auf Seiten der Linken politisch orientierte und Sympathien zur Kommunistischen Partei hegte (KPD). Die Gestapo sprach sogar von KPD-Mitgliedschaft. Das ist nicht sicher, aber offensichtlich ist, dass Herbert Kahn eng befreundet mit dem in der Waldstraße gegenüber wohnenden Kommunisten Wilhelm Läuger war, der eine kommunistische Parteigruppe in der Innenstadt leitete. Beide zusammen engagierten sich „antifaschistisch“, das heißt in der KPD-geführten „Antifaschistischen Aktion“.
1933 änderten sich mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten nicht nur die politischen Grundlagen, sondern für die Familie Kahn wurde es in jeder Beziehung ein „schwarzes Jahr“. Ferdinand Kahn und seine Söhne Herbert und Werner kamen in „Schutzhaft“. Dies war 1933 ein Mittel der NSDAP um ihre politischen Gegner auszuschalten, gegen Juden aus „rassischen Gründen“ wurde diese noch nicht flächenmäßig angewandt. Hier scheinen sich aber politische Verfolgung, Antisemitismus und Wirtschaftsdelikt in einem einzigen Knäuel verwoben zu haben. Akten zu dem Prozess, der 1933 gegen Herbert und Werner Kahn stattfand, liegen nicht mehr vor. Hintergrund ist, dass die Fortuna GmbH bankrott war, das Möbelhaus Kahn als unabhängiges Unternehmen aber nicht. Den drei Geschäftsinhabern der Möbelhandlung Fortuna GmbH, Ferdinand sowie Herbert und Werner Kahn wurde in diesem Zusammenhang Betrug vorgeworfen. Werner Kahn wurde am 19. April 1933 in Schutzhaft genommen, bis zum 19. April 1933. Der Prozess vor dem Amtsgericht Karlsruhe fand im Mai 1933 statt und endete mit einer Geldstrafe wegen Gewerbeordnungsverstoß von 120 RM, also eine Bagatelle. Es gibt nun widersprüchliche Angaben, aber auch Ferdinand Kahn soll in diesem Zusammenhang eine Geldstrafe erhalten haben. Zugleich aber folgte im Juni vor dem Landgericht Karlsruhe ein Prozess wegen „fortgesetzten Betruges“ im Bankrottfall der Fortuna GmbH gegen Herbert und Werner Kahn. Hier kam es zur Verurteilung zu drei Monaten Gefängnis. Beide befanden sich zuvor nicht mehr in so genannter Schutzhaft. Sie ergriffen vor der drohenden Verhaftung nun unmittelbar die Flucht und begaben sich bei Lauterburg über die „grüne Grenze“ nach Frankreich. Hier waren sie für die Gestapo trotz Auslieferungsantrag nicht mehr erreichbar.
Die beiden geflohenen Söhne gingen nach Paris, versuchten sich dort durchzuschlagen.
Die Familie Kahn, bei der nach der Heirat von Tochter Alice inzwischen nur noch der minderjährige Heinz lebte, traf ein Schicksalsschlag. Lina Kahn erkrankte schwer. Schon länger hatte sie an der Zuckerkrankheit gelitten. Doch 1934 folgte ein schwerer Schlaganfall mit Halbseitenlähmung links, der dann auch Depressionen auslöste. Unter diesen Umständen kehrte Werner Kahn aus Frankreich nach Karlsruhe zurück, obwohl er wusste was ihn erwartete. Herbert blieb in Frankreich, vielleicht weil er neben der Verurteilung von 1933 auch Befürchtungen haben musste, wegen seiner früheren politischen Betätigung Verfolgungsmaßnahmen zu erleiden. Werner Kahn wurde unmittelbar bei seiner Rückkehr noch am Hauptbahnhof Karlsruhe verhaftet und am 27. Oktober 1934 in das Gefängnis in der Reifstahlstraße verbracht und von dort am 8. November in das KZ Kislau. Tatsächlich wurde er schon zwei Tage später wieder entlassen. War dies ein Gnadenerlass? Wir wissen es nicht. Aber Werner Kahn war in dieser Zeit geschlagen worden. Entlassen aus der KZ-Haft, musste er sich jeden Tag Punkt 8 Uhr bei der Gestapostelle melden, mit dem Glockenschlag, wie er später sagte, sonst sei die Meldung nicht angenommen worden. Werner Kahn, der kein Geschäft mehr führen durfte, sorgte für die notwendige Pflege der Mutter. Lina Kahn verstarb nach dem zweiten Schlaganfall 1937.
Unmittelbar zuvor hatte Ferdinand Kahn noch einen Passantrag für sie beide gestellt, um mit seiner Frau zur Behandlung und zur Kur nach Italien zu reisen. Dieser Antrag wurde von der Gestapo zurückgewiesen, wie bereits frühere Passanträge 1935 und 1936. 1935 anlässlich eines Passantrages für sich nach Frankreich hatte die Gestapo intern auf dem Schriftstück vermerkt: „Bei der bekannten Charakterveranlagung des Möbelhändlers Kahn unterliegt es keinem Zweifel, dass er seine Reise nach Italien benützen will, um seine in Paris wohnenden Söhne zu suchen [Sohn Werner lebte bereits wieder in Karlsruhe!] bzw. mit ihm [sic] zusammenzutreffen und Verschiebungsmöglichkeiten zu besprechen.“ Dass Ferdinand Kahn entweder immer noch an rechtsstaatliche Möglichkeiten glaubte oder aber eine Portion Selbstbewusstsein hatte, davon zeugt, dass er per Rechtsanwalt gegen die Ablehnung des Reisepasses - natürlich erfolglos - vorgegangen war. 1936 hatte die Gestapo anlässlich eines Antrages zur Gesundheitsbehandlung in Italien unter Hinweis auf das Gesundheitsamt vermerkt, dass die Behandlung genauso gut in Deutschland stattfinden könnte. Zu diesem Zeitpunkt waren Juden bereits Staatsbürger minderen Rechtes.
Tochter Alice Hess wohnte mit ihrem Ehemann 1936 noch in Karlsruhe, Werner Kahn beantragte nacheinander Reisepässe für verschiedene Länder und wurde dabei von der Gestapo nicht behindert. Nationalsozialistisches Ziel war es nun, Juden aus Deutschland herauszubekommen. Werner Kahn, der inzwischen als Vertreter für verschiedene Firmen arbeitete, wollte sich im Ausland, egal wo, eine Existenz aufbauen. Er erhielt 1937 ein Visum nach Schweden, der notwendige Reisepass wurde ihm in Karlsruhe nicht persönlich ausgehändigt, aber an der Grenzübertrittstelle in Saßnitz hinterlegt. Er suchte nach Arbeitsmöglichkeiten in Schweden, war jedoch erfolglos. Auch nach Prag in die Tschecheslowakei ging er 1937 und war auch hier erfolglos, ebenso wie in Italien im gleichen Jahr. Werner Kahn war letztlich vom Vater Ferdinand abhängig. Irgendwann 1938 muss er den Entschluss in Absprache mit dem Vater gefasst haben, Deutschland in jedem Fall zu verlassen. Dies muss nach der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 gewesen sein. Werner Kahn wurde wie andere männliche Juden am 10. November frühmorgens verhaftet und zur Terrorisierung in das KZ Dachau verbracht. Dort wurde er am 7. Dezember 1938 wieder entlassen. Am 14. Dezember schon hatte er ein Visum für Panama. Zahlreiche Juden hatten nach den Ereignissen versucht, über irgendein südamerikanisches Land aus Deutschland herauszukommen, dies war bei Bezahlung entsprechender Summen leichter möglich, als in die USA zu gelangen.
Offensichtlich hatte Ferdinand Kahn dabei mitgewirkt, denn für jüngsten Sohn und kleinen Bruder von Werner, Heinz, der inzwischen 17 Jahre alt war, hatte er den gleichen Antrag gestellt. Schon am 14. Dezember 1938 klappte es, beide erhielten ein Visum für Panama und so begaben sich Werner und Heinz Kahn in den folgenden Wochen auf die Reise nach Südamerika.
In Karlsruhe war so nur noch Ferdinand Kahn zurückgeblieben. Er veräußerte 1938 sein Haus in der Waldstraße. Für die Ausreise der beiden Söhne war aber ein hoher Betrag so genannter „Reichsfluchtsteuer“ erhoben worden. Das heißt, der NS-Staat holte sich von allen jüdischen Emigranten so große Summen Geld, dass diese mittellos das Land verlassen mussten, obwohl er nichts anderes im Sinn hatte, als sie loszuwerden.
Verkauft hatte Ferdinand Kahn das Anwesen der Familie in der Waldstraße 22 an die Brauerei Schrempp, die unmittelbarer Nachbar war. Er musste alsbald in ein so genanntes Judenhaus ziehen, in die Schubertstraße 2, immer noch eine bürgerliche Wohnadresse. Eine geplante Ausreise aus Deutschland kam nicht mehr zustande.
Das Ende jedes geregelten Lebens für Ferdinand Kahn folgte am 22. Oktober 1940. Zusammen mit über 900 anderen Juden aus Karlsruhe wurde er aus Deutschland nach Frankreich abgeschoben, dort in das Internierungslager Gurs am Nordrand der Pyrenäen verbracht. Die Lebensumstände in diesem Lager waren von Hunger, Kälte, Schlamm und Erkrankungen gezeichnet, die in den Wintermonaten 1940/41 über 600 der internierten deutschen Juden aus Südwestdeutschland das Leben kostete. Im Frühjahr/März 1941 verlegte die französische Vichy-Regierung Ältere, Kranke und Familien in andere Internierungslager, wo die Umstände besser organisiert werden sollten. Doch notwendige Mittel für die „ausländischen Juden“ wurden nicht bereitgestellt. Zwar kam auch Ferdinand Kahn in ein so genanntes „Sanatoriums-Lager“, tatsächlich aber verbesserte sich gegenüber Gurs nichts. Ferdinand Kahn erlebt nach seiner Deportation aus Deutschland noch nicht einmal mehr den nächsten Sommer. Am 3. Mai 1941 verstarb er in dem in der Nähe von Toulouse gelegen Lager Récébédou.
Nachträge:
Wie erging es den Kindern von Ferdinand Kahn?
Herbert Kahn lebte zu Beginn des Zweiten Weltkrieges noch in Paris. Am 3. September 1939 wurde er als „feindlicher Ausländer“ interniert. Die französische Regierung machte zunächst keinen Unterschied bei Deutschen, ob Nazis oder vor den Nazis Geflohenen. Er wurde im Lager St. Nicolaus interniert. Nach der Niederlage Frankreichs im Juni 1940 gelang es ihm im unbesetzten Frankreich unterzutauchen. Im Juli 1940 lebte er in Marseille, schlug sich als Hausierer mit geringwertigen Waren wie Bleistiften und Büromaterial durch, später begab er sich nach Lyon, musste, da ohne Papiere, ständig in Furcht vor Razzien leben. Tatsächlich wurde er im August 1942 aufgegriffen und inhaftiert, für vier Wochen. Noch war es das „freie Frankreich“, so konnte er abermals untertauchen, lebte schließlich mit anderen Illegalen versteckt in einem Bauernhaus in Südfrankreich zusammen. Darunter waren auch seine Schwester Alice und ihr Mann Paul Hess. Diese beiden hatten einen anderen Weg hinter sich. Im Oktober 1940 wurden sie ebenfalls nach Gurs deportiert. Von dort kamen sie in so genannte Transitlager, denn sie versuchten die Ausreise nach Übersee, was theoretisch möglich war, praktisch aber meist erfolglos blieb. Dies nutzten beide, um sich abzusetzen. So kam ein Teil der Familie wieder zusammen, unter den schlimmsten Umständen und unter ständiger Furcht vor Verhaftung, denn seit dem November 1942 war auch das so genannte Frankreich von Deutschland besetzt worden. Herbert wurde tatsächlich abermals aufgegriffen, aber von französischer Polizei in ein französisches Gefängnis gebracht. Beide hatten Glück, Herbert überlebte in französischer Haft, Alice im Versteck. Beide erlebten die Befreiung im Sommer 1944. Herbert Kahn und seine Schwester Alice, die sich von ihrem Mann trennte und scheiden ließ, blieben auch nach 1945 in Frankreich, ließen sich in Marseille nieder und wohnten lange Zeit beieinander. Ihren ehemaligen Lebensstandard von vor 1933 erreichten sie nicht mehr. Herbert Kahn starb ledig in Marseille am 28. März 1992. Alices Todesdatum ließ sich nicht ermitteln.
Werner und Heinz Kahn blieben nicht in Panama, begaben sich nach Brasilien, nach Rio de Janeiro. Werner Kann versuchte sich in vielen Branchen, ehe er einen erfolgreichen Teppichhandel aufziehen konnte. Aber bereits am 21. November 1964 verstarb er mit 53 Jahren nach einem Herzinfarkt.
Der kleine Bruder und jüngste Sohn von Ferdinand Kahn war sogar schon drei Jahre zuvor an einer Herzerkrankung am 13. März 1961 verstorben. Er hatte es zu einer Diamantenschleiferei gebracht, schon 1946 geheiratet und 1947 eine Tochter hervorgebracht. Er liegt auf dem jüdischen Friedhof in Caju.
Das Grundstück Waldstraße 22 war 1938 unrechtmäßig „arisiert“ worden, ging schließlich an die Erben von Ferdinand Kahn zurück. 1958 übernahm die Stadt Karlsruhe einen schmalen Streifen des Grundstückes im Hinterhofbereich zur Akademiestraße ebenso wie von den angrenzenden Grundstücken, denn städtebaulich war sie daran interessiert, den durch Abriss der Innenhöfe neu entstandenen Passagehof mit einer Straße in die Akademiestraße zu verbinden, so wie sie heute noch zwischen dem Kurbel-Kino und der Polizeiwache Akademiestraße besteht. 1964 schließlich wurde das durch Kriegsschäden in Mitleidenschaft gezogene Haus für baufällig erklärt, von der Stadt käuflich erworben, abgerissen und das Grundstück veräußert. Danach wurde es mit einem Neubau bebaut, der keine Verbindung zu dem an dieser Stelle stattgefundenen Schicksal der Familien Kahn mehr hat.
(Derya Özbagci, 13. Klasse Gymnasium Neureut, Oktober 2010)