Barth, Sofie

Nachname: Barth
Vorname: Sofie
abweichender Vorname: Sophie
geborene: Tannhauser
Geburtsdatum: 31. Dezember 1864
Geburtsort: Dettensee/Horb a.Neckar (Deutschland)
Familienstand: verwitwet
Familie: Witwe von Moses B. (1863-1927);
Mutter von Hilda Löb (1889-1971), Hermann (1890-1918) und Lui (1890-1890)
Adresse:
1935-1938: Zähringerstr. 78,
1938-1940: Kronenstr. 62
Beruf:
Privatier
Deportation:
22.10.1940 nach Gurs (Frankreich)
Sterbeort:
Gurs (Frankreich)
Sterbedatum:
2. Dezember 1940

Biographie

Sophie Barth

Am 29. Januar 2002 erfuhr ich durch einen Artikel in den Badischen Neuesten Nachrichten von dem am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar) 2002 vorgestellten „Gedenkbuch für die Karlsruher Juden“, das den Lebensweg für jeden durch das nationalsozialistische Regime umgekommenen jüdischen Karlsruher von heutigen Bürgern der Stadt nachzuzeichnen sucht. Ich begrüßte den Gedanken, durch diese Spurensuche den Ermordeten ihre menschliche Würde zurückzugeben und entschloss mich spontan, die Patenschaft für Sophie Barth zu übernehmen.

Von Sophie Barth war nahezu nichts bekannt. Man wusste nur, dass Sophie Barth, geborene Tannhauser, am 31. Dezember 1864 auf die Welt gekommen und die Witwe eines Moses Barth war. Der von den Behörden als Geburtsort notierte Ort „Dittensee“ wurde ebenfalls als zutreffend angenommen. Die Deportation am 22. Oktober 1940 nach Gurs in Frankreich war ebenso gesicherte Erkenntnis wie ihr Tod im dortigen Lager am 2. Dezember 1940.

Vor ihrer Deportation wurde sie in den Adressbüchern von Karlsruhe als Sophie Barth, Witwe des Moses Barth erstmals 1935 in der Zähringerstraße 78, und nach 1938 in der Kronenstraße 62 erwähnt. Danach wurde sie nicht mehr genannt, da es sich bei letztgenannter Adresse um das jüdische Altersheim handelte und die Heimbewohner nicht aufgeführt wurden. Demnach ist anzunehmen, Meldeunterlagen existieren kriegsbedingt nicht mehr, dass Sophie Barth Ende des Jahres 1934 nach Karlsruhe zuzog. Sie wird im Adressbuch als Privatiers-Witwe geführt, das heißt, sie ging keinem Gewerbe mehr nach, schließlich war sie 1935 bereits 69 Jahre alt. Ob allerdings das Vermögen aus der vorangegangenen Ehe allein ausreichte, um das Leben in der Stadt zu bestreiten, ist ungewiss. Ebenso die Gründe, die sie zu ihrem Zuzug nach Karlsruhe bewegten. Ob sie mit den beiden anderen Karlsruher jüdischen Familien Barth in verwandtschaftlichem Bezug stand, ließ sich nicht feststellen.
Die Spurensuche ausgehend vom Geburtsort, gestaltete sich schwierig. Ein Ort “Dittensee“ war nirgends ausfindig zu machen, nicht in alten Ortsbüchern, nicht mit Hilfe des modernen Informationssystems Internet. Die Vermutung, dass es sich um einen kleinen Flecken handeln könnte, vielleicht im heutigen Polen gelegen, der in keiner Konkordanz auftauchte, führten zunächst in die Sackgasse.
Dann kam der Zufall zu Hilfe. Immerhin ist der Name Barth auch in jüdischen Familien in der ganzen Region im Landkreis Karlsruhe verbreitet gewesen. Ich hatte schon einmal im Mai 1997 den jüdischen Friedhof in Flehingen aufgesucht mit dem Wissen, dass Vorfahren meiner Familie in Flehingen wohnhaft waren und den Grabstein von Moses Barth fotografiert. Die Vermutung und Hoffnung, dass er vielleicht der Ehemann von Sophie Barth gewesen sein könnte, bestätigten sich tatsächlich. Dies ließ sich durch Recherchen bei der Ortsverwaltung Flehingen, Stadtteil von Oberderdingen absichern. Inzwischen hat der Regionalforscher Wolfgang Schönfeld, der auch zum jüdischen Leben in Flehingen forscht, hat einen Stammbaum der Familie erstellt. Moses Barth, am 26. Mai 1863 in Flehingen geboren, war demnach der jüngste von insgesamt zehn Kindern von Simon und Hannchen Barth, zwei der Geschwister starben bereits bei der Geburt beziehungsweise kurz danach.
Über ein Jahr später kam die Erkenntnis, dass Sophie Barth nicht in einem „Dittensee“ geboren war, sondern wohl in Dettensee, einer kleinen Gemeinde bei Horb am Neckar, heute Stadtteil desselben. Der daraufhin vorgenommene Versuch jetzt in Dettensee über die Eheschließung von Sophie und Moses Barth mehr zu erfahren, schlug jedoch auch fehl, da das Archiv der Gemeinde Dettensee 1945 und auch 1970 niedergebrannt war und mögliche Unterlagen den Flammen zum Opfer fielen. Dank des Heimatforschers von Dettensee, Herrn Herbert Zander, konnte der Nachweis erbracht werden, dass Sophie Barth tatsächlich hier aufgewachsen war. Er hatte durch Nachforschungen auch feststellen können, dass die Hochzeit von Sophie und Moses am 16. August 1888 stattgefunden hatte. Es war zwar nach wie vor nichts über das Leben von Sophie Barth zu erfahren, aber Herr Zander konnte anhand seiner Forschungen zur Ortsgeschichte den Stammbaum von Sophie Barths Eltern, der Familie Tannhauser aufstellen. Sie war das fünfte Kind von Samuel Tannhauser und Karoline, geborene Augsburger. Der älteste Bruder Heinrich, war gleich nach der Geburt 1857 verstorben, auch die Brüder Max (1858-1860) und Nathan (1859-1860) starben früh, vielleicht ein Hinweis auf eine besonders schlechte Lage der Familie. Es folgten noch die Schwestern Kaßina (geboren 1861) und Auguste (geboren 1863), nach Sophie kam noch das Nesthäkchen Hermann (geboren 1867). Nach der Heirat 1888 in Dettensee lebte das junge Ehepaar in Flehingen.

Rasch danach kamen dort drei Kinder auf die Welt: am 26. Mai 1863 Hilda, am 12. Juni 1890 Hermann und sein Zwillingsbruder Lui. Lui starb bereits ein Vierteljahr später am 5. September 1890. Hermann Barth fiel mit 27 Jahren als Soldat am 31. März 1918. Über das Leben der Familie in Flehingen ließen sich keine Informationen finden. Die ihr einzig verbliebene Tochter Hilda hatte sich 1912 mit Nathan Loeb, geboren in Philippsburg, der in Bruchsal eine gutgehende Metzgerei betrieb, verheiratet.

Als Sophie Barth aus Flehingen wegging, lebten immer weniger Juden in dem kleinen Örtchen, nahezu alle zog es wegen ihrer schweren wirtschaftlichen Lage in die größeren Städte Süddeutschlands oder gar nach Amerika. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts war nahezu die Hälfte des 400-Seelendorfes jüdischer Konfession, 1904 gab es dann nur noch vier Personen. Die jüdische Gemeinde hatte ihren Anfang als Bevölkerungsmaßnahme des den Ort besitzenden schweizerischen Klosters Muri am Ende des 17.Jahrhunderts genommen, seit der Säkularisation durch die napoleonische Neuordnung gehörte die Gegend nach 1803 zum Herrschaftsgebiet Hohenzollern. Viele Generationen jüdischer Einwohner hatten ihren Lebensunterhalt als Handelsleute, zumeist als arme Hausierer, bestritten; auch der Vater von Sophie Barth war Händler. Das jüdische Leben muss überschaubar und geordnet gewesen sein, man ging in die jüdische Schule im Örtchen, besuchte am Freitag die dortige kleine Synagoge und wurde auf dem ebenfalls hier befindlichen jüdischen Friedhof begraben.
Die Erfahrung dieser hohenzollerischen ländlichen Lebenswelt dürfte sich für Sophie Barth im badischen Flehingen kaum verändert haben. Auch die dortige jüdische Gemeinde bestand seit Ende des Dreißigjährigen Krieges als Wiederbevölkerungsmaßnahme der örtlichen Herrschaft durch Aufnahme von Schutzjuden. In dem gegenüber Dettensee mehr als doppelt so großen Ort machte der jüdische Bevölkerungsanteil im 19.Jahrhundert bis fünfzehn Prozent aus. Auch hier waren die meisten Viehhändler oder Händler von Agrarprodukten. Ebenso zeigt sich hier das typische Bild einer jüdischen Landgemeinde mit vorhandener eigener Schule, der Synagoge und dem Friedhof. Der war ihnen im 17. Jahrhundert weit außerhalb des Dorfes an einem steilen Bergrücken zugewiesen worden. Spannungen zwischen der jüdischen und christlichen Bevölkerung sind aktenkundig: Als im 19.Jahrhundert die „Judenemanzipation“, das heißt die gleiche staatsbürgerliche Rechtstellung, anstand, organisierten die christlichen Flehinger Bürger wie in anderen Gemeinden der Gegend den Protest. 1848 sandten sie eine Petition nach Frankfurt an die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche und abermals nach Karlsruhe an den badischen Landtag, als dort das Emanzipations-Gesetz 1862 beraten wurde. Im Gegensatz zu einigen anderen Gemeinden in der Gegend kam es 1848 aber nicht zu gewaltsamen Ausschreitungen der Bürger, die fürchteten, dass vollberechtigte jüdische Bürger nun denselben Nutzen beanspruchten und der ihrige darum kleiner ausfallen könnte. Inwieweit das Ehepaar Barth daran noch erinnert wurde oder wie es sich in der mehrheitlich christlichen Gemeinde alltäglich fühlte, wissen wir nicht.
Ob der Wegzug Sophie Barths aus Flehingen Jahre nach dem Tod des Ehemannes Moses vielleicht auf schlechten Erfahrungen beruht, wäre reine Spekulation. Der Grabstein von Moses Barth erinnert auch an den im Ersten Weltkrieg an der lothringischen Front gefallenen Sohn Hermann. Sie zog nach Karlsruhe zur Familie der Tochter Hilde Loeb. Nathan Loeb war 1935 gezwungen, seine Metzgerei und das Haus zu verlaufen. Mit dem Erlös erwarb Familie Loeb das Haus Zähringstraße 78 von Mina Würzburger, Witwe des Lederhändlers Jakob Würzburger. Als Hilda und Nathan Loeb am 12. November 1938 über Cherbourg in die USA emigrierten, zog Mina Barth in die Kronenstraße 62, dem Altenheim der Jüdischen Germeinde.

Als sie am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurde, war sie bereits eine alte Frau. Vermutlich starb sie infolge der vollkommen unzureichenden Bedingungen im Lager, das 1939 für junge, kräftige spanische Bürgerkriegsteilnehmer für einen Sommer geplant war oder aber an fehlenden Medikamenten, die sie unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr erhalten konnte. Sie wurde auf dem Lagergelände von Gurs begraben, auf dem Grabstein ihres zuvor gestorbenen Ehemannes gibt es keine Erinnerung an sie. Es gab niemanden mehr, der dies hätte tun können.

Tochter Hilda Loebv, verstarb 1971 in den USA.

Leider musste ich bei meiner Spurensuche erfahren, dass trotz der mitunter akribischen Grausamkeit der Dokumentationen aus der dunklen Zeit in Deutschland, es immer wieder Fälle gibt, in denen man mit der schmerzlichen Tatsache leben muss, dass Unterlagen nicht mehr vorhanden sind und dadurch Lebensspuren mit Lücken behaftet bleiben müssen.
Ich hoffe, dass ich durch mein Bemühen auf das Leben von Sophie Barth aufmerksam machen und dafür sorgen kann, dass Frau Sophie Barth und ihr grausames Ende niemals in Vergessenheit geraten werden.


(Ute Rachel Schuler, Januar 2004)

Die Biographie wurde durch die Angaben des Forschers Wolfgang Schönfeld zum Stammbaum der Familie korrigiert und ergänzt, August 2020.


Quellen und Literatur:
Stadtarchiv Karlsruhe 8/StS 17/322
Angaben Ortsverwaltung Flehingen
Korrespondenz P. Barth
Informationen Herbert Zander
Informationen Wolfgang Schönfeld