Baruch, Moritz
Nachname: | Baruch |
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Vorname: | Moritz |
Geburtsdatum: | 8. April 1895 |
Geburtsort: | Karlsruhe (Deutschland) |
Familienstand: | geschieden |
Eltern: | Israel Baruch Kwiatkowsky, später Baruch (1863-1932) und Babette (?-18.2.1925), geb. Würzburger, B. |
Familie: | geschiedener Ehemann von Elisabeta, geb. Peterhans;
Vater von Dieter; Bruder von Nanette (27.1.1893-18.1.1894), Chana Chaie (21.8.1888-?), Dr. Seligmann, Dr. Kurt, Ella Kroch (1896-1942), geb. Baruch |
1930: Kaiserstr. 101,
1931: Tullastr. 42,
1931/32: Bunsenstr. 4,
1932/33: Dammerstockstr. 40,
1933-1935: Werderstr. 26
29.10.1940 nach Gurs (Frankreich),
28.8.1942 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Biographie
Biographie von Moritz Baruch
Ein Ursprung der Familie liegt im heutigen Weißrussland.
Moritz Baruchs Vater Israel Baruch Kwiatkowsky wurde am 24. Februar 1863 in Grodno, damals in Russisch-Polen, heute Weißrussland (Hrodna) an der Eisenbahnlinie zwischen Vilnius und Warschau gelegen, geboren. Die Stadt hatte zu jener Zeit etwa 40.000 Einwohner, darunter einen sehr hohen jüdischen Anteil. Die Stadt gehörte so durchaus auch zu der besonderen jüdischen Schtetel-Kultur, die durch die Vernichtung der Juden nach dem Überfall auf Polen und die Sowjetunion durch das nationalsozialistische Deutschland zerstört wurde. Geprägt war diese besondere Kultur von einer stärkeren Religiösität als sie Juden in Mittel- oder Westeuropa lebten. Der gesamte Alltag war davon bestimmt. Für viele jüdische Männer war es eine Lebensaufgabe oder wenigstens auf absehbare Zeit, sich dem Studium der Thora zu verschreiben. Auch für Kleidung und Haartracht bestanden zahlreiche Vorschriften, so dass osteuropäische Juden, die sich nach ihrer Ankunft im „Westen“ – und das war in der damaligen Zeit durchaus auch das Deutsche Reich - nicht davon lösten, sofort an ihrer Herkunft zu erkennen waren. Vielfach trugen die Männer den Kaftan, gesprochen wurde jiddisch. Im Nachhinein fand diese Besonderheit durchaus auch Verklärung. Tatsächlich waren diese Schtetel in ihrer Sozialstruktur durch eine breite Unterschicht aus mittellosen Handwerkern, Kleinhändlern und Taglöhnern geprägt. Häufig war im Schtetel Armut anzutreffen. Die Errungenschaften der Moderne in Verwaltung, Daseinsvorsorge und Aufgeklärtsein gab es selten. Einerseits lebte diese Struktur auch noch im 19. Jahrhundert gleichförmig weiter, nun aber von sozialen Spannungen zunehmend bedroht, die gerade in Russland auch zu Pogromen gegen Juden führte. Ein Teil wanderte aus, ging nach Österreich-Ungarn, meist nach Wien, aber insbesondere ins Deutsche Reich, nach Berlin oft, was zum Beispiel die jüdische Bevölkerung dort auf über 100.000 anwachsen ließ, ein hoher Anteil allerdings suchte auch ein besseres Leben in den USA.
Wir wissen von Israel Baruch Kwiatkowsky nur, dass sein Vater ein kleiner Händler gewesen war. Vermutlich war dieser ein typischer Vertreter der beschriebenen Lebensweise. Der Sohn selbst widmete sich ganz der Theologie. Sein genauer Werdegang kann nicht nachvollzogen werden, er dürfte eine der zahllosen Religionsschulen, eine Jeschiwa, besucht haben. Israel Baruch Kwiatkowsky schien aber diese Lebensumstände hinter sich lassen zu wollen. Während die Eltern in Grodno blieben, kam er nach Deutschland, nach Karlsruhe 1887, ledig ohne irgendeinen verwandtschaftlichen Bezug. Gewöhnlich kamen jüdische osteuropäische Einwanderer im Familienverband hierher. Doch Israel Baruch Kwiatkowsky war kein „gewöhnlicher“ Einwanderer, sondern er war quasi gerufen worden. Bei der so genannten orthodoxen jüdischen Gemeinde, offiziell der Israelitischen Religionsgesellschaft im Gegensatz zur „liberalen“ jüdischen Gemeinde, der Israeltischen Religionsgemeinschaft, wurde er als Religionslehrer und Kantor angestellt. Damit war er ganz maßgeblich für die religiöse Ausgestaltung des Gemeindelebens und der Gottesdienste verantwortlich und fast auf gleicher Stufe wie der Rabbiner der Gemeinde, der im jüdischen Verständnis nicht für den Gottesdienst und Seelsorge zuständig war, sondern die Thora zu lehren und die Gesetze der Halacha zu überwachen und bei Streitigkeiten darüber zu entscheiden hatte. Die orthodoxe Gemeinde war 1869 aus der bis dahin bestehenden einheitlichen jüdischen Gemeinde ausgetreten im Zusammenhang einer überall im Judentum in Deutschland geführten Auseinandersetzung zwischen einer konservativen und neo-orthodoxen Schule sowie der „liberalen“ Richtung, welche insbesondere auf Modernisierung der Gottesdienste und überhaupt auf Assimilation setzte.
Religionslehrer aus Osteuropa wie Kwiatkowsky waren bei orthodoxen Gemeinden wegen ihrer Religiösität beliebt und wurden durchaus überproportional angestellt. Es wäre aber falsch, Israel Baruch Kwiatkowsky als einen durch und durch konservativen und eventuell rückwärtsgewandten Menschen anzusehen. Es gibt zwar keine Aufzeichnungen über sein Wirken in der Gemeinde und ihrer Synagoge mit Religionsschule in der Karl-Friedrich-Straße 16, aber gesellschaftlich war er wohl vollkommen aufgeschlossen, lebte in der eigenen Familie nicht nach „überholten“ kulturellen Maßstäben.
Den Namen Kwiatkowsky, der weniger als jüdischer Name denn als russischer wahrgenommen wurde, muss er als Makel empfunden haben. Jedenfalls holte er sich 1893 die standesamtliche Erlaubnis, seinen zweiten Vornamen Baruch zum Familiennamen zu nehmen.
Sehr schnell nach seiner Ankunft in Karlsruhe schloss er die Ehe, am 30. August 1887 mit Babette Würzburger. Sie war am 2. März 1859 in Külsheim bei Wertheim als Tochter des Händlers Samuel Würzburger und seiner Frau Nanette, geborene Held, zur Welt gekommen. Zu jenem Zeitpunkt waren etwa 10 Prozent der Einwohner dieses Ortes jüdischer Konfession. Die Familie war aber alsbald aus dem nordöstlichen Baden in die Residenzstadt Karlsruhe gekommen, wo der Vater sein Geschäft im größeren Stil ausführen konnte. Wie die Eheanbahnung verlaufen war - muss doch angenommen werden, dass sich die Brautleute kaum richtig kannten -, kann nur vermutet werden, wohl durch gezielte Heiratsvermittlung wie es damals sehr verbreitet war.
Nun folgte rasch die die Kinderschar, alle sechs in Karlsruhe geboren, wovon eines früh verstarb. Das war über dem Durchschnitt der damaligen bürgerlichen Familie, aber nicht so viel, wie es streng orthodoxe Juden seinerzeit noch hielten. Am 21. August 1888 kam Chana Chaie zur Welt. Sie ist die einzige, deren Schicksal unbekannt bleibt. Am 27. März 1890 folgte Seligmann, am 10. Juli 1891 Kurt. Am 27. Januar 1893 wurde Nanette geboren, die jedoch nicht einmal ein Jahr alt wurde, da sie am 18. Januar 1894 wohl am Kindstod verstarb.
Moritz Baruch wurde am 8. April 1895 geboren, ihm folgte nur noch seine jüngere Schwester Ella, geboren 16. Juli 1896.
Alle diese Kinder, auch die Mädchen, besuchten höhere Schulen. Dies mag nochmals die Einschätzung unterstreichen, dass Israel Baruch keineswegs ein „altmodischer“ Mensch war.
Moritz Baruch ging nach der vierjährigen Elementarschule ab 1904 auf das Humboldt-Realgymnasium, bis er 1911 in der Untersekunda (10. Klasse) von der Schule abging. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern war er nicht gerade ein guter Schüler. In der siebten Klasse war er zwischen Weihnachten bis Pfingsten erkrankt und konnte keine Noten erzielen. Finden wir ihn zu Anfang mit einer guten Turnnote, so war er seit seiner Erkrankung vom Sport befreit. Seine Noten waren schwach und schließlich so schlecht, fünfen in Deutsch und Mathematik, auch in den Sprachen haperte es, dass er die neunte Klasse wiederholen musste. Es gab aber keine Besserung, so dass er kurz nach Beginn der 10. Schulklasse das Realgymnasium ohne Abschluss verließ. Nun widmete er sich dem kaufmännischen Beruf. Leider sind keinerlei Details dazu bekannt, wie überhaupt Vieles in seinem Leben nicht nachweisbar ist und nicht beschrieben werden kann. Sicher ist aber, dass er zunächst als kaufmännischer Angestellter arbeitete, zwischen 1913 und 1925 sind Sozialversicherungsbeiträge aktenkundig. Zu diesem Zeitpunkt lebte er immer noch im elterlichen Haushalt. Erstmals selbständig, ist er als Handelsvertreter 1930 nachweisbar.
In diesem Jahr verheiratete er sich auch, am 25. Februar 1930 in Karlsruhe mit Elisabeta Peterhans, die am 7. September 1906 in Mannheim geboren wurde. Ihr Vater war Tapeziermeister und die Familie zog bereits kurz vor Beginn des ersten Weltkrieges nach Karlsruhe, wo sie ein Geschäft eröffneten. Das Besondere war, dass Elisabeta keine Jüdin, sondern Katholikin war. So gab es in der Familie Baruch auch hierin eine recht „moderne“ Seite, war die Zahl der so genannten Mischehen zwar nicht mehr ganz selten, aber doch noch überschaubar. Es scheint aber, wie später vor dem Scheidungsrichter geäußert, dass mit Vater Baruch eine Auseinandersetzung darüber stattfand. Diese wurde offensichtlich beigelegt, indem Elisabeta Peterhans mit der Heirat formal zum jüdischen Glauben übertrat. Elisabeta Peterhans gab später an, dass sie deswegen in ihrer Familie geschnitten wurde. Aus der Ehe ging ein Sohn hervor, Dieter Baruch, der am 1. März 1931 in Karlsruhe geboren wurde. Die Familie zog jährlich in eine andere Wohnung um, was auf wenig Stabilität der Umstände deutet. Die Ehe selbst verlief nicht perfekt, das Ehepaar entfremdete sich, es fielen böse Worte. Elisabeta Baruch ging auch eine Beziehung zu einem anderen Mann ein, aus der 1935 eine Tochter hervorging. Moritz Baruch trennte sich deswegen von Elisabeta und reichte die Scheidung ein. Für dieses Verfahren beantragten beide Armenrecht, was nochmals die schwierige finanzielle Lage des ehemaligen Ehepaares unterstreicht. Die Ehe wurde vor dem Landgericht Karlsruhe mit Urteil vom 8. Mai 1935 geschieden. Damals galt in Scheidungssachen das Schuldprinzip, der Richter maß beiden die Schuld an der Zerrüttung bei. Elisabeta heiratete eineinhalb Jahre später den Mann, der die Vaterschaft für die Tochter anerkannt hatte. Auch diese Ehe ging später in die Brüche, sie selbst blieb in Karlsruhe leben bis zu ihrem Tod im Jahre 1975.
Elisabeta, geschiedene Baruch, trat wieder aus dem Judentum aus und veranlasste dies auch für ihren Sohn Dieter 1937 mit Übertritt zum Katholizismus. Dabei war dieser sicherlich der Leidtragende der Scheidung, denn er wurde noch vorher in eine Pflegefamilie gegeben.
Moritz Baruch verließ Deutschland noch im Jahr der Scheidung 1935 und begab sich erst einmal nach Frankreich. Hier verliert sich jede Lebensspur von ihm, gesichert ist nur, dass er zum Zeitpunkt des Einfalls der Wehrmacht in das neutrale Belgien im Mai 1940 in Brüssel lebte.
Vater Israel Baruch war schon zuvor im Jahre 1932 und Mutter Babette sogar bereits 1925 verstorben.
So ergibt sich der Eindruck, dass Moritz Baruch unter seinen Geschwistern das größte Pech in der Familie hatte. Oder er war für seine Misserfolge mitverantwortlich? Darüber lässt sich nichts Genaues sagen. Im Gegensatz zu Moritz studierten seine Geschwister alle. Seine Brüder Seligmann und Kurt studierten Zahnmedizin und eröffneten jeweils ihre Zahnarztpraxis, Seeligmann in Leipzig, wohin er verzogen war. Selbst auf besondere Leistung und Bildung der Tochter wurde im Haus Baruch wertgelegt, denn seine Schwester Ella begann im Wintersemester 1914/15 ein Chemiestudium an der Technischen Hochschule in Karlsruhe – damals für Frauen eine große Ausnahme -, verließ jedoch ihre Geburtsstadt und begab sich wie ihr Bruder Seeligmann nach Leipzig. Dort studierte sie dann sogar Medizin, übte aber den Arztberuf nach ihrer Heirat mit dem Leipziger Banker Hans Kroch nicht aus. Sie lebten im großen Wohlstand. Noch heute gibt es in Leipzig die Erinnerung an ihn auch durch den von ihm in den 1920er Jahren angestoßenen Bau einer Siedlung im modernen Bauhausstil, die nach ihm heute noch Kroch-Siedlung genannt wird. Überhaupt ist die Verbindung der Baruchs mit Leipzig augenfällig, vielleicht lebten Verwandte der Familie dort?
Moritz Baruch geriet unmittelbar mit den ersten Kriegshandlungen in ein schlimmes Schicksal. Mit dem Überfall Deutschlands auf Belgien wurde er noch am selben Tag am 10. Mai 1940 als Jude aus dem feindlichen Ausland nach Frankreich abgeschoben. Auch dieses Land sah in ihm nicht einen verfolgten Juden, sondern den feindlichen Ausländer, so dass er wie hunderte andere jüdische Flüchtlinge aus Belgien in das südfranzösische Internierungslager St. Cyprien am Mittelmeer nahe zur spanischen Grenze gebracht wurde. Von dort wurde er am 29. Oktober 1940 zusammen mit anderen nach dem Lager Gurs etwa 200 Kilometer westlich im Landesinneren am Nordabhang der Pyrenäen überstellt. Dort waren inzwischen über 6.500 Juden aus Südwestdeutschland am 22. Oktober 1940 deportiert worden. Ganz sicher traf Moritz Baruch Bekannte aus Karlsruhe.
Am 6. Juli 1942 war er dann im Lager Récébédou interniert, bis er am 24. August desselben Jahres zum Sammellager Drancy verlegt und von dort aus vier Tage später schließlich nach Auschwitz kam. Ob er dort gleich in die Gaskammer kam und ermordet wurde oder zuvor erst einige Zeit KZ-Zwangsarbeit verrichten musste ist nicht nachweisbar. In jedem Fall wurde Auschwitz sein Sterbeort.
Formal wurde er nach dem Krieg zum 31.Dezember 1945 „für tot erklärt“.
Von seinen Geschwistern überlebte nach eigenen Angaben nur Kurt Baruch, ihm war rechtzeitig die Flucht in die USA gelungen. Seligmann Baruch war noch im April 1939 nach Belgien geflohen. Er und Moritz Baruch lebten dann sogar zusammen in Brüssel. So teilten sie den gleichen Weg, Seligmann Baruch aber war bereits zwei Wochen vor seinem Bruder am 14. August 1942 nach Auschwitz verbracht und ermordet worden. Ella Kroch und ihr Mann Hans emigrierten zwar noch vor dem Krieg in die Niederlande, wurden dort aber auch vom nationalsozialistischen Terror erreicht. Ella Kroch, geborene Baruch, wurde verhaftet, wurde am 10. Mai 1942 in das Frauen-KZ Ravensbrück überstellt, dort verstarb sie nur 2 Tage später. Von Chana Chaie, die sich am 27. Juni 1911 in Leipzig mit dem Kaufmann Jacob Badt verheiratete, konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.
Der Sohn Dieter aus der Ehe von Moritz Baruch wuchs in Karlsruhe bei seinen Pflegeeltern auf. Der Pflegevater betrieb ein Elektrik-Geschäft und als dessen eigener Sohn 1948 verstarb, sollte Dieter, der dort auch gelernt hatte, diesen Betrieb übernehmen. Es kam anders, seit Anfang 1949 war er durch eine Tbc-Erkrankung geschwächt und immer wieder arbeitsunfähig. Zwar heiratete er 1953 noch und bekam 1954 selbst einen Sohn, doch es gab keine Perspektive mehr. Dieter Baruch verstarb an seiner Lungenkrankheit im Alter von 25 Jahren am 28. Mai 1956 im Städtischen Krankenhaus in Karlsruhe.
(Christin Heuler, 12. Klasse Lessing-Gymnasium, Juli 2009)
Quellen und Literatur:
Stadtarchiv Karlsruhe: 1/AEST/37; 1/Schulen 5, Realgymnasium;
Der Israelit 27.10.1932.
Jeschurun April 1887, S. 269.
Generallandesarchiv Karlsruhe: 243 Zug. 1992-6, Nr. 504 und 926; 480/20991.
Hauptstaatsarchiv Stuttgart: HStA J 386 Bü 318, S. 112f.
Margarete Buber-Neuman, Als Gefangene bei Stalin und bei Hitler…, S. 210 [zu Schwester Ella].
Judith Kashti-Kroch: Der Spuk geht vorüber, Behütete Kindheit-rauhes Exil-gelobtes Land, Leipzig 1993.
Caris-Petra Heidel (Hrsg.): Ärzte und Zahnärzte in Sachsen 1933-1945, eine Dokumentation von Verfolgung, Vertreibung, Ermordung, Frankfurt a.M. 2005, S. 317f.