Kirchheimer, Hedy
Nachname: | Kirchheimer |
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Vorname: | Hedy |
geborene: | Baer |
Geburtsdatum: | 31. Mai 1909 |
Geburtsort: | Straßburg (Deutschland, heute Frankreich) |
Familienstand: | verheiratet |
Eltern: | Nathan und Thekla B. |
Familie: | Ehefrau von Fritz K.;
Mutter von Doris, Stiefmutter von Walter |
Vorholzstr. 56,
1940: Waldhornstr. 62, 7.9.1939-Oktober 1940 in Halle
17.12.1943 von Drancy nach Auschwitz (Polen),
14.3.1941 nach Rivesaltes (Frankreich)
Biographie
Fritz, Hedy und Doris Kirchheimer
Fritz Moses Gustav Kirchheimer wurde am 6. Oktober 1898 in Mannheim geboren. Er hatte zwei ältere Schwestern (geboren 1890 und 1893); er war somit das jüngste Kind von Karl Siegmund (Seligmann) Kirchheimer und seiner Frau Rosa, geborene Würzweiler.
Karl Siegmund Kirchheimer (geboren 1864) stammte aus Berwangen, einem Dorf im Kraichgau von damals knapp 1.000 Einwohnern mit einem jüdischen Bevölkerungsanteil von 15 Prozent, heute Ortsteil von Kirchardt, zum Landkreis Heilbronn zugehörig. Rosa Kirchheimer, geborene Würzweiler (geboren 1866) stammte aus Heppenheim. Karl Siegmund Kirchheimer war Kaufmann und kam mutmaßlich im Jahre 1888 nach Mannheim - wie so viele Juden in jenen Jahren, die ihre Zukunft in den Großstädten suchten, weil es dort so viel mehr Möglichkeiten gab als in den Dörfern des Umlandes, vor allem auch mehr und bessere Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder. Sie heirateten am 21. November 1889.
Fritz Kirchheimer besuchte in Mannheim nach der Volksschule die Oberreal-Schule. Er erhielt nach eigenen Angaben den „Einjährig-Freiwilligschein“ auf ministerielle Verfügung statt des „Einjährigenstempels“, was darauf schließen lässt, dass er ein oder gar zwei Klassen wiederholen musste, denn er kam 1917 zum Militär, da war er bereits 19 Jahre.
1917/1918 war er dann Teilnehmer des Ersten Weltkrieges als Landsturmmann beim Landsturm-Bataillon, anscheinend ohne ernsthafte Verwundungen und ohne Kriegsgefangenschaft.
Nach dem Krieg absolvierte er in Mannheim eine kaufmännische Ausbildung und war dort auch weiterhin tätig bis zu seiner Heirat, die ihn dann nach Karlsruhe führte.
Am 15. Oktober 1925 heiratete er Else Ladenburger, geboren am 2. April 1908 in Karlsruhe. Sie war die ältere von zwei Töchtern von Ferdinand Ladenburger (geboren 1877 in Ittlingen, einem Dorf im Kraichgau bei Eppingen) und seiner Frau Johanna, geborene Richheimer (geboren 1879 in Karlsruhe). Ferdinand Ladenburger war 1906 nach Karlsruhe gekommen und hatte hier eine Schuhgroßhandlung gegründet. Johanna Ladenburger war die Tochter des Metzgermeisters Adolf Richheimer, der in der Durlacher Straße 9 (heute Brunnenstraße) in Karlsruhe eine Metzgerei hatte. Ferdinand Ladenburger und Johanna Richheimer hatten 1906 in Karlsruhe geheiratet.
Nach der Hochzeit trat Fritz Kirchheimer in die Firma seines Schwiegervaters ein, die ihre Geschäftsräume in der Zähringer Straße 50 hatte, anfangs als „Mädchen für alles“, fünf Jahre später war er dann der faktische Geschäftsführer der Firma (als solcher aber nicht im Handelsregister eingetragen); sein Aufgabenbereich war vor allem - nach Aussagen des Sohnes - die interne Verwaltung („paperwork“).
Am 3. Juni 1927 wurde der Sohn Walter Kirchheimer in Karlsruhe geboren. Die Ehe von Fritz und Else Kirchheimer wurde bereits nach vier Jahren am 25. November 1929 geschieden. Zwei Jahre später, am 29. Oktober 1931, starb Else Kirchheimer.
Fritz und Else Kirchheimer hatten nach der Hochzeit in der Draisstraße 9 gewohnt, waren 1928 in die Karlstraße 73 umgezogen. Nach der Scheidung wohnte Else Kirchheimer mit dem Sohn Walter bei ihren Eltern in der Vorholzstraße 56. Nach dem Tod der Mutter waren die Großeltern Ladenburger die „Ersatzeltern“ für Walter. Fritz Kirchheimer zog nach dem Tod seiner geschiedenen Frau in das Haus seiner Schwiegereltern, um dem Sohn nahe zu sein.
Am 30. Oktober 1934 verheiratete sich Fritz Kirchheimer in Karlsruhe abermals, mit Hedy Baer, geboren am 31. Mai 1909 in Straßburg. Hedy Baer war die Tochter von Judas, genannt Nathan Baer (geboren 1860 in Untergrombach) und Thekla Hené (geboren 1882). Nathan Baer war Kaufmann und kam 1894 von Untergrombach nach Karlsruhe. Thekla Hené stammte aus Heinsheim. Nathan Baer wohnte mit seiner Frau zuletzt in der Durlacher Allee 9. Am 7. Februar
1909 starb er in Karlsruhe, nur drei Monate vor der Niederkunft seiner Frau. Die Witwe Thekla Baer ging unmittelbar nach dem Tode ihres Mannes nach Straßburg zu Verwandten zur Geburt ihres Kindes. 1911 kam sie mit der Tochter Hedy nach Karlsruhe zurück. Hier verliert sich ihre Spur.
Nach der zweiten Heirat wohnte Fritz Kirchheimer mit Frau und Sohn zeitweilig in der damaligen Robert-Wagner-Allee 19 (Durlacher Allee), meist lebte er nach eigenen Angaben jedoch bei den Großeltern. Seit Mitte 1939 wohnten sie dann in der Waldhornstraße 62, ob freiwillig oder ob sie aus ihrer vorherigen Wohnung „rausgesetzt“ wurden, ist heute nicht mehr feststellbar .
Am 3. November 1935, einem Sonntag, war die Tochter Doris geboren worden. Das sprichwörtliche Glück eines „Sonntagskindes“ war ihr jedoch nicht beschieden - wie ihr Schicksal zeigt.
An Ostern 1933 kam der Sohn Walter zur Schule. Er besuchte anfangs die Südendschule in der gleichnamigen Straße und nach dem Umzug des Vaters in die Robert-Wagner-Allee zeitweilig die Schillerschule in der Kapellenstraße.
Ab September 1936 kam er dann, wie alle jüdischen Schüler und Schülerinnen in Karlsruhe, in die Jüdische Schule, die anfangs noch „geduldet“ in einigen Räumen der Lidellschule in der Markgrafenstraße untergebracht war, bis zu den November-Pogromen 1938, danach wurde der Unterricht als Notbetrieb im Gebäude der Jüdischen Gemeinde in der Kronenstraße 15 durchgeführt bis zum abrupten Ende des Schulbetriebes durch die Deportation.
Mit dem erzwungenen Besuch der Jüdischen Schule endeten auch die Freundschaften zu nichtjüdischen Kindern, deren Eltern ließen keine Verbindungen zu dem jüdischen Jungen Walter mehr zu - so berichtete er.
Die Tochter Doris hatte keine Chance mehr, in Karlsruhe in eine Schule gehen zu können.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gingen die Geschäfte der Firma Ladenburger OHG, der Firma des Schwiegervaters aus erster Ehe, stetig schlechter, der Boykott jüdischer Geschäfte zeigte sehr bald seine Wirkung, aber die Firma ernährte zunächst noch das Ehepaar Ladenburger und die Familie Kirchheimer. Die sechs Angestellten mussten jedoch sehr bald einer nach dem anderen entlassen werden. Am 1. Juni 1938 wurde das Geschäft offiziell geschlossen, die Umsätze waren auf Null zurückgegangen. Am 6. März 1939 wurde die Firma offiziell auch im Handelsregister gelöscht.
Schon 1935 hatten die Ladenburgers ihr Mehrfamilienhaus in der Vorholzstraße 56, in dem sie auch selbst wohnten, an den Schneidermeister Karl Noller, Schützenstraße 4a, verkauft und konnten somit von der Substanz leben, aber auch die Familie ihres (Ex-)Schwiegersohnes Fritz Kirchheimer unterstützen.
Die Pogrome am 9./10. November 1938 führten dazu, dass auch Fritz Kirchheimer - wie fast alle männlichen Karlsruher Juden - am 11. November 1938 in das KZ Dachau kam. Er hatte die Häftlingsnummer 21535. Am 2. Dezember 1938 wurde er - relativ früh im Verhältnis zu vielen anderen Häftlingen - wieder entlassen. Das Foto in der „Judenkartei“ zeigt ihn noch mit der Kahlrasur der Haare von Dachau.
Während der Pogrome wurden auch die Geschäftsräume der schwiegerelterlichen Firma in der Zähringerstraße 50 verwüstet, die Schaufenster eingeschlagen. Auch das noch vorhandene Warenlager wurde von Anwohnern geplündert; das konnte aber nach dem Kriege im Wiedergutmachungsverfahren nicht bewiesen werden.
Die Erfahrungen mit den Pogromen des 10. November brachten die Familie dazu, den Sohn Walter ins - damals noch sichere - Ausland zu bringen.
Nach einem Schreiben des Israelitischen Wohlfahrtsverbandes Karlsruhe vom 2. Dezember 1938 war Walter für einen Kindertransport nach Holland vorgesehen. Mit Schreiben vom 5. Dezember 1938 an das Polizeipräsidium Karlsruhe erklärte sich Fritz Kirchheimer, gerade von Dachau zurückgekehrt, einverstanden, dass der Sohn Walter auswandern darf. Am 13. Dezember 1938 wurde für ihn der Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses gestellt. Doch Walter kam nicht nach Holland, sei es, dass der Kindertransport nicht stattfand, sei es, dass Walter nicht nach Holland wollte. Er kam vielmehr - es muss im Frühjahr 1939 gewesen sein - zur Familie der Schwester seiner Großmutter, Selma Marx, die in Straßburg verheiratet war. Hier besuchte er auch die Jüdische Schule des „Joint“ („American Distribution Commitee“).
Wegen der Kriegsereignisse wurde die Familie - und mit ihr auch Walter - nach Innerfrankreich evakuiert, sie kamen nach Tours. Auch hier ging er zur Schule. Als die deutsche Wehrmacht auch Tours besetzt hatte, wollte Walter zurück nach Karlsruhe, er hatte „Heimweh“ nach seinen Großeltern und kam im Herbst 1940 - September oder Anfang Oktober - nach Karlsruhe zurück und lebte dort wieder bei ihnen - bis zur Deportation am 22. Oktober 1940.
Seit Schließung der Firma Ladenburger war Fritz Kirchheimer ohne Einkünfte. Der Sohn Walter berichtete, dass die Familie im März 1939 Schmuck und andere Wertsachen bei der Städtischen Pfandleihanstalt (heute Gebäude des Stadtarchives Karlsruhe) in der Markgrafenstraße 29 versetzen musste, um auf bescheidenster Stufe das Leben weiterhin fristen zu können.
Nach einem Schreiben der Auswanderungsberatungsstelle vom 17. Juni 1939 beabsichtigte Hedy Kirchheimer mit Tochter Doris in die USA auszuwandern. Da sie in Straßburg geboren war, gehörte sie unter die französische Einwanderungsquote (mit Registrier-Nummer 90 A) und hätte mit Sicherheit die Möglichkeit gehabt (vorausgesetzt, sie hätte die erforderlichen Bürgen gehabt, die auch die Schiffs-Passage bezahlen konnten), mit der Tochter auswandern und damit das Leben retten zu können. Aus einem Vermerk des Polizeipräsidiums vom 3. Januar 1940 heißt es: „bis jetzt nicht mehr erschienen“, die Akte wurde geschlossen. Die Begründung ergibt sich aus den folgenden Absätzen.
Am 1. September 1939 hatte der Krieg begonnen. Da Karlsruhe im Schussbereich der französischen Artillerie lag und offenbar auch damit gerechnet wurde, dass die Stadt als erstes von der französischen Grenze aus beschossen würde, wurde von der Stadt Karlsruhe den „arischen“ - Bewohnern mitgeteilt, dass Kinder, Frauen, Menschen über 60 Jahre und Kranke evakuiert und in so genannte Bergungsgaue (also weiter im Innern Deutschlands liegende Regionen) gebracht würden. Den Juden stand es frei, gleichfalls die Stadt zu verlassen oder zu bleiben.
Die Jüdische Gemeinde in Karlsruhe organisierte die Evakuierung derjenigen, die nicht in der Stadt bleiben wollten - nach München, Halle und anderen Städten. Die jüdischen Partnerorganisationen vor Ort hatten für die Unterbringung zu sorgen, sie trugen auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, soweit erforderlich. Ab dem 4. September 1939 reisten 44 Karlsruher Juden nach Halle, darunter auch Fritz, Hedy und Doris Kirchheimer am 7. September 1939. Der Sohn Walter war zu dieser Zeit in Straßburg bei Verwandten und hatte gar keine Kenntnis von der Evakuierung der Familie des Vaters.
Nur die wenigsten konnten in Halle privat untergebracht werden, die meisten wurden vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde Halle in den Räumen der ehemaligen Trauerhalle des 1938 geschlossenen Jüdischen Friedhofs in der Boelckestraße 24 behelfsmäßig untergebracht, etwa fünf Kilometer von der Stadtmitte entfernt. Wie das „Behelfsmäßige“ aussah, darüber gibt es keine Beschreibung.
In der Rückschau ist festzustellen, dass Hedy Kirchheimer ihrem Mann zu liebe die Möglichkeit der Auswanderung aufgegeben hatte - letztlich um den Preis ihres Lebens und des Lebens ihrer Tochter.
Die Familie kam im Oktober 1940 nach Karlsruhe zurück. Das genaue Datum ist nicht mehr feststellbar. Nach der Rückkehr aus Halle kam die Familie in ihre alte Wohnung in der Waldhornstraße 62.
Es blieben nur wenige Tage bis zum 22. Oktober 1940, dem Schicksalstag aller badischen und saarpfälzischen Juden, die in einer Blitzaktion nach Gurs in Südfrankreich deportiert wurden, so auch Fritz, Hedy und Doris Kirchheimer, ebenso die Schwiegereltern von Fritz Kirchheimer aus der ersten Ehe mit Else Ladenburger, Ferdinand und Johanna Ladenburger, in deren Firma er von 1925 bis zur Schließung 1938 gearbeitet hatte, sowie deren Tochter Hilde (geboren 1922) und Walter Kirchheimer, der zu dieser Zeit bei seinen Großeltern wohnte.
Zur Deportation nach Gurs ist folgende Begebenheit zu vermerken: Jedem Juden waren nur 100,- RM erlaubt mitzunehmen. Johanna Ladenburger hatte jedoch - wie sie in ihrem Wiedergutmachungsverfahren nach dem Kriege darlegte - 5000,- RM dabei. Als die Gestapo am Karlsruher Hauptbahnhof, von wo aus die Deportation per Zug erfolgte, durchsagte, wer mehr Geld bei sich habe als erlaubt, werde erschossen, habe sie das Geld in die Toilette geworfen statt abzugeben (wie viele andere auch). Natürlich hatte sie dafür keine Zeugen und konnte somit den Beweis nicht erbringen; dieser Geldbetrag wurde ihr nicht entschädigt.
Die Deportation nach Gurs und die Lebensbedingungen in Gurs sind umfassend von Josef Werner, Hanna Schramm und anderen beschrieben worden, hier ist deshalb kein Raum für eine Beschreibung dieses Teils des Leidensweges.
Die Geschäftsräume der Schuhgroßhandlung Ladenburger in der Zähringerstraße 50, in denen Ferdinand und Johanna Ladenburger mit der Tochter Hilde und Walter Kirchheimer zuletzt auch wohnten - vermutlich nicht freiwillig, sondern weil sie aus ihrer Wohnung in der Vorholzstraße 56 „rausgesetzt“ wurden, wurden von der Stadt Karlsruhe nach der Deportation beschlagnahmt.
Am 14. März 1941 wurden Fritz, Hedy und Doris Kirchheimer wie viele andere aus Gurs auch nach Rivesaltes (nahe Perpignan) verlegt. Die erhoffte Verbesserung der Lebensverhältnisse in diesem Lager erfüllten sich nicht, sie mussten hier genauso hungern wie zuvor in Gurs.
Lediglich die klimatischen Verhältnisse waren besser, es regnete weniger, es gab auch weniger Matsch und Schlamm, dafür wurde das Lager aber strenger bewacht als in Gurs.
Die Familie Ladenburger konnte Gurs schon Mitte Januar 1941 verlassen, sie wurden auf Veranlassung ihrer französischen Verwandten vom Lager Gurs beurlaubt, um in Soumoulou, einem kleinen Dorf in den Pyrenäen , bei diesen Verwandten zu wohnen, standen dort jedoch unter Polizeiaufsicht.
Walter Kirchheimer kam Anfang 1941 - mit 50 anderen Kindern aus Gurs - durch das jüdische Kinderhilfswerk OSE (Oeuvre pour le Secours des Enfants) in ein französisches Waisenhaus in Aspet bei St. Gaudens („Maison des Pupilles de la Nation“), Departement Haute Garonne. Er war dort das älteste Kind. Im Juni 1941 wurde er nach Toulouse gesandt, damit er dort seine Bar-Mizwa bekommen konnte. Nach der Rückkehr konnte er auch für kurze Zeit seine Großeltern in Soumoulou besuchen.
Zu seiner großen Überraschung - so berichtete er- wurde er im Herbst 1941 von der französischen Polizei auf Veranlassung seines Vaters von Aspet in das Lager Rivesaltes gebracht, wo sich der Vater mit seiner Familie befand. Die Stiefmutter Hedy Kirchheimer war jedoch erkrankt und befand sich im Hospital in Perpignan.
Am 25. August 1942 wurde Hilde Ladenburger, die Schwester der geschiedenen und verstorbenen ersten Frau von Fritz Kirchheimer, von der französischen Polizei in Soumoulou abgeholt, um nach Gurs gebracht zu werden Der Vater, Ferdinand Ladenburger, begleitete seine Tochter bis zum LKW und war durch diesen Vorgang so aufgeregt, dass er einen Schlaganfall erlitt, an dessen Folgen er am 30. August 1942 starb. Am 4. September 1942 wurde Hilde Ladenburger von Drancy nach Auschwitz deportiert. Dieser Transport umfasste 981 Personen, davon wurden 16 Männer und 38 Frauen nach der Selektion auf der Rampe ins Lager zur Arbeit eingewiesen. War auch Hilde Ladenburger dabei? Wir wissen es nicht.
Am 16. September 1942 wurde Fritz Kirchheimer - als erster von der Kirchheimer-Familie - von Drancy, dem „Umschlagplatz“ für die Deportationen in die Vernichtungslager in Polen, nach Auschwitz transportiert. Offenbar war Hedy Kirchheimer noch immer erkrankt und kam deshalb nicht mit auf diesen Transport.
Am 17. Dezember 1943, also mehr als ein Jahr später, wurden Hedy Kirchheimer, 34 Jahre, und ihre Tochter Doris, acht Jahre, von Drancy nach Auschwitz deportiert und sofort nach der Ankunft umgebracht.
Walter Kirchheimer, 15 Jahre, war für den gleichen Transport vorgesehen. Er befand sich sogar schon im gleichen Viehwaggon des Zuges in Perpignan (Sammelpunkt für den Transport), der auch seine Stiefmutter und Stiefschwester nach Drancy bringen sollte. Es war eine Fügung des Schicksals: eine Sozialarbeiterin der OSE, Andree Salomon, die ihn von der Jüdischen Schule in Straßburg her kannte, sah ihn in dem Waggon und holte ihn heraus. Wie sie das gemacht hat? Niemand kann das heute noch beantworten. Auch die Stiefschwester Doris hätte mitkommen sollen, aber die Mutter wollte sich nicht von ihr trennen und übergab ihre Tochter nicht. Sie konnte zu dieser Zeit nicht ahnen, dass diese Entscheidung ihrer Tochter das Leben kosten sollte. Andree Salomon rettete aber das Leben von Walter Kirchheimer.
Er wurde von OSE-Mitarbeitern von Rivesaltes weggebracht, an verschiedenen Plätzen versteckt, immer auf der Flucht, immer in der Furcht entdeckt zu werden. Dann wurde er von Mitarbeitern der Katholischen Kirche übernommen und illegal in die Schweiz gebracht. Er lebte in einem Kinderheim in der Nähe von Genf.
Nach der Invasion der Alliierten in der Normandie und dem Rückzug der deutschen Truppen aus Frankreich, also noch vor Ende des Krieges, ging er zurück nach Frankreich und lebte in einem OSE-Heim in Lyon. Nach Kriegsende suchte er seine Familie und fand, dass niemand mehr am Leben war. Walter Kirchheimer suchte sein Glück und seine Zukunft in den USA, wohin er erst illegal und dann nach einem „Umweg“ über Ekuador legal gelang. Mit der US-Staatsbürgerschaft, die er 1954 erhielt, änderte er seinen Namen in „Kirk“. 1960 heiratete er und hat mit seiner Frau Sandra drei Töchter und zwei Enkelkinder. Er lebt heute in New Jersey, unweit von New York.
Johanna Ladenburger überlebte den Krieg in Soumoulou. Nach dem Krieg wohnte sie dann in Straßburg bei dem Neffen Alfred Marx. Ab Juli 1958 lebte sie in Kork bei Kehl in einem Alters- und Pflegeheim. Am 9. April 1966 starb sie dort, 84-jährig.
Die in Mannheim lebenden Eltern von Fritz Kirchheimer, Karl Siegmund und Rosa Kirchheimer, zogen 1940 nach Bendorf bei Koblenz und lebten dort in einer großen jüdischen psychiatrischen Anstalt, ob als Patienten oder als „Hilfskräfte“ für Haus und Hof, wie zahlreiche andere Juden auch, die sonst keine Arbeit mehr fanden, aber darauf angewiesen waren, irgendwo und irgendwie ein paar Mark für den Lebensunterhalt zu verdienen, ist nicht mehr feststellbar. Am 27. Mai 1941 starb Karl Siegmund Kirchheimer in einem Krankenhaus in Koblenz. Rosa Kirchheimer wurde am 15. Juni 1942 mit dem Judentransport-Sonderzug DA 22 nach Izbica transportiert und in Auschwitz oder Sobibor ermordet, falls sie den Transport überhaupt lebend überstanden hatte. Zu diesem Transport sind Notizen von Eichmann erhalten geblieben: Zug bestand aus 15 Personen- und 9 Güterwagen, Juden aus der Anstalt in Güterwagen, in den Personenwagen Juden aus Düsseldorf, Köln und Aachen, Transport kann ausnahmsweise mehr als 1.000 Personen enthalten. Bei einer durchschnittlichen Belegung von ca. 60 Personen je Waggon hatte dieser Transport mehr als 1.400 Personen enthalten.
(Wolfgang Strauß, Juli 2003)