Klotter, Dr. phil. Erna Rosa Johanna

Nachname: Klotter
Vorname: Erna Rosa Johanna
abweichender Name: Klotter-Scheidt
geborene: Scheidt
Geburtsdatum: 8. Februar 1895
Geburtsort: Karlsruhe (Deutschland)
Familienstand: verheiratet
Eltern: Julius (12.11.1863-22.8.1917) und Laura, geb. Hanauer, Sch.
Familie: Ehefrau von Hans K.
Adresse:
Herrenstr. 24,
Ebersteinstr. 12
Beruf:
Kaufmännische Angestellte Korrespondentin
Hausfrau
Emigration:
1933 nach Frankreich (Frankreich)
Deportation:
28.10.1943 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Sterbeort:
Auschwitz (Polen)

Biographie

Erna Rosa Johanna Klotter-Scheidt und Johannes Klotter

Ich bin die Nichte von Erna Klotter-Scheidt und Hans Klotter. Als ich 1935 geboren wurde, lebten beide nicht mehr in Deutschland, sondern in Frankreich. Erst 1945, als ich mit meiner Mutter – Schwester von Hans Klotter – und meinem Vater zu meinen Großeltern nach Karlsruhe zog, hörte ich zwar, dass Tante Erna durch die nationalsozialistische Verfolgung nach Auschwitz und zu Tode gekommen war, doch niemals erfuhr ich etwas Genaueres. Meine Großeltern hatten nämlich die Verbindung ihres Sohnes mit einer Jüdin abgelehnt, jeglichen Kontakt abgebrochen, es wurde überhaupt nicht über sie gesprochen. Erst in diesem Jahr, 2021, teilte mir das Stadtarchiv Karlsruhe, das zugängliche Archivquellen von verschiedenen Orten zusammengetragen hatte, einige Details aus ihrem Leben mit. Mit diesen habe ich mich beschäftigt und möchte sie in Erinnerung an einen Menschen, den ich gerne persönlich kennengelernt hätte, in einer kleinen Biographie zusammenfassen:

Erna Rosa Johanna Scheidt wurde am 8. Februar 1895 in Karlsruhe geboren. Ihre Eltern, Musikdirektor Julius Scheidt, Professor am Konservatorium Karlsruhe und Laura Scheidt, waren bei Geburt jüdischer Konfession. Am 24. Februar 1889 erfolgte ihr Übertritt zum Protestantismus. Folglich wurde Erna protestantisch getauft, am 20. Oktober 1895.

Erna Scheidt besuchte das Lessing-Mädchengymnasium und legte dort 1914 das Abitur ab. Am 4. Mai 1915 zum Sommersemester wurde sie als Studentin der Philologie an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg immatrikuliert. Dort wurde sie 1923 auch zum Dr. phil. promoviert. Die Universitätsbibliothek Heidelberg verfügt noch über ein Exemplar ihrer Dissertation: „Untersuchungen zur Technik des Komischen und zum Humor bei Jean Paul von den Groenlaendischen Prozessen bis zum Titan“.

Am 9. April 1929 heiratete sie den Kaufmann Johannes (Hans) Klotter. Seine Eltern waren der Oberpostinspektor Karl und Ida Emma Katharina Klotter. Sie wohnten nach der Heirat in der Herrenstraße 24, danach in der Graf-Eberstein-Straße 12. Das Ehepaar blieb kinderlos. Erna arbeitete bis zum Jahr 1931 bei der Karlsruher Firma Junker + Ruh als kaufmännische Kraft im Büro. Hans Klotter hatte als kaufmännischer Angestellter bis 1924 bei Junker + Ruh gearbeitet, ob sich die beiden von da kannten? Die Mutter Laura Scheidt wohnte mit im Haushalt und besorgte während der berufstätigen Zeit der Tochter den gemeinsamen Haushalt.

Seit 1930 war Erna Klotter-Scheidt Mitglied der SPD und der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG), der 1892 von Bertha Suttner gegründeten pazifistischen Friedensorganisation. Hans Klotter trat 1932 der DFG bei. Inwieweit Erna dies beeinflusste mag offenbleiben, feststellbar ist jedenfalls, dass ihr Engagement größer war als das seinige. Für den 26. Februar 1931 wurde ein abendlicher, öffentlicher Vortrag von Erna im großen Saal des „Krokodiles“, des Karlsruher Traditionsgasthauses (heute Enchilada) am Ludwigsplatz angekündigt:

"Dr. Erna Klotter-Scheidt
Spricht über das heute besonders aktuelle Thema
Vom militärischen zum sittlichen Heldenideal"


Es war eine gemeinsame Veranstaltung der Karlsruher Ortsgruppe der DFG mit der Ortsgruppe der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Dieser Vortrag fand große Beachtung. Das Engagement für Frieden, statt Verherrlichung des Krieges, und revanchistische Bestrebungen wegen des verlorenen Ersten Weltkrieges, wurde von den rechten Organisationen, insbesondere der NSDAP, abgelehnt und bekämpft. Hans Klotter sagte nach 1945 aus, dass die örtliche NSDAP gegen Ernas Engagement gehetzt habe und sie deswegen unter Druck standen. Im Zeitungsorgan der SPD, „Volksfreund“, veröffentlichte Erna Klotter-Scheidt in der Ausgabe vom 6. Februar 1932 ihre Betrachtung über das soziale Problem der Massenerwerbslosigkeit zum Ende der Weimarer Republik unter der Überschrift „Brief eines Arbeitslosen“.

Hans Klotter erklärte 1947: „Im Sommer 1933 sind in unserer Wohnung zweimal Gestapobeamte erschienen, da wir als politische Gegner genügend bekannt waren und der Verdacht gegen uns bestand, dass wir heimlich Briefe für einen uns befreundeten SPD-Funktionär übermittelten, der sich damals im KZ befand.“
Nach diesen zwei Hausdurchsuchungen und auch angesichts der nationalsozialistischen Kategorisierung Ernas als jüdisch, entschloss sich das Ehepaar mit Ernas Mutter nach Frankreich auszuwandern. Sie fanden am 1. Oktober 1933 eine Bleibe in Thonon-les-Bains am Genfer See. Ernas Mann gründete dort ein Import- und Exportgeschäft, in dem auch Erna mitarbeitete. Ihre Mutter führte den Haushalt. Das Leben für die Familie war nicht einfach, das Geschäft reichte nur schwerlich für die Existenz, immer wieder mussten mitgebrachte Möbel und persönliche Stücke veräußert werden. Hans Klotter wurde wie viele in Deutschland Verfolgte oder gar Widerstandskämpfer von der französischen Regierung 1940 als „feindlicher Ausländer“ für kurze Zeit interniert. 1941 zog die Familie in das rund 25 Kilometer entfernte Thones. Über den Grund sagte Hans Klotter nichts. Vermutlich waren es praktische oder finanzielle Gründe. Beide Orte lagen im Départment Haute-Savoie, also dem von Italien besetzten Teil Frankreichs. Das änderte sich nach dem Sturz Mussolinis und dem Bruch der neuen italienischen Regierung mit der sogenannten Achse mit Deutschland. Mit dem 8. September 1943 besetzte das NS-Regime auch diesen Teil Frankreichs.

Am 13. September 1943 wurde Erna mit ihrem Mann von der Gestapo verhaftet. Laura Scheidt, Ernas Mutter konnte in Thonon bleiben. Das Ehepaar wurde zuerst nach Annecy, dem Zentralort des Départments, ein paar Tage später nach Lyon gebracht. Dort fand auch das erste Verhör durch die Gestapo statt. Anschuldigungspunkte waren u.a. Flucht nach Frankreich, antinationalsozialistische Tätigkeit, Anhören von Auslandssendern, Wehrpflichtentziehung von Hans Klotter.

In Lyon wurde das Ehepaar getrennt. Erna Klotter wurde, weil die nationalsozialistische „Rassezuordnung“sie, die niemals diese Religion gelebt hatte, zur Jüdin erklärte, in das Transitlager Drancy bei Paris gebracht. Von da aus wurde sie am 28. Oktober 1943 mit 552 Männern und 448 Frauen mit der Eisenbahn nach Auschwitz deportiert. 103 Frauen wurden bei der Ankunft in Auschwitz am 30. Oktober zur Zwangsarbeit selektiert, kamen also zunächst nicht in die Gaskammer. Von diesen lebten am Kriegsende 1945 noch drei Frauen. Erna Klotter-Scheidt war nicht darunter. Sie wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Auschwitz getötet.

Hans Klotter wurde von Lyon zwangsweise nach Deutschland zurückgebracht, über das KZ Neue Bremm bei Saarbrücken und schließlich von November 1943 bis Februar 1944 in das Karlsruher Gefängnis. Er wurde vor die Wahl gestellt, sich „freiwillig“ zur Wehrmacht zu stellen. Das lehnte er ab und das Reichssicherheitshauptamt in Berlin erließ im Februar 1944 „Schutzhaftbefehl“. Am 21. März 1944 wurde er in das KZ Dachau überstellt. Dort erlebte er im April 1945 die Befreiung durch US-amerikanische Truppen.

Hans Klotter begab sich nach seiner Befreiung wieder nach Frankreich zur Schwiegermutter Laura Scheidt, kehrte dann aber 1947 nach Deutschland zurück, zunächst nach Emmendingen, dann nach Freiburg. Er arbeitete für die Wiedergutmachungsbehörde in Freiburg, später beim dortigen Finanzamt. 1952 verheiratete er sich nochmals, seine Ehefrau brachte drei Kinder in die Ehe mit.

Ernas Mutter Laura Scheidt kam nach großen Bemühungen 1949 aus Frankreich nach Deutschland. Sie begab sich nach Stuttgart, wo sie familiäre Bezüge hatte. Sie verstarb 1953.

(Helga Gerisch, Juli 2021)


Quellen:
- Generallandesarchiv: 480/11693:
- Staatsarchiv Freiburg: D 180/2 202.753; F 196/1 1063; F166/3 6477; P3034 1844;
- Badische Presse 11.4.1929; Volksfreund 6.2.1932;
- Staatsarchiv Ludwigsburg EL 350 I Nr. 25934;