Kuttner, Gertrud

Nachname: Kuttner
Vorname: Gertrud
geborene: Loewy
Geburtsdatum: 22. März 1885
Geburtsort: Eintrachtshütte/Oberschlesien (Deutschland, heute Polen)
Familienstand: verheiratet
Familie: Ehefrau von Waldemar K.; Mutter von Rudolf Jakob und Hermann
Adresse:
bis 1908: Turmbergstr. 5, 1905 zugezogen,
bis 1930: Blumentorstr. (Blumenstr.) 4,
Schlössleweg 2,
Schubertstr. 2
Beruf:
Hausfrau
Deportation:
22.10.1940 nach Gurs (Frankreich),
10.8.1942 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Sterbeort:
Auschwitz (Polen)

Biographie

Familie Kuttner

Im Andenken an die ermordeten Waldemar und Gertrud Kuttner, an Emil und Cäcilie Kuttner mit UrsuIa Jenny sowie Margot Kuttner (geborene Scholz)

Die Familie Kuttner lebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Groß-Strelitz, Oberschlesien, heute Strezelce Opolskie und zu Polen gehörend. Das Ehepaar, Vater Jakob Kuttner und Mutter Ottilie, geboren Schlesinger, bekam dort drei Söhne, Dagobert, geboren am 26. Mai 1877, Waldemar, geboren am 26.3.1881 und Emil, geboren am 30. April 1885. Der Vater scheint ein erfolgreicher Kaufmann gewesen zu sein. Über die Jugend der drei Söhne und ihre Ausbildung ist kaum etwas bekannt. Emil besuchte ein Gymnasium bis zur Obersekunda.
Wahrscheinlich waren alle schon früh kaufmännisch tätig. Dagobert heiratete die am 26. Juli 1879 in Kattowitz geborene Margot Scholz, Waldemar 1908 die am 22. März 1885 in Eisenhüttenstadt, Oberschlesien, geborene Gertrud Loewy und Emil 1913 deren Schwester, die am 5. Februar 1888 ebenfalls in Eisenhüttenstadt zur Welt gekommene Cäcilie Loewy.

Die drei Söhne zogen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Süddeutschland um, wo sich Waldemar 1905 polizeilich in Durlach anmeldete. Emil folgte 1913, doch von 1919 bis 1934 arbeitete er in Pforzheim, wo auch seine Familie wohnte. Waldemar und Emil waren damals preußische Staatsbürger. Beide beantragten 1918 die Badische Staatsbürgerschaft, die ihnen auch gewährt wurde. Im Ersten Weltkrieg standen sie an der Front, während ihre Frauen das Geschäft führten. Waldemar kämpfte in Russland und Frankreich (Res. Inf. Reg. 110), stieg im Dienstgrad bis zum Sergeanten auf und erhielt als Auszeichnung das EK II. Emil diente beim 4. Kgl. Sächs. Inf.-Reg. Nr. 103, wurde während des Krieges zum Unteroffizier ernannt und erhielt 1916 als Auszeichnung die silberne Karl-Friedrich-Verdienstmedaille am Bande.
Einzelheiten von Dagobert sind nicht bekannt.

Waldemar war ab 1908 in Durlach als selbständiger Eisenwarenhändler tätig und dabei offensichtlich erfolgreich. Sein Vermögen wird 1918 mit 20.000 RM, seine jährlichen Einkünfte aus der Firma werden mit 6.000 RM angegeben. Auch Emil, dessen Geschäft eine Filiale in Pforzheim war, hatte anscheinend ähnliche Einkünfte, aber geringeres Vermögen.
Auch Dagobert war als Eisenwaren- und Metallhändler tätig.

Im Jahre 1929 entstand durch Zusammenschluss mit dem seit etwa 1892 bestehenden Großhandelsunternehmen "Berg & Strauß" die Firma "Berg & Strauß und Waldemar Kuttner", wobei auch die Brüder Emil und Dagobert Teilhaber wurden. Sie belieferten viele Firmen in Baden-Württemberg, der Pfalz, sandten aber auch Ware bis nach Leipzig. In Lauterburg, Elsass, gründeten sie eine Filiale. Der Hauptsitz der Firma war in Durlach, zunächst in der Blumenstraße 15, dann in der Blumenstraße 4 (heute Blumentorstraße 4). Zeitweise wohnte auch Waldemar mit seiner Familie in diesem Haus, später kaufte dieser die Villa am Schlößleweg 2 in Durlach.

Für Waldemar Kuttner war deutsch sein und jüdischer Konfession sein selbstverständlich. Er dachte lange noch an die Assimilation. Über lange Jahre war er der Vorsitzende der Ortsgruppe Durlach des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“.

Das Ehepaar Waldemar und Gertrud hatte zwei Söhne, den am 28. Juni 1910 in Karlsruhe geborenen Rudolf Jakob und den am 4. März 1920 ebenfalls in Karlsruhe geborenen Hermann. Das Ehepaar Emil und Cäcilie bekam zwei Töchter, die am 9. Oktober 1920 in Pforzheim geborene Ruth und die am 27. Januar 1925 ebenfalls in Pforzheim geborene Ursula Jenny. Die Familie wohnte ab 1934 in der Blumenstraße 7 (heute: Hengstplatz 7), Dagobert mit seiner Frau in der Beiertheimer Allee 3. Waldemar war Mitglied der Loge "B'nai B'rith" (Söhne des Bundes), einer jüdischen Organisation, dem Gedanken der Wohltätigkeit, Brüderlichkeit und Eintracht gewidmet.

Mit der Machtergreifung der Nazis begann 1933 das Unglück für die Familie. Am 1. April 1933 organisierte die NSDAP einen Boykott jüdischer Geschäfte und wer trotzdem einkaufte, riskierte, dass sein Name im „Stürmer-Kasten“ erschien.

Dagobert zog am schnellsten die Konsequenzen, verkaufte im gleichen Jahr seinen Anteil an der Firma und wanderte mit seiner Frau Margot in die Niederlande nach Amsterdam aus. Dort gründete er eine Textilhandelsfirma. Doch auch hier erreichte das böse Schicksal sie. Bei Kriegsbeginn kamen zunächst alle jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland ins Lager Westerbork. Nach der Besetzung durch die Wehrmacht wurde das Lager ab 1942 ein Durchgangslager für Transporte in den Osten (z.B. auch für die Familie der Anne Frank!) und im April 1943 wurde das Ehepaar Kuttner nach Theresienstadt deportiert, wo Margot am 17. September 1944 an Krankheit oder Unterernährung starb. Leider konnte kein Foto von ihr gefunden werden. Dagobert überlebte, kehrte nach dem Krieg in die Niederlande zurück und nahm seine Geschäftstätigkeit in Amsterdam wieder auf. Am 9. Dezember 1953 starb er dort. Das Ehepaar hatte keine Kinder.

Waldemar und Emil versuchten das Geschäft in Karlsruhe nach 1933 weiter zu führen, was ihnen anscheinend zunächst mit Einschränkungen gelang, da sie Exportgeschäfte tätigten, z.B.
nach Frankreich und Luxemburg, was für den Staat dringend benötigte Devisen erbrachte. So hatte die Gestapo 1937 keine Bedenken, dass Emil einen Pass erhielt. Auch die Geschäftsführung der Industrie- und Handelskammer Karlsruhe konnte nichts Nachteiliges aussagen, verkniff sich aber eine hässliche Zusatzbemerkung nicht.

Die Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 hatte auch für die Familie Kuttner bittere Konsequenzen. Am Morgen des 10. November drangen auswärtige SS-Männer in Halbzivil mit Gewalt in das Geschäft Blumenstraße 4 ein, zerschlugen alles Mobiliar und warfen die Reste durch das große Schaufenster auf die Straße. Ein noch heute lebender Zeitzeuge sah das als Junge vom Fenster seiner Wohnung in der Jägerstraße aus. Offensichtlich wurde auch geplündert. Ein Nachbar aus der Blumenstraße 6 bestätigte 1948 die Verwüstungen ebenfalls.
Vorübergehenden Leuten, die sich über die Zerstörungen empörten, wurde mit Verhaftung gedroht. Waldemar wurde für sechs Wochen nach Dachau gebracht und misshandelt, Emil für drei Wochen. Im Durlacher Tageblatt finden sich keinerlei Hinweise auf Ausschreitungen.
Sofort danach verkauften die Brüder das Anwesen Blumenstraße 4 an den Malermeister Scheuble, und etwas später auch die Villa am Schlößleweg 2 unter ihrem eigentlichen Wert.
Waldemar durfte dort zunächst gegen Zahlung einer Miete von 120 RM wohnen bleiben.
Die Firma wurde nach dem Gesetz vom 23. November 1938 zur Ausschaltung der Juden aus dem Deutschen Wirtschaftsleben aufgelöst und die Warenbestände in Höhe von 4.000 RM mussten zu einem Sechstel ihres eigentlichen Werts abgegeben werden.

Im Zuge der staatlichen Zwangsmaßnahmen gegen deutsche Juden wurden diese aus ihren Wohnungen vertrieben und in sogenannten Judenhäusern konzentriert. So wohnten Anfang 1940 das Ehepaar Waldemar und Gertrud Kuttner und daneben noch Sophie Baruch, Eugenie Ettlinger, Jakob und Anna Lyser, Lina Metzger, Siegmund und Berta Sulzberger und Lina Goldschmidt im Schlößleweg 2. Im gleichen Jahr mussten Waldemar und Gertrud Kuttner noch in die Stadt in die Schubertstraße 2 umziehen. Zum Lebensunterhalt betrieben sie dort eine Pension für bis zu neun jüdische Gäste. Das Ehepaar Emil und Cäcilie zog in eine Wohnung in der Yorckstraße 41.

Am 22. Oktober 1940, in infamer Weise am jüdischen Laubhüttenfest, standen morgens um 8 Uhr Gestapo-Beamte in Zivil vor ihren Wohnungstüren, wie vor den Türen aller anderen jüdischer Bürger, forderten sie auf, innerhalb von zwei Stunden das Nötigste zu packen und sich marschbereit zu halten. Jeder Erwachsene durfte 50 kg Gepäck mitnehmen und an Bargeld 100 RM. Das übrige Geld wurde beschlagnahmt, ebenso wie Schmuck und Wertgegenstände. Dann wurden die 905 Betroffenen, so auch die Ehepaare Kuttner, zum Bahnhof gebracht. Gegen 19 Uhr mussten sie einen langen Zug mit französischen Wagen betreten, der dann ins Ungewisse abfuhr. Für die meisten war es ein Abschied ohne Wiederkehr in ihre Heimatstadt.

Der Transport ging ins damals unbesetzte Frankreich zum Lager Gurs, in die „Vorhölle von Auschwitz“, wie es bald bezeichnet wurde. Die Letzten des Zuges aus Karlsruhe kamen erst drei Tage nach Abreise, bei strömendem Regen von der letzten Bahnstation aus auf offenen Lastwagen transportiert, im Lager an. Viele der Inhaftierten starben schon in den ersten Monaten an Entkräftung und Krankheiten. Wie es im Einzelnen den Ehepaaren Kuttner erging, ist nicht mehr bekannt. Briefe sind nachweislich an die Kinder geschrieben worden, aber nicht erhalten geblieben.

Am 6. August 1942 wurden sie in das Übergangslager Drancy bei Paris gebracht. Es handelte sich um den ersten Transport aus der nicht-besetzten Zone Frankreichs, der unter der Kontrolle der Vichy-Autoritäten durchgeführt wurde. Am 10. August wurden beide Ehepaare Kuttner im Transport Nr.17 zusammen mit etwa 1000, meist deutschen Juden nach Auschwitz verfrachtet. Gleich nach der Ankunft wurden 760, meist ältere Häftlinge und Kinder sofort vergast, von den übrigen erlebte nur ein einziger das Kriegsende.

Den beiden Söhnen des Ehepaars Waldemar und Gertrud Kuttner, dem 1910 in Karlsruhe geborenen Rudolf Jakob und dem 1920 ebenfalls in Karlsruhe geborenen Hermann gelang im Frühjahr 1939 die Auswanderung. Rudolf Jakob ging nach Wellington, Neuseeland. Sein Vater schickte ihm noch einen großen Container mit Werkzeugen, Mobiliar, usw. nach und wollte mit seiner Frau nachkommen, was aber nicht mehr gelang. Rudolf gründete eine kleine Geräte- und Mechanik-Firma. Er verkaufte sie, als er in den Ruhestand ging, sie läuft aber heute noch unter seinem Namen. Er starb 1988. Ein Sohn lebt in Israel, der andere in Australien. Hermann ging nach Kanada. Dort verliert sich seine Spur in Toronto. Nur, dass er zwei Söhne haben soll, ist bekannt.

Von den beiden Töchtern des Ehepaars Emil und Cäcilie Kuttner ist mehr bekannt. Der 1920 in Pforzheim geborenen Ruth gelang es noch, mit dem letzten Eisenbahnzug vor Beginn des 2. Weltkriegs die deutsch-belgische Grenze zu überschreiten und nach England zu gelangen, wo sie zunächst hart als Putzfrau arbeiten musste. Sie heiratete Egon Rudolf Gruenberg. Es gelang beiden mit viel Mühen nach Neuseeland auszuwandern, wo Frau Ruth jetzt hochbetagt in Wellington lebt. Das Ehepaar hat einen Sohn Allan.

Traurig dagegen ist das Schicksal der am 21. Januar 1925 in Pforzheim geborenen jüngeren Schwester Ursula Jenny. Ende 1938 war noch versucht worden, sie mit einem Kindertransport über Holland nach England zu schicken, jedoch vergeblich.
Im August 1939 ging das erst 14-jährige Mädchen zur Vorbereitung einer Auswanderung in das landwirtschaftliche "Hachscharah" Ausbildungslager "Landwerk Neuendoff im Sande", das bei Fürstenwalde in der Nähe von Berlin lag. Eine Ausbildung war Voraussetzung zur Erlangung eines Einreisevisums nach Palästina.
Doch es war zu spät! Das Lager wurde von den Nazis nach Kriegsbeginn in ein Arbeitslager umgewandelt, da nach neuen Gesetzen jede Berufsausbildung für Juden verboten war. Die Behörden setzten die Inhaftierten in der Umgebung für verschiedene Arbeiten ein. So war z.B. der 16-jährige Hans Rosenthal, ein Mitinsasse von Ursula Jenny und nach dem Kriege einer der beliebtesten deutschen Spielmeister im Fernsehen der Bundesrepublik ("Dalli-Dalli"), als Totengräber eingesetzt. Eine sehr mutige, nicht-jüdische Frau versteckte und rettete ihn.

Im April 1943 befanden sich noch etwa 80 Insassen im Lager. Dann wurde es aufgelöst. Die Jugendlichen wurden nach Auschwitz, die Älteren in Sammeltransporten von Berlin aus nach Theresienstadt gebracht. Ursula Jenny kam in das Frauen-KZ in Auschwitz-Birkenau, wo das junge Mädchen vermutlich bald durch Krankheit starb oder ermordet wurde. In den Listen der registrierten Toten von Auschwitz-Birkenau taucht ihr Name nicht auf und somit ist auch kein Todestag bekannt.

So wurden sechs Mitglieder einer deutschen Familie ermordet, nur weil sie an einen jüdischen Gott glaubten. Die wenigen Überlebenden der Familie sind in der ganzen Welt verstreut.

(Richard Lesser, September 2005)


Quellen und Literatur:
Generallandesarchiv Karlsruhe: 237/Zug. 1967-19/134-135; 330/672-677; 480/Ek 9672, 9737, 14116, 15414, 21539, 28374; 508/Zug. 1968-23 Nr. 299;
Staatsarchiv Ludwigsburg: EL 402/13, Nr. 395;
Stadtarchiv Karlsruhe: 1/AEST 38,3; 1238; 8/StS 34/145, Bl. 213, 34/159-161; 6/BZA 7794;
Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden: B.1/19;
Archiv Markgrafen-Gymnasium;
Archiv Gedenkstätte Dachau;
Israelitisches Gemeindeblatt Ausgabe B,5.6.1935;
Susanne Asche/Olivia Hochstrasser, Durlach, 1996, S. 423;
Josef Werner, Hakenkreuz und Judenstern, 1988, S. 405, 474;
http:*www.holocaust.cz/cz2/victims/person/2196013;