Leib, Lieselotte
Nachname: | Leib |
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Vorname: | Lieselotte |
geborene: | Lewin |
Geburtsdatum: | 26. April 1912 |
Geburtsort: | Essen (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Familie: | Ehefrau von Max L.; Mutter von Marion Dorit (geb. 1942) |
14.9.1943 nach Auschwitz (Polen)
Biographie
Lieselotte und Max Leib mit Tochter Marion Dorit
Über einige jüdische Karlsruher/-innen der Vorkriegszeit wissen wir sehr wenig. Manche verbrachten hier nur kurze Zeit und hatten ihren Lebensmittelpunkt anderswo. So war es bei einem jung verheirateten Paar, Max Leib und Lieselotte Leib geborene Lewin. Sie wohnten zwischen Juli und Oktober 1937 in der Altstadt, Adlerstraße 39 zur Untermiete bei Maier. Danach zogen die beiden nach Mannheim um, kamen aber im Dezember 1937 zurück, und wohnten nun in der Kaiserstraße 160/162, Im Obergeschoss des Bankhauses Ignaz Ellern zur Untermiete bei Dreyfuß. Für Angehörige der Familien Maier und Dreyfuß gibt es Beiträge im Gedenkbuch.
In dieser Zeit stellten die beiden Anträge auf Erneuerung ihrer deutschen Reisepässe, um Lieselottes Eltern im niederländischen Enschede zu besuchen. Max war damals Ende 20, Kaufmann und Vertreter, seine drei Jahre jüngere Frau Lieselotte Hausfrau. Eine Zeit lang hatten die beiden zuvor aus dem Ruhrgebiet Stammenden in Hannover, Mannheim, Stuttgart und in besagtem Enschede gewohnt. Anfang 1938 meldeten sie sich von Karlsruhe nach Düsseldorf ab, wo sie für einige Monate bei Max' Eltern unterkamen – im fünften Jahr des Hitlerregimes wohl ein von vielerlei Unsicherheiten und Schikanen geprägtes Dasein.
Die Passanträge enthalten keine Fotos. Das Passamt beim Polizeipräsidium Karlsruhe beschreibt aber Max Leib folgendermaßen: „Statur: klein, Gesicht: länglich, Augen: dunkelbraun, Haare: schwarz“.
Max Leib wurde am 3. Mai 1909 in Homberg-Hochheide, heute Duisburg geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Gustav Joseph Leib, geboren am 3. Februar 1870 in Solingen, und seine Ehefrau Frieda geborene Loeb (auch: Löb), geboren am 8. März 1880 in Luxemburg. Familie Leib war 1906 aus dem lothringischen Diedenhofen (Thionville) nach Homberg zugezogen. In der dortigen Arbeitersiedlung Hochheide befand sich Schacht III des Steinkohlebergwerks Rheinpreußen. In Homberg und im benachbarten Moers waren weitere große Bergwerke. Das rasant entwickelte und bereits dicht besiedelte Ruhrgebiet mit Bergbau, Kokereien und Hochöfen war neben Oberschlesien ein Zentrum der Schwerindustrie.
Max hatte mindestens sechs Geschwister: Emmy wurde 1905 in Metz geboren, Hilde Johanna 1907 und ihre Schwester Martha 1908, beide in Homberg. Um 1909 übersiedelte die Familie nach Düsseldorf. Dort kam Rudolf Leo 1910 zur Welt, dann 1912 die Zwillinge Edgar und Walter.
Die Branche, in der der Vater kaufmännisch tätig war, wird nicht ganz deutlich. Eine Ansichtskarte der Schachtanlagen rund um Moers von 1907 („Glück auf“) hat den Aufdruck „Verlag von Gustav Leib Hochheide“ – also ist an einen Buch- oder Kunsthandel zu denken. Um 1920 nennt das Journal „Der jüdische Arbeitsmarkt“ Gustav Leib unter der auch in den Karlsruher Unterlagen genannten Düsseldorfer Wohnadresse Gartenstraße 109 – mit einer Konditorei.
Über Lieselottes Herkunftsfamilie wissen wir leider sehr wenig: Lieselotte wurde am 26. April 1912 in Essen geboren. Ihre Eltern waren der Kaufmann Albert Lewin, geboren 1875 in Bärwalde (Pommern), Sohn des Salomon und der Henriette, und seine Ehefrau Doris (auch: Dorothea) geborene Levysohn. Die männlichen Mitglieder der Familien Leib und Loeb zählten wie die Lewins und Levysohns zu den Leviten, d.h. den Nachfahren des biblischen Patriarchen Levi, die historisch mit dem Tempeldienst betraut waren. Das Umfeld von Familie Leib dürfte dem alteingesessenen, konservativen, aber nicht orthodoxen Judentum angehört haben.
Einige an Behörden gerichtete Briefe von Lieselotte Leib aus den Jahren 1939/40, in geübter Handschrift und auf Holländisch, beleuchten die weiteren Ereignisse. Sie und ihr Mann kamen am 22. November 1938 – also kurz nach der „Kristallnacht“ – nach Holland und wohnten zunächst in Nijmegen. Ab 18. Januar 1939 war Lieselotte alleine in Amsterdam und bei der dortigen Fremdenpolizei registriert. Im Mai erwartete sie ihr erstes Kind und bat um die Freilassung ihres Mannes, der noch im Flüchtlingslager in Reuver (auf niederländischer Seite, etwa gegenüber Mönchengladbach) interniert war. Max war krank, sie machte sich um ihn große Sorgen. Das Kind wurde im Frühsommer 1939 entbunden, starb aber gleich nach der Geburt. In der Folge verfiel Lieselotte in Depression und war längere Zeit in ärztlicher Behandlung. Im Februar 1940 schrieb sie, Ihr Mann müsse sich in den nächsten Tagen im Kamp Westerbork einfinden. Eine andere Quelle bestätigt, dass Max Leib ab 27. Februar dort gemeldet war. Lieselotte selbst befand sich ebenfalls ab März 1940 in Westerbork, das zunächst ein ziviles niederländisches Internierungslager mit passabler Versorgung für jüdische Zufluchtsuchende war. Im Mai 1940 marschierten jedoch die Deutschen in den Niederlanden ein. Da es beträchtlichen Widerstand und recht viel Unterstützung aus der holländischen Bevölkerung für die Juden gab, hofften dennoch manche auf bessere Zeiten. Max' und Lieselottes zweites Kind Marion Dorit, benannt nach der inzwischen verstorbenen Großmutter Doris, wurde am 9. März 1942 im Lager Westerbork geboren. Hier verbrachte Dorit die ersten 16 Monate ihres Lebens.
Die deutschen Besatzer machten Westerbork ab 1. Juli 1942 zum „Polizeilichen Judendurchgangslager“, von dem aus jeden Dienstag Transporte „nach dem Osten“ abgingen. Montags wurden die Transportlisten ausgehängt; wer nicht darauf stand, war nochmal für eine Woche verschont. Über 107.000 Menschen gingen diesen leidvollen Weg, meistens nach Auschwitz-Birkenau oder Sobibor.
Ebenfalls in den Niederlanden und letztlich in Westerbork befanden sich Max' Schwester Hilde Johanna, verheiratet mit Lothar Löwenthal aus Duderstadt; Max' Schwester Martha, verheiratet mit Herbert Aronsohn aus Trier und ihrem 1939 geborenen Sohn Manfred Gustav, sowie Max' Bruder Edgar, verheiratet mit Elisabeth geborene Reindorp, nebst Kindern Gustav Feleg, geboren 1941, und Frieda Gonda, geboren 1942. Die Aufzählung ist nicht vollständig.
Max' verwitwete Mutter Frieda lebte seit August 1938 in Luxemburg, wo sie ab Herbst 1941 im Sammellager Kloster Fünfbrunnen bei Ulflingen untergebracht war. Vermutlich erlaubte es ihr Gesundheitszustand nicht mehr, zu ihren Kindern zu reisen. Frieda Leib ist am 19. Juni 1942 im Krankenhaus in Luxemburg verstorben.
Lieselottes verwitweter Vater Albert Lewin ist am 30. Mai 1942 in Enschede verstorben. Er hinterließ seine aus Essen gebürtige Frau aus zweiter Ehe, Hedwig geborene Steilberger geschiedene van Adelsbergen.
Am Dienstag, dem 14. September 1943 verließ der 76. Transport mit 1.310 Menschen, darunter Lieselotte, Dorit, Max mit Geschwistern und deren Familien Westerbork. Nachdem ein Zugteil mit etwa 300 Menschen in Deutschland abgekoppelt und in andere Lager umgeleitet worden war, erreichte der Transport aus Viehwaggons am übernächsten Tag Auschwitz in Oberschlesien. An der alten Rampe zwischen der Stadt und dem Vorort Birkenau endete die Fahrt. Über etwa 40 Quadratkilometer erstreckte der heute zum Inbegriff der Judenvernichtung gewordene Lagerkomplex mit Baracken, Arbeitsstätten und großen Krematorien, deren Feuer Tag und Nacht brannten. Von Lieselotte gibt es keine weitere Spur, sie ist spätestens am Morgen nach der Ankunft zusammen mit ihrem 1 1/2-jährigen Kind vergast worden, so wie es unzähligen Frauen mit kleinen Kindern und älteren Menschen ergangen ist.
Max gehörte zu den 233 „arbeitsfähigen“ Männern des Transports, die ins Lager eingewiesen wurden, persönlicher Dinge beraubt, kahlgeschoren, desinfiziert und mit in den Unterarm eintätowierter Nummer „150727“. Max Leib findet sich auf einer Liste des Häftlingskrankenbaus in Auschwitz III – Monowitz, einem Nebenlager, in dem Zwangsarbeiter in Fabriken und auf Baustellen eingesetzt waren. Max ist dort - wohl an den Folgen der Arbeitsbedingungen, von Kälte und Hunger - am 8. Januar 1944 gestorben.
Max' Bruder Edgar (mit der Nummer „150726“ versehen) war im selben Transport und befand sich ebenfalls im Häftlingskrankenbau in Monowitz. Seine Frau Elisabeth und die Kinder Feleg und Gonda sind ermordet worden. Edgar hat überlebt. Er überstand die Lager Auschwitz, Dachau und Mauthausen und wurde am 4. Mai 1945 von der US-Army in Mittenwald befreit. Er emigrierte in die USA und hat dort wieder geheiratet. Edgar Leib ist 1975 in Massachusetts verstorben.
Auch Max' Bruder Rudolf (Rudi) Leo hat überlebt, ebenso seine Frau und sein kleiner Sohn. Rudi überstand dieselben Lager wie sein Bruder Edgar und wurde zusammen mit ihm befreit. Er ist 1979 in Utrecht verstorben.
Auch wenn heute, über 80 Jahre nach ihrer Vertreibung, Deportation und Ermordung, in Karlsruhe nur einige Aktenblätter und ein paar Einträge im Adressbuch ihr kurzes Leben in der Stadt bezeugen, sollen auch Menschen wie Lieselotte und Max Leib nicht vergessen werden.
(Christoph Kalisch, März 2022)
Quellen:
• Generallandesarchiv Karlsruhe: 330/695, http:www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-3331972
• Hauptstaatsarchiv Stuttgart: EA 99/001 Bü 109, 1 Bü Erhebungen über die jüdischen Einzelschicksale in alphabetischer Folge der Wohnorte: Mannheim La – Leu
• Nationalarchiv Den Haag 2.19.255.01 www.joodsmonument.nl
• www.oorlogsbronnen.nl
https:collections.arolsen-archives.org/V/Ous_partitions/33/01020402/aa/eq/db/001.jpg
• http:base.auschwitz.org/wiezien.php?lang=en&ok=osoba&id_osoba=139832
• http:base.auschwitz.org/wiezien.php?lang=en&ok=osoba&id_osoba=139828
• https:*deportation.yadvashem.org/index.html?language=en&itemId=6527116&ind=-1