Lehrer, Isidor Isaak

Nachname: Lehrer
Vorname: Isidor Isaak
abweichender Name: Lerer
Geburtsdatum: 8. Februar 1919
Geburtsort: Rozwadow (Österreich-Ungarn, heute Polen)
Familienstand: ledig
Eltern: Majer und Mina L.
Familie: Bruder von Samuel und Salomon
Adresse:
Wilhelmstr. 32,
Rüppurrer Str. 34,
Markgrafenstr. 45
Beruf:
Gärtner
Deportation:
28.10.1938 Abschiebung nach Polen,
1940 von Leipzig nach Neuengamme (Deutschland),
14.9.1941 nach Dachau (Deutschland),
17.2.1942 von Dachau nach Schloss Hartheim (Österreich)
Sterbeort:
Dachau - korrekt: Schloss Hartheim (Deutschland, bzw. Österreich) Opfer der "Euthanasie"
Sterbedatum:
27. April 1942

Biographie

Familie Lehrer

Majer, Mina, Isidor Isaak und Samuel Lehrer

Majer (Leija) Lehrer wurde am 27. Dezember 1894 in Zaklikow, Russisch-Polen geboren. Er kam 1919 nach dem Ende des 1. Weltkriegs nach Deutschland, er zog nach Karlsruhe. Was ihn veranlasste, sich gerade hier niederzulassen, wissen wir nicht. Vielleicht hatte er Freunde oder Verwandte hier? Majer Lehrer war ein sehr frommer Jude, studierte den Talmud und war Mitglied in der Chewra Kadischa Beerdigungsbruderschaft, einer orthodoxen Gemeinschaft. Sein Name erscheint 1923 erstmals im Karlsruher Adressbuch. Als Wohnsitz wird die Wilhelmstraße 32 genannt. Er war verheiratet mit Mina, geborene Hanflik, geboren am 27. November 1897. Sie stammte aus Rozwadow, einem nicht sehr weit von Zaklikow entfernt liegenden Städtchen, das aber schon zum österreichisch-ungarischen Teil Polens gehörte. Sie gebar das erste Kind des Paares, einen Sohn, Isidor Isaak noch in ihrem Heimatort Rozwadow, am 8. Februar 1919. Da war sie gerade 21 Jahre alt. Man kann vermuten, dass sie noch in ihrem Elternhaus entbunden hatte, bevor sie ihrem Mann nach Deutschland folgte. Lehrer Majer war Textilwarenhändler. 1929 zog die Familie um in die Rüppurrer Straße 34 und ab 1930 wohnte sie in der Markgrafenstraße 45. Inzwischen hatte sich die Familie vergrößert.
Salomon, der sich später nur noch Siegfried nannte, wurde am 7. Mai 1921 geboren und Samuel am 26. September 1928.

Die Wohnung in der Markgafenstraße war geräumig. Sie hatte fünf Zimmer. Es gab genug Platz für die Familie und auch für die Lagerung der Textilien. Majer Lehrer hatte inzwischen einen gut gehenden Wäscheversand. Er arbeitete auf Bestellung und schickte die Ware dem Kunden zu. Alles lief zur Zufriedenheit, die Familie war gut situiert. Sie leistete sich sogar ab und zu einen Erholungsaufenthalt im tschechischen Karlsbad oder Marienbad. Die Kinder gingen zur Volksschule und Isaak wollte wohl einmal Rabbiner werden. Das änderte sich 1933 schlagartig durch den nationalsozialistischen Boykott gegen jüdische Geschäfte. So kam es, dass auch bei der Firma Lehrer immer mehr Kunden wegblieben. 1938 mussten die Wohn- und Geschäftsräume in der Markgrafenstraße aufgegeben werden. In den Akten steht, dass die Familie mit dem Geschäft in die Kreuzstraße 31 umzog und wohl auch dort wohnte. Im Adressbuch steht als neuer Wohnsitz 1940 Adlerstraße 35, dies war ein so genanntes Judenhaus.
Zu diesem Zeitpunkt lebte Siegfried Lehrer nicht mehr bei den Eltern in Karlsruhe. Er und sein älterer Bruder wurden zusammen mit Hunderten anderer Männer am 28. Oktober 1938 vom NS-Regime nach Polen abgeschoben, da sie als polnische Staatsbürger oder Staatenlose galten. Warum nicht auch Vater Majer darunter war, ist nicht nachzuvollziehen. Im Grenzort Bentschin (Zbaszyn) waren sie über Monate interniert. Im Frühsommer konnten sie aufgrund internationaler Vereinbarungen für kurze Zeit in ihre Heimat zurück, um persönliche Dinge abzuwickeln. Während Siegfried Lehrer die Chance nutzte und noch unmittelbar vor Kriegsbeginn illegal nach Frankreich flüchtete, erlebte Bruder Isidor den 1. September 1939 in Karlsruhe bei den Eltern.

Nach Kriegsbeginn gingen Majer und Mina Lehrer mit dem jüngsten Sohn Samuel sowie Isaak am 5. September 1939 wie einige andere jüdische Familien nach Leipzig, aus Furcht vor Kampfhandlungen mit Frankreich. Sie waren dort für einige Zeit im Haus der jüdischen Gemeinde in der Gustav Adolf Straße 7 untergebracht. Noch im Jahr 1939 wurde Majer Lehrer nach dem KZ Sachsenhausen deportiert. Am 6. September 1940 kam er dann in das KZ nach Dachau und von da aus am 23. Januar 1941 nach Neuengamme. Am 14. September 1941 wurde er wieder nach Dachau deportiert. Er starb am 11. April 1942 gemäß dem Totenschein vom Sonderstandesamt KZ Dachau. Was die Todesursache war, wurde nicht bekannt gegeben. Er war 48 Jahre alt. Tatsächlich aber stimmte die Ausstellung dieses Totenscheines nicht. Denn Majer Lehrer war am 17. Februar 1942 in einem so genannten Invalidentransport - das muss wohl heißen: Transport zur Ermordung vollkommen arbeitsunfähiger KZ-Insassen - von Dachau nach Schloss Hartheim, einem Außenlager des KZ Mauthausen gebracht, dessen Funktion eine Euthanasieanstalt war. Nur zur Verschleierung wurde die Todesurkunde in Dachau ausgestellt.

Der älteste Sohn, Isidor Isaak, 20 Jahre alt, von Beruf Gärtner, kam schon bald von Leipzig aus, in das KZ Neuengamme. Von dort aus am 14. Januar 1941 in das KZ Dachau, er hatte die Häftlingsnummer 27561. Auch sein für Dachau am 27. April 1942 festgehaltener Tod stimmt nicht. Als Todesursache wurde dabei sogar noch angegeben: Darmkatarrh und Versagen von Herz und Kreislauf. Doch auch er war zusammen mit dem Vater am 17. Februar 1942 nach Schloss Hartheim verbracht worden.

Die Urnen von Majer und Isidor Isaak Lehrer - ob sich darin wirklich deren Asche befand, ist zu bezweifeln - wurden vom KZ Dachau nach Leipzig, wo beide am 14. Juni 1942 auf dem alten Israelitischen Friedhof beigesetzt wurden.

Unmittelbar zum Jahresanfang 1942 begannen die planmäßigen Deportationen der deutschen Juden nach dem Osten. Laut Akten wurde der jüngste Sohn Samuel zusammen mit seiner Mutter Mina Lehrer am 21. Januar 1942 nach dem von der Wehrmacht besetzten Riga/Lettland in das dortige jüdische Ghetto deportiert. In diesem im August 1941 errichteten Ghetto waren unter unsäglichen Bedingungen fast 30.000 Juden auf etwa 9.000 Quadratmetern zusammen gepfercht worden. Um Platz für die „neuen“ aus Deutschland verschleppten Juden zu machen, waren im November und Dezember 1941 Tausende der Ghettoinsassen planmäßig ermordet worden. Sie waren zu Gruben im 8 Kilometer entfernten Wald von Rumbula gebracht und dort von deutschen Einsatzgruppen und einheimischen Kollaborateuren erschossen worden.
Über die Lebensumstände von Mina und Samuel wissen wir nichts. Vermutlich mussten auch sie Zwangsarbeit verrichten. Vielleicht kamen sie dazu in ein anderes Lager. Das Ghetto Riga wurde im Dezember 1944 vor dem Vormarsch der Roten Arme vollständig geräumt. Die Spur von Mina und Samuel Lehrer lässt sich erst wieder am 19. Juli 1944 aufnehmen. Zu diesem Datum ist ihre Einlieferung in das KZ Stutthof vermerkt. Damit endet das Wissen zum Verbleib von Mina bereits wieder. Seitdem gilt sie als verschollen. Samuel Lehrer dagegen wurde nachweislich am 10. Oktober 1944 in das KZ Auschwitz verbracht. Nach Auskunft des Suchdienstes Arolsen und der jüdischen Gemeinde Leipzig wurden beide amtlicherseits für tot erklärt. Aber über das Datum des Todestages gibt es keine Unterlagen. So wurde als Todestag formaljuristisch der 31. Dezember 1945 festgesetzt.

Zum Schicksal des einzigen überlebenden Sohnes
Salomon Siegfried, 1940 gerade 19 Jahre alt, wollte eigentlich eine kaufmännische Lehre absolvieren. Das war ihm aber nicht mehr möglich.
Er hatte seine 1934 begonnne kaufmännische Lehre bei der bekannten Agrarhandlung N.J. Homburger wegen deren „Arisierung“ nicht mehr beenden können. Auch die 1937 begonnene Lehre zum Dekorateur beim Herrenkonfektionshaus Spiegel & Wels blieb durch die „Arisierung“ unbeendet.
Nach seiner Flucht nach Frankreich wurde er unmittelbar am 2. September 1939 von den französischen Behörden als feindlicher Ausländer interniert. Um dieser Lage zu entgehen, nutzte er die Chance und meldete sich zur Fremdenlegion; am 27. November 1939 wurde er als Soldat aufgenommen und musste einen schweren Dienst in Algerien und Marokko leisten. Nach der Niederlage Frankreichs erfolgte am 22. September 1940 seine Entlassung und er kam in den unbesetzten Teil Frankreichs in die Dordogne, wo er sich mühselig durch das Leben schlug. Am 8. Oktober 1942 wurde er von der französischen Polizei wegen Fälschens von Identitätskarten zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Außerdem bekam er eine Geldstrafe von 1.000,- Franc. Er behauptete später, sich absichtlich strafbar gemacht zu haben, um im Gefängnis sicherer zu sein. Jedenfalls hatte er das Glück, im Gegensatz zu anderen jüdischen Häftlingen, nicht auf die Deportationslisten in die Vernichtungslager gesetzt zu werden. Die Gefängnisentlassung und die Befreiung Frankreichs fielen in eins. Nach Kriegsende lebte er zunächst in Paris, heiratete und kehrte dann aber 1947 in seine Geburtsstadt Karlsruhe zurück. Er war der einzige Überlebende der Familie Lehrer. Er wohnte zunächst in der Dammerstockstraße 21.

Siegfried Lehrer bemühte sich, eine eigene Existenz aufzubauen, wieder „auf die Beine zu kommen“, wie es das Sprichwort sagt. Der Wiederaufbau der elterlichen Textilhandlung gelang nicht, dafür ein Geschäft für Büromaschinen, Papierwaren und Schulartikeln in der Kronenstraße 29. Siegfried Lehrer wurde ein rastlos Getriebener, der seine Geschäfte ständig ausdehnte. Er kaufte und pachtete Hotels, unter anderem 1955 das neu erbaute Karlsruher Hotel Am Markt. Daneben stieg er in das Finanzierungsgeschäft ein und baute einen Schmuckwarenhandel auf. Niederlassungen hatte er in Düsseldorf und München. Siegfried Lehrer gelang es ein großes Vermögen aufzubauen, das ihm jedoch ebenso schnell wieder zerrann. Auch im persönlichen Leben herrschte Unstetigkeit vor, nach der gescheiterten Ehe in Frankreich heiratete er noch dreimal und hatte insgesamt vier Kinder. 25 Jahre lang focht er einen aussichtslosen Kampf mit dem Landesamt für Wiedergutmachung um eine eigene Rente aus seiner Verfolgung. Seine gesundheitlichen Probleme konnten nicht auf die Verfolgung zurückgeführt werden und wurden niemals als entschädigungsfähig anerkannt.
Ermüdet und verbittert starb Siegfried Lehrer nach schwerer Krankheit im Krankenhaus in Baden-Baden im Alter von 65 Jahren am 1. Juli 1986.

(Gerlinde Bechinger, Juli 2006; ergänzt März 2010)