Behr, Stella

Nachname: Behr
Vorname: Stella
Geburtsdatum: 3. Juli 1892
Geburtsort: Leimersheim/Pfalz (Deutschland)
Familienstand: ledig
Eltern: Bernhard (1850-1920) und Johanna (1863-1941) B.
Familie: Schwester von Jakob
Adresse:
1901: Rüppurrer Str. 25,
Adlerstr. 28,
1903: Steinstr. 29,
Lessingstr. 11,
1935: Weinbrennerstr. 38,
1940: Schubertstr. 2
Beruf:
Hausangestellte
Deportation:
22.10.1940 nach Gurs (Frankreich),
10.8.1942 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Sterbeort:
Auschwitz (Polen)

Biographie

Stella Behr

Stella Behr wurde am 3. Juli 1892 als älteres von zwei Kindern in Leimersheim in der Pfalz geboren. Ihr Vater, Bernhard Behr, war ein jüdischer Viehhändler, die Mutter, Johanna Klein, entstammte der Familie des Walldorfer Hopfen- und Tabakhändlers Moses Klein. Ihr jüngerer Bruder Jakob wurde 1894 geboren.

1901 zog die Familie nach Karlsruhe, wo sie zunächst in der Rüppurer Straße 25 wohnten, nach einigen Monaten dann in die Adlerstraße 28 und 1903 in die Steinstraße 29 wechselten. 1907 zog die Familie innerhalb derselben Straße um, und zwar in die Nummer 10. 1911 schließlich fand die Familie eine längerfristige Bleibe in der Erdgeschosswohnung der Lessingstraße 11.

Stella besuchte neun Jahre lang die Mittelschule. Offenbar war sie eine gute Schülerin – ihr jüngerer Cousin Martin Klein berichtet, dass sie ihm Nachhilfe in Französisch gegeben habe. Stella besuchte Vorlesungen in Geschichte und Volkswirtschaft an der Universität, machte aber keinen Universitätsabschluss. Sie sprach Französisch und Englisch und hatte insgesamt drei Monate in Frankreich verbracht. Außerdem beherrschte sie Stenographie und Maschinenschreiben. Von ihren Familienmitgliedern wurde Stella als introvertiert und intellektuell beschrieben. Sie war Vegetarierin.

Bernhard Behr, Stellas Vater, starb 1920. Die Familie war aber weiterhin gut versorgt, obwohl weder Stella noch ihre Mutter einen einträglichen Beruf hatten, denn Stellas Bruder Jakob war Kaufmann und besaß ein Großhandelsgeschäft für Getreide, Mehl und Futtermittel. Stella selbst arbeitete nach der Schule als freischaffende Journalistin und gab Englischunterricht. Vermutlich unternahm sie auch schriftstellerische Versuche – in Stellas Akte in Yad Vashem bezeichnet ihr Cousin Moshe Klein sie als Journalistin und Schriftstellerin.

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, verlor Stella Behr die Möglichkeit, als Journalistin zu arbeiten und musste stattdessen eine Tätigkeit als Haushaltshilfe annehmen. Sie und ihre Mutter zogen 1935 in die Weinbrennerstraße 38, wo sie erneut im Erdgeschoss wohnten. Auch die Geschäftstätigkeit ihres Bruders wurden durch die nationalsozialistische Unterdrückung beeinträchtigt.
Stella versuchte in der darauffolgenden Zeit, in bescheidenem Rahmen wissenschaftlich tätig zu sein. 1934/35 hielt sie einen Vortrag am Jüdischen Lehrhaus in Karlsruhe im Rahmen der Vortragsreihe "Emanzipation des deutschen Judentums“. Das Thema lautete "Montefiore, Crémieux und Baron Hirsch" – drei bedeutende jüdische Persönlichkeiten, die sich rechtlich und humanitär für die europäischen Juden eingesetzt haben. "Ihr auf eingehenden Studien aufgebauter Vortrag befasste sich auch mit der philantropischen Lösung der Judenfrage.", heißt es in einem Zitat des Israelitischen Gemeindeblatts.

Im März 1937 beschloss Stellas Bruder Jakob, Deutschland zu verlassen und wanderte nach Brasilien aus. Der Plan war, dass Stella und ihre Mutter folgen sollten. Im Februar 1940 beantragte Stella Behr daher für sich und ihre Mutter einen Reisepass. Die Visa waren vom brasilianischen Konsulat in Frankfurt bereits ausgestellt und das Ausreisegepäck schon vom Zoll abgefertigt, als Stella und ihre Mutter am 22.10.1940 zusammen mit der Mehrzahl der Karlsruher Juden nach Gurs deportiert wurden.

Stellas Cousin Ludwig Reinheimer (gest. Februar 1945 in Flossenbürg) erreichte, dass die Reisepässe, die in Karlsruhe auf dem Polizeipräsidium verwahrt wurden, nach Frankfurt zum brasilianischen Konsulat zur Fristverlängerung geschickt wurden. Bis die Pässe dort eintrafen, war die Verlängerungsfrist aber bereits abgelaufen. An dieser bürokratischen Hürde scheiterte die Ausreise der beiden letztendlich.

In Gurs kamen Stella und Johanna wohl zunächst halbwegs über die Runden. Johannas Schwägerin Alice Klein arbeitete in der Küche und hatte so Zugriff auf zusätzliche Nahrungsmittel. Mehrere Verwandte bemühten sich unablässig, ihnen über Hilfsorganisationen Pakete mit Lebensmitteln zukommen zu lassen, darunter ihr Bruder Jakob, der sich weiterhin in Brasilien aufhielt, sowie Johannas Cousins Max und Ernst Klein und Johannas Kusine Kathinka Sigaloff-Klein, die inzwischen in Barcelona, Montevideo und Basel lebten.

Johannas Cousin Eduard Klein war ebenfalls nach Gurs verschleppt worden, konnte aber nach einigen Monaten nach New York ausreisen. Er berichtete, dass Stella sich in Gurs sehr für andere einsetzen und im Lager mithelfen würde, und dass sie daher sehr beliebt bei den Internierten sei. Unklug fand er allerdings, dass Stella in Gurs offenbar sparsam mit Geld umging, statt es sofort in Lebensmittel umzusetzen. Außerdem erzählt er, dass Stella trotz der schlechten Ernährung in Gurs bei ihrer vegetarischen Lebensweise bleibe, was er für ziemlich unverständlich hielt (Zitat: "Ihre vegetarischen Ansichten sind Blödsinn bei der Hungerkost dort."). Möglich, dass Stella Behr in Gurs auch Kindern Unterricht erteilte. Auf der Lagerkarteiklarte im Sammellager Drancy ist als Beruf „Institutrice“ (Grundschullehrerin) vermerkt. Eine offizielle Schule gab es im Lager von Gurs zwar nicht, allerdings wurden im Rahmen der Selbstorganisation der Internierten Kinder unterrichtet.

Die Familie versuchte weiterhin, Stella und ihrer Mutter zur Ausreise zu verhelfen. Um ein neues Visum zu beantragen, brauchten sie die Pässe, die wieder im Karlsruher Polizeipräsidium lagerten. Doch dann, im September 1941, erkrankte Stella Behrs Mutter Johanna aufgrund der miserablen hygienischen Verhältnisse in Gurs an Ruhr und starb kurz darauf. Nach dem Tod der Mutter schrieb Jakob Behr erneut einen Brief an das Polizeipräsidium Karlsruhe mit der Bitte, seiner Schwester den Pass nach Gurs zu schicken. Doch die Gestapo lehnte das ab, da eine Nachsendung von Urkunden zum Zweck der Auswanderung an Juden nicht erfolgen dürfe und schloss den Fall daraufhin ab mit dem Vermerk: "Die Beantwortung des Schreibens unterbleibt, da eine Zustellung nicht möglich ist."

Stella selbst scheint Mitte 1942 die Ausreisepläne aufgegeben zu haben, ihrem Onkel Fritz Klein in Missouri schrieb sie über das Rote Kreuz, sie wolle nicht nach Amerika kommen, sondern das Kriegsende in Gurs abwarten.


Max Klein erhielt einen letzten Brief von Stella am 22. Juni 1942. Stella wurde am 5. August 1942 aus Gurs in das Sammellager Drancy bei Paris gebracht. Sie konnte noch eine Mitteilung beim Roten Kreuz hinterlassen, dass sie aus Gurs abgereist sei. Sie endet mit den Worten "Tausend Grüße an alle. Stella." Von Drancy wurde Stella am 10. August 1942 nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurde.

(Katja Klink, Januar 2023)


Quellen:
Generallandesarchiv Karlsruhe 330/84 und 89; 480/8648, 23587 und 35912;
Stadtarchiv Karlsruhe 1/AEST 1237; 8/StS 34 Nr. 239 und 241-244;
Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden B1./19, Nr. 164, 28.2.1941;