Adler, Robert Ludwig

Nachname: Adler
Vorname: Robert Ludwig
Geburtsdatum: 19. Dezember 1899
Geburtsort: Karlsruhe (Deutschland)
Familienstand: ledig
Eltern: Samuel (1860-1932) und Emmy A. (1867-?), geb. Weiss
Familie: Bruder von Dr. med. Erich A. und Paul Nathaniel (1893-1916)
Adresse:
Kaiserstr. 141,
1904: Wörthstr. 10,
1907: Haydnplatz 3,
Gartenstr. 44,
1939-1940: Brunhildenstr. 2
Deportation:
22.10.1940 nach Gurs (Frankreich),
14.8.1942 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Sterbeort:
Auschwitz (Polen)

Biographie

Robert Ludwig Adler

Zum 15. April 2015, Yom Ha'Shoah oder Holocaust-Gedenktag, stellte Aviva Adler in Jerusalem einen Beitrag ins „Netz“. Er enthält einen Brief ihres Vaters aus dem Jahr 1994 und das Foto eines Familienerbstücks, einer Tasse mit Deckel in Form eines Kelches, genannt Kos Eliyahu. Das Gefäß gehörte Robert Ludwig Adler, dem Onkel des Briefschreibers. Vermutlich habe er es zu seiner Bar Mitzvah im Jahr 1912 bekommen, schrieb sie.

Die Vorgeschichte
Im Adressbuch der Stadt Karlsruhe von 1881 wurde der Kaufmann Samuel Adler erstmalig verzeichnet. In der Kaiserstraße 125 führte er ein Schuhwarengeschäft. Die nächste Ausgabe nennt ihn als Inhaber der „Schuhmanufactur J. u. S. Hirsch´s Nachf. N. A. Adler“ unter gleicher Adresse. Wofür „N.A.“ in der Geschäftsbezeichnung steht, konnte nicht geklärt werden. Im Geschäftsanzeiger warb die „Manufactur“ für die größte Auswahl an Damen-, Herren- und Kinderschuhen zu billigen Preisen, als Spezialität wurden „Wiener Schuhwaren“ angepriesen.
Aus Sommerhausen in Unterfranken, 13 Kilometer südlich von Würzburg, war Samuel Adler zugewandert, dort war er am 7. Dezember 1860 als Sohn des Sigmund Adler geboren worden. Am 17. Januar 1888 heiratete er Emmy Weiss, geboren in Landau am 8. Februar 1867, Tochter von David Weiss und seiner Frau Sara, geborene Hertz. Am 8. März 1889 kam in Karlsruhe ihr Sohn Erich David zur Welt. 1892 gab Samuel Adler sein Geschäft ab, nähere Umstände sind nicht bekannt. Die Werbeanzeige im Adressbuch lautete jetzt N.A. Adlers Nachf. M. Karlebach, der restliche Anzeigentext blieb unverändert. Samuel Adler selbst eröffnete jetzt in der Adlerstraße 17 den Handel „N.A. Adler, Schuhwaren en gros“, wohnte mit Frau und Kind zunächst im gleichen Haus. Bald zog die Familie in die Kaiserstraße 141 um, wo am 12. April 1893 Paul Nathaniel und am 19. Dezember 1899 Robert Ludwig geboren wurden. 1904 zog die fünfköpfige Familie in die Wörthstraße 10 um, 1907 an den Haydnplatz 3. Später wird der Sohn schreiben, die Familie „lebte in geordneten Verhältnissen“. Der Schuhgroßhandel Adler befand sich ab 1904 in der Adlerstraße 24, im Hinterhaus, um 1928 wurde er in die Karlstraße 67 verlegt, in das Anwesen der Fabrikanten Hermann und Hans Barth.

Die Brüder Adler
Der älteste Sohn Erich besuchte nach dreieinhalb Jahren Vorschule das Humboldt-Realgymnasium bis zum Abitur 1907. Im Anschluss studierte er an der Universität Heidelberg Medizin, dazwischen ein Semester in Genf. Danach „genügte er“, wie er es in seinem Lebenslauf vom 1. April 1914 nannte, seiner Militärpflicht beim Königlich Bayrischen Leibregiment in München. Im Dezember 1912 bestand er die ärztliche Hauptprüfung in Heidelberg. Ab Januar 1913 war er „Medizinalpraktikant“ im Städtischen Krankenhaus Worms, bis März 1914 dort auf verschiedenen Stationen tätig. Am 1. April 1914 wurde er „einjährig-freiwilliger Arzt ohne Löhnung“. Im Ersten Weltkrieg wurde er ausgezeichnet mit dem „Ritterkreuz des Ordens vom Zähringer Löwen“, dem „Kommandeurkreuz des Zähringer Löwen“ und der „silbernen Verdienstmedaille am Bande der militärischen Karl – Friedrich – Verdienstmedaille“.
1919 heiratete er Irene Rosenberg, geboren am 2. Dezember 1890 als Tochter von Dr. med. Max und Julie Rosenberg. Die Braut war nach einem Chemiestudium an der TH Karlsruhe und Diplom an der Universität Breslau 1915 als erste Studentin der Fridericiana im Fach Chemie zur Dr.- Ing. promoviert worden. Das Thema ihrer Dissertation lautete „Über einige Bestandteile der Edelkastanienblätter“. 1921 wurde ihre Mitarbeit in einem der wissenschaftlichen Aufsätze ihres Mannes erwähnt. Zusammen mit ihm und als seine Laborantin, medizinisch-technische Assistentin (lab assistant) hat sie gearbeitet, wird später ihr Sohn berichten. Ab der Adressbuchausgabe 1921 (Stand Oktober 1920) ist Dr. Erich Adler in den Karlsruher Adressbüchern als Facharzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten, Kaiserstraße 94 verzeichnet. Am 8. November 1920 kam die Tochter Lotte Ruth zur Welt, am 20. September 1922 Kurt Paul Ernst und am 9. September 1927 Elsbeth Marta, kurz „Elsie“ genannt. Bis 1926 wohnte die Familie in der Kriegsstraße 53a. 1927 mietete Erich Adler die erste und zweite Etage im Haus Sophienstraße 5, die beiden Vierzimmerwohnungen mit großer Wohndiele, Küche und Bad waren innerhalb mit einer Treppe verbunden. Unten wurde die Praxis eingerichtet, darüber die Wohnung.
Erich Adler war Ortsgruppenvorstand im C.V. (Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens), Mitglied der Carl- Friedrich-Loge, seine Frau im Israelitischen Frauenverein, Frauenwohltätigkeitsverein, Vorsitzende des Jüdischen Jugendbundes, Abteilung Mädchengruppe, Karlsruhe und war aktiv im Deutschen Akademikerinnenbund e.V.

Der zweitgeborene Sohn Paul Nathaniel machte nach der Schulzeit eine kaufmännische Ausbildung. Sein Bruder Erich schrieb am 1. April 1914 in seinem Lebenslauf, Paul, der ältere seiner beiden jüngeren Brüder, sei „im väterlichen Geschäft tätig“. Im Ehrenbuch der Stadt Karlsruhe 1914-1918, das die Stadt den 5.300 Einwohnern widmete, „die im Weltkrieg zur Verteidigung ihrer Heimat auszogen und nicht zurückkehren durften“, steht sein Name. Der 23-jährige ledige Paul Adler, Kaufmann, Kanonier beim Feldartillerie-Regiment 36, 5. Bataillon (Danzig) war am 12. Juli 1916 infolge Verwundung im Lazarett Moyencourt, südöstlich Nesle, Somme verstorben. Auf der steinernen Gedenktafel für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs auf dem jüdischen Friedhof steht sein Name an erster Stelle.

Der jüngste Sohn, Robert Ludwig Adler, war 16 Jahre alt als der Bruder Paul starb und besuchte zu dieser Zeit das Goethe- oder Humboldt-Realgymnasium. Ob der Tod des Bruders seine schulische, später die berufliche Ausbildung beeinflusste, kann zwar vermutet, aber nicht bewiesen werden. Jedenfalls trat er nach einer kaufmännischen Ausbildung in den väterlichen Betrieb ein. Welche Aufgaben ihm dort zugewiesen wurden, ist nicht bekannt - „he worked with his father in the Shoe Wholesale company N.A. Adler“, schrieb sein zu Beginn zitierter Neffe 1994. Vorstellbar ist, dass Robert Ludwig selbst andere Zukunftsträume hatte. 1994 schrieb der Neffe, sein Onkel Robert sei ein talentierter Klavierspieler gewesen. „I don´t think he could read music – but he could go to the opera, then come home and play the music from memory”. Musikunterricht hatte er also nie, sonst hätte er Noten lesen können. Ein Klavier stand allerdings im Hause Adler, für wen es angeschafft worden war, ist nicht bekannt. Auch im „kunsthandwerklichen Bereich“ betätigte sich Robert Ludwig dem Anschein nach gerne. Bei der Chanukkafeier 1937 gestaltete er „geschmackvolle“ Bühnenbilder für einen Auftritt der Fünft- und Achtklässler, wie in einem Bericht im Israelitischen Gemeindeblatt zu lesen ist. Eine eigene Familie hatte Robert Ludwig nicht, „never married“, heißt es in dem Brief, wahrscheinlich hatte er auch nie eine eigene Wohnung. Sein Name ist kein einziges Mal in den Adressbüchern der Stadt oder in einem der Vororte verzeichnet. Dass er außerhalb Karlsruhes wohnte ist unwahrscheinlich, vermutlich verließ er das Elternhaus nie.

Geschäfts- und Wohnungsaufgabe
Am 23. August 1932 starb Samuel Adler im Alter von 71 Jahren. Franz Haaf aus Kandel, der als Reisender für N.A. Adler tätig war, berichtete später, die Firma sei „wegen Todesfall des Inhabers“ aufgelöst worden. Haaf, gleichaltrig zu dem im Ersten Weltkrieg „gefallenen“ Paul Nathaniel Adler war nach französischer Kriegsgefangenschaft seit 1920 als Reisender für die Schuhgroßhandlung tätig gewesen. Außer ihm, dem Sohn Robert Ludwig und einer Buchhalterin sind übrigens keine weiteren Beschäftigten bekannt. Die Firma wurde an Albert Hirsch aus Stuttgart verkauft. Der Besitzerwechsel wurde mit Datum 10. Dezember 1932 im Handelsregister eingetragen, der Kaufpreis mit diversen Verbindlichkeiten betrug 63.291,66 RM. Dass der 32-jährige Robert Ludwig Adler das Geschäft nun nicht weiterführte, erklärt vielleicht die Aussage seines Bruders Erich, dass „die Erkrankung des Vaters und die Krise“ (Weltwirtschaftskrise) Grund für den Verkauf gewesen seien. Ein letztes Mal steht die Firma unter der Bezeichnung „N.A. Adler, Schuhwaren en gros, Karlstraße 67 – Albert Hirsch“ in der Adressbuchausgabe 1933/34 (Stand Dezember 1933). Am 5. November 1934 wurde im Handelsregisterauszug die Löschung der Firma vermerkt.
Weil Robert Ludwig Adler keine geeignete Anstellung finden konnte, erlernte er die Buchbinderei, berichtete der Bruder. Bei der Firma A. Otto Schick, Buchbinderei und Papierhandlung in der Waldstraße 21 konnte er 1932/33 „privat“ für sich arbeiten, eine Anstellungsmöglichkeit gab es allerdings nicht. Von der Firma bekam er weder Lohn noch Vergütung, verdiente jedoch auf eigene Rechnung etwa 250-300 RM monatlich, das wenige Material, das er für seine Arbeit benötigte, kaufte er dort. Ansonsten lebte er von der Unterstützung seiner Mutter, heißt es.
Die Witwe Emmy Adler hatte nach dem Tod ihres Mannes die Wohnung in der ersten Etage des Hauses Haydnplatz 3, Eigentümer Arthur Fuchs, Fabrikant und belgischer Konsul, aufgegeben. Im Adressbuch 1933/34 erschien nun bei den Einwohnern der Eintrag „Adler, Sam. (Emmy), Kfm.We.“ im Haus Gartenstraße 44b, etwa einen Kilometer von der Sophienstraße 5 und der Wohnung von Erich und Irene und den Kindern Lotte, Kurt Paul und Elsbeth Marta entfernt. Im Straßenverzeichnis sucht man die Namen Emmy oder Robert Ludwig unter den Bewohnern des Hauses allerdings vergeblich. Erst in den Büchern 1938 und 1939 (Stand Dezember 1938) ist Emmy Adler dort als Mieterin der ersten Etage des Hauses verzeichnet. Wohnte sie anfangs dort zur Untermiete, zusammen mit ihrem Sohn Robert Ludwig? Weder zum Hausbesitzer noch zu einem der Hausbewohner scheint es eine Verbindung zu Emmy Adler oder ihrem Sohn zu geben. Der Eigentümer der beiden vierstöckigen Wohnhäuser Gartenstraße 44a und 44b, mit Atelier und „baukünstlerisch hochwertiger Fassadengestaltung“ (Datenbank der Karlsruher Kulturdenkmale), war der Architekt Johann (Hans) Adam Zippelius, seit 1931 Mitglied der NSDAP, 1933-1935 Mitglied im NS-Bund Deutscher Technik und der Reichskammer der bildenden Künste und Geschäftsführer der „Volkswohnung GmbH“. 1936 hatte er die beiden Häuser an seine Söhne Adelhart, wohnhaft in Würzburg und Arnold, Referendar in Mannheim übertragen, er selbst fungierte nun nur noch als Hausverwalter. Spätestens nach dem Erlass des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939 wurde das Mietverhältnis mit der jüdischen Witwe fristlos gekündigt, wie es das Gesetz vorsah.
Über diese Jahre in ihrem Leben, voller Verluste und sicher voller Schikanen, wurden keine Aufzeichnungen von Robert Ludwig und Emmy Adler selbst gefunden, für ihre Erfahrungen sollen hier stellvertretend die ihrer nächsten Angehörigen stehen.

Ausgrenzung und Emigrationsvorbereitungen
Zwar war mit dem Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933 die Zahl der Neuaufnahmen jüdischer Schüler und Studenten auf 1,55 % beschränkt worden, ausgenommen waren jedoch die Kinder von ehemaligen Frontkämpfern. Doch nun war ein Klima der Feindseligkeit entstanden, Drangsalierungen waren an der Tagesordnung. Einige seiner bitteren Erfahrungen nach 1933 hat Emmy Adlers Enkel, der Neffe von Robert Ludwig, der Verfasser des Briefes von 1994 später geschildert, sicher waren sie ein zentrales Thema im Familienkreis. Kurt Paul, geboren am 20. September 1922, berichtete von einem Lehrer in „Naziuniform“ und dass er und seine beiden jüdischen Mitschüler Leo Baer und Alex Hirsch wie Fremdkörper im Klassenzimmer nun ganz hinten sitzen mussten und in den Pausen belästigt wurden. Von der Hitlerjugend wurde er angepöbelt und angespuckt. Er durfte weder Kino, Schwimmbad oder Restaurants besuchen. Am meisten hat es ihn geschmerzt, dass er seinen besten Freund, einen „arischen“ Nachbarjungen nicht mehr treffen durfte.
Als der Erlass der Nürnberger Gesetze im September 1935 dem jüdischen Teil der Bevölkerung sukzessiv die Lebensgrundlage entzog, wurde auch der Facharzt Erich Adler in seiner Berufsausübung beschränkt. Zuerst verlor er die Kassenzulassung, konnte nicht mehr in Krankenhäusern behandeln, dann stellte man ihm einen SA- Mann vor die Privatpraxis, der seine Patienten fotografierte. Mit einer Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ wurde dann am 15. Juli 1938 auch den Ärzten und Zahnärzten, die, wie Erich Adler Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg gewesen waren, die Kassenzulassung entzogen. 1936 hatten Erich und Irene Adler beschlossen, nach Nordamerika auszuwandern. Für Irene Adler war das eine eher überfällige Entscheidung, dem Patrioten Erich fiel sie schwer. Viel zu lange hatte er geglaubt, das NS-Regime könne sich in Deutschland nicht etablieren. Weil es inzwischen unmöglich geworden war, Gelder aus Deutschland auszuführen, brauchten sie einen in USA lebenden Bürgen, der für ihren Lebensunterhalt in den nächsten Jahren garantierte. Nach komplizierten Verhandlungen und der Ablehnung einer reichen, verwitweten Cousine als Bürgin aus Altersgründen, zeitraubendem Schriftwechsel und mehreren Fahrten zum Amerikanischen Konsulat in Stuttgart kam die Familie endlich auf die Warteliste für die Einwanderungserlaubnis. Die Bürgschaft (Affidavit of support) konnte der seit 1934 in USA lebende Dr. Max Rosenberg, Bruder von Irene übernehmen.

Flucht
Wegen der immer schwieriger werdenden Situation und unter dem Druck der fühlbaren Bedrohung brachten Erich und Irene Adler vor ihrer eigenen Ausreise ihre beiden älteren Kinder Kurt Paul und Lotte Ruth mit Beziehungen und Unterstützung nach England, das benötigte Schulgeld ebenfalls. Die jüngere „Elfie“ sollte bis zur Ausreise bei den Eltern bleiben. „Ein Freund der Familie, der in jüdischen Kreisen sehr bekannt war, vermittelte ihnen eine britische Dame, die den Schüleraustausch zwischen deutschen jüdischen und britischen Jugendlichen organisiert. Durch diesen Austausch wurde der … nahezu unmögliche Transfer von Geld ins Ausland umgangen“, heißt es in „Der Lebensweg Kenneth Adlers“. Kurt Adler berichtete später, er sei in Karlsruhe des Gymnasiums verwiesen worden. Ab September 1936 habe er das Trent College in Derbyshire, ein Internat, das der „Curch of England“ angehörte, besucht, die Sommerferien verbrachte er bei den Eltern in Karlsruhe. Einem späteren Reisepassantrag der Mutter liegt als Anlage ein Schreiben vom Juni 1938 bei. Darin heißt es, ihre Anwesenheit in England sei erforderlich, da der Sohn vor einem Abschlussexamen stehe, wichtige Zukunftsfragen und die weitere Ausbildung zu besprechen seien. Ein Brief vom Institut Minerva in Zürich an Dr. Erich Adler vom Juni des gleichen Jahres zeigt die Bemühungen der Eltern für die beste Ausbildung in Sicherheit. „Minerva“ versprach, Schüler mittels eines „beweglichen Klassensystems“ auf den Besuch einer Universität oder Technischen Hochschule vorbereiten zu können. Aber da eine „rein korrespondenzmäßige Behandlung“ der Anfrage unmöglich sei, wurde der Besuch von Herrn oder Frau Adler noch im Juli vorgeschlagen. Auch brauche man Klarheit über „eine Reihe von Umständen“. Der Sohn hat dieses Institut nicht besucht. Seine Schwester Lotte konnte an einer englischen Schule eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester machen.
Robert Ludwig und Emmy Adler wussten sicher, was gerade geschah, und wussten, dass die Familie endgültig zerrissen werden sollte.
Wegen ihrer Ausreise nach „Nordamerika“ wurden Irene und Erich Adler am 5. Dezember 1938 in das Amerikanische Konsulat in Stuttgart bestellt. Beantragt hatten sie Reisepässe mit einem Jahr Gültigkeit. Die 12-jährige Tochter Elsbeth („Elsie“) war im Pass des Vaters eingetragen. Mehrere Unbedenklichkeitsbescheinigungen bestätigten, dass sie alle Verpflichtungen erfüllt, sämtliche Steuern und Abgaben bezahlt hatten. Ein Schreiben der „Auswandererberatungsstelle Karlsruhe", das die Auswanderungsabsicht bestätigte, konnten sie vorlegen. Ihre „Sonderabgaben“, mit denen das Deutsche Reich die jüdische Bevölkerung ausplünderte, beliefen sich auf grob geschätzt 25.000 Reichsmark. Die letzte Station in Karlsruhe war die Kriegsstraße 53, Hausbesitzer war der „Süddeutsche Krankenverein A.G. München“. Wann sie ihre Wohnung in der Sophienstraße auflösten, ist nicht bekannt. Praxisgegenstände versteigerten sie, ebenfalls antike Möbelstücke wie beispielsweise ein Biedermeierzimmer, deren Ausfuhr verboten war. Mit dem Erlös und dem Verkauf von Aktien und einer Versicherung finanzierten sie die Kosten. Den größten Teil ihrer Möbel konnten sie „mitnehmen“. In zwei Liftvans wurden sie nach Bremen gebracht und sechs Monate später nach Amerika verschifft, die Kosten lagen dafür lagen bei 4.930,- Reichsmark.
Im Adressbuch 1939 (Stand Dezember 1938) ist Erich Adler noch als Mieter der ersten und zweiten Etage eingetragen, in der folgenden Ausgabe sind dort in der ersten Etage „Dr. Glock´s Anzeigenexpedit.“ und in der zweiten das „Reichsbauamt“ als Nutzer verzeichnet. Ihr Sohn Kurt gab später an, seine Eltern hätten im November1938 ihre Visa bekommen.

Am 9. Dezember 1938 verließen Erich, Irene und Elsie Adler Karlsruhe. Die Bargeldausfuhr war auf 10 Reichsmark pro Person begrenzt, 30 Reichsmark durften sie also mitnehmen. Fast unfassbar ist, dass sie angeblich zwei Goldbarren, die Erich Adler in Frankfurt, wo ihn niemand kannte, gekauft hatte, schmuggeln konnten und einen 100 Reichsmarkschein, den Irene Adler mit schwarzem Nähgarn umwickelt hatte und als Garnrolle tarnte.

Über Zürich, wo sie Verwandte besuchten, und Paris ging die Fahrt. In Le Havre gingen sie an Bord des Dampfers „Manhattan“ nach New York. Dort lebten sie zunächst in einem Notquartier. Die zwölfjährige Elsie konnte bei der Familie Rosenberg wohnen und die Schule besuchen. Kurt und seine Schwester Lotte (Charlotte) erhielten ihre Visa für die USA von der amerikanischen Botschaft in London. Am 28. Januar 1939 verließen sie von Southampton aus auf der Aquitania Europa. Im Februar 1939 kamen auch sie in New York an.
Erst vier Jahre nach seiner Ankunft in USA sollte Erich Adler nach diversen Fach- und Sprachprüfungen wieder seinen Lebensunterhalt bestreiten und eine Praxis eröffnen können. Bis dahin hatten auch die beiden 17 und 18 Jahre alten Kinder Kurt und Lotte mitgearbeitet, zusätzlich verkaufte man Teile des mitgebrachten Inventars aus Praxis und Haushalt oder lieh auch Geld in der Not.

Zuflucht in der Brunhildenstraße 2
Dass Robert Ludwig Adler und seine Mutter nicht spätestens mit Erich, Irene und Elsie Adler aus Deutschland flohen, scheint aus heutiger Sicht zunächst unverständlich. Gut vorstellbar ist natürlich, dass Emmy Adler aus Altersgründen in der Heimat bleiben und der unverheiratete Robert Ludwig die Mutter zunächst nicht alleine zurücklassen wollte. Sicher kann auch ihre finanzielle Situation der Grund gewesen sein. Denn zum einen hatten die USA nach der Weltwirtschaftskrise die Einwandererzahlen limitiert, zum anderen bevorzugten sie bestimmte Kategorien von Einwanderern, Robert Adler gehörte eher nicht dazu. Ein Visum wurde erst dann erteilt, wenn als sicher galt, dass der Antragsteller nicht dem Staat zur Last fallen würde, als Beweis galt ein Vermögen von einigen Tausend US-Dollar oder ein bereits erwähntes „Affidavit of support“. Die Familie war nun getrennt, eine gemeinsame Zukunft gab es nicht.
Wenige Monate später am 24. Mai 1939 starb Emmy Adler im Städtischen Krankenhaus in Karlsruhe. Die Todesanzeige kam vom Oberstaatsanwalt beim Landgericht Karlsruhe, am 25. Mai genehmigte er die Beerdigung. Als Todesursache der 72-jährigen wurde „Schlafmittelvergiftung“ angegeben, als letzte Wohnadresse Brunhildenstraße 2. Das dortige Wohnhaus gehörte seit 1937 der wohlhabenden Nelly, auch Cornelie (Cornelia Cäcilie) Schnurmann (geboren am 23. November 1901), einer Frau aus der gehobenen jüdischen Gesellschaft, die sich aktiv im Sozialwesen einbrachte, wie Josef Werner in „Hakenkreuz und Judenstern“ schrieb. Ihrem Reisepassantrag vom März 1939 ist zu entnehmen, dass sie auch jüdische Kindertransporte ins Ausland begleitete. Im Adressbuch 1940, in dem Juden nicht mehr verzeichnet wurden, sind im Haus Brunhildenstraße 2 nur noch die „arischen“ Haushaltsvorstände der ersten und dritten Etage eingetragen, beide waren bei der Reichsbank angestellt. Der Mieter der zweiten Etage, Paul Steeg, Assessor a.D., geboren 1903 war im Dezember 1938 mit seiner Familie ausgezogen. Steeg war am 28. März 1933 wegen seiner jüdischen Abstammung aus dem Staatsdienst entlassen, die Zulassung als Rechtsanwalt beim Landgericht Karlsruhe und der Kammer für Handelssachen Pforzheim war ihm entzogen worden. Danach arbeitete er als Bücherrevisor und Rechtsberater. In das Haus Brunhildenstraße 2 war er gezogen, nachdem es Cornelie Schnurmann um 1937 erworben hatte. In ihrem Auftrag vermittelte Steeg nun beispielsweise auch bei Mietangelegenheiten, wie es aus den Akten hervorgeht. Steeg war im Vorstand der Carl- riedrich-Loge, Schriftleiter des „Israelitischen Gemeindeblatts Ausgabe B“ und schrieb im „Jüdischen Gemeindeblatt für das Gebiet der Rheinpfalz“. Er referierte auch im Auftrag des „Hilfsvereins der deutschen Juden“, später „Hilfsverein der Juden in Deutschland“, an vielen Orten über Auswanderungsmöglichkeiten nach Übersee und deren eventuelle Bezuschussung durch öffentlich-jüdische Mittel. Nach den Novemberpogromen war er verhaftet und bis Ende November in Dachau inhaftiert worden. Nachdem er seine Auswanderung mit Frau und Kind, dem einjährigen Karl Nathan zusicherte, wurde er entlassen. Noch während seiner Inhaftierung hatte seine Frau Margarete die Formalitäten erledigt. Dem Reisepassantrag liegt die Bescheinigung der „Amtlich anerkannten öffentlich gemeinnützigen Auswanderer Beratungsstelle KA vom 15.11.1938“ bei, wonach die Vorladung auf das amerikanische Konsulat in Stuttgart zum 14. Dezember anberaumt worden war. Kurz danach erfolgte schon die „Ausreise mit vier Personen“ nach Hamburg. Die Eltern Frieda und Adolf Steeg, Bankprokurist i.R. gingen mit ihnen an Bord nach USA. New Orleans war der Bestimmungsort. „AUFBAU“, die wichtigste Infoquelle für jüdische und andere deutschsprachige Flüchtlinge, druckte in der Ausgabe vom 8. Juni 1943 folgende Todesanzeige: In Flushing, New York starb „Adolph“ Steeg im Juni 1943 im „gesegneten Alter“ von 83 Jahren, betrauert von seiner Witwe Frieda, Sohn, Schwiegertochter und zwei Enkeln.
Wann Emmy Adler in die Brunhildenstraße gezogen war, ist nicht bekannt. Glaubt man dem Adressbuch 1939, dann wohnte sie zumindest bis Dezember 1938 noch in der Gartenstraße 44b. Ursächlich für den Umzug war bestimmt das Gesetz zur „Entjudung“ von „arischen“ Mietshäusern vom Frühjahr 1939. Hatte sie in der frei gewordenen Zweieinhalbzimmerwohnung im zweiten Stock Zuflucht gefunden? Ob sie oder ihr Sohn Robert Ludwig sich bei Steeg über die Auswanderungsproblematik, ihre eigenen Perspektiven informierten oder sich mit Nelly Schnurmann besprachen? Beide wären gute Ratgeber gewesen. Über die nächsten 17 Monate im Leben des Robert Ludwig Adler gibt es auch keine Berichte, seine Hausangestellte Fräulein Margarete Deutsch aus Maximiliansau konnte im Wiedergutmachungsverfahren nicht mehr befragt werden, sie war verstorben.
Er blieb wohl in der Brunhildenstraße 2, auch nachdem Nelly Schnurmann am 31. August 1939 nach Luxemburg geflohen war, von wo aus sie später nach Nordamerika auswandern konnte. Spätestens nach dem Tod der Mutter hat er sich mit dem Thema Auswanderung beschäftigt, Sein Bruder Erich schrieb später, „ehe er seine Absicht auszuwandern vollziehen konnte … wurde er vom Krieg überrascht.“
Etwa 17 Monate nach dem Tod seiner Mutter, in den frühen Morgenstunden des 22. Oktober 1940 wurde Robert Ludwig Adler im Haus Brunhildenstraße 2, dem letzten Wohnsitz seiner Mutter überrumpelt und festgenommen, um abgeschoben zu werden.
Unter der laufenden Nummer 1.231 ist Robert Israel Adler auf den Deportationslisten der Badischen Juden verzeichnet. Innerhalb kurzer Zeit musste er packen, maximal 50 kg Gepäck, Proviant für mehrere Tage und 100 Reichsmark. Er wurde, wie die anderen über 900 Juden in Karlsruhe nach Devisen, Gift, Munition, Sprengstoff und Waffen durchsucht und zum Bahnhof, dort zum abgesperrten „Fürstenbahnhof“ im Ostflügel, verfrachtet. Eine dreitägige Fahrt ins Ungewisse mit zahlreichen Aufenthalten brachte die Menschen in ein Barackenlager, das „Camp de Gurs“ im von den Deutschen noch unbesetzten Frankreich. Die entsetzlichen Lebensbedingungen sollen hier nicht beschrieben werden.
Die Deutsche Bank bescheinigte 1948, dass aus seinem „Wertpapierdepot elf Positionen Wertpapiere aufgrund von Vermögensverfall gemäß einer Anordnung des Oberfinanzpräsidenten Karlsruhe vom 15.5.1942 teils an die Preussische Staatsbank, teils an die Deutsche Reichsbank, teils abgeliefert, teils veräußert wurden“.
Fast 22 Monaten verbrachte Robert Ludwig Adler vermutlich in Gurs. Am 11. August 1942 wurde er mit dem Transport Nr. 1 von Rivesaltes in das grauenvolle Durchgangslager Drancy verbracht und von dort am 14./16. August 1942 nach Auschwitz überstellt, teilte das Comité international de la Croix Rouge mit. Dort verliert sich die Spur.
Eine letzte Nachricht hat er unmittelbar davor verschickt, er hat sie auf den 10. August 1942 datiert. In Auschwitz wurde er ermordet, das Todesdatum ist nicht bekannt.

Epilog
Bis 1972 führte Dr. Erich Adler eine Arztpraxis in Greenfield, Massachusetts.
Im Alter von 83 Jahren erkrankte er schwer und zog mit seiner Frau zur Tochter Elsie nach Hollywood. Dort starb er am 21. Juli 1974, seine Frau Irene starb 12 Jahre später am 30. September 1986.

Elsbeth Martha, Elsie, verheiratete Spechler war Krankengymnastin geworden.

Lotte Ruth Adler, verheiratete Landauer, hatte in England eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester gemacht und sich in Florida niedergelassen.

Kenneth Paul (Kurt Paul Ernst) Adler, der Verfasser des Briefes von 1994 arbeitete in den Vereinigten Staaten anfangs als Laufbursche, als Fabrikarbeiter und als Assistent in einem Laboratorium. Er besuchte Kurse an der Abendschule, um sein Studium abschließen zu können. Seine künftige Frau traf er im jüdischen Flüchtlings-Club bei YMHA 1942. Das Paar heiratete 1944 und bekam in den folgenden Jahren drei Kinder. 1943 trat er der „Army“ bei, änderte seinen Vornamen in Kenneth, um nicht als Deutscher erkannt zu werden. Er war Funker in Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland. 1945–1946 arbeitete er für die Militärregierung, Spezialgebiet Antisemitismus. Nach dem Krieg nahm er sein Studium (Sozialwissenschaft und Journalismus) wieder auf, musste es jedoch oft unterbrechen, um den Lebensunterhalt für seine Familie zu sichern. Danach war er unter anderem für die BBC in Ottawa und als Universitätsdozent in Maryland tätig.
Im Jahr 1988 besuchte er seine Geburtsstadt Karlsruhe.
In einem Interview sagte er: „reconciliaton yes. .. forget never“.
Kenneth Adler starb am 17. April 2013.

(Christa Koch, Oktober 2016)


Quellen und Literatur:
Stadtarchiv Karlsruhe 1/AEST 25, 38,1; 1/Schulen5, Realgymnasium Humboldt-Gymnasium Archiv; Israelitisches Gemeindeblatt, Ausgabe B vom 8.12.1937 (Chanukka-Feier); 8/StS 34/45 Blatt 125 und 34/159; 1/Wi-Ko-Amt 5317; Beilagen zum Sterberegister 1939 (Emmy Adler).
Generallandesarchiv 480/29073 (Robert Ludwig Adler), 480/7014 (Paul Steeg), 480/7922 (Cornelia Schnurmann); 290 Nr. 73; 237 Zugang 1967-19, Nr. 1694; 330 Nr. 8, 10, 1099 und 1138; 456 E Nr. 51.
http:www.alemannia-judaica.de/karlsruhe_friedhofneu.htm
https:
tclibraryblog.wordpress.com/2015/04/15/family-heirloom-in-memory-of-the-holocaust/
http:collections.ushmm.org/oh_findingaids/RG-50.163.0001_sum_en.pdf (Kenneth Adler)
http:
www.karlsruhe.de/b4/stadtverwaltung/gleichstellung/was_fuer_frauen/rosenberg.dehttps:de.wikipedia.org/wiki/
https:
web1.karlsruhe.de/db/kulturdenkmale/detail.php?id=00614https:tclibraryblog.wordpress.com/2015/04/15/family-heirloom-in-memory-of-the-holocaust/ (Aviva Adler)
http:
collections.ushmm.org
https:*tclibraryblog.wordpress.com/2015/04/15/family-heirloom-in-memory-of-the-holocaust/ (Aviva Adler)
Josef Werner: Hakenkreuz und Judenstern/ Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, Karlsruhe, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 1990.
Werner Röcker, Herbert Strauss: Biografisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Institut für Zeitgeschichte München und Research Foundation for Jewish Immigration N.Y.