Löwenthal, Sigmund

Nachname: Löwenthal
Vorname: Sigmund
Geburtsdatum: 4. Juni 1888
Geburtsort: Odessa (Russland, heute Ukraine)
Familienstand: verheiratet
Familie: Ehemann von Sofie L.; Vater von Martin Ludwig und Adoptivater von Paul L.
Adresse:
Leopoldstr. 7,
1932: Kriegsstr. 113
Beruf:
Fabrikant , Teilhaber von Heinrich Mahler & Co, Lagerstr. 6
Deportation:
15.1.1938 nach Dachau (Deutschland)
Sterbeort:
Dachau (Deutschland)
Sterbedatum:
8. Februar 1938

Biographie

Sigmund Löwenthal

Sigmund Löwenthal wurde am 4. Juni 1888 in Odessa, heutige Ukraine, am Schwarzen Meer gelegen, geboren. Sein Vater war der Kaufmann Louis Elieser Löwenthal und seine Mutter die zwei Jahre ältere Fanny Löwenthal, geborene Fellhammer. Odessa war eine bedeutende Handelsstadt und hatte damals die größte jüdische Gemeinde im zaristischen Russland, etwa 125.000 Zugehörige.
Ob und wie der Vater in Odessa heimisch war, ist unklar, die Wurzeln von Fanny Fellheimer lagen jedenfalls im Württembergischen. Beide waren zum Zeitpunkt der Eheschließung sehr jung, 1877 wurde die erste Tochter geboren. Sigmund Löwenthal war der einzige Junge unter vier Schwestern. Alle Kinder wurden in Odessa geboren. Das lässt auf den Lebensmittelpunkt der Familie in dieser quirligen Schwarzmeermetropole schließen. Der Vater starb mit nur 33 Jahren im Jahr 1891 in Odessa. Die Mutter ging mit ihren fünf Kindern, das letzte war 1891 geboren offensichtlich zurück zu ihrer Familie nach Stuttgart. Die Familie wohnte im Stuttgarter Westen in der Reinsburgstraße 45. Nicht nur diese gutbürgerliche Adresse unterstreicht die gesicherten sozialen Verhältnisse der Witwe und ihrer Kinder. Sigmund legte In Stuttgart das Abitur ab und erlernte danach in Untertürkheim bei der Firma Wolf und Söhne – Baumwoll und Putzwollfabrik – den Kaufmannsberuf. Er sollte offensichtlich in größere Fußstapfen treten und wurde zur Vervollkommnung seiner Fähigkeiten in das Ausland nach England geschickt. Dort bewies er sich als Filialleiter in Manchester.

Sigmund verheiratete sich am 22. Juni 1920 in Karlsruhe mit der verwitweten Sofie Isaac, geborene Mahler. Sie war am 14. April 1890 in Karlsruhe geboren. Ihr Bruder Heinrich Mahler hatte eine Lumpensortier- und Hadernanstalt gegründet. Die Firma „Heinrich Mahler, Lumpen und Sortieranstalt“ gehörte zu den großen der Branche. Sofie hatte mit ihrem ersten Ehemann, dem Kaufmann Otto Jakob Isaac unter guten Verhältnissen in der Weinbrennerstraße 15 gelebt. Er musste im Ersten Weltkrieg einrücken und wurde als Landsturmmann des 113. Badischen Infanterieregiments bei den Kämpfen an der Somme nahe Allaines am 10. November 1916 mit einem Beinschuss verwundet und verstarb daran.

Das Ehepaar Löwenthal wohnte nach der Heirat in Stuttgart, zog dann aber nach Karlsruhe, weil Sigmund in die Firma seines drei Jahre jüngeren Schwagers in der Lagerstraße 6 eintrat, mit offiziellem Handelsregistereintrag am 23. Januar 1922, als Gesellschafter mit einem Anteil von 40 Prozent eintrat. Die Löwenthals wohnten in der Leopoldstraße 7b, ab 1932 in der Kriegsstraße 113.

Sofie hatte einen Sohn aus erster Ehe eingebracht, Paul, geboren am 25. Dezember 1912 in Karlsruhe. Sigmund Löwenthal adoptierte ihn am 20. Juli 1921 vor dem Amtsgericht Freudenstadt. Am 20. Oktober 1921 kam der gemeinsame Sohn Martin Ludwig in Stuttgart auf die Welt.

Sigmund Löwenthal und sein Schwager waren erfolgreich mit der Firma. Die Lumpen- und Sortieranstalt war insgesamt ein mittelgroßer Betrieb, gehörte in Karlsruhe neben der von Vogel & Schnurmann sowie S. Nachmann, ebenfalls Firmen mit jüdischen Inhabern, mit über 100 Mitarbeitern zu den großen Drei dieser wirtschaftlich bedeutsamen Recyclingbranche in Karlsruhe. Sigmund Löwenthal kümmerte sich als Geschäftsführer in erster Linie um die kommerziellen Dinge, der Schwager auch um die technischen Fragen.
Die Einkünfte aus dem Betrieb erlaubten einen gehobenen Lebensstandard. Sigmund Löwenthal gehörte zu dem kleinen Kreis aus den Reihen der wohlhabendsten Juden aus Handel, Industrie und Bildungsbürgertum, die Mitglied der jüdischen Carl-Friedrich-Loge im weltweiten B'nai B'Brith waren. Darüber hinaus engagierte er sich in jüdischen Wohlfahrtsvereinen wie dem Jüdischen Kindergartenverein oder dem Israelitischen Männerkrankenverein. Seine große Leidenschaft war das Singen, das er sich eigens durch Ausbildung vervollkommnete. So sang er im Synagogenchor und schmückte auch als Solo-Tenor so manche Feierlichkeit im jüdischen Gemeindeleben.

Der Sohn Paul Löwenthal besuchte zuerst in Stuttgart und dann nach dem Umzug der Familie nach Karlsruhe bis 1922 hier die Volksschule. Danach wechselte er auf das Humboldt-Realgymnasium, das er mit der Mittleren Reife 1929 verließ, um noch ein Jahr die Höhere Handelsschule zu besuchen. Er absolvierte 1930 bis 1932 eine kaufmännische Lehre bei der Malzfabrik Wimpfheimer in Karlsruhe, um sich auf den Eintritt in den Betrieb des Vaters und Onkels vorzubereiten. Zum 1. Mai 1932 trat er in den Familienbetrieb ein, ab 1936 in leitender Funktion. Ihm wurde früh bewusst, dass es in Deutschland keine Zukunft gab und so betrieb er als erstes Familienmitglied die Emigration in die USA. 1937 schiffte er sich in Hamburg ein und kam auf dem Dampfschiff „Washington“ am 14. April 1937 in New York an. Er ging nach Baltimore und etablierte sich dort. Ob er diese Entscheidung allein traf oder ob bereits Familienangehörige dort lebten, muss offenbleiben.

Der Sohn Martin Ludwig besuchte von 1928 bis 1932 die Gartenschule in Karlsruhe, danach wechselte er auf das Goethe-Realgymnasium. Dort wurde er insbesondere vom Direktor der Schule als Jude drangsaliert und verließ deshalb 1936 die Schule. Die Eltern schickten ihn zur weiteren Schulausbildung 1937, 1938 auf eine Privatschule nach England. Zur Beerdigung des Vaters kehrte er nochmals kurz nach Karlsruhe zurück, ging dann wieder nach Liverpool.

Mit Beginn des NS-Regimes gerieten die von jüdischen Inhabern betriebenen Unternehmen unter Druck. Auch die Firma Heinrich Mahler war nun von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen. Allerdings bedeuteten die nationalsozialistischen Autarkiebestrebungen mit dem Bestreben die Industriebetriebe zu stärken, für diese Recyclingsparte eine direkte Stärkung. So erfuhren auch jüdische Lumpenhandels- und Sortieranstaltsfirmen zunächst gar eine besondere Förderung. Eine Anordnung aus dem Reichswirtschaftsministerium im Frühjahr 1936 sicherte eine monopolartige Stellung. So konnte auch die Firma Heinrich Mahler & Co binnen zwei Jahren ihre Gewinne verzigfachen. Das machte diese jüdischen Firmen nun aber auch zu vordringlichen Objekten der „Arisierung“. Die Inhaber erfuhren Drohungen und Haftmaßnahmen, um sie rasch zur Veräußerung an nichtjüdische Eigentümer zu erpressen. Sigmund Löwenthal wurde mit Heinrich Mahler und dessen Mutter Frieda Mahler, formal Teilhaberin, von der Gestapo am 5. August 1937 in sogenannte „Schutzhaft“ genommen, in das Gefängnis Riefstahlstraße eingeliefert. Formal wurde der Firma und ihren Verantwortlichen Verstoß gegen die Höchstpreisbestimmungen für Rohprodukte vorgeworfen. Dafür wurde gegen die Firma am 22. September 1937 vom Finanz- und Wirtschaftsministerium eine Ordnungsstrafe über 200.000 RM verhängt. Selbst wenn der Vorwurf zugetroffen haben soll, waren nichtjüdische Firmen bei solchen Verstößen nur mit einem Bruchteil dieser hohen Strafe belegt worden. Die Strafhöhe bedeutete den geschäftlichen Ruin. Die formal mögliche Beschwerde der Firmeninhaber aus der Haft dagegen wurde drastisch eingeschränkt. Darüber hinaus wurden Heinrich Mahler und Sigmund Löwenthal „angeraten“ die Beschwerde zurückzunehmen und dafür Haftverschonung bei gleichzeitiger Auswanderung in Aussicht gestellt. Beide wurden gar in das Konzentrationslager Dachau überstellt, Sigmund Löwenthal wurde dort am 15. Januar 1938 im Eingangsbuch registriert und erhielt die Nummer 13348.
Etwa zeitgleich waren die jüdischen Inhaber der Rohproduktefirmen wie Vogel & Schnur oder S. Nachmann ebenfalls unter Druck gesetzt, verhaftet und ihnen unter dem Vorwand von Verstößen die Gewerbeerlaubnis entzogen worden.

Die Firma Heinrich Mahler legte ihre Liquidationsbilanz zum 31. Oktober 1937 vor und startete unter neuen Eigentümern und Namen neu, Firma Karl Herzer & Cie. Karl Herzer war zuvor leitender Angestellter bei der Fima Mahler gewesen.
Die Unrechtmäßigkeit dieser „Arisierung“ wurde im Restitutionsverfahren der Nachkriegszeit festgestellt und die neuen Firmeninhaber mussten mit größeren Nachzahlungen entschädigen.

Wie es Sigmund Löwenthal im Konzentrationslager konkret erging, ist nicht überliefert. Vermutlich musste der über 50-Jährige die berüchtigten Schikanen dort erleiden. Nach gerade einmal drei Wochen im KZ Dachau verstarb er am 8. Februar 1938. Der Totenschein gibt als Todesursache Pneumonie, toxische Herz- und Kreislaufschwäche an.
Der verplombte Sarg wurde unter Bewachung der Gestapo in Karlsruhe am 10. Februar auf dem Friedhof der liberalen jüdischen Gemeinde beerdigt.

Sofie Löwenthal setzte unter dem Eindruck dieses Terrors alles daran, Deutschland zu verlassen. Das Reich wollte die Juden loswerden und stellte sich ihrer Ausreise nicht in den Weg. Aber zuvor plünderte es die auf diese Weise aus ihrer Heimat Vertriebenen aus. Sofie Mahler musste die obligatorische Reichsfluchtsteuer an den Fiskus entrichten, 29.235 RM, ebenso noch die Vermögenssteuer über 4.000 RM entrichten. Das Reich wollte Devisenabzug verhindern und belegte in das Ausland zu transferierende Devisen mit horrenden Abgaben, zuletzt über 95 Prozent. Sofie Mahler entrichtete diese „Ersatzlose Abgabe an die Deutsche Gold- und Diskontobank“ über 52.000 RM.
Sie konnte am 16. August 1938 in Bremerhaven den Dampfer Bremen besteigen. Das Schiff erreichte New York am 22. August 1938. Sie war nun in Sicherheit, aber die einst vermögende Frau war nun nahezu mittellos.

Martin Ludwig Löwenthal folgte der Mutter in die USA von England aus. Im September 1938 bestieg er das Dampfschiff „Europa“, das ihn am 15. September 1938 nach New York brachte. Der 17-Jährige ging unmittelbar nach Baltimore zur Mutter. Studium und Ausbildung waren zunächst nicht möglich, 1942 wurde er gemustert und diente bei der US-Army im Zweiten Weltkrieg. Danach machte er mit einem Programm für Kriegsveteranen 1946 bis 1950 auf dem Loyola College in Baltimore einen qualifizierten Schulabschluss, studierte anschließend 1950 bis 1952 an der John Hopkins University. Er unterbrach das Studium aber um zu arbeiten, absolvierte 1955 das College of Commerce zum beruflichen Weiterkommen und belegte danach 1957/58 nochmals Kurse an der John Hopkins University mit dem Abschluss als Buchprüfer. Er starb am 16. April 1991 und wurde auf dem Chevra Ahavas Chesed Friedhof bei Baltimore begraben.

Paul Löwenthal verheiratete sich 1944 und gründete eine Familie. Er starb am 11. Januar 2000 und fand wie sein Halbbruder ebenfalls auf dem Chevra Ahavas Chesed Friedhof seine letzte Ruhestätte.

Sofie Löwenthals Mutter und Sigmunds Schwiegermutter Frieda Mahler gehörte zu den am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportierten badischen Juden. Die Familie in den USA setzte alles daran, sie aus dem Lager freizubekommen und ihr die Ausreise zu ermöglichen. Sie hatten Glück, die 76-jährige Frieda Mahler bekam alle notwendigen Papiere und eine Schiffspassage. Von Marseille aus ging es nach Casablanca und nach einem Aufenthalt dort in die USA, wo sie am 2. August 1942 in New York ankam.
Sie war bei der Familie in Baltimore geborgen und wurde von Sofie Löwenthal bis zu ihrem Tod am 23. März 1955 gepflegt.
Sofie Löwenthal starb am 9. Februar 1966 in Baltimore.

(Jürgen Müller, Oktober 2021)

Quellen:
Stadtarchiv Karlsruhe: 1/AEST/36, 1/AGA 6407;
Generallandesarchiv Karlsruhe: 237/Zug. 1967-19 Nr. 1140, 330/754, 755, 480/13586, 13588, 13589 und 21491, 508/Zug. 1968-23 Nr. 373;
Karlsruher Zeitung, 8.6.1925;