Löwenstein, Fanny
Nachname: | Löwenstein |
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Vorname: | Fanny |
geborene: | Nußbaum |
Geburtsdatum: | 27. September 1885 |
Geburtsort: | Rotenkirchen (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Familie: | 2. Ehefrau von Nathan L.;
Stiefmutter von Arnold und Dr. Julius |
1906: Kaiserstr. 51,
1922: Kaiserstr. 186,
1930: Waldstr. 52,
1937: Kaiserstr. 26,
1939: Kurfürstenstr. 18,
1940: Karlstr. 101
29.1.1943 nach Auschwitz (Polen)
Biographie
Nathan und Fanny Löwenstein
Nathan Löwenstein wurde am 8. Mai 1873 in Fritzlar geboren. Sein Vater Isaak, geboren 1845 (Metzgermeister) und seine Mutter, Malchen Amalie geborene Bacharach (geboren am 8.Dezember 1838 in Mansbach), lebten in Fritzlar am Marktplatz 1. Die Eltern heirateten 1865. Nathan hatte fünf Geschwister: Bertha (1868 geboren), Hermann (1869 geboren), Dina (1874 geboren), Jettchen (1875 geboren) und Sally (1888 geboren). Nathan Löwenstein heiratete am 25. Juni 1901 in Mannheim Emilie, geborene Cahn und zog 1902 nach Karlsruhe.
Emilie wurde in Osyka, Mississippi USA, am 2. April 1878 geboren. Ihr Vater Adolph Cahn wurde in Gersheim (Saar) am 9. September 1850 (oder 9. September 1849) mit dem Nachnamen „Kahn“ geboren, den er später in Cahn änderte. Emilies Mutter war Therese, geborene Wolf, die in Lambsheim (Pfalz) 1853 geboren wurde. Fünf Monate nach der Geburt von Emilie starb ihr Vater an Gelbfieber; er wurde auf dem „The Old German Jewish Cemetery“, nahe Osyka, beerdigt. Therese siedelte mit der Tochter zurück nach Lambsheim.
Die Familie Löwenstein wohnte in Karlsruhe in der Kaiserstraße 99. Nathan Löwenstein arbeitete als Kaufmann im Textilwarengeschäft Lehmann und Löwenstein.
Das Ehepaar hatte zwei Kinder, Julius (geboren am 18. Mai 1902) und Arnold (geboren am 3. Mai 1913).
Seit mindestens 1904 lebten die Löwensteins in Karlsruhe in der Kaiserstraße 51.
Ab 1906 ist Nathan Löwenstein Inhaber von „Nathan Löwenstein Manufakturwaren“ in der Kaiserstraße 51.
Der Enkel von Nathan Löwenstein – Gad Lavie – der in Israel wohnt und Sohn des Arnold Löwenstein ist, besitzt das Sidur (Gebetbuch der Israeliten) von Emilie Löwenstein mit dem handschriftlichen Eintrag „Emilie Löwenstein, Karlsruhe, 19.5.12, Kaiserstr. 51“.
Nathan Löwenstein diente im Ersten Weltkrieg in einem Bayerischen Regiment. Er wird als ein gut aussehender Mann bezeichnet, mit einem getrimmten Schnurrbart, ganz der Mode der Zeit entsprechend.
Emilie Löwenstein starb am 11. April 1918 an Nierenversagen. Ihr Grab mit Grabstein befindet sich auf dem Friedhof der (liberalen) Israelitischen Religionsgemeinschaft in Karlsruhe.
Nathan Löwenstein heiratete nochmals, am 15. Februar 1922 die Fanny, geborene Nußbaum. Fanny wurde am 27. September 1885 in Rotenkirchen (Hessen) geboren. Ihre Eltern waren Baruch Nußbaum (1827–1898) und Jachet J. Nußbaum, geborene Strauss (1839–?)
Die Schwiegermutter von Nathan Löwenstein, Therese, half bei der Erziehung der Kinder. Arnold nannte sie „ Meine zweite Mutter“.
1922 zog die Familie Nathan Löwenstein in die Kaiserstr. 186. Das Geschäft firmierte nun allein unter „Textilvertretungen“.
Der Sohn Julius besuchte von 1911 bis 1920 bis zum Abitur das Humboldt-Realgymnasium. Er studierte anschließend in Heidelberg Nationalökonomie und Philosophie und promovierte 1925. Am 4. September 1928 heiratete er Anni, geborene Priebatsch in Breslau (heute Wroclaw in Polen), beide hatten einen Sohn, Jacob (Karl).
Der Sohn Arnold besuchte von 1922-1929 bis zur Untersekunda ebenfalls das Humboldt-Realgymnasium. Offensichtlich war er sportbegeistert, denn er war Mitglied beim jüdischen Sportverein TCK 02. Danach ging er auf die höhere Handelsschule und trat 1930 als Lehrling beim Kaufhaus Knopf (heute Karstadt) ein und war dort später als Buchhalter tätig. 1933 trat er bei einer durch die Nationalsozialisten initiierten Betriebsversammlung energisch gegen die Beschimpfung der Juden ein. Dafür wurde er für drei Monate in „Schutzhaft“ genommen und musste bei Knopf entlassen werden. In Deutschland sah er keine Perspektive mehr und fasste den Beschluss zur Aliyah, der Einwanderung nach Palästina. Unter der jüdischen Jugend gab es seit den 1920er Jahren zahlreiche säkulare wie religiöse zionistische Gruppen.
Tatsächlich war Julius schon 1933 nach Palästina emigriert, zwei Wochen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten; mit Bahnreise bis Triest und dann Schiffsreise bis Haifa. Zu dieser Zeit war die Einreise nach Palästina, das unter britischem Völkerbund-Protektorat stand, noch leichter möglich als später. Seit 1936 schränkte die Protektoratsmacht die Einwanderung so stark ein, dass fast nur noch die illegale Einwanderung blieb. Julius starb am 21. Februar 1983 in Israel.
Arnold folgte seinem Bruder im Herbst 1933 nach Palästina. Dort heiratete er am 4. April 1938 in Tel Aviv Neima, geborene Joffe. Das Ehepaar bekam zwei Kinder, Amiel (genannt nach Emilie, geboren am 2. Juni 1939) und Gad Lavie, geboren am 13. August 1942 – Lavie = Löwe von Hebrew -. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau 1966 heiratete Arnold 1968 Zippora, geborene Adler. Julius starb am 21. Februar 1983 in Israel, Arnold am 19. September 2002 in Herzliya, Israel.
1930/31 war die Familie Löwenstein in die Waldstraße 52 gezogen. Ab 1933/34 firmierte die Firma unter “Vertretungen“; das heißt, Nathan Löwenstein war selbstständiger Handelsvertreter, der für mehrere der einst zahlreichen Webereien und Textilbetrieben in Deutschland die Vertretung übernahm. Nachweislich zum Beispiel für die „Gebrüder Wick, mechanische Weberei“ im sächsischen Obercunnersdorf in der Oberlausitz, der gleichfalls dort ansässigen Textilfirma „Alwin Müller & Co“ oder der Firma „Gebrüder Kaufmann“ in Esslingen am Neckar. Für diese war er der Generalvertreter in ganz Baden. Wir wissen, dass Nathan Löwenstein allein von dieser Firma im Jahr 1929 eine Jahresprovision von 3.859 RM für seine Vertretertätigkeit erhalten hatte. In der Wohnung hielt er außerdem ein Etagengeschäft.
Die Familie muss zu dieser Zeit noch vermögend gewesen sein. Eine Zeugin im Wiedergutmachungsverfahren nach dem Krieg – Sonja Herz, die im Haushalt tätig war – listet genau auf, wie die Wohnungseinrichtung damals aussah. Die Löwensteins hatten z.B. ein 50-teiliges Geschirr Meißner Porzellan.
Nathan Löwenstein überwies noch bis 1937 größere Geldbeträge an seinen Sohn Arnold nach Palästina.
Nathan Löwenstein war in folgenden jüdischen Wohltätigkeitsvereinen Mitglied: Orthodoxer Verein Dower Tow, im Israelitischen Männerkrankenverein und im Friedrichsheim Gailingen.
Auch Fanny Löwenstein engagierte sich in jüdischen Vereinen: im Israelitischen Frauenverein, im Israelitischen Frauenwohltätigkeitsverein und deren angeschlossenen Tachrichim-Kasse.
Das zeugt davon, dass die Familie aktiv am jüdischen Gesellschaftsleben in Karlsruhe beteiligt war.
1936 besuchte Nathan Löwenstein seine Söhne und deren Familien in Palästina und erkundete die Möglichkeit einer Immigration nach Palestina. Unglückerweise war diese Reise begleitet von einem heißen Sommer, unter der Nathan litt. Bevor er nach Deutschland zurückkehrte sprach er die Worte „Wenn ich wählen könnte zwischen der Hölle hier und der zu erwartenden Hölle zuhause, ich wählte die Rückkehr nach Deutschland.“ Nach der „Kristallnacht“ 1938 änderte er seine Meinung. Die Kisten – Lifts – wurden bereits gepackt. Diese blieben aber in Triest stecken und wurden während des Krieges konfisziert.
1937 wohnte das Ehepaar Löwenstein in der Kaiserstraße 26. 1938 forcierte das NS-Regime die „Arisierung“, die zum Jahresende schließlich mit dem Erlass zur Beendigung aller noch bestehenden jüdischen Firmen ihren Höhepunkt nehmen sollte. Nathan Löwensteins Geschäft war da jedoch bereits durch den Druck, dass es keine jüdischen Vertreter mehr geben sollte, beendet worden. So kündigten ihm zwischen Juni und Juli 1938 alle „arischen“ Betriebe, teils sogar ganz offen im Kündigungsschreiben ausgesprochen, unter Hinweis auf diesen Druck, die bislang innegehabte Vertretung. Damit verlor er die Existenzgrundlage. Noch 1938 wurde die Firma Löwenstein durch das Amtsgericht offiziell im Handelsregister gelöscht.
Nathan und Fanny Löwenstein, die ihr Hab und Gut für die erhoffte Auswanderung per Spedition aufgegeben hatten, lebten fortan möbliert zuerst in der Kurfürstenstraße 18 und zuletzt in der Karlstr. 101. Nathan Löwenstein wurde sehr krank. Als am 22. Oktober 1940 nahezu alle Juden in Südwestdeutschland nach dem Lager Gurs in Südfrankreich deportiert wurden, waren er und seine Ehefrau Fanny nicht darunter. Da nur Juden mit christlichem Ehepartner sowie „Nichttransportfähige“ von der Deportation ausgenommen waren, muss angenommen werden, dass diese Erkrankung die Deportation an jenem Tag verhinderte.
Das Ehepaar versuchte alles, um noch aus Deutschland heraus zu kommen. Als 1939 der Zweite Weltkrieg begann, hatten die Söhne für ihre Eltern versucht, die Ausreise (immigration permit to Palestine) zu erreichen. Ebenfalls versuchten sie durch die familiären Beziehungen in den USA die Ausreise nach Amerika zu erreichen; doch auch dies blieb wegen der langen Wartezeit erfolglos. Einen Reisepassverlängerungs-Antrag für Nathan und Fanny Löwenstein zur Auswanderung in die USA lehnte das Geheime Staatspolizeiamt Karlsruhe am 28 November 1941 kurzerhand so ab: „Die Erteilung eines Sichtvermerks für die Durchreise durch Spanien zum Zwecke der Auswanderung für die jüdischen Eheleute Löwenstein wird nicht befürwortet“. War zuvor die nach nationalsozialistischem Sprachgebrauch „Lösung der Judenfrage“ durch Auswanderung oder seit 1940 durch massenhafte Deportationen und „Ansiedelungen“ in unwirtlichen eroberten oder beeinflussten Gebieten gedacht gewesen, hatte sich im Lauf des Jahres 1941 der Plan der massenhaften Ermordung aller europäischen Juden herausgebildet. Im Oktober 1941 erging ein Ausreiseverbot für alle in Deutschland befindlichen Juden. Seit November rollten die Deportationszüge nach dem Osten. Die letzten Juden in Baden waren zunächst noch nicht betroffen, da das Land als nahezu „judenrein“ galt und erst in anderen Orten die großen Transporte nach osteuropäischen Ghettos zusammen gestellt wurden. Aber die beiden Eheleute waren gezwungen, seit September 1941 den „Judenstern“ zu tragen. Vorgeschrieben war er seit dem 1. September; es ist ein Verwaltungsakt überliefert, demnach der letzte Vertreter der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Baden-Pfalz“, Karl Eisemann, ihn am 18. September beiden Eheleuten aushändigen musste. Dafür waren pro Stern 64 Pfennig zu bezahlen.
1942 waren Nathan und Fanny Löwenstein unter den übrig gebliebenen Juden, die nach und nach deportiert wurden. Dazu wurden sie aus Karlsruhe nach Stuttgart überstellt, wo die größeren Transporte zusammengestellt wurden. Am 22. August 1942 ging der Zug dort vom Nordbahnhof ab, die Eheleute hatten auf der Transportliste die Nummern 1051 und 1052 und kamen am 23. August 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt an.
Ein Schreiben von 1997 aus der heutigen Gedenkstätte Theresienstadt an die Familie in Israel schildert in deutscher Sprache:
„ Sehr geehrter Herr Löwenstein,
zu Ihrer Anfrage über das Schicksal von Ihren Eltern möchten wir folgendes mitteilen:
Ihr Vater und Ihre Mutter kamen in Theresienstadt schon mit dem ersten Transport aus dem Gebiet Würtemberg, Tr.Nr.XIII/1, persönliche Nr. 1051 und 1052. Vom ganzen Transport überlebten nur 32 Personen. Im Sterbebuch vom 17.12.1942, geführt bei der Matrikelabteilung der jüdischen Selbstverwaltung, sind an diesem Tag 78 Todesfälle angegeben.
Ihr Vater war in der Dresdner Kaserne / HV / untergebracht. Dort war höchstwahrscheinlich auch Ihre Mutter untergebracht. Ihr Vater wurde im Krematorium von Theresienstadt eingeäschert, seine Aschenurne wurde im Kolumbarium gelagert, wie von Tausenden anderen. Im November 1944 wurden aber alle Urnen auf Befehl von der Naziverwaltung in den naheliegenden Fluß Ohre/Eger ausgeschüttet. Auf dieser Stelle ist heute ein Denkmal mit der Gedenktafel, deshalb sagen alle Hinterbliebenen das Kaddischgebet auf dieser Stelle. Ein eigenes Grab hat Ihr Vater aus dem oben genannten Grunde nicht.
Ihre Mutter wurde mit dem Transport Nr. Ct am 29.01.1943 nach Auschwitz geschickt, wo sie umkam.“
Nathan Löwenstein kam am 17. Dezember 1942 in Theresienstadt ums Leben, Fanny Löwenstein kam mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gleich bei der Ankunft des Zuges mit 1.000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern aus Theresienstadt am 30. Januar 1943 in Auschwitz in die Gaskammer und wurde ermordet.
Diese Biographie konnte dank tatkräftiger Unterstützung durch Gad Lavie, Enkel von Nathan und Emilie Löwenstein, erstellt werden.
(Jürgen Müller, Oktober 2015)