Lupolianski, Rosa

Nachname: Lupolianski
Vorname: Rosa
Geburtsdatum: 2. April 1912
Geburtsort: Karlsruhe (Deutschland)
Familienstand: ledig
Eltern: Josef und Sara L.
Familie: Schwester von Dora Helene, Jakob, Johanna Hella und Selma
Adresse:
Zähringerstr. 28,
Kriegsstr. 122,
Karl-Friedrich-Str. 16, 8.9.1940 nach Hattenhof/Fulda
Deportation:
21.1.1942 von Leipzig nach Riga (Lettland)
Sterbeort:
Riga (Lettland)

Biographie

Sara und Rosa Lupolianski

Mein Herz soll weiter erfreut werden, mit Euch meine Lieben zusammen zu sein. Ich hoffe, dass der lb. Nathan bald bei Euch sein wird. Er hat mir hierher nach Leipzig geschrieben, dass er sein Visum und Schiffskarte schon hat. Er wird sich am 14. s. G. w. einschiffen, über Holland. Gebe Gott er soll mit viel Glück zu Euch kommen, ich soll noch viel Freude an Euch haben. Rosch Haschona war ich schon in Leipzig, wurde hierher deportiert.
Viele Grüsse & Küsse
Von Eurer Mutter

Diese Mitteilung schrieb Sara Lupolianski auf einer Postkarte am 13. Oktober 1939
aus Leipzig an ihre Kinder, die bereits aus Deutschland emigriert waren. Der „lb. Nathan“ ist der spätere Ehemann ihrer Tochter Dora, Nathan Zeller.

Die Absenderin der Postkarte, Sara Lupolianski, wurde als Sara Landau am 28. März 1886 in Dukla, Galizien geboren und besuchte die dortige Schule. Sie lebte in der Kleinstadt Brody, zur Zeit ihrer Geburt bis 1918 unter habsburgischer Herrschaft. Danach kam die Region an die Woiwodschaft Tarnopol des unabhängigen Polen, 1939 rückte die Rote Armee ein, 1941 die Wehrmacht. Ab 1945 gehörte Brody zur Ukrainischen Sowjetrepublik, seit 1992 zur unabhängigen Ukraine.
1779 war Brody mit Freihandelsprivilegien ausgestattet, zolltechnisch dem Ausland gleichgestellt und zum wichtigsten Handelszentrum an der österreichischen Ostgrenze geworden. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts betrieben Juden fast den gesamten Handel in der Stadt, 1882 stellten sie zwei Drittel der Bevölkerung. Spuren der jüdischen Gemeinde reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück. Weitreichende Berufsfreiheit wurde dort eingeräumt. Brody galt als Hort der orthodoxen Opposition gegen jüdische Sektierer wie Frankisten und Chassiden. Der Sonderstatus als Freihandelsstaat wurde 1879 beseitigt und Brody verkümmerte. „Verfallen wie in Brody“ wurde in den 1880er Jahren in Galizien zur landläufigen Paraphrase einer Situation des Verschlagenseins an einen trostlosen Ort. Der jüdische Bevölkerungsanteil litt unter dem Verfall der österreichischen Privilegien, die Kaufmannskontore schlossen. Von 20.000 Einwohnern im Jahr 1826 sank die Einwohnerzahl 1921 auf 11.000.
In Brody heiratete Sara Landau in einer religiösen Zeremonie Josef Lupolianski, geboren am 14. Dezember 1876 in H(G)olowöwilsky, damals Russland, heute Polen. Das Datum der Trauung ist nicht bekannt. Am 2. Dezember 1906 kam der Sohn Jakob als erstes Kind des Paares in Brody zur Welt.
1912 übersiedelte die Familie nach Karlsruhe, wo Josef Lupolianski ein Federn- und Rosshaargeschäft betrieb. In den folgenden Jahren wurden hier vier Kinder geboren, vier Schwestern für Jakob: am 2. April 1912 Rosa, danach Dora Helene am 9. August 1913, Johanna Hella am 21. Juni 1916 und Selma am 29. März 1922.
Die Adressbücher der Stadt Karlsruhe belegen 1912/13 den Wohnsitz Kronenstraße 27, ab 1916 die Zähringerstraße 28, wo die Familie im 1. Obergeschoss eine Vier-Zimmerwohnung mit Alkoven bezogen hatte. In einem späteren Bericht vom 20. April 1962 des Städtischen Polizeipräsidiums Karlsruhe im Zusammenhang mit dem Entschädigungsverfahren wird nach der Vernehmung zweier Zeugen vermerkt: “Sie wurden als ziemlich ärmlich geschildert und auch das fragliche Haus befindet sich in der Altstadt.“
Josef Lupolianski ist ab1921 im Adressbuch als Rohproduktenhändler verzeichnet, ab 1931 wird als Beruf Kaufmann angegeben.
Er wird als „leidender kleiner Mann“ beschrieben, der sich sehr mit religiösen Studien beschäftigte, sehr gebildet sei er gewesen, auch in weltlichen Dingen. Sara Lupolianski war die eigentliche Verdienerin, berichtete eine Bekannte der Familie (Fanny Aaron) vor kurzem. Am 3. Mai 1937 starb Josef Lupolianski mit kaum 61 Jahren und wurde in Karlsruhe auf dem orthodoxen jüdischen Friedhof bestattet. Schon zu seinen Lebzeiten betrieb seine Frau Sara, nach Aussage ihrer Kinder im Schriftwechsel im Rahmen des so genannten „Wiedergutmachungsverfahrens“, unter gleicher Anschrift ein Geschäft. Gegenstand des Unternehmens waren „alle Arten von Tisch-Bett-Leibwäsche und leichte Kleiderstoffe. Sie ging zu Kunden, Kunden kamen aber auch zu ihr.“ Dies war die einzige Verdienstquelle nach dem Tod ihres Mannes bis etwa 1938. Es existiert ein Exemplar ihrer Rechnungsbögen:

Manufaktur-und Wäsche-Versand
(Etagen-Geschäft)
Frau S .Lupolianski
Zähringerstrasse 28
Postscheck (…) Karlsruhe

Über die Jugend der Kinder kann leider wenig berichtet werden, aber auch hier liegt eine Schilderung vor, wonach Dora sehr belesen und hübsch, Rosa sehr hübsch und bescheiden gewesen sei.
Sohn Jakob war als Hebräischlehrer sehr angesehen. Vom 20. Juni 1931 bis 11. Februar 1939 stand er im Dienste der Badischen Landessynagoge. Er war, auf Grund seiner tiefen, traditionsreichen Frömmigkeit und der väterlichen Erziehung, die ihm umfassendes jüdisches Wissen vermittelte, als Religions- und Iwritlehrer sowie als Kantor in verschiedenen Gemeinden darunter auch Pforzheim und auch am Jüdischen Lehrhaus in Karlsruhe tätig. Ob er für den Kantoratsdienst zusätzlich eine entsprechende Ausbildung absolviert hatte, ist zu vermuten aber nicht bekannt.
Nach der so genannten Reichskristallnacht wurde er verhaftet und war vom 10. November bis 5. Dezember 1938 im Lager Dachau. Anfang 1939, so berichtet er selbst in einem Brief von 1958 „wurde er zum Verlassen des Landes gezwungen, mit der Eisenbahn fuhr er bis Triest dann weiter mit dem Schiff nach Haifa“, dort heiratete er noch im gleichen Jahr.
Die Schwestern Dora Helene, Johanna Hella und Selma emigrierten ebenfalls und nur die Mutter Sara blieb mit ihrer ältesten Tochter Rosa in Karlsruhe. Warum sie nicht das Land mit den Angehörigen verließen ist nicht bekannt, es gibt keine Aussagen und Hinweise.
Das Adressbuch des Jahres 1938 verzeichnet die Anschrift von Sara Lupolianski in der Kriegsstraße 122, im Haus der ehemaligen jüdischen Konzertsängerin und Lehrerin Elisabeth Friedberg (1888 – 1942), die am 22. Oktober 1940 nach Gurs und im September 1942 über das Sammellager Drancy bei Paris nach Auschwitz deportiert wurde. In der Kriegsstrasse 122 konnte Rosa Lupolianski ihr Geschäft anscheinend weiter betreiben. 1939 soll sie im Haus der Israelitischen Religionsgesellschaft der Karl-Friedrichstraße 16 vorübergehend eine Kleinstwohnung zur Untermiete bezogen haben.
Im Auszug aus dem Verzeichnis der am 22. Oktober 1940 aus Baden nach Gurs deportierten Juden finden sich unter „lfd. Nr. 1753/1752“ Sara und Rosa Lupolianski vermerkt.
Hier erweist sich die ansonsten pedantisch aufgestellte Deportations-Liste der Gestapo Baden als falsch. Nachweislich waren Sara und Rosa Lupolianski auch niemals in der Kartei des Lagers Gurs eingetragen. Tatsächlich befanden sich Mutter und Tochter zu diesem Zeitpunkt in Leipzig.
In der „Wiedergutmachungsakte“ findet sich dann auch der Schriftwechsel mit den Kindern. Vor dem 11. Juni 1939 war Sara Lupolianski noch in Karlsruhe. Auf der Postkarte an Nathan Zeller schrieb sie am 11. Juni 1939, sie sei jetzt in Leipzig, ob das auch für die Tochter Rosa zutraf ist unklar. Dort schrieb Sara Lupolianski die so berührende Postkarte, die am Anfang zitiert ist. Der Rechtsanwalt der Familie Lupolianski schrieb im erwähnten „Wiedergutmachungsverfahren“: “… die Erben teilten mit, dass Sara und Rosa Lupolianski sich von 1939-1941 in Leipzig befunden hätten, dort in der Jüdischen Schule, Gustav-Adolfstraße 7 untergebracht waren.“ In der ehemaligen Jüdischen Schule fanden Juden zunächst Zuflucht, wurden von der dortigen Jüdischen Gemeinde versorgt, eine polizeiliche Bewachung fand nicht statt, die Unterbringung war nicht haftähnlich, sie unterlagen allerdings einer Ausgangssperre im Sommer ab 21 Uhr, im Winter ab 20 Uhr.
Dora Zeller, geborene Lupolianski erinnert sich, nach der Geburt ihres ersten Kindes am 23. Juni 1941 an ihre Mutter nach Leipzig geschrieben zu haben, um die Geburt anzuzeigen, und dass sie danach von Mutter und Schwester eine Gratulation erhielt.

Tochter Rosa Lupolianski war vom 8. September 1940 bis 9. Oktober 1941 in der Gemeinde Hattenhof, Kreis Fulda gemeldet. Dort bestand ein wichtiger Zweig des streng religiösen "Bachad" innerhalb der Hachschara-Bewegung, die auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiten sollte. Die dort weilenden jungen jüdischen Frauen und Männer lebten und arbeiteten auf dem Gehringshof, wohl auch bei benachbarten Bauern. In einer „list of jewish population from Hattenhof HO SARA CAMP from 1936 till 1941“ - gemeint ist das Hachshara Camp Gehringshof - findet sich Rosa Lupolianski, als Beruf ist „Elevin“ angegeben, angemeldet ab 9. September 1940.

Selma Goldschmidt, geborene Lupolianski, berichtete Folgendes, und sie war bereit es zu beschwören: Nach dem Krieg hätte sie in New York eine Dame getroffen, deren Mädchenname Zilly Ehreich war und die früher in Karlsruhe wohnte. Sie hätte erzählt, dass ihre eigene Mutter und Sara Lupolianski, nicht aber die Tochter Rosa, von Leipzig nach Theresienstadt verschleppt worden seien.

Der Rechtsanwalt der Familie, Dr. W. Marcuse, schrieb am 9. September 1958 an das Landesamt für Wiedergutmachung: „Es erscheint mir hiernach, dass die Verfolgte, die staatenlos war und nicht über die Grenze abgeschoben werden konnte, wie die Juden polnischer Staatsangehörigkeit, nach ihrer Ausweisung aus Karlsruhe in Leipzig Zuflucht suchte und fand, bis sie von dort nach Theresienstadt deportiert wurde.“ ... „anbei übersende ich Bescheinigungen der Israelitischen Religionsgemeinschaft zu Leipzig, denen zufolge Sara Lupolianski und deren Tochter Rosa zuletzt in Leipzig, Gustav Adolfstraße 7 (Judenhaus-Jüdische Schule) gemeldet waren und von dort aus am 21.1.1942 nach Riga deportiert wurden.“
Im Begleitschreiben der Israelitischen Gemeinde steht: „Ob sie von dort nach Theresienstadt gekommen sind, entzieht sich unserer Kenntnis.“

Sehr wahrscheinlich beruht die Information der „Augenzeugin“ zur Deportation nach Theresienstadt auf einer Verwechslung. Die Deportation nach Riga ist dagegen gesichert. Viele der im Winter 1942 dorthin Deportierten sind während des kalten Winters unter unsagbaren Umständen vor Kälte und Hunger gestorben, die meisten noch Lebenden wurden dann im März 1942 in einem Birkenwäldchen nahe Riga von Erschießungskommandos der berüchtigten Einsatzgruppe A an von den Opfern selbst ausgehobenen Gruben massenhaft erschossen und verscharrt.

Nach der Gratulation zur Geburt des ersten Kindes von Dora Zeller am 23. Juni 1941 gibt es kein weiteres Lebenszeichen von Sara und Rosa Lupolianski, die Spuren haben sich verloren.
Das Konzentrationslager in Riga wurde am 13. Oktober 1944 befreit. Da waren
Sara und Rosa Lupolianski nicht mehr am Leben. Per Gerichtsbeschluss wurden sie lange nach dem Krieg pro forma zum 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Der Name Sara Lupolianski jedoch lebt weiter. Nach ihr ist eine der größten Hilfsorganisationen Israels benannt, die YAD SARAH. Sie arbeitet seit 1976 in einer Vielzahl von medizinischen Dienstleistungen landesweit in 96 Niederlassungen mit 6000 Freiwilligen für Juden, Moslems und Christen. Gegründet wurde YAD SARAH von Uri Lupolianski, geboren 1951, dem Enkel von Sara und Josef Lupolianski. Er ist der Sohn von Jakob Lupolianski, mit dem er in Absprache und zum Gedächtnis an seine Großmutter aus Karlsruhe, die er nie gesehen hat, diese größte private Wohlfahrtsorganisation in Israel organisierte. Für diese Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Uri Lupolianski ist seit 2003 Bürgermeister von Jerusalem.

(Christa Koch, Juli 2004)