Lust, Prof. Dr. Franz Alexander

Nachname: Lust
Vorname: Franz Alexander
Geburtsdatum: 28. Juli 1880
Geburtsort: Frankfurt a.M. (Deutschland)
Familienstand: verheiratet
Eltern: Martin und Clara, geb. Levi, L.
Familie: Ehemann von Lilly L.; Vater von Walter und Hilde
Adresse:
Bachstr. 19, 1935 nach Baden-Baden verzogen
Beruf:
Arzt Facharzt für Kinderheilkunde; Direktor des Kinderkrankenhauses Karlsruhe
Deportation:
10.11. - 12.12.1938 in Dachau (Deutschland)
Sterbeort:
Baden-Baden (Deutschland) Suizid
Sterbedatum:
23. März 1939

Biographie

Professor Dr. med. Franz Lust

Selbst viele Karlsruher wissen nicht, dass die Karlsruher Kinderklinik auch den Namen „Franz-Lust-Kinderklinik“ trägt. Im alten Gebäude am Durlacher Tor war der Name im Eingang, fast verschämt, an der Wand angebracht. Auf Briefköpfen und im offiziellen Gebrauch tauchte er nie auf. Wer war aber dieser Mann, der der Städtischen Kinderklinik einen Namen gegeben hat?

Franz Alexander Lust wurde am 28. Juli 1880 in Frankfurt geboren. Obwohl er eigentlich Pianist werden wollte, studierte er aus familiären Gründen Medizin in München, Berlin und Heidelberg. 1904 erhielt er die Approbation. Zunächst war Franz Lust Assistenzarzt am Städtischen Klinikum in Wiesbaden, 1907 wechselte er als Oberarzt an die Kinderklinik Heidelberg.
1910 heiratete Franz Lust die Sopranistin Lily, die beiden kannten sich schon lange, da sie in Frankfurt mit ihren Familien nebeneinander gewohnt hatten. Nach der Heirat zogen sie nach Heidelberg, wo das Ehepaar einen großen Freundeskreis pflegte. Zum einen bestand er aus Kollegen der Medizinischen Fakultät, zum anderen aus Freunden, die ihre Liebe zur Musik teilten. 1911 kam Sohn Walter auf die Welt, 1917 Tochter Hilde.
Auch im Beruf hatte Franz Lust großen Erfolg: 1913 ernannte ihn die Universität zum Privatdozenten, 1919 zum außerordentlichen Professor.

1914 kam ein großer Einschnitt im Privat- und Berufsleben: Großherzogin Luise rief Franz Lust als Oberarzt an die preußisch-badische Kadettenschule nach Karlsruhe, im dortigen Kadettenkrankenhaus war er während des Ersten Weltkrieges stationiert. Aufgrund seines umfangreichen Fachwissens erhielt Franz Lust während des Ersten Weltkrieges hohe Auszeichnungen, so das Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer, das Kriegsverdienstkreuz und das Ritterkreuz des kaiserlich-österreichischen Franz-Joseph-Ordens. Nach Ende des Krieges wurde der allseits geachtete und geschätzte Arzt zum Geschäftsführer des Badischen Landesverbandes für Säuglings- und Kleinkinderfürsorge ernannt, im selben Jahr verfasste er das Lehrbuch „Diagnostik und Therapie der Kinderkrankheiten“, das seine Frau Lily für ihn in Reinschrift abtippte. Auch hieran erkennt man die enge Verbindung der beiden Ehepartner. In der Medizinischen Literatur ist auch immer noch das „Lust’sche Phänomen“ vorhanden.
Als Großherzogin Luise 1920 das Viktoriapensionat am Durlacher Tor in Karlsruhe für die Einrichtung einer dringend notwendig gewordenen Kinderklinik bereitstellte, wurde Professor Franz Lust Leiter dieser Klinik. Die Umwandlung des Mädchenpensionats in eine gut ausgestattete Kinderklinik war allein durch sein großes Engagement möglich. Er machte die Klinik zu einer der führenden in Deutschland. Weit bekannt waren seine wissenschaftliche Erfahrung, aber auch sein behutsamer Umgang mit seinen Patienten und deren Eltern. Gerade bei den Müttern war er deswegen sehr beliebt. Zu seinen Ideen gehörte unter anderem die Einrichtung des Hauses der Gesundheit. Dort konnten Mütter an Kursen zur Säuglingspflege teilnehmen, zudem gab es eine Krippe für Kinder, deren Mütter berufstätig waren.
Zusammen mit Ehefrau und Kindern bewohnte Franz Lust zunächst die Mansardenwohnung in der Kinderklinik am Durlacher Tor. In seiner knappen freien Zeit schlich sich der begeisterte Pianist und Orgelspieler oftmals in die noch bestehende ehemalige Kapelle des Viktoriapensionats und spielte auf der dort befindlichen Voitschen Orgel. Dies fand aufgrund der Lautstärke jedoch nicht immer Anklang bei den Krankenschwestern.
1926 kaufte das Ehepaar Lust dann ein Haus in der Karlsruher Bachstraße 19. In dieser Zeit trat das Paar zusammen zum christlichen Glauben über und ließ sich taufen, da beide keinerlei Beziehungen zum Judentum mehr pflegten. Die Familie fühlte sich so mehr in die Karlsruher Gesellschaft integriert, obwohl laut späterer Aussage von Lily Lust keinerlei Vorbehalte der nicht-jüdischen Ärzte Franz Lust gegenüber existierten. Den Eltern zuliebe allerdings hatte das Paar diesen Schritt nicht schon vor der Heirat gemacht.

Bekannt waren in dieser Zeit die Kammermusikabende im Haus der Familie Lust, an denen Lily sang und Franz sie auf dem Flügel begleitete. Beide wirkten zudem an Kirchenkonzerten in der Evangelischen und Katholischen Stadtkirche sowie in der Evangelischen Schlosskirche mit. Franz Lust war außerdem in der Theaterkommission und Mitglied beim Rotary-Club. Befreundet war die Familie unter anderem mit Viktor und Paul Homburger, den Strauss’ und dem Ehepaar Courtin.

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 baten Freunde der Familie Franz Lust mehrfach, Deutschland in Anbetracht der politischen Lage zu verlassen. Doch er war der Meinung, dass die kranken Kinder ihn brauchten und es seine Pflicht als Arzt war, in Karlsruhe zu bleiben und sich um sie zu kümmern.

Am 1. April 1933 lag dann der für Franz Lust unfassbare Brief morgens auf dem Frühstückstisch in der Bachstraße. Der Inhalt: „Von heute ab können Sie das Krankenhaus nicht mehr betreten.“ Franz Lust wurde seiner jüdischen Abstammung wegen aufgrund des „Reichsgesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom Amt des Leiters der Kinderklinik suspendiert, obwohl er weder Beamter der Stadt noch des Landes war. Franz Lust war geschockt. Sein Stolz jedoch verbot ihm jegliche Versuche, die Kündigung wieder rückgängig zu machen. Anscheinend gab es auch von den Kollegen keine Bemühungen, ihn zu halten, vielleicht auch aus Angst vor eigenen Repressalien. Zu seiner Frau sagte Franz Lust an diesem Morgen: „Ich betrete das Haus nicht mehr, bitte arrangier Du die Sachen. Hole, was noch dort ist, aber bitte vor Zeugen.“ Auch eine Eingabe des Rechtsanwaltes Alfred Bopp, die Suspendierung aufzuheben, wurde kommentarlos abgelehnt.
Franz Lust führte seine Arbeit zunächst in der Wohnung in der Bachstraße 19 fort. Die Privatpraxis war immer sehr gut besucht, auch von nicht-jüdischen Patienten. Weiterhin war er aufgrund seines fachlichen Könnens hoch geachtet. Die Versuche, ihn an seiner Arbeit zu hindern allerdings vergrößerten sich. 1938 musste er auch die Privatpraxis aufgeben und erhielt Berufsverbot. Die Familie war außerdem gezwungen, das Haus zu verkaufen. Es folgte ein Umzug nach Baden-Baden in eine leerstehende Wohnung eines befreundeten ausgewanderten Ehepaares, die Lust’s hatten nun ebenfalls die Auswanderung beantragt. Immer noch wurden Franz Lust kranke Kinder gebracht, auch nach Baden-Baden, doch er lehnte die Behandlung ab. Nur zu bewusst war ihm die Gefahr, in der die Patienten mit ihren Eltern gerieten, wenn sie sich von einem jüdischen Arzt behandeln ließen. Zu den Besuchern sagte er: „Sie machen sich strafbar, ich will nicht, dass Sie ins Gefängnis kommen, ich kann es nicht machen.“ Doch die Untätigkeit war für Franz Lust schwer.

1938 verhaftete die Gestapo Franz Lust in Baden-Baden und brachte ihn in das Konzentrationslager Dachau. Lily Lust beschrieb die Verhaftung Jahrzehnte später:
„Sind Sie der Professor Lust?“ „Ja, das bin ich“. „Dann müssen Sie mitkommen!“ „Warum, ich hab’ ja nichts getan!“ „Alle müssen heute mitkommen. Haben Sie einen Revolver im Haus?“ „Ja“: „Den geben Sie ab!“
In Dachau blieb Franz Lust vom 10. November bis zum 12. Dezember (Lily Lust sagt 9.11. bis 3.12). Freigelassen wurde er aufgrund einer Eingabe des Direktors der Badischen Bank, der erklärte, dass Franz Lust bei einem Italienaufenthalt das Kind eines hohen Beamten von Mussolini gerettet habe. Zu seiner Frau zurückgekehrt konnte Franz Lust nicht mit ihr über die Erlebnisse im KZ sprechen, sondern sagte nur: „Wenn wir aus Deutschland heraus sind, werde ich Dir sagen, was war. Jetzt sage ich gar nichts.“
Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Mehrfach hatte Franz Lust den Entschluss, seinem Leben ein Ende zu setzen, angekündigt. Grund war die große Angst, im Alter von 59 Jahren einen beruflichen Neuanfang im Ausland zu wagen. Außerdem hatte er Schwierigkeiten mit der englischen Sprache. „Ich mache Schluss, das halte ich nicht durch“ sagte er zu seiner Frau, denn ein vermeintlich nutzloses Leben im Ausland zu führen, konnte er sich nicht vorstellen. Immer wieder wurde er von ihr und Freunden zurückgehalten, „versuch es doch noch mal“ sagten sie. Als Lily Lust im März 1939 ihre Schwiegermutter in Frankfurt besuchte, erhielt sie dort einen Brief, in dem ihr Mann seinen Selbstmord ankündigte. Sofort rief sie die Nachbarn in Baden-Baden an, doch es war zu spät. Bereits in der Nacht zuvor hatte Franz Lust seinem Leben ein Ende gesetzt.
In einem weiteren Brief verabschiedete er sich von seiner Frau:

„Mein Lieb! Baden-Baden 22.3.1939
Es waren 30 glückliche Jahre, glücklich im Sinne unserer Verbundenheit, glücklich im Sinne, daß eins für das andere lebte.
Meine Kraft erlahmt. Ich sehe täglich mehr, wie wenig ich all dem gewachsen wäre, was uns draußen bevorstände. Du bist die Mutigere und die Stärkere. Ich würde Dir keine Hilfe und keine Stütze mehr sein können. Allein wirst Du das Leben eher wieder meistern lernen.
Man kann nicht mehr an ihm hängen, wenn man es so erlebt hat wie ich; wenn man es als ausgefüllt nur empfand, wo es Arbeit, Pflicht und Sorge bedeutete und wo es möglich war, auch seine Schönheiten mitzufühlen.
Heute ist es tot geworden und ich sehe, dass es nicht mehr zu wecken ist. Was bin ich noch und was kann ich noch beginnen? Nur zur Last fallen kann ich noch, Dir, den Kindern und den Freunden, die helfen wollen. Ein Aufwärts kann’s nicht mehr geben und den weiteren Abstieg will ich nicht sehenden Auges mit anschauen. Hänge nicht nach, was war - und es war einmal schön - sieh wie so oft, wenn‘s um uns trübe wurde, irgend ein kleines Stück blauen Himmels. Für Dich wird und muss es auch wieder einmal hell werden. Ich danke Dir für Deine Liebe. Wäre sie nicht gewesen, schon längst hätte ich diesen Schritt getan, sie war mir alles, mehr als Du ahntest, mehr als ich es merken ließ. Der Gedanke an Dich ist in diesen 30 Jahren immer der gleich innige geblieben, er ist es auch in dieser letzten Stunde wie am ersten Tag.
Grüße mir meine Kinder, die immer lieb und gut waren und Dir helfen mögen, auch dieses Schlimmste zu ertragen.
Grüße meine gute, herzensgute Mutter. - Ich weiß, was ich ihr tue, aber in wenigen Wochen hätte sie mich doch verloren und in dem Bewusstsein, dass es mir dann weniger wohl wäre, wie es mir hoffentlich bald sein wird. Dann mögt ihr alle denken; mir wird bald leichter sein!
Ich hinterlasse nichts Schriftliches, außer einem kurzen Schreiben an den Staatsanwalt, in der Hoffnung, dass Dir die Ausreise dadurch nicht erschwert wird.
Es ist alles in Ordnung und geregelt.
Lass mich verbrennen und mach Dir keine Sorgen, wo die Asche beigesetzt wird.
Wir hängen beide nicht an solchen Dingen. Und nun, zum letzten Mal: leb wohl! Ich liebe Dich, so lange ich noch atme.
Dein Franz“

Franz Lusts Suizid geschah ein Tag bevor ein Brief des Schweizer Konsulats aus Mannheim eintraf, in dem dem Ehepaar die Einreiseerlaubnis in die Schweiz zur weiteren Emigration in die USA mitgeteilt wurde. Lust hatte wohl sogar einen Ruf an die Universitätsklinik, das Michael Reese Hospital, in Aussicht.

Lily Lust gelang die Flucht über die Schweiz nach New York. Dort lebte sie bis 1990, dann kehrte sie nach Karlsruhe zurück, wo sie 1992 im Alter von 103 Jahren starb.
Ihre Kinder hatten bereits 1933 Deutschland verlassen, der Sohn nach Frankreich, die Tochter in die Schweiz und später über Frankreich in die USA.
1950 erhielt die Kinderklinik Karlsruhe den Namen Franz-Lust-Kinderklinik, seit 1995 erinnert die Franz-Lust-Straße, die beim Städtischen Klinikum vorbeiführt an diese wichtige Karlsruher Persönlichkeit.

Viele Informationen zu Franz Lust hat bereits Josef Werner in längeren Gesprächen mit Lily Lust zusammengetragen und in seinem Buch Hakenkreuz und Judenstern, Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich 1988 veröffentlicht.

(Anke Mührenberg, September 2005)

Nachtrag:
Im Jahr 2003 war die Kinderklinik beim Durlacher als Abteilung des Städtischen Klinikums zusammen mit der Frauenklinik in den neuerrichteten S-Bau auf den Klinikum-Campus gezogen. Der Name Franz-Lust-Klinik wurde ungebräuchlich. Am 10. Oktober 2019 ist in einer Gedenkfeier für Franz Lust im S-Bau des Städtischen Klinikums eine Gedenkplatte enthüllt worden, die ihn als Wissenschaftler, Hochschullehrer und als Direktor der Städtischen Kinderklinik (1920-1933) würdigt. Diese Plakette haben das Städtische Klinikum und der Rotary Karlsruhe gestiftet, dessen Gründungsmitglied Franz Lust war. Die Abteilung trägt wieder bewusst die Bezeichnung „Franz-Lust-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin“.


<Quellen:
Generallandesarchiv Karlsruhe: 233/44472; 235/2272; 456e 7482; 237 Zugang 1967-19 Nr. 1135; 480/7130; N Hellpach Nr. 459;
Staatsarchiv Freiburg: 303/4 Nr. 2439; F 196/1 Nr. 5764; P 303/4 Nr. 2439;
Stadtarchiv Karlsruhe: 8/StS 17/269 (Bd. 1), 17/311; 8/ZGS;
Israelitisches Gemeindeblatt Ausgabe B: 15.7.1936, 14.7.1937;
Aus der Chronik der Ärzteschaft Karlsruhe 1715-1977, zusammengestellt von Günter Diercksen, Karlsruhe 1978, S. 117;
Josef Werner, Hakenkreuz und Judenstern: S. 18, 146, 155, 156, 204, 235, 238, 256, 477;