Bensinger, Eduard

Nachname: Bensinger
Vorname: Eduard
Geburtsdatum: 12. August 1880
Geburtsort: Bodersweier (Deutschland)
Familienstand: verheiratet
Eltern: Karl und Ida, geb. Stern, B.
Familie: Ehemann von Else B.;
Halbbruder von Julius B.
Adresse:
Zirkel 20
Beruf:
Kaufmann
Deportation:
22.10.1940 nach Gurs (Frankreich)
Sterbeort:
Promilhannes (Frankreich) Suizid
Sterbedatum:
26. August 1942

Biographie

Elsa und Eduard Bensinger

Im Zweiten Weltkrieg begannen nach dem Waffenstillstand mit Frankreich am 15. Juli 1940 Abschiebeaktionen aller im Elsass lebenden Juden in das Landesinnere des unbesetzten Teils von Frankreich. Etwa 30.000 Elsässer und 24.000 Lothringer waren im Rahmen dieser Maßnahme aus ihrer Heimat verschleppt und viele vertrieben worden. Die Gauleiter Robert Wagner (Baden), und Josef Bürckel (Saarpfalz) beschlossen danach, ihre reichsdeutschen Gebiete in einer koordinierten Aktion auf die im Südwesten lebenden Juden auszudehnen. Als Termin hatten sie den letzten Tag des mehrtägigen jüdischen Laubhüttenfestes für die Deportation der Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland gewählt. Auf der Deportationsliste für die Stadt Karlsruhe standen auch die Namen von 16 Bewohnern des Hauses Zirkel 20, einem viergeschossigen Wohnhaus in der Innenstadt. Überfallartig wurden sie am 22. Oktober 1940 aufgeschreckt. Noch am gleichen Tag transportierte“ man sie zusammen mit anderen „Personen jüdischen Glaubens oder Rassejuden“ in Zügen der Reichsbahn aus Karlsruhe ab. In den Jahren davor hatte man ihre wirtschaftliche Existenz vernichtet, ihre Träume zerstört und sie ihrer Würde berauben wollen.

Die Deportation der jüdischen Bevölkerung ging einher mit der Enteignung ihres Besitzes. Die Sichtung und Inventarisierung des zurückgelassenen Besitzes begann unmittelbar nach der Verschleppung, bald darauf wurden in der nationalsozialistischen Presse und in lokalen Tageszeitungen öffentliche Versteigerungen angekündigt, oft in den Wohnungen der ehemaligen Besitzer. Der Andrang war teilweise zu groß, um alle Interessenten einzulassen. Eigentümer des Hauses Zirkel 20 in Karlsruhe war die Erbengemeinschaft Julius L. Homburger, einst Betreiber einer Weinhandelsfirma mit Sitz am Schlossplatz 9. Zwei der Erben, Ludwig und Gustav Philipp Homburger, wohnten selbst mit ihren Familien im Haus. Ab Herbst 1939 waren auf Anweisung der Gestapo von der "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" zusätzlich andere Juden in dieses Haus, fünf Gehminuten vom Schloss entfernt, zwangsweise eingewiesen worden. Diese Konzentrierung auf wenig Wohnraum in so genannten „Judenhäusern“ war bereits Vorbereitung der planmäßigen Vertreibung der Juden aus Deutschland.
Auf der Deportationsliste für Karlsruhe standen am 22. Oktober 1940 auch die Namen Eduard und Elsa Bensinger. Im Haus Zirkel 20 hatten sie nur sehr kurze Zeit gelebt. Sie waren aus Bodersweier zugezogen, im Karlsruher Adressbuch tauchten ihre Namen nie auf. Weshalb sie in Karlsruhe „gestrandet“ waren, ist nicht bekannt - es kann nur vermutet und kombiniert werden.

Eduards Bensingers Vorfahren in Bodersweier
Bodersweier, heute ein Stadtteil von Kehl im Ortenaukreis, liegt circa zwei Kilometer östlich des Rheins, der dort die deutsch-französische Grenze bildet und ist nur zehn Kilometer von der Innenstadt Strasbourgs entfernt. Dort brachte Karolina Bensinger, geborene Kreilsheimer (Greilsheimer), im Jahr 1851 ihr zwölftes Kind, den Sohn Karl zur Welt. Dem Geburtseintrag in den örtlichen Standesbüchern nach war der Vater, der Handelsmann Kalmus Bensinger (geboren 1801), zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben, andere Quellen datieren seinen Tod auf 1852 oder 1855. Karoline Bensinger (geboren 1801) stammte aus dem nahen Rheinbischofsheim und war mit der Heirat im Jahr 1831 an den Heimatort ihres Ehemannes gezogen. Über ihr Leben, den Existenzkampf der Witwe wissen wir nichts. Einige ihrer Kinder wanderten nach der Schul- oder Lehrzeit aus dem Heimatort ab, zogen beispielsweise nach Kehl oder Offenburg, zwei der Brüder wurden in den USA, in Louisville/ Kentucky sehr erfolgreich im Möbelgeschäft.
Karl, der jüngste der Geschwister sollte jedoch in Bodersweier sesshaft werden. Mit seiner Ehefrau Ida, 1860 geboren in Malsch, einer Tochter des Handelsmanns Joseph Stern und Klara, geborene Pfeifer, wohnte er vermutlich gemeinsam mit seiner Mutter im elterlichen Haus. Neun Kinder bekam das Paar in den folgenden zehn Jahren. Der erstgeborene Eduard kam am 19. August 1880 zur Welt, ihm folgten Jakob, Klara, Karolina, Auguste, Salomon, Leopold, Regina und im März 1890 Elise. Am 24. November 1890 im Alter von knapp 30 Jahren und neun Monaten starb Ida Bensinger. Eine katastrophale familiäre Situation war damit entstanden. Nach Ablauf eines Trauerjahres konnte sich Karl Bensinger wieder verheiraten. Seine zweite Ehefrau Bertha, geborene Kaufmann, nahm sich der Halbwaisen an und brachte in den folgenden Jahren selbst sechs Söhne zur Welt. Ihr erstgeborener Sohn Julius, geboren am 3. September 1892, knapp zwölf Jahre jünger als Eduard, berichtete später, die Familie habe im eigenen, zweistöckigen Haus zehn Zimmer bewohnt. Alle Kinder besuchten die Volksschule in Bodersweier, danach teilweise weiterführende Schulen außerhalb. Einige von ihnen konnten ein Hochschulstudium erfolgreich beenden, andere betätigten sich kaufmännisch, wie der Vater. In den Standesbüchern der Gemeinde Bodersweier wird der Beruf Karl Bensingers über die Jahre hinweg mit Bauer, Ackersmann, Spanner, Oberspanner, Oberspediteur angegeben. Dann war er Mehlhändler und wahrscheinlich am 1. April 1898 gründete er eine Eisenwarenhandlung, damit war er Kaufmann.

Die Eisenwarenhandlung Kaufmann & Bensinger
Es darf vermutet werden, dass schon früh feststand, dass der erstgeborene Sohn Eduard Geschäftsnachfolger des Vaters werden sollte. Auch die älteste Tochter Klara (Clara, geboren 1882), zwei Jahre jünger als Eduard, wurde, wenn auch indirekt am Geschäft beteiligt werden. Ihr zukünftiger Ehemann, der Kaufmann Leopold Kaufmann aus Lichtenau (geboren 1869) war in den Familienbetrieb eingestiegen, bereits im März 1901 wurde er im Handelsregister als persönlich haftender Gesellschafter eingetragen. Nach der Heirat im Dezember 1909, so berichtete Jahrzehnte später Klaras Sohn Julius Kaufmann (geboren 1909), ging die Geschäftsführung dann gänzlich auf seinen Vater und dessen elf Jahre jüngeren Schwager Eduard Bensinger über. Wann sich Karl Bensinger gänzlich aus „seinem“ Geschäft zurückzog, sich auf die Bank vor seinem Haus setzte (siehe Foto), ist nicht bekannt. Im Juni 1912 erscheint im Handelsregisterauszug sein Sohn Eduard Bensinger als Gesellschafter.
1927 verstarb Leopold Kaufmann mit 58 Jahren. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Freistett, im Gewann Hungerfeld, den die Juden aus Bodersweier, Lichtenau und Rheinbischofsheim mitbenutzten, bestattet. Es heißt, er hatte als ehemaliger Kriegsteilnehmer 1914 bis 1918 „gesundheitliche Probleme“, wie unzählige Verwundete und Versehrte auf allen Seiten. Sein 18-jähriger Sohn Julius sollte nun den Platz des Vaters im Geschäft ein- und an der Seite des 47-jährigen Onkels Eduard Verantwortung übernehmen. Als Gesellschafterin wurde vorübergehend seine Mutter Klara, die Witwe Kaufmann im November 1927 als Gesellschafterin neben ihrem Bruder Eduard eingetragen.
Das stattliche Wohn- und Geschäftshaus der Eisenwarenhandlung „Kaufmann & Bensinger“, Haus 33 in Bodersweier, stand in der später so genannten Querbacher Straße 18, gegenüber befanden sich die Synagoge und das Gemeindehaus mit Schule und Mikwe. Eine Zeichnung des Hauses mit dem Schriftzug „ Kaufmann und Bensinger – Eisenhandel“ über dem Eingangsbereich ist überliefert (siehe Foto).

Die Dorfgemeinschaft in Bodersweier
Die jüdische Bevölkerung am Ort war integriert, engagierte sich im Bürgerausschuss und Gemeinderat und war aktiv im Musik- und Sportverein. Die Familie Bensinger war geachtet, in der Israelitischen Gemeinde gehörten über Generationen „Bensingers“ dem Synagogenrat an. Karl Bensinger und auch sein Schwiegersohn Leopold Kaufmann amtierten dort zeitweise als Gemeindevorsteher.
Die Kinder der Familie Bensinger wuchsen in der jüdischen Tradition auf, aber zugleich auch in der Gemeinschaft mit den andersgläubigen Gleichaltrigen. So war beispielsweise Eduards Neffe Julius, der Sohn seines Kompagnons Leopold Kaufmann Jugendspieler im örtlichen Fußballverein und Jahre später wählte man ihn zum Schriftführer des Vereins.
Folgende Episode spricht für sich: Nach ihrer Konfirmation und der „Bar Mizwa“ von Julius nahmen die evangelischen Freunde ihren jüdischen Schulkameraden und Altersgenossen auf ihre traditionelle Konfirmandenwanderung nach Auenheim an den Rhein einfach mit.

Eduard und Elsa Bensinger, geborene Bloch
Seine Lehr- und ersten Berufsjahre hatte Eduard Bensinger, wie einige seiner Geschwister, wohl eher außerhalb des Heimatorts verbracht. Im Mai 1912 heiratete er standesamtlich in Rheinbischofsheim, heute ein Stadtteil der Stadt Rheinau, etwa zehn Kilometer von Bodersweier entfernt. Die Braut Elsa stammte aus Rheinbischofsheim, war als achtes Kind von Isaac Bloch (1847-1889) und Helene, geborene Palm (1848-1930), am 17. Mai 1887 geboren worden. Ihre Schwestern hießen Mina, Sara und Theresa, die Brüder hatten die Namen Moses, Joseph, Siegfried und Moritz erhalten. Der Vater besaß einen Kolonialwarenladen in der Altrheinstraße 25 und einen Viehhandel in der Altrheinstraße 27.
1889 verstarb der Vater Isaac Bloch im Alter von nur 42 Jahren. Den Kolonialwarenladen führte wohl die Witwe Helene weiter, was aus der Viehhandlung wurde, ist nicht bekannt. Elsa Bensinger zog mit der Heirat nach Bodersweier. Das junge Ehepaar wohnte in Eduards Elternhaus, im Haus 33/Querbachstraße 18. Am 24. Juli 1913 kam das einzige Kind des Paares, ein Sohn zur Welt. Er wurde Julius genannt wie vier Jahre zuvor schon der Cousin, der Sohn von Leopold und Klara Kaufmann. Julius Bensinger besuchte vermutlich in Bodersweier die Volksschule, anschließend vielleicht auch die Oberschule in Kehl. Über die Familie, den Alltag oder auch über die Geschäftsabläufe in der Eisenwarenhandlung wissen wir nichts. Ob Elsa Bensinger oder ihre Schwägerin Klara Kaufmann im „Familienunternehmen“ tätig waren ist nicht bekannt.

Wachstum und Niedergang der Eisenwarenhandlung Kaufmann & Bensinger
In den folgenden Jahren entwickelte sich das Geschäft prächtig und bald sollte es sich über Bodersweier hinaus einen Namen machen. Im Dorfjargon von Bodersweier nannte man es allerdings weiterhin einfach „Kalmus“, nach Eduards Großvater Kalmus Bensinger.
Der Familienbetrieb setzte unter Führung von Eduard Bensinger und Leopold Kaufmann offensichtlich erfolgreich auf den technischen Fortschritt und machte sich als Eisen-, Fahrrad- und Maschinenhandlung in der Region einen Namen. Eduard Bensingers Neffe Julius Kaufmann, der ab Mai 1931 mit 21 Jahren Gesellschafter der Eisenwarenhandlung geworden war, erzählte viele Jahrzehnte später, er selbst habe die Kundschaft im südlichen Hanauerland betreut. So reiste der Juniorpartner während der ganzen Heuernte „von Wiese zu Wiese“, um die Landwirte, die im Frühjahr bei ihnen im Geschäft eine Heumaschine gekauft hatten, vor Ort mit der neuen Technik vertraut zu machen. Im Ort selbst betrieb man weiterhin ein gutgehendes Fachgeschäft, war geschätzt und auch die Wirtschaftskrise (1930-1933) überstand die Firma, eine oHG, unbeschadet, nicht zuletzt wegen ihres festen Kundenstamms. Die Gewinne sollen 1930 8.600,- RM, 1931 7.600,- RM, 1932 4.000,- RM betragen haben, 1933-1935 stiegen sie auf 5.900,- RM und 1936 auf 6.300,- RM.
Mittlerweile war die jüdische Gemeinde am Ort relativ klein geworden, mehr als die Hälfte der Gemeindemitglieder war in den vergangenen drei Jahrzehnten abgewandert. 1932 übernahm Eduard Bensinger zusammen mit Emanuel Merklinger und Julius Wertheimer als Gemeindevorsteher Verantwortung in der immer kleiner werdenden jüdischen Gemeinde.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und dem darauffolgenden organisierten Boykott jüdischer Geschäfte änderten sich bald die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der jüdischen Bevölkerung, auch im ländlichen Bodersweier. Als Jude wurde man „immer mehr isoliert“, so erinnerte sich Julius Kaufmann, der Juniorpartner der Firma Kaufmann & Bensinger später und im gesellschaftlichen Leben wurden die verbliebenen 34 Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Bodersweier bald geschnitten. „Eines Tages wurde mir gesagt, dass ich beim Fußballclub nicht mehr erscheinen dürfe“, so erinnerte sich der einst passionierte Kicker Julius Kaufmann. Auf die Kunden der Eisenwarenhandlung wurde Druck ausgeübt, dort nicht mehr zu kaufen. Posten kontrollierten, ob das auch eingehalten wurde, und „alle hatten Angst, wurden verwarnt, standen unter dem Druck der Partei.“ So schilderte Julius Kaufmann die Verhältnisse dieser Jahre. In den Laden kamen seit 1935 nur noch letzte treue Kunden. An den letzten Handwerker, den Schmied Bauer aus Sand erinnerte er sich noch im hohen Alter. Bis 1938 mussten alle jüdischen Gewerbebetriebe schließen oder an Nichtjuden verkauft werden, so auch dieser Betrieb. Der Senior der Firma, Karl Bensinger, musste den Beginn dieser Veränderung noch „erleben“. Er verstarb 83-jährig am 1. März 1934. Der jüdische Nachbar, Emanuel Merklinger, Besitzer einer Fellhandlung meldete bei der Gemeindeverwaltung seinen Tod.

Eduard Bensinger und die Reichspogromnacht 1938
An einem Augusttag des Jahres 1938 überquerte der damals 29-jährige Julius Kaufmann, Juniorpartner von Eduard Bensinger mit seinem Koffer die Kehler Rheinbrücke nach Westen – es zog ihn zu seiner Verlobten Denise Roos nach Wasselonne im Elsass. In Bodersweier sah er für sich keine Zukunft, das Geschäft, die Eisenwarenhandlung war zum Erliegen gekommen.
Schon seit einigen Jahren verbrachte er seine Freizeit im Elsass, passierte mit seinem Fahrrad zweimal die Woche die deutsch-französische Grenze. Er besaß eine Grenzkarte und in Abendkursen hatte er die Sprache gelernt. Seine Mutter Klara und der Onkel, der Geschäftspartner Eduard Bensinger mit seiner Frau Elsa, blieben zurück. Wenig später sollte sich auch deren Sohn Julius Bensinger ins Elsass retten.
Die Novemberpogrome am 9./10. November 1938 machten im ganzen Deutschen Reich den staatlichen Antisemitismus zur Existenzbedrohung für die jüdische Bevölkerung. Nicht wirklich waren sie eine Reaktion auf die Ermordung des deutschen Diplomaten Ernst Eduard vom Rath durch den Juden Herschel von Grynszpan, vielmehr sollten sie die Zwangsenteignung jüdischen Besitzes vorantreiben und Terror verbreiten. Die Aktion in Bodersweier war, wie überall im Deutschen Reich exakt geplant, sie soll von „auswärtigen“ SS-Leuten durchgeführt worden sein. Vier oder fünf von ihnen fuhren, einem Zeitzeugenbericht folgend, zur Synagoge in der Querbacher Straße, traten die Tür ein und zerschlugen das Inventar. Eine Gruppe von SS- Leuten, begleitet vom Bürgermeister, hätte als ersten am Ort Julius Kaufmann im Wohnhaus der Familie verhaften wollen, ihn aber zum Glück nicht angetroffen. Nach Emanuel Merklinger, der neben dem jüdischen Gemeindehaus wohnte, verhafteten sie Eduard Bensinger. Als ihn seine Frau Elsa noch einmal umarmen wollte, schlugen die Männer brutal auf sie ein. Acht Männer aus Bodersweier wurden nach Kehl verschleppt, im Laufschritt mussten sie marschieren. In Kehl wurden die Verhafteten aus der Stadt und dem Umland, den Orten Bodersweier, Freistett, Lichtenau und Rheinbischofsheim durch die heutige Hauptstraße (damals nach Hitler benannt) getrieben. Sie mussten sich zwischen dem Gasthaus “Schiff“ und der Wilhelmschule aufstellen und in Richtung Gestapostelle marschieren. “Wir haben das deutsche Volk betrogen“ oder “Wir sind schuld am Mord in Paris“, hatten sie zu skandieren. Eine Horde, bestehend aus den SS-Leuten und mindestens 20 Kehler SS- und Gestapomännern, plünderte jüdische Geschäfte, schlug Scheiben ein, es war ein Exzess der Gewalt. Als gewöhnliche Polizisten, die auf den Straßen eingesetzt waren, von den SS-Leuten ein wenig Zurückhaltung verlangten, soll es geheißen haben: “Wenn es euch nicht passt, werdet ihr auch gleich dabei sein.“ Zusammengetrieben in der Stadthalle wurden die verhafteten Männer gedemütigt und unbeschreiblich misshandelt, z.B. mit nassen Holzlatten blutig geschlagen, mehr darüber soll hier nicht berichtet werden. Am Abend schließlich wurden alle Inhaftierten im Zug ins Konzentrationslager Dachau verfrachtet, das schon seit 22. März 1933 ursprünglich zur Inhaftierung politischer Gegner des NS- Regimes bestand. Dort soll man die Kehler Juden an den Spuren ihrer schweren Misshandlungen erkannt haben.
Eduard Bensinger war vom 10. Oktober bis 19. Dezember 1938 in so genannter „Schutzhaft in Dachau, einer von über 26.000 Juden im Zuge der November-Pogrome. Traumatisiert vom Erlebten kehrte er nach Bodersweier zurück. „Mich kriegen sie kein zweites Mal“, hat Eduard Bensinger danach oft gesagt.
Eduard Bensinger verkaufte am 28. Dezember 1938 für 12.000.- RM das „zweistöckige Wohnhaus mit Stallung, Scheune, Hausgarten (Steuerwert 9.500.- RM) und 11(?) ar Ackerland (Steuerwert 670.- RM). Der Käufer war nicht Mitglied der NSDAP und auch nicht organisiert, kann man in den Akten lesen. Es ist anzunehmen, dass mit dem größeren Teil des Erlöses, Judenvermögensabgaben und Reichsfluchtsteuer gezahlt wurden. Die Eisenwarenhandlung in Bodersweier wurde zum 31. Dezember 1938 geschlossen.
Als der ehemalige Teilhaber Jules (vormals Julius) Kaufmann am 26. Dezember 1938 im Elsass heiratete, konnte seine Mutter Klara Kaufmann, Eduard Bensingers Schwester nicht dabei sein. Sie erhielt keine Genehmigung mehr, Deutschland zu verlassen.

In Bodersweier, Rexingen und Karlsruhe 1939/1940
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 wurden auch die Bewohner des grenznahen Bodersweier einschließlich der jüdischen Bevölkerung evakuiert. Eine zweite Evakuierung fand beim Angriff auf Frankreich im Juni 1940 statt, da die grenznahe Region von französischer Seite beschossen wurde. Dieses Mal kamen die Bensingers nach Rexingen.
Rexingen ist heute ein Stadtteil von Horb am Neckar, mehr als 80 km von Bodersweier entfernt. Eine Bindung zu der württembergischen Gemeinde konnte nicht nachgewiesen werden. Allerdings war Rexingen seit Beginn der NS-Herrschaft zu einem Mittelpunkt jüdischen Lebens geworden, fast jeder dritte Bewohner war Jude. In einer Rexinger Organisation hatten sich ab 1937 Gruppen jüdischer Einwohner zusammengetan, die gemeinsam nach Palästina auswandern wollten. Sie hatten auf britischem Mandatsgebiet Brachland erworben, um dort in der Gemeinschaft wieder neu zu beginnen. Die erste Gruppe, bestehend aus zehn Familien und einigen jüngeren Männern verließ im Februar 1938 Rexingen, nachdem sie zuvor in der Synagoge verabschiedet worden waren. Weitere Siedlergruppen, auch aus anderen Gemeinden Süddeutschlands folgten ihnen. Die Rückkehr des Ehepaares Bensinger nach Bodersweier im Juli 1940 ist dokumentiert. Aber schon kurz darauf am 25. August 1940 zogen sie, ohne Angabe einer Adresse nach Karlsruhe. Ein amtlicher Vermerk in Bodersweier lautete: „Die Wohnung wird hier beibehalten“.
Warum das Ehepaar Bensinger nun nach Karlsruhe ging, weiß man nicht,.
Enge Familienbande dürfen bei der großen Familie mit ihrer schicksalsträchtigen Vergangenheit angenommen werden, man hielt zusammen und stand einander bei, heute würde man es als starkes familiäres Netzwerk bezeichnen.
In Karlsruhe lebte seit 1923/24 der elf Jahre jüngere Halbbruder von Eduard. Julius Bensinger führte dort zusammen mit seinem Schwiegervater Simon Holz das florierende Möbelhaus Holz-Gutmann. Er und seine Frau konnten noch im August 1939, unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Karlsruhe verlassen. Ihre Ausreise führte sie zunächst nach Kehl und Straßburg mit einem genehmigten Aufenthalt von einigen Tagen in Frankreich, schließlich von Marseille mit der „ANDRE LEBON“ nach Palästina. Bestimmt führte diese Reise auch über Kehl und Bodersweier. In Karlsruhe geblieben war Julius Bensingers 69-jähriger Schwiegervater Simon Holz mit seiner Frau Henriette. Zeitweise war Simon Holz erster Vorstand der Jüdischen Gemeinde, Mitglied im Malbisch-Arumim-Verein, Mitglied und Vorstandsmitglied im Israelitischen Männerkrankenverein und Gemeindevertreter. Für die 14. Ordentliche Synode 1929 hatte man ihn einst zum Ersatzabgeordneten gewählt und bei der 16. Ordentlichen Synode im Landtagsgebäude in Karlsruhe im Jahr 1932 war er Abgeordneter gewesen. Seine Frau, Henriette Holz, Tochter der engagierten Elise Gutmann war Mitglied im Israelitischen Frauenverein und in der Tachrichim-Kasse. Hofften Eduard und Elsa, mit Unterstützung des, sicher zumindest ehemals einflussreichen Ehepaares Holz noch auf eine Möglichkeit zur Ausreise, oder auch nur einen gewissen Schutz bekommen zu können? Auch der Zuzug anderer Familienangehöriger könnte dafür sprechen. Vielleicht kamen sie, weil sie hofften, nach den schrecklichen Ereignissen im November 1938 in einer größeren Stadt unentdeckt und sicherer leben zu können.
In Karlsruhe hielt sich bei Ankunft von Eduard und Elsa Bensinger bereits eine größere Zahl von Verwandten auf. Vermutlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1939 war Regina Mannheimer, zweitjüngste Schwester von Eduard mit ihrem Mann Lazarus, dem ehemaligen Lehrer, Synagogenvorsteher und Kantor in Kehl, einst hochgeschätzt und angesehen, von dort nach Karlsruhe gekommen. Lazarus Mannheimer war ab dem 1. Dezember 1939 in der Jüdischen Schule in Karlsruhe angestellt worden. Das kinderlose Ehepaar hatte ihre elfjährige Nichte Renate Bensinger (geboren am 28. Juli 1928) aus Kehl mitgebracht, denn dort in der Stadt oder in der Umgebung durfte sie nicht mehr zur Schule gehen. Das galt auch für ihren etwa drei Jahre älteren Bruder Friedrich (geboren am 9. August 1925), der sich seit dem 9. Mai 1939 ebenfalls in Karlsruhe aufhielt. Der 14-Jährige könnte bei seinem Onkel Julius Bensinger gelebt haben. Der Vater der beiden Jugendlichen, Simon Bensinger, der zwei Jahre jüngere Bruder von Julius Bensinger und Halbruder von Eduard und Regina aus der zweiten Ehe des Vaters war Eigentümer eines Fahrradgeschäfts in der Spießstraße in Kehl. Zu Anfang waren sie in die Kriegsstraße 154 gezogen, das Haus gehörte dem „Israelitischen Pensionsfond“ bzw. dem Oberrat der Israeliten Badens. Kurz darauf zogen sie in die Kreuzstraße 3 um.
1940 kam die verwitwete Berta Hammel, geborene Bensinger, älteste Tochter von Eduards Onkels Leopold (Löw), also eine Cousine von Eduard Bensinger und Regina Mannheimer, ebenfalls nach Karlsruhe. Auch sie hielt sich, wie Eduard und Elsa Bensinger im Haus Zirkel 20 auf - vielleicht nur für wenige Tage, oder sie war womöglich nur als Besucherin in der Stadt.

22. Oktober 1940
Die Namen von 16 Menschen vom Haus Zirkel 20 stehen auf der Deportationsliste für Karlsruhe. Ohne Vorwarnung wurden sie am 22. Oktober 1940 verschleppt. Tags darauf am 23. Oktober meldete Gauleiter Wagner nach Berlin, sein Gau sei als erster des Reiches judenrein.
Die Deportation, der Transport in das südfranzösische Lager Gurs war dann nur dank der bereitwilligen Kooperation der Reichsbahn möglich. Neun überfüllte Eisenbahnzüge, sieben aus Baden, zwei aus der Pfalz mit über 6.500 jüdischen Menschen fuhren noch am gleichen Tag nach Südfrankreich. Am Ziel angekommen, wurden die Deportierten im Lager Gurs im Département Pyrénées-Atlantiques unter menschenunwürdigen Verhältnissen interniert. Ein neues französisches Gesetz gegen Einwanderer und ausländische Juden hatte die rechtliche Grundlage geschaffen. Es fehlte an Nahrungsmitteln und Wasser, medizinische Versorgung gab es nicht.
Aus Karlsruhe verschleppt wurden an diesem Tag Elsa und Eduard Bensinger, Berta Hammel sowie Regina und Lazarus Mannheimer, die Nichte Renate war an Diphterie erkrankt, was sie zunächst rettete, ihr Bruder Friedrich hatte am 9. Mai 1939 Karlsruhe bereits wieder verlassen.
Aus Bodersweier wurde Klara Kaufmann, Witwe des Leopold, Mutter von Julius Kaufmann, der ehemaligen Mitinhaber der Eisenwarenhandlung Kaufmann und Bensinger nach Gurs verschleppt.

In Promilhanes, Département Lot
Der Sohn von Eduard und Elsa Bensinger, Julius, wurde nach seiner Flucht 1938 über den Rhein nach Beginn des deutschen Vormarsches gegen Frankreich 1940 in Mirecourt im Département Vosges in der Region Lothringen, etwa 50 km südlich von Nancy, interniert. Fremdenlegionär in Afrika sei er gewesen, wurde berichtet und habe sich nach seiner Rückkehr ins „freie“, unbesetzte Frankreich mit Erfolg für die Eltern engagieren können. Vielleicht war er aber auch zum militärischen Arbeitsdienst (Prestataire), verpflichtet und später als ausländischer Arbeiter zwangsverpflichtet worden (Group de Travailleur Étrangers). Wie auch immer, Julius Bensinger erreichte, dass seine Eltern Elsa und Eduard das Lager Gurs verlassen durften. Allerdings mussten sie sich in Promilhanes, wohin sie „verwiesen“ wurden, regelmäßig bei der Mairie, im Rathaus melden. Etwa zwei Jahre lebten sie sehr bescheiden gemeinsam in einem kleinen Haus, Julius arbeitete in einem Sägewerk.
„Mich kriegen sie kein zweites Mal, hat Eduard immer gesagt“, berichtete Jules (vormals Julius) Kaufmann, sein Neffe und ehemaliger Geschäftspartner. Die traumatischen Erlebnisse von Oktober bis Dezember 1938 ließen Eduard Bensinger nie wieder los. Am 26. August 1942 sollte er bei der französischen Gendarmerie erscheinen, er bekam eine Vorladung. Mittlerweile gab es Gerüchte über Deportationen von jüdischen Ausländern, denn in den letzten Monaten hatten in Frankreich durch Druck der Deutschen auf die Vichy- Regierung zahlreiche Razzien mit anschließenden Deportationen über das Durchgangslager Drancy in das Konzentrationslager Auschwitz stattgefunden. Angst - mehr noch - Panik war ausgebrochen. Eduard Bensinger befürchtete das Schlimmste. Er war einer von vielen, die an ihrer Lage verzweifelten. In einem Waldstück setzte er seinem Leben ein Ende.

Deportation nach Auschwitz
Die Witwe Elsa Bensinger und ihr Sohn Julius wurden schon vor Eduards Beerdigung ins Lager nach Septfonds verbracht, von dort ins Durchgangslager nach Drancy. Der Sohn hätte zwar die Möglichkeit gehabt, in Frankreich zu bleiben, doch wollte er seine Mutter in dieser Ausnahmesituation nicht alleine lassen. Deshalb blieb er zunächst bei ihr. Doch im Zug verloren sich Mutter und Sohn schnell, die Menschen auf den Transporten wurden nach Geschlechtern getrennt. Noch vom Zug aus schrieb Julius Bensinger an Familienangehörige, er wisse nicht, wo seine Mutter sei. Von Drancy wurden beide mit dem Transport Nr. 30 am 9. September nach Auschwitz deportiert. Elsa Bensinger wurde dort unmittelbar nach ihrer Ankunft in einer der Gaskammern ermordet. Julius Bensinger war drei Jahre im Konzentrationslager Auschwitz inhaftiert - bei schwerster Zwangsarbeit, wie ein Überlebender später berichtete. Anfang 1945 erlebte er die Befreiung des Lagers, doch an Erschöpfung und Unterernährung ist er wenig später verstorben. Das Amtsgericht Kehl datierte seinen Tod auf den 31. Dezember 1945. Lazarus Mannheimer wurde von Gurs und anschließenden Aufenthalten in anderen Lagern 1942 nach Drancy bei Paris transportiert.
Regina Mannheimer, geborene Bensinger, traf 1942 in Drancy ihren Mann wieder, nach Aufenthalten in den Lagern Masseube und Noé. Am 7. August 1942 wurden beide mit Transport Nr. 29 nach Auschwitz deportiert. Vermutlich wurden sie schon am 9. August, nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet. Renate Bensinger, die Nichte von Regina Mannheimer und Eduard Bensinger aus Kehl, wurde nach einem Aufenthalt im Sammellager „Heimanlage für Juden in Berg am Laim“ in München, einer Vorstufe zu den Konzentrationslagern am 20. November 1941 nach dem Ghetto Kowno in Litauen verbracht und dort unmittelbar nach der Ankunft, mit etwa 1.000 Ankömmlingen erschossen.
Berta Hammel, geborene Bensinger, wurde von Gurs nach Rivesaltes gebracht. Dort starb sie am 25. Januar 1941 im Alter von 79 Jahren.

Überleben in Frankreich
Klara Kaufmann, geborene Bensinger, hatte am 28. Dezember 1938 ihr einstöckiges Wohnhaus mit Schopf, Hausgarten auf 6,45 ar Grund in der Querbacherstraße 32, verkauft (6.200,- RM Einmalzahlung, Ende Juni 1939 weitere 1.000,- RM auf ein Sperrkonto). Der Einheitswert, Stand November 1940, betrug 7.000,- RM. Mit dem Erlös bezahlte sie Judenvermögensabgabe. Am 22. Oktober 1940 wurde sie in Bodersweier, im Haus 43, wie es auf der Deportationsliste steht verhaftet, binnen einer Stunde musste sie „reisefertig“ sein und wurde nach Gurs deportiert.
Julius (Jules) Kaufmann, der ehemalige Juniorpartner von Eduard Bensinger hatte eine französische Ehefrau, Denise. Nach dem Angriff auf Frankreich waren sie zunächst nach Toulouse geflohen, später in die Pyrenäen. Da sie vermutete, dass ihre Schwiegermutter in Gurs interniert worden war, fuhr sie nach Gurs und entdeckte tatsächlich durch viel Glück am Zaun stehend Klara Kaufmann. Weil diese erkrankt war (sie hatte Herz- und Venenbeschwerden) wurde sie aus dem Lager Gurs auf Bitten der Schwiegertochter am 1. Januar 1941 „beurlaubt“, wie es in den Akten heißt. Denise brachte sie nicht mehr in das Lager Gurs zurück, wurde dazu glücklicherweise auch nie aufgefordert, sondern versteckte sie und rettete damit ihr Leben. Im Restitutionsverfahren erhielt Klara Kaufmann ihr Grundstück zurück, die Käufer wurden im Dezember 1951 zu einer Zahlung von 1.562,36 DM verurteilt.
Gemeinsam konnten Denise und Jules Kaufmann in Toulouse nach Ende des Kriegs eine neue Existenz aufbauen, sie betrieben dort gemeinsam ein gutgehendes Haushaltswarengeschäft. Dort verstarb Klara Kaufmann am 29. Mai 1968, zuletzt bezog sie aus Deutschland eine Rente von 368,- DM. Jules und Denise Kaufmann starben im Abstand von zwei Wochen Anfang des Jahres 2011 in Toulouse. In den Standesbüchern für die Israelitischen Einwohner von Bodersweier wurde der 1. März als sein Todesdatum eingetragen.
Die Erinnerungen von Jules und Denise Kaufmann mit dem Titel „Glück, ganz besonderes Glück“ haben diesen Text über Eduard Bensinger und seine Familie in dieser Form erst ermöglicht.

(Christa Koch, Juli 2015)


Ich danke Herrn Karl Britz für die wertvolle Unterstützung bei den Recherchen für diesen Text. Viele Details hat er zusammen mit Denise und Jules Kaufmann recherchiert und im Buch „Glück, ganz besonderes Glück“ 2008 publiziert.