Maier, Dr. jur. Leopold
Nachname: | Maier |
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Vorname: | Leopold |
Geburtsdatum: | 3. September 1880 |
Geburtsort: | Rastatt (Deutschland) |
Familienstand: | ledig |
Eltern: | Maier und Henriette M., geb. Rothschild |
Familie: | Bruder von Max (1870-1955), Simon (1870-1942), Klara, Otto, Frieda Breisacher geb. M. (1869-1943) und Jenny Oppenheimer geb. M. |
1937: Stephanienstr. 38,
1939: Waldhornstr. 62,
1939: Steinstr. 15, 8.9.-Oktober 1939 in Halle
12.8.1942 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Biographie
Leopold Maier
Leopold Maier wurde am 3. September 1880, einem Freitag, in Rastatt geboren. Ein Mensch, dem das Leben Glück schenken würde, wurde er jedoch nicht, ganz im Gegenteil, wie wir noch in diesem Bericht im Detail sehen werden.
Die Familie Maier
Leopold Maier war das zweitjüngste Kind von Maier Maier, Metzgermeister, und Henriette geborene Rothschild. Neun Kinder wurden dem Paar zwischen 1863 und 1882 geboren, fünf Mädchen und vier Buben, alle in Rastatt. Als Leopold Maier geboren wurde, war der Vater 45 Jahre, die Mutter bereits 42 Jahre. Das zweite Kind, Lina, starb allerdings schon im Babyalter, sechs Monate nach der Geburt. Über die anderen Geschwister wird berichtet, soweit Informationen verfügbar waren.
Maier Maier wurde am 8. November 1834 in Malsch geboren. Seine Frau Henriette, geboren am 3. Juni 1838, stammte aus Pforzheim, Tochter des Pferdehändlers Ephraim Rothschild und seiner Frau Esther, geborene Rothschild. Maier Maier war das zweite von sechs Kindern von Simon Maier, ebenfalls Metzgermeister, zeitweise auch „Judenvorsteher“ in Malsch, und Fanni (Vogel) Bär, beide aus Malsch stammend. Malsch hatte um diese Zeit etwa 2.500 Einwohner, davon waren etwas mehr als 100 Juden. Die Familie lässt sich bis in die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in Malsch nachweisen. Zu den sechs Kindern von Simon Maier und Fanni Bär ist zu vermerken, dass das erste Kind, Nathan (geboren 1831), geboren wurde als die Eltern noch nicht verheiratet waren. Als der Sohn Maier und die folgenden Kinder geboren wurden, waren die Eltern allerdings verheiratet. Nathan und – mindestens – zwei weitere Geschwister starben bereits im Kindesalter.
Simon Maier starb am 9. Juli 1870, 67-jährig, in Malsch. Für seine Frau Fanni waren Sterbedatum und -ort nicht feststellbar; vermutlich ist sie nach dem Tod ihres Mannes zu einem der Kinder gezogen.
Maier Maier kam im Jahre 1862, noch ledig, von Malsch nach Rastatt; er wohnte in der Hildastraße 4 (später hieß die Straße Ottersdorfer Straße) und hatte hier auch seine Metzgerei. Er war nicht der einzige jüdische Metzger in Rastatt, einer war schon vor ihm da, und in den folgenden Jahren, bis Ende der 80er Jahre, kam sogar noch ein dritter hinzu. Am 15. Dezember 1871 erwarb er das Anwesen. Rastatt, damals Garnisonsstadt, hatte knapp 7.500 Einwohner (ohne Militär und Angehörige) und war die achtgrößte badische Stadt; 108 Juden lebten in Rastatt (1,3 % der Bevölkerung). Auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten war der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung nie über 2 %. Die jüdischen Metzger konnten also von jüdischer Kundschaft allein nicht leben.
Am 7. Mai 1862 erhielt Maier Maier das Bürgerrecht in Rastatt. Nach den damals gültigen Statuten musste er dafür ein Vermögen von 1.000 Gulden nachweisen. Und am 5. November 1862 heiratete er die oben schon erwähnte Henriette Rothschild in Rastatt. Über die Gründe seines Umzuges nach Rastatt lassen sich nur Vermutungen anstellen, Belege dafür gibt es nicht. Die noch für das gleiche Jahr anstehende Niederlassungsfreiheit für Juden und die allgemeine Gewerbefreiheit könnten jedoch dazu beigetragen haben. Von den Söhnen übernahm keiner den väterlichen Beruf, sie wurden vielmehr Kaufleute.
Von 1875 – 1881 war Maier Maier Mitglied des – dreiköpfigen – Synagogenvorstandes.
Am 28. September 1890 starb Henriette Maier, 62-jährig, in Rastatt, Maier starb hier am 8. Juni 1912, 77-jährig.
Leopold Maier – Schule und Ausbildung
Leopold Maier besuchte von 1886 bis 1890 die Volksschule in Rastatt und von September 1890 bis Juli 1899 das Großherzoglich Badische Gymnasium in Rastatt, das er mit dem Abitur mit dem Gesamtprädikat „ziemlich gut“ (Note 3) am 15. Juli verließ. Das Gesamtprädikat entsprach auch den Noten in den meisten Fächern; in Singen und Turnen hatte er sogar die Note „gut“. Auch für Fleiß und sittliches Verhalten(!) erhielt er die Note gut. Über Kindheit und Jugend ist nichts überliefert.
Vom 1. Oktober 1899 bis zum 30. September 1890 absolvierte er als Einjährig-Freiwilliger seinen Militärdienst bei der 8. Kompanie des Unter-Elsässischen Infanterie-Regiment 132 in Straßburg.
Im gleichen Zeitraum, nämlich vom Wintersemester 1899/1900 bis zum Sommersemester 1900, studierte er Rechtwissenschaft an der Universität in Straßburg. Danach studierte er weiterhin Rechtswissenschaften, weitere fünf Semester, an den Universitäten Heidelberg, München und Freiburg von Wintersemester 1900/1901 bis Wintersemester 1902/1903. Während dieser Zeit absolvierte er die obligatorischen Wehrübungen (1.8.1901 – 25.9.1901 und 25.9.1901 – 19.11.1901) beim Infanterie-Regiment vom Lützow Nr. 25 in Rastatt.
Im Dezember 1903 legte er sein 1. Staatsexamen mit der Benotung „hinlänglich“ (Note 4) als 22. von 42 Kandidaten ab.
Unmittelbar danach, am 16. Dezember 1903 begann seine praktische Ausbildungszeit als Rechtspraktikant (später Referendariat genannt) mit den Ausbildungsstationen Amtsgericht Rastatt, Landgericht Freiburg, Staatsanwaltschaft Freiburg, Bezirksamt Rastatt, Landgericht Karlsruhe, Rechtsanwalt Frühauf in Karlsruhe, Notariat Rastatt und wiederum Amtsgericht Rastatt. Seine 2. Staatsprüfung legte er im November 1907 mit der Platzziffer 19 von 36 Kandidaten ab und wurde am 26. November 1907 zum Assessor ernannt. Ein erster Versuch für diese 2. Staatsprüfung im Frühjahr 1907 mit der Platzziffer 26 unter 41 Kandidaten blieb ohne Erfolg, d.h. die November-Prüfung war eine Wiederholung. Während seiner Rechtspraktikantenzeit wurde er an der Universität Heidelberg nach Ablegung der schriftlichen Prüfung am 28. November 1903 und der mündlichen Prüfung am 7. Juni 1905 am gleichen Tag zum Dr. jur. mit der Note „4“ promoviert. Eine Dissertation fertigte er nicht, nach der damals gültigen Promotionsordnung war dies auch nicht erforderlich.
Offenbar hatten ihn die Prüfungen nervlich so strapaziert, dass er unmittelbar nach seiner Ernennung zum Assessor in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau bei Achern Aufnahme fand. Zum Rechtspfleger wurde der mit Leopold Maier befreundete Rechtsanwalt Ludwig Marum bestellt, wie aus einem Schreiben der Anwaltskammer Karlsruhe hervorgeht. Die Dauer seines Aufenthaltes hier ist nicht dokumentiert. In diese Heil- und Pflegeanstalt kam er auch in der Folge noch öfters. Dies ist ein Teil seines schwierigen Lebensweges.
Die Anwaltstätigkeit
Leopold Maier war von 1909 bis 1938 zugelassener selbständiger Rechtsanwalt. In den ersten zehn Jahren, unterbrochen durch die Militärzeit, glich seine örtliche Anwaltstätigkeit und Domizilierung eher einer getriebenen Ruhelosigkeit, einer Odyssee – vermutlich Ausdruck seines geistigen Zustandes -, bis er endlich einen festen Standort fand. Es mag vielerlei Gründe für diese wiederholten Standortwechsel gegeben haben, dem kontinuierlichen Aufbau einer Anwaltspraxis war dies jedoch ausgesprochen kontraproduktiv. Seine erste Anwaltszulassung erhielt er für den 26. Juni 1909 beim Amtsgericht Rastatt, mit Wohnsitz in Rastatt, mit gleichzeitiger Zulassung beim Landgericht Karlsruhe. Vom 21. Dezember 1910 bis 16. Januar 1911 befand er sich in der Psychiatrischen Klinik in Freiburg. Ab 28. März 1911 war er als Anwalt beim Landgericht Waldshut zugelassen und wohnte auch in Waldshut. Vom 8. September 1911 bis Anfang 1913 war er beim Landgericht Karlsruhe und gleichzeitig bei der Kammer für Handelssachen in Pforzheim zugelassen. In dieser Zeit wohnte er auch in Karlsruhe in der Kaiserstraße 225. Ab 10. Februar 1913 finden wir ihn als zugelassener Anwalt beim Amtsgericht in Bonndorf, mit Wohnsitz daselbst, und ab 15. Juli 1913 erhielt er auch die Zulassung für das Landgericht in Waldshut.
Hier in Bonndorf hatte er sehr bald Auseinandersetzungen mit einem Amtsrichter, die ihn, Leopold Maier, Ostern 1913 veranlassten, eine Art Beschwerdebrief an das Großherzogliche Justizministerium zu schreiben. Da handgeschrieben, gibt die Handschrift eine deutliche Störung seiner geistigen Verfassung wider, wie unschwer zu erkennen ist. Die Querelen mit dem Amtsgericht, das ihm wiederholt schlampige Arbeitsweise vorhielt, mit Beispielen belegt, zogen sich bis in den Herbst hin. Sein geistiger Zustand, von Anwaltskollegen und Mandanten mit den Worten „der spinnt doch“ charakterisiert, auch großer Alkoholkonsum, führten schließlich dazu, dass das zuständige Bezirksamt auf Antrag des Amtsgerichtes Bonndorf die Einweisung von Leopold Maier in eine psychiatrische Anstalt verfügte, am 3. Oktober 1913 kam er in die Anstalt Illenau, in der er sich schon sechs Jahre zuvor befand. Zum - vorläufigen - Rechtspfleger wurde nun der Rechtsanwalt Mürb, ein Studienfreund Maiers, aus Waldshut bestellt. Am 14. Januar 1914 nahm Leopold Maier seine Anwaltstätigkeit in Bonndorf wieder auf, blieb jedoch nicht mehr lange dort tätig. Er verzog zu einem nicht bekannten Datum nach Bühl und erhielt für das dortige Amtsgericht die Anwaltszulassung auf den 18. Februar 1914, gleichzeitig auch für das Landgericht Offenburg. Das Amtsgericht Bühl berichtete unter dem 18. August 1914 an das Justizministerium, also gerade ein halbes Jahr nach seiner Zulassung, dass Leopold Maier erneut in die Anstalt Illenau verbracht worden sei. Maier leide an periodischen manischen Erregungszuständen, es bestehe zwar Aussicht, dass er seinen Beruf bald wieder ausüben könne, doch müsse man auf Rückfälle gefasst sein, hieß es. Diesmal dauerte der Aufenthalt sehr viel länger als zuvor, nämlich bis 15. Januar 1916.
Ob er danach seine Anwaltstätigkeit in Bühl wieder aufnahm oder nicht, ist nicht aktenkundig. Jedenfalls war er in der Zeit vom 12. September 1916 bis zum 14. Februar 1917 beim Militärdienst beim 2. Ersatz-Bataillon 109 im 2. Reiterdepot. Als was er eingesetzt war, ist nicht bekannt.
Eine vom Justizministerium auf den 1. Februar 1918 angeordnete Vertretung der Anwälte Schloß in Villingen und Schreiber in Donaueschingen blieb jedoch nur von sehr kurzer Dauer, denn schon zum 14. März 1918 wurde er erneut einberufen, und zwar zum Train-Ersatz-Bataillon in Durlach. Er war zu keiner Zeit an der Front und erhielt auch keinerlei Ehrungen oder Auszeichnungen. Am 15. Juli 1918 wurde er, ausdrücklich ohne Versorgungsansprüche, als nicht einsetzbar für den Militärdienst (laut Eintragung: „manisch-depressives cirkuläres Irresein“) laut Verfügung des Versorgungsamtes entlassen. Ob er nach seiner Entlassung die Vertretungen wieder aufnahm, bleibt ungeklärt. Jedenfalls bleibt eine mehrmonatige Lücke in seinem Lebenslauf.
Auf den 18. März 1919 erhielt Leopold Maier seine Zulassung als Anwalt beim Amtsgericht in Villingen, mit gleichzeitiger Zulassung beim Landgericht in Konstanz. Aber auch hier ist er nur wenige Monate. Ob er hier überhaupt eine eigene Anwaltstätigkeit ausgeübt hat, erscheint
zweifelhaft. Jedenfalls finden wir eine erneute Anwaltszulassung für das Amtsgericht Triberg und Landgericht Offenburg auf den 15. September 1919. Und hier lebte und arbeitete er bis zu seinem Umzug nach Karlsruhe 1937, durch die politischen Umstände bedingt. Die „Odyssee“ hatte ein Ende gefunden.
Was ist bekannt über seine Jahre in Triberg? So gut wie nichts. Es hieß, er habe zurückgezogen und unauffällig und bescheiden gelebt. Verheiratet war er nicht. Kinder hatte er keine. Ob er einen Bekanntenkreis oder sogar Freundeskreis hatte, ist nicht bekannt. Wie er zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt bekundete, war er auch nie in einer Partei oder irgendwie gearteten Organisation, abgesehen von der Mitgliedschaft in berufsständischen Organisationen (Anwaltskammer und Anwaltsverein), und politisch habe er sich auch nicht betätigt, er sei nicht einmal politisch interessiert gewesen.
Der “Bund National-Sozialistischer Deutscher Juristen, Gau Baden“, führte in einem Schreiben an die Anwaltskammer in Karlsruhe vom 26. April 1935 aus, Leopold Maier sei nicht geisteskrank, sein Leiden sei vielmehr nervöser Art. Nahezu jedes Frühjahr sei Leopold Maier aus freien Stücken für einige Zeit in die Heilanstalt Illenau zur Erholung gegangen (die Heilanstalt Illenau nahm nicht nur „Geisteskranke“ auf, sondern auch Erholungsbedürftige. Der Verpflegungssatz war billig). Aber vom 15.7. bis 15.9.1929 war er doch, für länger, aber freiwillig, ohne Einweisung wieder in der Heilanstalt Illenau. Für laufende Verfahren habe Leopold Maier auch von der Illenau aus einwandfreie Schriftsätze, trotz Abwesenheit vom Büro, gedächtnismäßig gut beherrscht, für seinen Vertreter entworfen. Und der Amtsgerichtsrat Dr. Bräuninger vom Amtsgericht in Triberg bestätigte in einem Schreiben von Februar 1939 an den Landgerichtspräsidenten von Offenburg, dass Leopold Maier seine Praxis stets nach bestem Können ausgeübt habe, irgendwelche Klagen oder Beschwerden aus der Anwaltstätigkeit seien ihm nie zu Ohren gekommen.
1933 und die Folgejahre
Triberg war eine Kleinstadt mit hervorstechender Nazi-Militanz, wie manche andere Schwarzwaldgemeinde leider auch. Und offensichtlich tat man sich in der Stadt Triberg mit der Aufarbeitung der Nazizeit bis in unsere Tage schwer, wie der aus Triberg stammende Arzt
Dr. Herbert Broghammer bei seinen Recherchen zur Nazi-Vergangenheit Tribergs, auch zu Leben und Schicksal jüdischer Bürger Tribergs, und eben auch zu Leopold Maier, durch die Stadt Triberg erfuhr; er beschreibt dies in seinem 2004 erschienen Buch: „’Hakenkreuz und Judenstern’ – Ehemalige jüdische Mitbürger der Wallfahrtsstadt Triberg und ihr Schicksal im Naziterror.“
So blieb es natürlich nicht aus, dass die Mandanten Leopold Maier als jüdischen Anwalt mieden, die Praxis ging zusehends gegen „Null“. Im Sommer 1935, so schrieb Leopold Maier im Februar 1939, habe er seine Praxis vollständig eingebüßt. Schon zuvor habe er sein Büro aus finanziellen Gründen aufgeben müssen; die wenigen Sachen, die zu erledigen waren, habe er von seiner Wohnung aus erledigt. Seither habe er im Monat nie mehr als 50 RM Einkommen erzielt. Seinen Lebensunterhalt habe er aus öffentlicher Unterstützung, Beihilfe jüdischer Hilfsorganisationen und etwas Aushilfsarbeit bestritten. Ohnehin habe er auch vor 1933 nur eine kleine Praxis, auch durch seine Krankheit bedingt, gehabt. Seine finanziellen Verhältnisse waren derart schwierig geworden, dass er seinen Kammerbeitrag nicht mehr bezahlen konnte und daher unter dem 16. Februar 1935 die Anwaltskammer bat, seinen rückständigen Beitrag von 25 RM in Raten von RM 10 und 5 bezahlen zu können.
Der oben schon erwähnte Dr. Bräuninger bestätigte auch, dass Leopold Maier seit 1935 nichts mehr am Gericht zu tun hatte.
Schließlich konnte er auch seine Wohnung in Triberg nicht mehr bezahlen, er entschloss sich, nach Karlsruhe zu übersiedeln, wo er, wie er am 16. Februar 1937 an die Anwaltskammer in Karlsruhe schrieb, bei Verwandten einen Rückhalt finden werde. In Karlsruhe lebten sein Bruder Max Maier, Ledergroßhändler, mit Familie; seine – unverheiratete – Schwester Clara und sein Schwager Hermann Oppenheimer, Metallhändler, mit Familie. Über die Geschwister von Leopold Maier wird noch berichtet. Aber eigentümlicherweise wohnte Leopold Maier bei keinen Verwandten als er nach Karlsruhe kam, auch später nicht, so lange er in Karlsruhe lebte. Und ob er von den Verwandten Unterstützung fand, erscheint durchaus fraglich.
Am 1. Februar 1937 kam er nach Karlsruhe und wohnte vorübergehend in der Kaiserstraße 50, aber schon 14 Tage später finden wir ihn in der Stephanienstraße 38, seit Februar 1939 wohnte er in der Waldhornstraße 62 bei der jüdischen Witwe Körner, seit 17. August 1939 in der Steinstraße 15, immer zur Untermiete.
Mit Schreiben vom 26. Oktober 1938 teilte ihm das Oberlandesgericht Karlsruhe mit, dass seine Zulassung als Anwalt, die er noch immer hatte, weil schon vor 1914 als Anwalt zugelassen, mit Datum 30. November 1938 zurück genommen werde. Die gleiche Nachricht erhielten alle jüdischen Anwälte in Deutschland, die noch ihre Zulassung hatten.
Die Deportation in das Konzentrationslager Dachau am 10. November 1938, als mehr als 200 männlichen Juden aus Karlsruhe im Alter von 16 bis 60 Jahren (und teils darüber) nach der so genannten Reichskristallnacht, als die Synagogen brannten und jüdische Geschäfte und Einrichtungen verwüstet und geplündert wurden, verbracht wurden, blieb ihm glücklicherweise erspart, anscheinend hatte die Gestapo kein Interesse an ihm.
Unmittelbar nach der Mitteilung über den Entzug der Anwaltszulassung beantragte er beim Oberlandesgericht Karlsruhe seine Zulassung als so genannter Rechtsconsulent (rechtliche Betreuung ausschließlich von Juden) für Offenburg, Freiburg oder Karlsruhe. Mit Schreiben vom 11. Februar 1939 wurde sein Gesuch nach abschließender Entscheidung des Reichsjustizministers abgelehnt – nachdem alle konsultierten Stellen, die Anwaltskammer Karlsruhe, das Oberlandesgericht Karlsruhe, das Landgericht Offenburg und die Gestapo Karlsruhe, sich gegen eine Zulassung Maiers als Consulent ausgesprochen hatten mit der Begründung, er lebe in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen und sei Gewohnheits- oder Gelegenheitstrinker.
Wenige Tage danach, am 17. Februar 1939 richtete Leopold Maier ein Gesuch um Gewährung eines Unterhaltszuschusses an die Anwaltskammer in Karlsruhe. Dieses Gesuch muss wohl verstanden werden als „Hilfeschrei“, denn er wusste finanziell nicht mehr weiter: als Anwalt durfte er sich nicht mehr betätigen, die Zulassung als Consulent war ihm verweigert worden, die Aushilfstätigkeit im Büro der kleinen jüdischen Möbelhandelsfirma Heß in der Adlerstraße 11, die er seit ein paar Monaten hatte, die ihm wenigstens 50 RM monatlich einbrachte, ging mit dem 31. März 1939 mit der Liquidation der Firma zu Ende, er wusste nicht mehr weiter. Und es muss wohl angenommen werden, dass er auch von seinen Angehörigen keinerlei Unterstützung erfuhr. Seinem Antrag wurde – nach Befragung der Polizei und Kriminalpolizei sowie des Landgerichtspräsidenten von Offenburg, der sich auf eine Stellungnahme des schon erwähnten Amtsrichters Dr Bräuninger aus Triberg stützte – stattgegeben, er erhielt – einmalig – 150 RM. Aber wie lang konnte er sich mit diesem kleinen Betrag über Wasser halten? Und wovon hat er danach gelebt? Eine Antwort auf diese Frage gibt es nicht.
Das Ende
Am 1. September 1939 begann der Krieg. Da Karlsruhe im Schussbereich der französischen Artillerie lag und offenbar auch damit gerechnet wurde, dass die Stadt als erstes von der französischen Grenze aus beschossen würde, wurde von der Stadt Karlsruhe den – „arischen“ – Bewohnern mitgeteilt, dass Kinder, Menschen über 60 und Kranke evakuiert und in so genannte Bergungsgaue, also weiter im Landesinnern liegende Regionen, gebracht würden. Den Juden stand es frei, gleichfalls die Stadt zu verlassen oder zu bleiben.
Die Jüdische Gemeinde Karlsruhe organisierte die Evakuierung derjenigen, die nicht in der Stadt bleiben wollten – nach München, Halle und anderen Städten. Die jüdischen Partner-Organisationen vor Ort hatten für die Unterbringung zu sorgen, sie trugen auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, soweit erforderlich. Ab dem 4. September 1939 reisten 44 Karlsruher Juden nach Halle, darunter auch Leopold Maier am 8. September. Nur die wenigsten konnten in Halle privat untergebracht werden, so auch Leopold Maier, der im Hause Königstraße 34 bei einer Familie unterkam; die meisten wurden jedoch vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde Halle in den Räumen der ehemaligen Trauerhalle des 1938 geschlossenen Jüdischen Friedhofs in der Boelckestraße 24 behelfsmäßig untergebracht. Im Oktober 1939 kehrte Leopold Maier wieder nach Karlsruhe zurück.
Irgendwelche Auswanderungsbemühungen von Leopold Maier konnten nicht festgestellt werden.
Am 22. Oktober 1940 wurden die badischen und saarpfälzischen Juden, 6.550 an der Zahl, darunter 905 von Karlsruhe (inkl. Grötzingen) auf Initiative der Gauleiter Wagner und Bürckel, die ihre Gaue „judenrein“ haben wollten, nach Gurs in Südfrankreich deportiert, darunter auch Leopold Maier, auch sein Bruder Max Maier, von Rastatt aus, und die Schwestern Frieda verheiratete Breisacher und Clara Maier.
Über das Leben in diesem Lager, über die miserablen Lebensbedingungen, über die unsäglichen hygienischen Verhältnisse, über den Hunger ohne Ende, über das Sterben hunderter, insbesondere älterer Menschen an Erschöpfung, ist an anderer Stelle von zahlreichen Autoren, insbesondere Überlebenden, in ausführlichen Erlebnisberichten geschrieben worden, das soll hier nicht wiederholt werden.
Am 22. März 1941 wurde Leopold Maier und auch seine Schwester Clara von Gurs in das Lager Récébédou (nahe Toulouse) verlegt. Möglicherweise war die Lagerverwaltung der Meinung, die beiden seien ein Ehepaar. Von hier wurde Leopold Maier am 8. August 1942 in das Durchgangslager Drancy bei Paris verbracht und von hier am 12. August 1942 mit Transport Nr. 18 nach Auschwitz deportiert. Der Transport umfasste 1.007 Personen, darunter 25 Kinder. 705 Personen wurden bei Ankunft sofort vergast, 233 Männer und 62 Frauen „zur Arbeit“ selektiert. Von diesem Transport gab es 11 Überlebende, Leopold Maier war nicht darunter. Es ist anzunehmen, dass er sofort bei Ankunft ermordet wurde. Sein Tod wurde amtlich auf den 31. August 1942 festgestellt.
Leopold Maiers Geschwister
Wie schon erwähnt, hatte Leopold Maier acht Geschwister, wovon die zweitjüngste Schwester, Lina, bereits im Alter von sechs Monaten verstarb. Die verbleibenden Geschwister waren – in der Reihenfolge ihres Geburtsdatums: Sophie, Frieda, Simon, Max, Jenny, Clara und Otto. Alle wurden in Rastatt geboren.
• Sophie Maier (Sara, genannt Sophie) wurde am 25. Juli 1863 geboren. Sie heiratete den aus Ingenheim/Pfalz stammenden Holzhändler Salomon Roos (geboren 7. Juni 1858). Sie hatten sieben Kinder, geboren zwischen 1886 und 1901. Am 4. Februar 1931 starb sie in Straßburg. Ihr Mann war bereits 1 ½ Jahre zuvor, am 31. Juli 1929 in Hagenau (Haguenau) im Elsaß (zwischen Karlsruhe und Straßburg gelegen) gestorben, wo die Familie nach Geburt des 1. Kindes, das in Ingenheim geboren wurde, lebte.
• Frieda Maier wurde am 13. April 1869 geboren. Sie heiratete einen Breisacher, über den nichts, nicht einmal Vorname, Geburtsdatum und Beruf in Erfahrung gebracht werden konnten. Aus der Ehe ging ein Sohn Ernst, geboren 19. Dezember 1889, hervor. Von 1924 bis 1931 lebten Frieda Breisacher und ihr Sohn Ernst in Frankfurt a.M. Als sie nach Frankfurt/M zogen, war Frieda Breisacher bereits Witwe. Der Sohn, Dr. phil., war zu jener Zeit Redakteur bei einer Zeitung. Wo sie zuvor lebte und wo der Mann starb, konnte nicht festgestellt werden. Von Frankfurt a.M. zog sie nach Berlin. Am 6. April 1940 zog sie von Berlin nach Karlsruhe zu ihrem Bruder Max und lebte in dessen Haus am Schloßplatz 8 bis zu ihrer Deportation nach Gurs mit ihrem Bruder und mit all’ den anderen badischen Juden am 22. Oktober 1940. Zu einem nicht bekannten Datum wurde sie von Gurs in das Lager Noé (bei Toulouse) verlegt. Hier starb sie am 21. Mai 1943. Der Sohn Ernst war nach dem Krieg als Professor in den USA tätig.
• Simon Maier wurde am 17. Juli 1880 geboren. Er heiratete am 17. Januar 1907 in Hoffenheim (bei Sinsheim/Baden) und hier am 8. Mai 1883 geborene Rosa Oppenheimer, Schwester seines Geschäftspartners Hermann Oppenheimer, mit dem er eine Eisenwarenhandlung unter dem Namen Maier & Oppenheimer in Rastatt auf dem Grundstück der vormaligen Metzgerei seines Vaters in der Ottersdorfer Straße 4 betrieb.
Es war eine Doppelhochzeit in Hoffenheim, weil Hermann Oppenheimer am gleichen Tage Simon Maiers Schwester Jenny heiratete (s.u.).
Zu einem nicht bekannten Datum trennten sich Simon Maier und Hermann Oppenheimer, letzterer ging 1909 nach Karlsruhe und betrieb dort, Jahre später, eine Einzelfirma mit Eisen- und Metallwaren in der Lessingstraße 19. Eine Tochter Johanna ging aus der Ehe, geboren am 10. Dezember 1907 in Rastatt, hervor. Im März 1912 trennten sich die Eheleute, Rosa Oppenheimer zog mit ihrer Tochter nach Karlsruhe zu ihrem Bruder Hermann Oppenheimer in die Lessingstraße 19, der zwar schon seit 1909 in Karlsruhe tätig war, aber die Familie lebte noch in Rastatt. Rosa Maier lebte zu einem späteren Zeitpunkt in Karlsruhe in der Herrenstraße 16. Sie betrieb einen kleinen Mittagstisch („Kostgeberei“) und ein Schuhgeschäft. Nach 1933 verliert sich ihre Spur. Anscheinend wurden die Eheleute auch nicht geschieden. Auch über die Tochter Johanna gibt es keine Spuren.
Simon Maier blieb in Rastatt, aber weitere Informationen fehlen. Simon Maier wurde ebenfalls am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert, von Rastatt aus. Zu einem nicht bekannten Datum wurde er von Gurs in das Lager Récébédou verlegt und starb hier am 20. Februar 1942.
• Max Maier wurde am 9. April 1873 geboren. Er heiratete am 7. Dezember 1905 in Laupheim die hier am 30. Dezember 1869 geborene Pauline Einstein. Das Paar hatte drei Kinder, Johanna (geboren 1. Oktober 1906), Emil (geboren 12. Dezember 1907) und Clara (geboren 25. März 1912), alle in Karlsruhe geboren. Max Maier betrieb – als Einzelfirma mit Sitz in Karlsruhe am Schloßplatz 8, wo er auch wohnte – einen Ledergroßhandel und -export (in die Schweiz, in die Tschechoslowakei und nach Holland), die Firma war seit 1919 im Handelsregister eingetragen, fünf bis sechs Angestellte wurden regelmäßig beschäftigt, der Jahresumsatz belief sich auf 250.000 – 300.000 RM. In der Firma war auch der Sohn Emil seit 1929 als Reisender tätig. Auch für Max Maiers Firma gingen ab 1933 die Umsätze durch Ausgrenzung und Boykott als jüdische Firma deutlich zurück, aber offenbar nicht so dramatisch wie bei sehr vielen anderen jüdischen Firmen, denn für 1937 erzielte sie immerhin noch einen Gewinn von 18.000 RM. Im Verlauf der 1938 massiv einsetzenden „Arisierungswelle“ (Zwangsverkauf an nicht-jüdische Betreiber und wenn nicht gegeben, Zwangsschließung) war auch Max Maier gezwungen, seine Firma zu verkaufen, und zwar an den Kaufmann Oswald Kohm aus Karlsruhe am 8. August 1938 (Kaufvertragsdatum), ebenfalls Lederhändler. Max Maier blieb allerdings noch bis 31. Dezember 1938 zur Überleitung als Geschäftsführer in der Firma tätig. Und wenig später, am 15. Oktober 1938, musste er auch sein Haus am Schloßplatz 8 an den Badischen Fiskus verkaufen, da sein Haus zwischen zwei Häusern lag, die dem Staat bereits gehörten und hier eine Landesbehörde untergebracht werden sollte. Der Preis, den der Staat ihm zahlte, lag um rund 40 % unter dem Einheitswert. Während des Kriegs wurde das Haus durch Bomben total zerstört.
Emil Maier wurde am 10. November 1938 mit über 200 jüdischen Männern aus Karlsruhe in das Konzentrationslager Dachau verfrachtet (Häftlings-Nr. 22311), erst am 17. Januar 1939 wurde er von dort entlassen. Ende Februar 1939 gelang ihm die Auswanderung nach England und von da am 4. März 1939 in die USA. Die Schwester Clara konnte bereits Ende September 1938 über Hoek von Holland nach England und von dort am 2. Oktober 1938 in die USA auswandern.
Die Schwester Johanna, die am 18. Dezember 1930 in Karlsruhe den in Essen ansässigen kaufmännischen Angestellten Siegfried Asch geheiratet hatte, konnte ebenfalls noch rechtzeitig auswandern; nähere Einzelheiten sind allerdings nicht bekannt.
Von Max Maier sind keine Auswanderungsabsichten dokumentiert.
Am 30. August 1939 starb seine Frau Pauline in Karlsruhe; am 1. September 1939, dem Tag des Kriegsbeginns, wurde sie hier beerdigt.
Am 22. Oktober 1940 wurde Max Maier – wie auch seine Brüder Leopold und Simon und seine Schwestern Frieda und Clara (s.u.) - nach Gurs in Südfrankreich deportiert. Von hier kam er am 28. November 1941 in das Lager Les Milles (bei Marseille), offenbar bestand die Aussicht auf Auswanderung, denn dieses Lager war für viele, leider nicht für alle, das Durchgangslager für eine Auswanderung. Es folgten Verlegungen in die Lager Rivesaltes (Juli – Oktober 1942), Nexon (Oktober 1942 – März 1943) und Masseube (März 1943 – Februar 1945). Wie es ihm gelang, der Deportation nach Auschwitz zu entgehen, konnte nicht festgestellt werden. Von Februar 1945 – Juli 1945 finden wir ihn in Lacaune (Dept. Tarn). Zu einem nicht bekannten Datum nach dem Krieg, mutmaßlich Anfang 1946, konnte er dann zu seinen Kindern in die USA auswandern. Am 19. Juli 1955 starb er in New York.
• Jenny Maier wurde am 10. Januar 1875 geboren. Wie schon erwähnt, heiratete sie am 17. Januar 1907 in Hoffenheim/Sinsheim den von hier stammenden Kaufmann Hermann Oppenheimer, Sohn von Isaak und Karoline Oppenheimer geborene Karlsruher. Hermann Oppenheimer und Simon Maier betrieben in Rastatt eine Eisenwarenhandlung. Hier lebte das Paar bis 1909, und hier wurde auch die beiden Kinder geboren, Hedwig (Hedy) am 29. Dezember 1907 und Fritz (Fred) am 27. Juli 1909. Über Jenny Maier Oppenheimer ist ansonsten nichts überliefert. Ihr Ehemann betrieb nach seiner geschäftlichen Trennung von seinem Schwager Simon Maier ab 1922 eine Metallwarenhandlung in Karlsruhe in der Lessingstraße 19, wo die Familie auch wohnte. Die Familie kam zwar schon 1912 nach Karlsruhe, die Wohnadressen sind bekannt, aber welcher Tätigkeit Hermann Oppenheimer bis 1922 nachging, ist nicht bekannt. Der Hauptkunde seiner Firma – als Lieferant wie auch als Abnehmer – war die Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG (spätere IWKA). Er beschäftigte vor 1933 variierend ein bis vier Arbeiter. Sein Jahreseinkommen betrug etwa 7.500 RM, es war also ein Kleingewerbe. Die IWKA bestätigte ihm im Wiedergutmachungs-Verfahren nach dem Kriege, dass er ein sehr rühriger Geschäftsmann gewesen sei. Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 wurde er von der Firma nicht mehr beliefert. Der Umsatz seiner Firma ging durch Boykott von Lieferanten und Kunden in 1933 auf 75 %, im Folgejahr auf 50 % und 1935 auf 25 % zurück. 1937 wurde der Betrieb der Firma vollständig eingestellt, am 7. Dezember 1938 wurde die im Handelsregister eingetragene Firma gelöscht.
Der Sohn Fritz absolvierte nach dem Besuch der Oberrealschule in Karlsruhe eine kaufmännische Lehre bei der Schuhhandelsfirma Ladenburger & Co in Karlsruhe und arbeitete auch danach noch weitere vier Jahre bei dieser Firma als Angestellter. Er wechselte dann zu der Schuh-Filial-Firma J. Speier AG, Frankfurt a.M. als Verkäufer, arbeitete in verschiedenen Filialen der Firma und diente sich zum Filialleiter hoch, zuletzt war er in Pforzheim. Nach seinem Austritt im April 1937 emigrierte er bereits Anfang Juni 1937 in die USA. Die Schwester Hedwig emigrierte Ende 1938 von Stuttgart aus, wohin sie ihren Wohnsitz von Karlsruhe aus verlegt hatte, in die USA.
Jenny und Hermann Oppenheimer emigrierten im Februar 1940 ebenfalls in die USA.
Jenny Oppenheimer starb am 18. Februar 1954 in New York, Hermann Oppenheimer eben dort 1957.
• Clara Maier wurde am 16. März 1876 geboren. Nach Besuch der Volksschule und einer Höheren Töchterschule (sechs Jahre) in Rastatt blieb sie im Elternhaus bis zum Tod des Vaters 1912 und versorgte diesen. 1910/11 besuchte sie die Städtische Handelsschule in Rastatt – da war sie immerhin schon 34 Jahre. Danach arbeitete sie 1 ½ J als Buchhalterin und Korrespondentin beim Kaufhaus Knopf in Rastatt, danach fünf Jahre bei dem Wäsche- u. Aussteuerhaus A. H. Rothschild in Karlsruhe, danach zwei Jahre in der Tabakfabrik Kleins in Waldorf bei Heidelberg, dann drei Jahre in einem Ingenieur-Büro Julius Rössler in Karlsruhe und schließlich sechs Jahre bei dem Manufakturwaren-Grossisten S. Rubin in Karlsruhe, immer als Buchhalterin/Korrespondentin. 1930 siedelte sie ins Elsaß nach Hagenau über zu ihrer kranken Schwester Sophie Roos und pflegte diese bis zu deren Tod am 4. Februar 1931. Zu einem nicht bekannten Datum kehrte sie nach Karlsruhe zurück, fand keine neue Stelle und blieb für längere Zeit erwerbslos, die Weltwirtschaftskrise dauerte an. In dieser Zeit wurde sie von ihrem Bruder Leopold, der selbst zu den Armen gehörte, wie wir gesehen haben, finanziell unterstützt. Der Umfang der Unterstützung (Betrag, Dauer) ist nicht dokumentiert.
Es gelang ihr noch einmal eine Anstellung bei dem Tuch-Grossisten Wewenstein in Karlsruhe in der Waldstraße zu finden, jedoch nur auf kurze Dauer, denn die Firma wurde bald liquidiert. Sie wurde wiederum erwerbslos und wurde mit Datum 25. Juni 1937 nach zwölfmonatiger Arbeitslosigkeit und wegen Überschreitung des 60. Lebensjahres vorzeitig verrentet.
In den letzten Jahren ihrer Karlsruher Zeit lebte sie als Untermieterin bei ihrem früheren Arbeitgeber Rubin in der Herrenstraße 22.
Clara Maier blieb unverheiratet und hatte auch keine Kinder.
Irgendwelche Auswanderungsbemühungen von ihr waren nicht festzustellen.
Am 22. Oktober 1940 wurde sie – wie alle badischen und saarpfälzischen Juden – nach Gurs deportiert. Am 21. März 1941 wurde sie, zusammen mit ihrem Bruder Leopold, von dort in das Lager Recebedou verlegt und von hier am 5. Oktober 1942 in das Lager Nexon, am 15. März 1943 kam sie schließlich in das Lager Masseube, wo sie bis 31. August 1944 blieb. Nach der Befreiung Frankreichs durch die Alliierten kam sie noch für einige Zeit nach Lacaune, wo sich auch schon ihr Bruder Max befand. Schließlich, das genaue Datum ist nicht mehr feststellbar, kam sie nach Nizza und fand – nunmehr fast 70-jährig und fast blind (zwei Augen-Operationen während ihrer Lagerzeit im Spital in Toulouse blieben erfolglos) – Aufnahme in dem jüdischen Pflegeheim „La Colline – St. Antoine“. Hier starb sie am 5. November 1964.
• Otto Maier wurde am 10. Januar 1882 geboren; er war das jüngste Kind von Maier und Henriette Maier. Er ging in Rastatt zur Schule und erlernte den Kaufmanns-Beruf. Er heiratete nach in Weißenburg im Elsaß die dort am 15. November 1880 gebürtige Celestine Bloch. Zwei Kinder wurden dem Paar geboren: René (geboren 25. November 1911) und Alice (geboren 19. März 1913). Anfang 1936 zog das Ehepaar nach Saareguemines (Saargemünd) in Lothringen (unweit von Saarbrücken). Otto Maier betrieb hier ein Einzelhandelsgeschäft. Nähere Angaben fehlen. Während des 2. Weltkrieges fanden die Eheleute Maier Zuflucht bei ihrem Schwiegersohn im Süden Frankreichs in Champ sur Drac (Isere), Dept. Rhone-Alpes. Im Dezember 1945 kehrten sie nach Sarreguemines zurück. Otto Maier starb am 29. März 1949 in Straßburg.
Nachwort
Leopold Maier war ein „armer Kerl“, wie wir gesehen haben, im buchstäblichen und im übertragenen Sinn. Und genau aus diesem Grund bekam er postum, 20 Jahre nach seinem furchtbaren Tod, noch eine „Bestrafung“ – durch das Landesamt für Wiedergutmachung und durch das Landgericht Karlsruhe. Und dies ging so: Clara Maier, die fast blinde Schwester von Leopold Maier, die die Deportation nach Gurs und die anderen Lager überstanden hatte und in Nizza in einem Pflegeheim lebte, betrieb als Erbin ihres Bruders Leopold über einen Kölner Rechtsanwalt das Wiedergutmachungsverfahren bei der zuständigen Behörde in Karlsruhe.
Von den verschiedenen Entschädigungskriterien des Gesetzes kam allerdings nur „Berufsbeschränkung“ und „Verdrängung aus selbständiger Tätigkeit“ in Betracht, denn das Kriterium „Schaden an Eigentum und Vermögen“ konnte nicht verfolgt werden, Leopold Maier hatte weder Eigentum noch Vermögen, und die Kriterien „Freiheitsentzug“ sowie „Schaden an Leben, an Körper und Gesundheit“ waren für sie nicht relevant, weil nur in gerader Linie vererbbar.
Die Entschädigungsbehörde unterstellte, dass Leopold Maiers Einkommen im maßgeblichen Referenzzeitraum – das waren die Jahre 1930 bis 1933 – allenfalls dem Einkommen eines „gehobenen Beamten“, nicht aber eines „höheren Beamten“ (mindestens 10.400 RM per anno) vergleichbar gewesen sein konnte, weil er in einem Schreiben an die Anwaltskammer Karlsruhe vom 17. Februar 1939 wegen eines Unterhaltszuschusses ausführte, er habe stets eine bescheidene Praxis gehabt, die nicht mehr als eine bescheidene Lebenshaltung ermöglichte, dazu habe er ständig mit Krankheit zu kämpfen gehabt und sei hierdurch stark erwerbsbehindert gewesen. Zu keiner Zeit wurden Einkommensteuer-Erklärungen bzw. Bescheide des zuständigen Finanzamtes herangezogen. Es war auch keine Rede davon, dass diese durch Kriegseinwirkungen verloren gegangen seien. Auch aus der einkommensabhängigen Einstufung des Beitrages zur Anwaltskammer hätte sich das erzielte Einkommen ablesen lassen. Aber aus den Akten geht nicht hervor, dass das Amt bei der Kammer eine entsprechende Anfrage gestellt hat.
Ferner wurde vom Amt unterstellt, dass Leopold Maier im Zeitraum der so genannten Berufsbeschränkung“ – 1. April 1933 bis 30. November 1938 – 50 % seiner Einkünfte erzielen konnte, obwohl Leopold Maier im gleichen Schreiben ausführte, dass er seit 1935 seine Praxis vollständig eingebüßt habe. Der Zeitraum der „Berufsbeschränkung“ hätte hiernach nur bis 31. Dezember 1934 angesetzt werden dürfen, die „Verdrängung“ erfolgte somit faktisch mit 1. Januar 1935 und nicht erst mit der förmlichen Rücknahme der Anwaltszulassung per 30. November 1938.
Auf dieser Basis traf das Landesamt seine Entscheidung mit Bescheid vom 10. Mai 1962.
Wegen der Einstufung und wegen des so genannten Verdrängungszeitraumes war der Bescheid falsch.
Dem Verfasser sind zahlreiche Fälle von Wiedergutmachungsverfahren aus Aktenstudium bekannt, in denen ebenfalls zu niedrige Einstufungen erfolgten. Der Leser dieser Akten macht sich natürlich darüber seine Gedanken und zieht Schlüsse. Fast immer aber wurden derartige Falsch-Einstufungen im nachfolgenden Verfahren beim Landgericht Karlsruhe zugunsten des/der Antragsteller(s) nach oben korrigiert. Nicht so im Verfahren Leopold Maier. Das Landgericht Karlsruhe wies die Klage mit Urteil vom 15. Januar 1963 vollen Umfangs ab und bestätigte somit den Bescheid des Landesamtes.
Mit dieser Persönlichkeits-Charakteristik argumentierte das Gericht für eine niedrigere Einstufung Leopold Maiers, vergleichsweise wie ein gehobener Beamter: häufiger Wechsel der Anwalts-Niederlassung in den Jahren von 1909 bis 1918, wiederholte geistige Erkrankung mit zweimaliger Einweisung in eine Heilanstalt, Hang zur Trunksucht (dafür gab es allerdings nur einen Beweis aus der Tätigkeit in Bonndorf 1913) – alles Merkmale, die für den Referenzzeitraum nach dem Gesetz in gar keiner Weise relevant waren. Das Gericht weiter in seiner Begründung: „Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hatten sich indessen zweifellos in dieser Zeit seiner Triberger Anwaltstätigkeit nicht grundsätzlich gewandelt“ – eine frei erfundene Hypothese. Für die zeitliche Abgrenzung der ‚Berufsbeschränkung“ zur ‚Verdrängung’ übernahm das Gericht ohne eigene Beurteilung die Begründung des Landesamtes. Im Ergebnis eine gravierend rechtsfehlerhafte Entscheidung. Clara Maier bekam also als Entschädigung für ihren ermordeten Bruder ganze 8.946 DM zugesprochen, und dieser Betrag wurde auch noch durch die sieben Erben bzw. deren Kinder geteilt. Unverständlicherweise wurde jedoch keine Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt, sie wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich gewesen.
(Wolfgang Strauß, September 2008)