Marum, Eva Brigitte
Nachname: | Marum |
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Vorname: | Eva Brigitte |
Geburtsdatum: | 17. Juli 1919 |
Geburtsort: | Karlsruhe (Deutschland) |
Familienstand: | ledig |
Eltern: | Dr. Ludwig und Johanna M. |
Familie: | Schwester von Elisabeth und Hans Karl;
Mutter von Ernest Pierre (geb. 31.7.1941) |
22./23.1.1943 verhaftet und am 24.1.1943 nach Compiègne (Frankreich),
25.3.1943 von Drancy nach Sobibor (Polen)
Biographie
Eva Brigitte Marum
Eva Brigitte Marum war die Tochter des ehemaligen jüdischen Karlsruher SPD-Politikers und Reichstagsabgeordneten Ludwig Marum (1882 bis 1934) und seiner Frau Johanna Marum, geborene Benedick (1886 bis 1964). Sie wurde am 17. Juli 1919 in Karlsruhe geboren und hatte zwei Geschwister: Elisabeth und Hans Marum.
Die Familie lebte relativ wohlhabend in Karlsruhe, bis Adolf Hitler die Macht ergriff. Am 10. März 1933 wurde Ludwig Marum von der SA verhaftet und am 16. Mai in das KZ Kislau überführt. In der Nacht vom 28. auf den 29. März 1934 wurde er im Alter von 51 Jahren auf Anweisung von Gauleiter Robert Wagner von fünf SA- bzw. SS-Angehörigen stranguliert. Der Mord wurde offiziell als Selbstmord ausgelegt. Am 3. April fand eine großer Trauerfeier statt, zu dem trotz massiver Drohungen etwa 3.000 Menschen kamen.
Diese Ereignisse hatten großen Einfluss auf Brigitte, was sich sehr an ihren Noten bemerkbar machte. Sie wurde vom Lessing-Gymnasium auf die angegliederte Realschule versetzt. Das einst clevere, fröhliche Mädchen wurde zunehmend schwermütiger.
Die Mutter Johanna hatte Brigittes Bruder Hans auf Bitte ihres Mannes nach Frankreich geschickt, um den Fängen des Nationalsozialismus zu entfliehen. Gleich darauf, am 20. April 1934, musste auch die restliche Familie Marum nach Paris fliehen. Sie bestritten das Leben dort durch das Geld der Lebensversicherung, das ihnen von Ludwig Marum hinterlassen wurde und welches sie mit Hilfe holländischer Freunde erhalten konnten.
Kurze Zeit später erhielt Brigitte ein Angebot von einem englischen Internat. Dieses Stipendium nahm sie an und verbrachte drei Jahre, unterbrochen von mehreren Aufenthalten in Paris, in England. Dort war sie sehr einsam und trauerte weiterhin um ihren Vater.
In der Zwischenzeit trat Hans im Exil der Kommunistischen Partei Deutschlands bei. Kurz darauf traf er seine alte Studienfreundin Sophie Gradenwitz wieder, die Tochter eines Rabbiners. Sie gingen erst zusammen nach Wien, bis sie auf den Rat von Johanna Marum 1936 ebenfalls nach Paris reisten, wo Sophie „schwarz“ als Hausangestellte arbeitete und Hans eine feste Stelle im Pariser Büro des jüdischen Weltkongresses, der sich größtenteils um die Hilfe für jüdische Flüchtlinge kümmerte, erhielt. Hans und Sophie heirateten im Frühjahr 1937. Am 31. Juli heiratete auch Brigittes Schwester Elisabeth ihren alten, nichtjüdischen Freund Hans Lunau, den sie auf der Universität kennen gelernt hatte.
Brigitte kam im November 1937 endgültig aus England zurück. Sie war durch ihre Einsamkeit, den Tod ihres Vaters und die Verfolgung ihrer Familie sehr verbittert. In Paris erhielt sie eine Arbeitsstelle als Sekretärin im Medizinischen Hilfswerk für Flüchtlingskinder.
Im Jahr 1938 lernte Brigitte Peter Holländer kennen, einen etwa gleichaltrigen Mann, der eine ähnliche Vergangenheit wie sie selber hatte. Auch er lebte schon lange – von seiner Familie getrennt – in Frankreich. Die beiden begannen eine Liebesbeziehung und wollten heiraten. Doch diese Heirat kam aufgrund der fehlenden Papiere nie zustande. Peters Mutter hatte jedoch brieflich in die Ehe eingewilligt. Sie charakterisierte Brigitte, die ihr persönlich nicht bekannt war, in einem Brief an ihren jüngeren Sohn so: „Aus all dem habe ich den Eindruck gewonnen, daß diese Brigitte ein wertvoller Mensch ist [...und] ich muß den Himmel preisen, daß er mir durch dieses Mädchen die schwere Sorge um Peter abgenommen hat. [...] Jedenfalls wollen wir uns beide freuen, daß ich eine Tochter und Du eine Schwester bekommen hast.“
Nach der Kriegserklärung und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs fuhr Brigitte erst einmal zu ihrer Mutter und ihrer Schwägerin Sophie in die Mitte Frankreichs, von wo sie allerdings schon im Oktober 1939 wieder nach Paris zurückkehrte. Am 15. Mai 1940 wurde sie gemeinsam mit Bertha Gradenwitz, der Schwester ihrer Schwägerin Sophie, verhaftet und im Vélodrome d`hiver interniert. Es ist wahrscheinlich, dass beide bei dem riesigen Transport von 2.364 Frauen am 23. Mai in das Internierungslager Gurs am Fuße der Pyrenäen dabei waren.
Peter gelang es im Sommer 1940, aufgrund seines Status als Angehöriger der Prestataires, einer halbmilitärischen Truppe aus Internierten vieler Länder, die Entlassung Brigittes und seiner Schwester Gerda aus Gurs zu erreichen. Sie lebten in Toulouse, zuerst in einem Hilfszentrum, später in einem Pferdestall.
Zu all den Problemen kam noch hinzu, dass Brigitte in dieser Zeit schwanger wurde. Nachdem Peter im September interniert wurde, beschlossen im Oktober er und Brigitte aus bisher unbekannten Gründen, sich zu trennen. Peter kehrte Ende März 1941 nach Deutschland zurück, um im Untergrund zu arbeiten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er von der Kommunistischen Partei zu seinem unüberlegten Handeln bewegt wurde. Er wurde auch gleich am 10. April in Bad Kösen verhaftet und nach Aufenthalten in zwei Gefängnissen im September in das KZ Sachsenhausen gebracht. Dort starb er am 3. April 1942.
Währenddessen war Brigitte zu ihrer Mutter nach Clermont-Ferrand zurückgegangen, von wo sie zusammen einen Zwangswohnsitz in Herment im Departement Puy-de-Dôme zugewiesen bekamen. Im März 1941 reisten sie gemeinsam nach Marseille, da sie mit Hilfe von Elisabeth Ausreisevisen nach den USA erhalten hatten.
Johanna Marum und Elisabeth Lunau-Marum fuhren auf einem Frachtschiff, der Navemar, von Carif nach New York, wo sie sich in Sicherheit befanden. Brigitte hingegen durfte aufgrund der kurz bevorstehenden Geburt nicht mit auf das Schiff und musste deshalb nun völlig allein in Frankreich zurück bleiben. Am 31. Juli 1941 wurde ihr Sohn Pierre Marum in Marseille geboren. Kurz danach fand sie Arbeit als Sekretärin. Über den Ernst ihrer Lage war sie sich wohl nicht ganz bewusst. Das zeigt ein Foto mit ihrem etwa 8 Monate alten Pierre, das sie ihrer Familie nach New York schickte. Auf der Rückseite des Fotos steht: „Liebe Mutter, kümmere dich nicht so viel um mein Visum, sondern versuche, mir jeden Monat ein paar Dollars zu schicken. Das ist viel wichtiger. Ich habe keine Lust ‚gerettet’ zu werden. Verhungern tu ich schon nicht und ins Lager komme ich auch nicht. In einem Jahr sind wir wieder zu Hause.“
Doch schon kurze Zeit später wurde sie aus ihrem Traum gerissen: Sie wurde arbeitslos und musste ihr Kind ins Kinderheim nach Limoges bringen. Vergeblich versuchte sie, mit ihrem Sohn in die Schweiz zu fliehen. Doch die Grenzen wurden von beiden Seiten so stark bewacht, dass sie unpassierbar waren. Brigitte musste ihren Kampf aufgeben und in Frankreich bleiben. Anfang Dezember reiste sie noch einmal nach Limoges zu ihrem Sohn, doch dort konnte sie aufgrund ihrer Verfolgung nicht lange bleiben. Auch ihre finanziellen Mittel wurden immer knapper.
Dann schließlich wurde sie bei einer der Razzien der französischen Polizei, die zwischen dem 22. und dem 29. Januar 1943 stattfanden, festgenommen. Die Razzien wurden sowohl von der deutschen Wehrmacht als auch von der Gestapo unterstützt. Einen Tag nach ihrer Verhaftung wurde Brigitte nach Compiègne überstellt. Am 8. März kam sie nach Drancy, wo sie aber nicht lange blieb. Denn bereits am 25. März befand sie sich auf dem Transport Nr. 52 in das Vernichtungslager Sobibor, dessen Teilnehmer sofort bei ihrer Ankunft am 30. März vergast wurden, unter ihnen auch Brigitte.
Ihr Sohn Pierre gelangte kurze Zeit später in die Schweiz. Von dort wurde er von belgisch-jüdischen Auswanderern mit nach Israel genommen und wuchs dort unter dem Namen Eli Barzilai auf. Er lebt mit seiner Familie heute noch in Israel.
Aus einem jungen glücklichen Mädchen wurde aufgrund der Schreckensherrschaft der Nazis eine Frau, deren Leben aus der Flucht vor dem Tod bestand. Sie verlor ihren Geliebten und ihre Familie, was sie psychisch nie verkraftete. Wenigstens ihren Sohn konnte sie noch retten.
(Jonas Eichler, Dominik Salzer, Max Schumacher, Schüler der 9. Klasse am Ludwig-Marum-Gymnasium, Berghausen, Juli 2004)