Marx, Bertha
Nachname: | Marx |
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Vorname: | Bertha |
geborene: | Homburger |
Geburtsdatum: | 19. Januar 1861 |
Geburtsort: | Karlsruhe (Deutschland) |
Familienstand: | verwitwet |
Eltern: | Julius und Therese Eva, geb. Weiss, H. |
Familie: | Witwe von Adolf M. (Prokurist);
Mutter von Julius (1890-1917), Dr. Hugo und Hedwig; Schwester von Leopold (1859-1915), Julius (1891-1983), David Rudolph (1864-1950), Ludwig (1866-1954), Jakob (1869-1882) und Gustaph Philipp (1873-1952) |
Jollystr. 63
Biographie
Bertha Marx, geborene Homburger, und Hedwig Marx
und ihre Familien
„Im Jahre 1721 kam der damals 27 jährige Löw aus Homburg am Main mit seiner Frau Rechele aus Mainz nach Karlsruhe. Am 30. Juli 1722 bekam er einen Schutzbrief, unterschrieben vom Markgraf Karl Wilhelm von Baden und dessen Sekretär Boecklin, ausgestellt auf den Namen Löw Homburger. Dieser Familienname hat sich bis heute erhalten. Über 1000 Nachkommen des Löw Homburger in elf Generationen sind uns bekannt.“
Mit diesen Sätzen beginnt der Beitrag der jüdischen Historikerin Esther Ramon, Nachfahrin eines Zweiges dieser riesigen Familie in der 8. Generation, mit dem Titel „Die Familie Homburger aus Karlsruhe“ für das 1988 erschienene Buch „Juden in Karlsruhe“, herausgegeben vom Stadtarchiv Karlsruhe.
Homburg ist ein kleiner Ortsteil der Marktgemeinde Triefenstein im Main-Spessart-Kreis, mit knapp 4.000 Einwohnern, zwischen Wertheim und Würzburg gelegen.
Löw Homburger kam vermutlich aufgrund der 1722 durch den badischen Markgrafen Karl Wilhelm gewährten Stadtprivilegien nach Karlsruhe, die Juden die freie Religionsausübung und andere Rechte gewährten - zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch die Ausnahme, auch wenn dies den fürstlichen Interessen für seine erst 1715 neu gegründete Stadt diente und Juden als Schutzbürger immer noch Bürger 2. Klasse blieben. Jedenfalls gehörte die Familie
Homburger zu den ältesten jüdischen Familien in Karlsruhe und wohl zu den zahlreichsten. Waren die Namensträger Homburger in den ersten Generationen beruflich noch im Metzger-Handwerk angesiedelt, so finden wir ab der vierten Generation eines Familienzweiges bereits Kaufleute und später – wie wir noch sehen werden – sehr viel mehr Kaufleute, auch Bankiers, Wissenschaftler, Universitäts-Professoren, Ärzte, Anwälte, Ingenieure. Die Homburger waren auch in vielfältiger Weise, insbesondere durch Heirat, mit vielen angesehenen jüdischen Familien in Karlsruhe und andernorts ‚verbandelt’, z.B. auch mit dem AEG-Gründer Emil Rathenau und dessen Sohn Walther Rathenau, Industrieller, Politiker, deutscher Außenminister, 1922 von der rechtsextremen Organisation „Consul“ ermordet. Besonders vielfältige und wohl auch enge familiäre Verbindungen bestanden zur Familie Ettlinger, ebenfalls eine der alteingesessenen und großen jüdischen Familien, bei der z.B. auch Generationen von jungen jüdischen Kaufleuten sich ihr berufliches Rüstzeug für später geholt haben. Auch zur Familie Nachmann, die nach dem 2. Weltkrieg über viele Jahre auch den Vorsitzenden des Oberrates der Israeliten Badens (Otto Nachmann, Werner Nachmann) bzw. des ‚Zentralrates der Juden in Deutschland’ (Werner Nachmann), stellte, bestanden enge verwandtschaftliche Bindungen. Ein Familienzweig führte auch zum berühmten Komponisten Kurt Weill (u.a. „Dreigroschenoper“). Zu allen Zeiten waren die Homburger in starkem Maße religiös, einige waren hohe Amtsträger innerhalb ihrer Religionsgemeinde, z.B. als Synagogenräte oder als Mitglieder des Oberrats der Israeliten Badens, und auch engagiert in Organisationen der Wirtschaft (z.B. IHK), im politischen Leben, z.B. als Stadtverordnete und Stadträte, aber auch in kulturellen Einrichtungen.
Familiäre Wurzeln: Familien Homburger und Marx
Löw (Löb) Homburger, ein Enkel des oben erwähnten ‚Stammvaters’ der Homburger-Familie, er trug den gleichen Namen wie sein Großvater, heiratete 1796 in Karlsruhe die von hier gebürtige Hebel Eva Levinger. Aus der Ehe gingen zwischen 1797 und 1818 insgesamt zehn Kinder hervor (sechs männliche und vier weibliche). Besonders erwähnenswert war der viertgeborene Sohn Veit Löb Uri Shraga Homburger (1810 – 1878), Gründer des Bankhauses Veit L. Homburger (Gründung 1854), einst die bedeutendste jüdische Bank in Karlsruhe; das eindrucksvolle, im Jugendstil von den Architekten Curjel u. Moser 1899/1901 erbaute Bankgebäude gibt heute noch äußerlich Zeugnis von einer einst großen Zeit, wenn es auch heute keine Bank mehr beherbergt. Die älteste Tochter Fanny Vogel Homburger heiratete den Oberhofgerichtsadvokaten Veit Ettlinger (Oberhofgericht, Vorgänger des Oberlandesgerichts); sie starb bereits mit 30 Jahren bei der Geburt des dritten Kindes am Kindbettfieber. Die Tochter Therese Delze Homburger (1812 –1883) heiratete L. J. Ettlinger, den Gründer der gleichnamigen Eisenwarenhandlung in der Kronenstraße, bedeutendste Eisenwarenhandlung in Karlsruhe über viele Jahrzehnte. Der fünfte Sohn war Julius Joel Homburger, geboren 1813.
Julius Homburger heiratete 1855 die aus Bretten stammende Metzgerstochter Theresa Veiss (Veist), geboren 1830.
Aus dieser Ehe gingen 7 Kinder hervor:
• Leopold H. (1859 – 1915)
• Bertha H., geb. am 19.1.1861
• David Rudolph H., geb. 1864
• Ludwig H., geb. 29.7.1866
• Theodor H. , geb. 9.3.1868
• Jakob H. (1869 – 1882)
• Gustav Philipp H., geb. 23.9.1873
Julius Homburger gründete um 1850 in Karlsruhe die Weinhandelsfirma Julius L. Homburger, die ihren Sitz am Schlossplatz 9 hatte. In der väterlichen Weinhandelsfirma waren auch der älteste Sohn Leopold und der Sohn David Rudolph (für einige Jahre bis er nach Frankfurt zog und dort eine eigene Weinhandelsfirma betrieb) tätig. Ludwig Homburger war Kaufmann (Immobilien, Hypotheken, Versicherungen). Gustav Philipp Homburger war Inhaber eines Baugeschäftes in Karlsruhe, das sich mit so genannten Steinholzböden befasste. Eine bemerkenswerte Persönlichkeit war Theodor Homburger, der ein sehr angesehener Kinderarzt in Karlsruhe wurde, und über lange Jahre, von 1921 bis zu seiner Emigration nach Palästina 1935, Vorsitzender des Synagogenrates der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Karlsruhe war. Über Ludwig, Gustav Philipp und Theodor Homburger wird später noch in anderem Kontext berichtet.
Jüdische Namensträger Marx gab es zwar im 18., 19.und auch im 20. Jahrhundert bis in die Nazizeit hinein in großer Zahl an zahlreichen Orten, aber einen gemeinsamen Stammvater – wie bei den Homburger – gab es höchstwahrscheinlich nicht. Unsere Spurensuche reicht nur bis ins Jahr 1798. In diesem Jahr wurde Hirsch Marx geboren, ob in Karlsruhe oder andernorts, ist nicht bekannt. Anzeichen sprechen jedoch dafür, dass er Anfang des 19. Jahrhunderts – etwa 100 Jahre nach Löw Homburger – nach Karlsruhe kam, zugewandert aus dem Umland. Er heiratete zu einem nicht bekannten Datum Bonette Fortlouis, geboren 1792. Kinder aus dieser Ehe waren nicht feststellbar. Im Karlsruher Adressbuch und auch im Israelitischen Standesregister wurde er mal als Schneider, Schneidermeister, mal als Kleiderhändler oder Trödler angegeben. Bonette Marx starb am 28. Juli 1849 in Karlsruhe. Ein Jahr später, am 15. August 1850, heiratete Hirsch Marx in Karlsruhe zum zweiten Mal, und zwar die am 6. Januar 1828 in Karlsruhe geborene Jette (Judith) Durlacher, älteste Tochter von insgesamt fünf Kindern (drei weibliche, zwei männliche) des Seifensieders (später als Synagogendiener tätig) Lippmann (Liebmann) Durlacher und seiner Frau Bela Diefenbronner. Jette war 30 Jahre (!) jünger als ihr Mann. Aus der Ehe – Hirsch Marx war bei dieser Eheschließung bereits 52 Jahre – gingen acht Kinder hervor:
• Abraham M., geb. 17.4.1852, Ehemann von Bertha und Vater von Hedwig
•Aron M., geb. 6.4.1853
• Marie M. , geb. 28.6.1854, gest. 7.9.1854
• Babette M., geb. 13.12.1855
• Hannchen M. , geb. 28.4.1857
• Seligmann M., geb. 8.11.1858
• Rebecka M., geb. 6.5.1860
• Salomon M., geb. 6.9.1863, gest. 2.1.1864
Hirsch Marx starb am 5. Juni 1874, seine Frau Jette überlebte ihn um 26 Jahre, sie starb am 7. Juni 1900, beide starben in Karlsruhe.
Über Hirsch Marx ist uns außer seiner Adresse aus dem Adressbuch (Lange Straße 79, ab 1879 Kaiserstraße) nichts überliefert. Von seiner Frau wissen wir lediglich, ebenfalls dem Adressbuch entnommen, dass sie nach dem Tod ihres Mannes in das Nachbarhaus Lange Straße 81 zog; ab 1888 finden wir sie zusammen mit ihrem Sohn Seligmann M., Uhrmacher seines Zeichens, ledig, im Hause des Weinhändlers Meier Altmann am Zirkel 10, wo sie bis zu ihrem Tod wohnte. Der Sohn Seligmann lebte hier noch bis 1916, danach finden wir ihn in der Hirschstraße 1. Am 15. Januar 1923 starb er in Karlsruhe. Das ist alles, was wir von ihm wissen. Über die anderen Geschwister – mit Ausnahme von Abraham Marx – liegen keinerlei Informationen vor.
Abraham und Bertha Marx
Abraham Marx, ältestes von acht Kindern von Hirsch Marx und seiner Frau Jette, geborene Durlacher, heiratete am 7. Mai 1883 in Karlsruhe Bertha Homburger, einzige Tochter des Weinhändlers Julius Homburger. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor:
• Hugo Marx, geb. 23.3.1884
• Hedwig, geb. 3.9.1885
• Julius, geb. 8.12.1890
Von Abraham Marx sind uns nur Eintragungen in den Adressbüchern von Karlsruhe und Pforzheim überliefert, kein Dokument, keine Zeile von ihm oder über ihn, auch nicht von seinem Sohn Hugo oder seiner Schwiegertochter Emmy (über beide wird unten noch ausführlich berichtet). Im Jahr 1884 erscheint zum ersten Mal ein Eintrag von ihm im Karlsruher Adressbuch mit dem Berufsvermerk ‚Prokurist’, Adresse Kaiserstraße 132. Es konnte nicht festgestellt werden, bei welcher Firma er als Prokurist tätig war. Und über seine Berufsausbildung ist erst recht nichts bekannt, ebenso wenig wie über seine schulische Ausbildung. In den Folgejahren 1885 – 1888 erscheint er, immer mit der Bezeichnung Prokurist, unter der Anschrift Zirkel 20, einem Wohnhaus das einst dem Vater seiner Frau Bertha, also Julius Homburger, gehörte und nun im Eigentum einer Erbengemeinschaft stand. Im gleichen Haus lebten auch Berthas Brüder Ludwig und Gustav Homburger mit ihren Familien. Diese Anschrift finden wir bis zum Jahre 1905. Als Berufstätigkeit wurde ab 1889 angegeben „Bankier“ mit Geschäftsadresse Friedrichsplatz 11. Er hatte sich also mit einem Bankgeschäft selbstständig gemacht. Es gab damals eine Anzahl kleiner und kleinster Bankgeschäfte, die aber alle nicht überlebten, sondern nur die vier großen bzw. größeren Bankhäuser. Und diese Betätigung als „Bankier“ lässt darauf schließen, dass er im Bankfach gelernt hatte und vielleicht auch in einer Bank als Prokurist tätig war. Aber: um sich mit einem Bankgeschäft selbstständig zu machen bedurfte es Kapital. Woher hatte er dies? Von seinem Angestelltengehalt, auch wenn er Prokura war, konnte er wohl seinen Start nicht finanzieren. So bleibt also die Schlussfolgerung, dass jemand ihm seinen Start in die Selbstständigkeit als Bankier finanziert hatte. Das konnte – aber das ist eine reine Vermutung - das Bankhaus Veit L. Homburger, damals geleitet von Fritz Homburger und seinem Schwager Leopold Willstätter, gewesen sein. Der Vater seiner Frau, Julius Homburger, war ein Bruder des Gründers dieses Bankhauses.
Ab 1907 (von 1906 existiert kein Adressbuch) finden wir Abraham Marx in den Adressbüchern von Pforzheim, immer mit der Bezeichnung Prokurist oder Bankprokurist, immer unter der gleichen Adresse (Zerrenerstraße 44). Hier nannte er sich Adolf (ob als zusätzlicher Name oder Name geändert mit ministerieller Genehmigung ist nicht bekannt. Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts war es weit verbreitet, dass typisch jüdische Vornamen ersetzt wurden durch ‚neutrale’ Vornamen. Für den Beruf war dies oft wichtig). Er war also hier in Pforzheim wieder bei einer Bank tätig, bei welcher konnte nicht festgestellt werden.
Am 12. März 1919 starb er in Pforzheim, möglicherweise an Typhus, 1919 grassierte in Pforzheim eine Typhus-Epedemie. Er wurde in Karlsruhe auf dem orthodoxen jüdischen Friedhof beigesetzt. Ob er bis dahin, er war fast 67 Jahre, noch gearbeitet hatte, ist nicht bekannt. In der Folge erschien dann in den Pforzheimer Adressbüchern – wie es damals und noch Jahrzehnte später üblich war – die Eintragung „Adolf Marx (Wwe.)“, der Name der Frau wurde so gut wie nie genannt. Allerdings hatte sie eine neue Adresse, nämlich Luisenstraße 39. Vermutlich war ihr die bisherige Wohnung zu teuer oder zu groß. 1926 zog die Witwe Bertha Marx wieder nach Karlsruhe (s.u.), auch hier waren ihre Einträge im Adressbuch wie zuvor in Pforzheim. Warum in diesem Jahr und nicht alsbald nach dem Tod ihres Mannes oder auch später, dies lässt sich nicht aufklären.
Sind schon die Informationen zu Abraham (Adolf) Marx äußerst dürftig, wie wir gesehen haben, zu seiner Frau Bertha gibt es noch weniger, nämlich – außer den Adressbücher-Einträgen in Pforzheim und Karlsruhe, einer Mitgliedschaft im Israelitischen Frauenverein und dem Hinweis ihrer Schwiegertochter Emmy, dass sie von ihrem Sohn Hugo finanziell unterstützt wurde – nichts. Wir können Fragen über Fragen stellen und finden keine einzige Antwort – ein Leben, das keine Spuren hinterlassen hat. Auch von den noch lebenden Namensträgern Homburger konnte keiner gefunden werden, der (die) irgend etwas zu Bertha Marx hätte sagen können.
Hugo Marx und Emmy geb. Cohen
Auch von Abraham und Bertha Marx’ ältestem Sohn, Hugo, liegen keine vollständigen Informationen vor, sondern nur Bruchstücke. Seine Personalakte – er war, wie wir noch sehen werden, Rechtsanwalt, und für alle Rechtsanwälte wie auch Richter im Bereich des Oberlandesgerichtes Karlsruhe wurden hier Personalakten geführt, üblicherweise mit Angaben vom Schulbesuch bis zum Tod – ist verschollen, 1952 gab es die Akte noch (belegt aus dem Wiedergutmachungsvorgang).
Wir haben keine Angaben über seine(n) Schulbesuch(e), weder nach Zeit noch nach Ort. Da er jedoch bereits im Wintersemester 1902/03 mit dem Jura-Studium in Heidelberg begann, da war er erst 18 Jahre, lässt sich schließen, dass er wohl ein Schuljahr übersprungen hatte. Zwei Semester studierte er in Heidelberg, danach drei Semester in München und dann wieder zwei Semester in Heidelberg (diese Studienzeiten sind belegt). Die 1. Staatsprüfung legte er im März 1906 mit der Bewertung „genügend“ ab als 5. unter 78 Kandidaten (!). Über die Stationen seiner praktischen Berufsausbildung als „Rechtspraktikant“ liegen keine Informationen vor. Im März 1910, also vier Jahre später (!), legte er seine 2. Staatsprüfung ebenfalls mit „genügend“ ab, als 10. von 39 Kandidaten. Im November 1910 wurde er antragsgemäß als Rechtsanwalt beim Landgericht Karlsruhe und der Kammer für Handelssachen in Pforzheim zugelassen.
Hugo Marx war zeitweilig Mitglied der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bzw. (nach 1930) der Nachfolgepartei Deutsche Staatspartei – wie viele Juden auch. Ob es mehr als nur eine nominelle Parteizugehörigkeit war, konnte nicht festgestellt werden.
In den Jahren bis 1925 hatte er wechselnde Wohnungen in Karlsruhe, sein Büro hatte er bis 1920 in der Lammstraße 8, in den folgenden Jahren bis 1927 in der Herrenstraße 17. Auch während der Kriegszeit hatte er Wohn- und Büro-Adresse, obwohl er von August 1914 bis November 1918 Soldat war (Leibgrenadier-Regiment 109 Karlsruhe – das Leibregiment des Großherzogs (!) – und Bad. Trainbataillon Nr. 14 in Durlach; Abgang als Gefreiter). Wie wir oben gesehen haben, kam die Mutter 1926 von Pforzheim wieder zurück nach Karlsruhe, sie wohnte in der Jollystraße, das erste Jahr in der Nummer 18, in den Folgejahren in der Nummer 63 bis zum Jahr 1935. Hugo Marx wohnte all diese Jahre zusammen mit seiner Mutter. Von 1929 bis 1935 hatte er sein Büro in der Kaiserstraße 122. Nachdem der Bruder der Mutter, Dr. Theodor Homburger, Kinderarzt, der seit 1917 im Hause Schlossplatz 9 wohnte, im Dezember 1935 mit seiner Frau nach Palästina emigriert war, die Kinder waren bereits 1933 nach Palästina emigriert, und die Wohnung frei geworden war, zog Bertha Marx mit ihrem Sohn Hugo in diese Wohnung. Nach seiner Heirat am 28. August 1936 mit Emmy Cohen (s.u.) zog er jedoch mit seiner Frau in die Adlerstraße 55 und unterhielt in der – großen – Wohnung seiner Mutter nur sein Büro, so lange er mit Frau noch in Karlsruhe lebte.
Im Wiedergutmachungsverfahren berichtete eine Gertrud Höflmeier, geboren am 30. Dezember 1894, am 7. November 1910 bei Rechtsanwalt Hugo Marx als Lehrling eingetreten und bis 17. November 1938 dort tätig, viele Jahre als Bürovorsteherin in der Kanzlei: ihr Chef habe eine gutgehende Anwaltspraxis mit einer Klientel aus allen Bevölkerungsschichten, aber eben auch zahlreiche Geschäftsleute aus der orthodoxen Judenschaft gehabt (die gut gehende Praxis bestätigte auch die Anwaltskammer); er sei ein ausgesprochen arbeitsamer Mensch gewesen, ein zielbewusster Arbeiter, Nichtraucher, der auch kaum Alkohol trank und äußerst mäßig lebte, der Anwaltsberuf sei sein Leben gewesen, „Alpinist“ (Bergsteiger?, Bergwanderer?) sei er auch gewesen. Der vormalige Ministerialrat Dr. Robert Fuß aus Karlsruhe, der lange Jahre mit ihm befreundet war, bezeichnete ihn als „kolossalen Schaffer“, gesundheitlich immer „intakt“.
1929 hatte Hugo Marx eine Sozietät mit dem Rechtsanwalt Paul Ebertsheim (Dauer nicht bekannt). Dessen Ehefrau, ebenfalls Rechtsanwältin, war weitläufig mit den Homburgers verwandt.
Nach der Machtübernahme Hitlers gingen die Einnahmen der Kanzlei – wie bei allen anderen jüdischen Rechtsanwälten, Ärzten, anderen Freiberuflern, Geschäftsleuten vor allem – durch Boykottmaßnahmen stark zurück, Personal der Kanzlei habe daher entlassen werden müssen (keine Detailangaben), berichtete die erwähnte Gertrud Höflmeier. Aus seinen Einkommensangaben gegenüber der Anwaltskammer wissen wir aber auch, dass seine Einkünfte in 1936 noch einmal erfreulicherweise kräftig anstiegen. Das hing damit zusammen, dass er viele Auswanderer beriet.
Am 1. April 1933 wurden reichsweit jüdische Geschäfte, Anwaltskanzleien, Arztpraxen boykottiert, zumeist durch SA-Leute, vielfach auch marodiert und geplündert. Ob die Büroräume von Hugo Marx auch in Mitleidenschaft gerieten, ist nicht überliefert. Aber es ist eher unwahrscheinlich, dass er verschont geblieben sein sollte.
Aufgrund des „Gesetzes über die Zulassung zur Anwaltschaft“ vom 7. April 1933 wurde jüdischen Anwälten die Zulassung entzogen, es sei denn, sie waren schon vor dem 1. August 1914 (Kriegsbeginn) zugelassen oder Kriegsteilnehmer (Frontkämpfer). Von 116 Rechtsanwälten in Karlsruhe, die 1933 gezählt wurden, waren 47 jüdischer Herkunft (16 am Oberlandesgericht, 31 am Landgericht), 15 verloren 1933 ihre Zulassung. Nach dieser „Säuberungsaktion“ behielten zwar noch 32 ihre Zulassung, - vorerst, darunter Hugo Marx, aber diese Zahl dezimierte sich im Laufe der folgenden Jahre durch Auswanderung bis auf 12, die aufgrund vorgenannter Kriterien noch ihre Zulassung hatten. Allerdings waren ihnen Auftritte vor Gericht in den folgenden Jahren faktisch verwehrt, so dass ihre Tätigkeit sich auf Beratung beschränkte. Aus dem Anwaltsverein waren die jüdischen Anwälte schon 1933 hinaus geworfen worden, soweit sie nicht schon von sich aus ihre Mitgliedschaft aufgegeben hatten.
Hugo Marx hielt – wie so viele andere auch – die Hitler-Regierung für eine kurze Übergangserscheinung, die sich keine sechs Wochen halten werde. Eine schlimme Fehleinschätzung, wie wir wissen. Eine Auswanderung kam für ihn nicht in Betracht, auch nicht als der Bruder seiner Mutter, der Kinderarzt Dr. Theodor Homburger Ende 1935 nach Palästina auswanderte und danach mehr und mehr ihm bekannte, vielleicht sogar befreundete jüdische Familien aus Karlsruhe und andernorts das Land verließen – zumeist in die USA, nach England und nach Palästina. Ein gewichtiger Grund dafür sei aber auch gewesen, dass er seine kränkelnde, mittellose Mutter und seine Schwester Hedwig, die mit der Mutter zusammen wohnte und diese betreute, ebenfalls ohne Einkommen, finanziell vollen Umfangs unterstützte.
Hugo Marx war in besonderem Maße in die jüdische Religion und deren zahlreichen Organisationsformen eingebunden: er war seit 1920 Mitglied des Oberrates der Israeliten Badens und Synoden-Abgeordneter, seit 1936 zudem auch Mitglied des lokalen Synagogenrates (Gemeindevorstand); natürlich war er auch Mitglied verschiedener jüdischer sozialer und Wohlfahrts-Organisationen, auch Organisationen der Israelitischen Religionsgesellschaft (orthodox), obwohl er hier nie Mitglied war – als gesellschaftliche Selbstverständlichkeit wie für ungezählte andere auch. Er war auch Vorsitzender des Verwaltungsrates der „M. A. von Rothschild’schen Lungenheilstätte“ in Nordrach /Schwarzwald (seit wann ist nicht bekannt).
Emmy (Emma) Cohen wurde am 21. Mai 1906 in Burgsteinfurt (heute Steinfurt/Westfalen) als jüngere von zwei Töchtern des Kaufmanns Julius Cohen und seiner Ehefrau Rosa, geborene Gotthelf, geboren. Die Cohens waren eine alteingesessene und angesehene Familie, die Anfang des 19. Jahrhunderts von Amsterdam nach Burgsteinfurt eingewandert war. Julius Cohen betrieb, zusammen mit zwei Brüdern, die vom Vater Moritz (Moses) Cohen übernommene Eisen- und Baumaterialienhandlung und Möbelfabrik mit Drechslerei in Burgsteinfurt. Moritz Cohen war, neben diversen anderen öffentlichen Funktionen, langjährig Stadtverordneter, fünf Jahre stellvertretender Bürgermeister in Burgsteinfurt. Nach ihm wurde auch eine Straße benannt. Bereits 1909 verstarb Julius Cohen, nur 37-jährig, und hinterließ eine Witwe mit zwei kleinen Kindern, die sie nun allein durchbringen musste; allerdings wurde sie von einem Bruder unterstützt. Sie hatte nicht wieder geheiratet. Die Kinder haben ihren Vater kaum gekannt.
Emmy Cohen war die ‚Intellektuelle’ der Familie. Daher besuchte sie auch das Gymnasium am Ort, was ihr allerdings erst ab 1919, in der Weimarer Republik, möglich wurde, und war die erste jüdische Abiturientin (Februar 1925) am ehrwürdigen humanistischen Arnoldinium-Gymnasium. Eigentlich wollte sie Medizin studieren, aber dann entschied sie sich doch für Naturwissenschaften und studierte fünf Semester - von 1925 bis 1927 - Chemie und Mathematik an der TH in Karlsruhe. Das Studium wurde ihr finanziert von Dr. Karl Dannenberg, der in Karlsruhe seit Anfang der 20er Jahre eine kleinere chemische Fabrik betrieb und durch seine Frau Alma, einer geborenen Cohen, weitläufig mit Emmy Cohen verwandt war. Bei ihnen wohnte sie auch während ihrer Karlsruher Zeit, die Eheleute Dannenberg waren kinderlos. Zu ihren näheren Studienfreunden in Karlsruhe zählte auch der Physikstudent Eduard Teller, späterer „Vater der Wasserstoffbombe“ (1933 nach England und 1935 in die USA emigriert), der hier 1926/27 studierte. Danach setzte sie ihr Studium an der Universität Frankfurt/M. mit Belegung auch des Faches Physik und der Ausrichtung auf Lehramt fort (in Karlsruhe nicht möglich) und legte hier die wissenschaftliche Prüfung für das Lehramt an Höheren Schulen am 2. Juli 1930 ab. Ihre Ausbildung als Studienreferendarin absolvierte sie ebenfalls in Frankfurt/M mit der pädagogischen Abschlussprüfung am 9. September 1932. Am 1. Oktober 1932 wurde sie zur Studien-Assessorin ernannt und auf eigenen Wunsch „aus privaten Gründen“, wie es im Antrag hieß, beurlaubt. Die Gründe sind nicht bekannt. Am 15. September 1933 wurde sie durch das Preußische Ministerium für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufbeamtentums“ vom 7. April 1933 als Jüdin in den Ruhestand versetzt. Ein Ruhegehalt wurde ihr nicht gewährt (10-jährige Beamtentätigkeit wäre für Ruhegeldzahlung erforderlich gewesen). Sie hat also nie als bestallte Lehrerin an einem Gymnasium unterrichtet, weil ihr dies nicht mehr möglich war.
Auch nach ihrem Umzug von Karlsruhe nach Frankfurt a.M. blieb sie Karlsruhe durch die Familie Dannenberg verbunden, sie kam des öfteren an Wochenenden hierher. Im Februar 1929 lernt sie auf einem Maskenball in Karlsruhe, zu dem sie von einem Neffen Dannenbergs eingeladen war, Hugo Marx kennen – und verliebt sich in ihn. Danach sehen sich Emmy Cohen und Hugo Marx an jedem Wochenende, sie treffen sich in Heidelberg, auf halbem Wege zwischen Frankfurt und Karlsruhe, berichtete Emmy Cohen. An eine Heirat dachten aber beide noch nicht, beide hatten ihren Beruf und wollten insoweit auch keine Veränderung. Beide mussten auch Geld verdienen, Hugo Marx unterstützte Mutter und Schwester finanziell, wie schon ausgeführt, Emmy Cohen unterstützte ihre Mutter, ihre zwei Jahre ältere Schwester Lotte hatte sich schon im Oktober 1934 nach Holland verheiratet. Sie habe auch die Eheleute Dannenberg, die nach ihrer Ausreise (Flucht?) 1934 nach Frankreich mittellos dort lebten, unterstützt, berichtete Emmy.
Von Mai 1933 – März 1936 unterrichtete sie an verschiedenen jüdischen Lehranstalten in Frankfurt a.M., u.a. auch an der renommierten Lehranstalt Philantropin. Im März 1936 reiste sie mit Martin Buber, dem in der jüdischen Welt hoch angesehenen Religionslehrer und -philosophen, den sie an der Frankfurter Universität kennen gelernt hatte, wo er bis 1933 lehrte, und anderen nach Palästina, um dort die Möglichkeiten einer Lehrtätigkeit für Naturwissenschaft an einer Höheren Schule zu eruieren. Wegen fehlender hebräischer Sprachkenntnisse scheiterte dieser Versuch, wie sie im Wiedergutmachungsverfahren nach dem Kriege ausführte. Von Martin Buber war sie tief beeindruckt, auch Jahrzehnte später noch. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland heiratete sie am 22. August 1936 in Karlsruhe Hugo Marx, die religiöse Trauung war am Folgetag in der Synagoge in Frankfurt a.M.
Nach ihrer Eheschließung und Übersiedlung nach Karlsruhe versuchte Emmy Marx in Karlsruhe an einer Schule eine Unterrichtstätigkeit zu bekommen, was natürlich durch die Verhältnisse unmöglich war. Sie gab Privatunterricht in Englisch und von Mai 1937 bis zur Auswanderung (s.u.) gab sie am „Jüdischen Lehrhaus Bialik“ (vom Stadtrabbiner Dr. Schiff 1933 für die Erwachsenenbildung errichtet) Englisch-Unterricht für Auswanderer. Dafür erhielt sie von Dr. Schiff eine sehr gute Beurteilung.
Als sie 1962 im Wiedergutmachungsverfahren bei der Karlsruher Entschädigungsbehörde für den durch ihre Entlassung 1933 entstandenen Schaden im beruflichen Fortkommen geltend machte, wurde ihr Anspruch nur bis zur ihrer Heirat anerkannt, für die Folgezeit jedoch mit dieser Begründung abgelehnt: „...da die Geschädigte von diesem Zeitpunkt an eine ausreichende Lebensgrundlage erreicht hat. Die Verfolgte ist auch durch die Eheschließung vom 22. August 1936 in Verhältnisse gelangt, in denen im örtlichen Lebensbereich eine Ehefrau einer beruflichen Tätigkeit in der Regel nicht mehr nachgeht.“ Natürlich konnte dieser Bescheid keinen Bestand haben.
Mit Schreiben des Justizministeriums vom 17. Oktober 1938 wurde Hugo Marx’ noch immer bestehende Zulassung als Anwalt per 30. November 1938 zurück genommen, mit ihm auch für die restlichen elf jüdischen Anwalte in Karlsruhe, die noch eine Zulassung hatten. Damit war ihnen die Lebensgrundlage völlig entzogen. Zwar erhielt Hugo Marx durch Verfügung des OLG-Präsidenten in Karlsruhe vom 28. November 1938 noch eine Zulassung als so genannter „Konsulent“ (nur für jüdische Klientel) für den Landgerichts-Bezirk Karlsruhe mit Wirkung vom 1. Dezember 1938, jedoch von vornherein nur befristet bis 31. Januar 1939.
November-Pogrome 1938. Auswanderung
Die Tage 9./10. November 1938 sind in die Geschichtsbücher als „Reichskristallnacht“ oder auch „November-Pogrome“ eingegangen: die Synagogen wurden verwüstet, zerstört, abgebrannt, ungezählte jüdische Geschäfte zerstört und auch geplündert. Zahlreiche männliche Juden zwischen 16 und 60 Jahren wurden in die Konzentrationslager Dachau (aus dem süddeutschen Raum und aus Österreich), Buchenwald oder Sachsenhausen verbracht. Auch Hugo Marx traf es, zusammen mit mehr als 200 Karlsruher Juden, deren man habhaft werden konnte, aus der Homburger Verwandtschaft auch Gustav Homburger und die Bankiers-Brüder Dr. Paul Homburger und Dr. Viktor Homburger, er wurde in den frühen Morgenstunden des 10. November in seiner Kanzlei von zwei Gestapo-Beamten in „Schutzhaft“ genommen und zum Polizei-Präsidium gebracht, berichtete seine Frau. Es gelang ihr noch, ihm einen Mantel dorthin zu bringen. Viele wurden bei dieser Aktion geschlagen, so auch die Bankiers-Brüder Homburger. Die Angehörigen wussten zunächst nicht einmal, wohin ihre Männer gebracht wurden. Emmy Marx berichtete 1996, an ihrem 90. Geburtstag, 58 Jahre nach diesem Ereignis, ausführlich, wie sie in ihrer Verzweiflung mit einem Besuch bei der Karlsruher Gestapo-Dienststelle eine rasche Entlassung ihres Mannes aus dem KZ Dachau, wohin er mit all den anderen verhafteten Karlsruher Juden verbracht worden war (Häftlings-Nr. 22183), bewirkt hatte. Eine Überprüfung ihrer Darstellung ergab jedoch, dass diese weder vom Zeitablauf noch von der Person des benannten Gestapo-Offiziers zutreffend war – nach so langer Zeit und mit hohem Alter sind solche Irrtümer natürlich erklärlich. Tatsächlich wurde Hugo Marx am 20. November 1938 aus Dachau entlassen, in der Tat recht schnell, jedoch mit der Auflage, Deutschland schnellstens zu verlassen. Es ist also durchaus möglich, dass Emmy Marx daran Anteil hatte, aber dann war wohl alles anders als von ihr geschildert. Jedenfalls, als Hugo Marx am Abend seiner Entlassung aus München bei seiner Frau anrief, um ihr von seiner Entlassung zu berichten, bekam sie einen Schock, mit einer so schnellen Entlassung hatte sie nicht gerechnet, dass sie umfiel. Die ungeheure Aufregung und der Sturz, berichtete sie, hatten fatale Folgen, sie hatte eine Fehlgeburt, sie war nämlich schwanger (im wievielten Monat ist nicht überliefert). Die vorerwähnten Gustav, Paul und Viktor Homburger kamen am 20. November (am gleichen Tag wie sein – angeheirateter – Neffe Hugo Marx, ohne Intervention) bzw. 7. Dezember und 2. Dezember 1938 aus Dachau wieder frei und konnten zu ihren Familien zurückkehren. Die Kriterien für die Haftentlassung aus Dachau bei dieser Aktion waren völlig undurchsichtig und beruhten weitestgehend auf Willkür.
Spätestens mit der Verhaftung wurde Hugo und Emmy Marx klar, dass sie hier nicht bleiben konnten, trotz der alten Mutter und der sie versorgenden Schwester, für beide kam eine Auswanderung nicht in Betracht. Bereits im Sommer 1938 hatten die Eheleute Marx sich vorsorglich beim US-Konsulat in Stuttgart für ein Visum für die USA eintragen lassen, zwei gültige Affidavits für die USA besaßen sie schon (von einem Paul Heumann und einem Paul Oppenheimer, beide aus New York; deren Identität und Verbindung zu Hugo Marx konnte jedoch nicht geklärt werden). Auch Schiffskarten für die Passage von Le Havre nach New York bei den United States Lines waren schon gekauft. Da die Erteilung der Visa für die USA längere Zeit in Anspruch nehmen würde, schrieb Emmy Marx noch während der Haftzeit ihres Mannes an James de Rothschild in London, mit dem ihr Mann durch seine Tätigkeit bei der Rothschildschen Stiftung in Nordrach (s.o.) verbunden war, und bat um Einreiseerlaubnis für England als Zwischenaufenthalt bis zur Weiterreise in die USA. Am Tage der Rückkehr von Hugo Marx aus Dachau bekam sie ein Telegramm, dass die erforderlichen Unterlagen zur Abholung im britischen Konsulat in Frankfurt/M bereit lagen.
Kaum aus Dachau zurück beantragte Hugo Marx für sich und seine Frau Verlängerung seines abgelaufenen bzw. Ausstellung eines neuen Passes beim Passamt Karlsruhe wegen beabsichtigter Auswanderung; den Anträgen wurde statt gegeben (noch im März des gleichen Jahres wurde ihr Reisepass auf Ersuchen des Reichsstudentenwerkes von Amts wegen eingezogen, weil sie ein Studiendarlehen hatte, das noch nicht voll zurück gezahlt war und befürchtet wurde, sie könne sich ins Ausland absetzen und ihre Schulden zurück lassen).
Emmy Marx kümmerte sich zunächst um ihre Mutter in Burgsteinfurt, deren Wohnung am 10. November 1938 von einer marodierenden Menschenmenge, zu der sich auch Lehrer ihrer ehemaligen Schule und deren Schulleiter gesellten (!), verwüstet wurde. Wenige Tage danach, am 19. November 1938, verkaufte Emmys Mutter ihr Haus in Burgsteinfurt an einen Chemiker aus Gronau zum Spottpreis von RM 14.500 (Einheitswert RM 19 200). Nach dem Kriege wurde Emmy das Haus im Prozeßwege zurückgegeben. Am 23. Januar 1939 verließ Emmys Mutter Deutschland und reiste zu ihrer Tochter Lotte und deren Ehemann nach Amsterdam.
Am 23. März 1939 reisten Hugo und Emmy Marx nach Holland zur vorerwähnten Schwester in Amsterdam als Zwischenstation bis zur Weiterreise nach England. Ihr in einen Lift verpacktes Umzugsgut, ursprünglich für einen Transport in die USA disponiert, wurde von dem Karlsruher Spediteur Stemmer auf Lager genommen und später nach England umdirigiert, blieb jedoch in Holland hängen und verschwand dort. Einen Monat blieben sie hier. In London wurden sie vom Anwaltsbüro Dr. A. Horovitz, das für die Rothschilds arbeitete, empfangen, mit den notwendigen Papieren versehen, auch eine Unterkunft in einer Pension war arrangiert. Bald fanden sie ein möbliertes Appartement in einem jüdischen Viertel im Nordwesten Londons, zumeist von Emigranten aus Deutschland bewohnt. Im Zusammenhang mit der Auswanderung bleibt jedoch die – ungeklärte - Frage, wie der finanzielle Unterhalt von Hugo Marx’ Mutter und Schwester von England aus mit einer dort völlig ungesicherten Zukunft erfolgen sollte. Es darf vermutet werden, dass die Homburger – Verwandtschaft in Karlsruhe dies übernommen hatte.
Emmy Marx konnte alsbald mit Englisch-Privatunterricht und einer Interims-Lehrtätigkeit an einer Handelsschule etwas Geld verdienen, bis sie schon nach einem Monat die erforderliche Arbeitserlaubnis erhielt, um in der Industrie als Chemikerin – sie hatte ja Chemie studiert – bei einer Firma in Derby zu arbeiten (genaue Tätigkeitsbeschreibung fehlt), bis 1951 arbeitete sie hier für ein kleines Gehalt.
Hugo Marx konnte in seinem Anwaltsberuf natürlich nicht mehr arbeiten. Erst im April 1943 bekam er überhaupt eine Anstellung , und zwar in dem vorerwähnten Anwaltsbüro Dr. Horovitz, in dem er bis April 1944 Hilfsarbeiten verrichtete, danach bekam er eine Anstellung als Buchhalter in einem Textilhaus, das einem Neffen von dem oben erwähnten Dr. Dannenberg gehörte. Im Januar 1948 stellte sich bei ihm eine schwere Herzerkrankung ein, die ihn fortan an seine Wohnung fesselte, den langen, beschwerlichen Weg ins Büro konnte er nicht mehr auf sich nehmen, daher wurde ihm die Arbeit in seine Wohnung gebracht, fast drei Jahre lang. Sein letztes Lebensjahr, 1950, verbrachte er fast nur noch im Bett, arbeitete aber gleichwohl weiterhin. Am 3. Februar 1951 starb er in London mit knapp 67 Jahren.
1946 hatten beide die britische Staatsangehörigkeit (während des Krieges war dies nicht möglich) erworben.
Eigentümlicherweise erwähnte Emmy Marx in ihrem ausführlichen Interview, das sie einer Journalistin 1996 zu ihrem 90. Geburtstag in Lausanne gab, das dem Verfasser in deutscher Übersetzung vorlag und von dem manche Details in diese Biografie übernommen wurden, nichts von ihrer beider Internierung mit Ausbruch des Krieges auf der Isle of Man als „alien enemies“ – alle Deutschen, die sich im Lande aufhielten, auch die Juden, die geflohen waren, die Dachau oder Buchenwald oder Sachsenhausen hinter sich hatten, alle wurden als potentielle Spione gesehen und interniert. Wir wissen nicht wie lange der Aufenthalt dort dauerte.
Bei einem Schweiz-Urlaub in Montreux 1953 lernte sie den seit 1949 verwitweten Zahnarzt und Kieferorthopäden Dr. Samuel Sylvain Dreyfus aus Lausanne, dort geboren am 31. Januar 1893, kennen. Am 19. August 1953 heiratete sie ihn in London und lebte fortan mit ihm in Lausanne. Sie arbeitete nicht mehr. Am 15. Juli 1960 starb er, sie wurde zum zweiten Mal Witwe, blieb aber in Lausanne wohnen, zog allerdings in eine andere Wohnung um. Hochbetagt starb sie mit 99 Jahren am 2. August 2005 in einem Pflegeheim bei Lausanne.
Nach den beamtenrechtlichen Entschädigungsregelungen wurde Emmy Marx Dreyfus 1956 versorgungsrechtlich vom Lande Hessen rückwirkend zum 1. April 1950 als Studienrätin und später als Oberstudienrätin eingestuft, sie hatte also bis zu ihrem Lebensende keine finanziellen Nöte.
Ihr wurde zum Gedenken in Burgsteinfurt, ihrem Geburtsort, 2007 ein „Stolperstein“ gewidmet, obwohl sie doch kein Nazi-Opfer war; ihre Mutter und ihre Schwester, die allerdings Nazi-Opfern wurden (s.u.), erhielten im gleichen Jahr ebenfalls Stolpersteine.
Hedwig und Julius Marx
Von Hedwig Marx, geboren am 3. September 1885, gibt es weder in Karlsruhe noch in Pforzheim Einträge in Adressbüchern. Wir wissen nichts über ihre Schulausbildung, nichts über eine Berufsausbildung, falls sie überhaupt eine hatte. Falls sie nur in Karlsruhe und Pforzheim gelebt hatte, hatte sie nie eine eigene Wohnung, sondern hatte nur bei den Eltern bzw. nach dem Tod ihres Vaters bei der Mutter gelebt. Erwähnung fand sie nur einmal durch den Bericht ihrer Schwägerin, dass sie und ihre Mutter von ihrem Bruder Hugo finanziell unterstützt wurden. Sie war auch Mitglied im Israelitischen Frauenverein, aber das war eher eine Pflichtübung. Nicht auszuschließen ist auch die Möglichkeit, dass sie in irgendeiner Weise behindert war und deshalb immer bei den Eltern lebte. Jedenfalls hat sie – wie schon bei ihrer Mutter festgestellt (s.o.) – bis zur Deportation im Oktober 1940 (s. nächstes Kapitel) keine Spur ihres Lebens hinterlassen; immerhin hat sie bis dahin 55 Lebensjahre verbracht.
Von Julius Marx, dem jüngsten der drei Marx-Geschwister, geboren am 8. Dezember 1890, ist immerhin bekannt, dass er von 1900 bis 1908 das Humboldt-Gymnasium bis einschließlich Unterprima in Karlsruhe besucht hatte. Als die Eltern 1906 nach Pforzheim zogen, blieb er in Karlsruhe und wohnte vermutlich bei Verwandten, die ihn so ‚beaufsichtigen’ konnten. Er sollte hier die Schule bis zum Abschluss (Abitur) ohne Schulwechsel ungestört besuchen können. Was nach dem Schulbesuch folgte, wissen wir nicht, aber es darf vermutet werden, dass auch er eine kaufmännische Ausbildung absolvierte und danach in seinem erlernten Beruf arbeitete bis der Krieg ausbrach. Die Totenliste der jüdischen Soldaten des 1. Weltkrieges sagt uns, dass er am 9. März 1917 an einer Lungenentzündung , die er sich in den Schützengräben in Frankreich zugezogen hatte, starb. Er gehörte der 15. Bayerischen Sanitätskompanie an und war zuletzt Unteroffizier.
Der 22. Oktober 1940 und was folgte
Es war der Schicksalstag der badischen und saarpfälzischen Juden: am 22. Oktober 1940, es war der Feiertag des jüdischen Laubhüttenfestes (Sukkoth), wurden etwa 6.500 jüdische Menschen, darunter 923 aus Karlsruhe (darunter 12 aus Grötzingen) in einer Blitzaktion der Gauleiter Robert Wagner (Baden) und Josef Bürckel (Saarpfalz), die ihre Gaue „judenrein“ haben wollten, nach Gurs in Südfrankreich deportiert, auch Bertha Marx und ihre Tochter Hedwig. 40 weitere aus Karlsruhe folgten einige Wochen später. Über die Deportation, über die Ankunft im Lager Gurs, über die miserablen Lebensbedingungen, über die unsäglichen hygienischen Verhältnisse, über den Hunger ohne Ende, über das Sterben hunderter, insbesondere alter Menschen (an manchen Tagen bis zu 30 in den ersten Wochen und Monaten), an Erschöpfung und an Krankheiten ist an anderer Stelle und von zahlreichen Autoren in Erlebnisberichten und Büchern geschrieben worden. Das soll hier nicht wiederholt werden.
Die Deportation nach Gurs war die zweite große Juden-Deportation aus Deutschland nach Kriegsbeginn, die erste war bereits am 12./13. Februar 1940 mit Stettiner Juden (unter Mitwirkung von Eichmann) erfolgt.
Von der Karlsruher Homburger-Verwandtschaft wurden mit Bertha und Hedwig Marx nach Gurs deportiert:
• Gustav Homburger, geb. 23.9.1873 in Karlsruhe, Bertha Marx’ Bruder, u. seine Frau
• Else Homburger geb. Wertheimer, geb. 29.6.1886 in Altdorf
• Ludwig Homburger, geb. 29.7.1866 in Karlsruhe, Bertha Marx Bruder, u. s. Frau
• Selma Homburger geb. Stern, geb. 12.1.1876 in Würzburg
• Ferdinand Homburger, geb. 28.12.1860 in Karlsruhe und seine Frau
• Rosa Homburger geb. Oppenheimer, geb. 21.6.1887 in Hanau
Ferdinand und Rosa Homburger hatten schon Jahre zuvor eine Einreisebewilligung für Palästina, nutzen diese aber aus unbekannten Gründen nicht (lt. Schreiben des ehemaligen Prokuristen Behr)
• Dr. Paul Homburger, geb. 10.9.1882 in Karlsruhe, Bankier
• Dr. Viktor Homburger, geb. 2.10.1888 in Karlsruhe, Bankier, und seine Frau
• Marianne Homburger geb. Bredig, geb. 1.11.1903 in Heidelberg
• Thekla Homburger geb. Kaufmann, geb. 23.7.1875 in Thalischweiler, Witwe
• Gabriele Homburger, geb. 6.10.1873 in Karlsruhe, ledig, Lehrerin
• Klara Homburger, geb. 14.4.1881 in Karlsruhe, ledig, Dentistin
• Jenny Homburger, geb. 9.5.1883 in Karlsruhe, ledig, Inhaberin eines Wäschegeschäftes
(Gabriele, Klara und Jenny Homburger waren Schwestern)
Von Mannheim aus wurden deportiert
• Recha Apfel geb. Homburger, geb. 11.1.1871 in Karlsruhe, und ihr Mann
• Ludwig Liebmann Apfel, geb. 27.6.1874 in Siegelsbach, Kaufmann
Über das Schicksal aller wird in Kurzform noch berichtet.
Hanna Schramm schrieb in ihrem 1977 erschienenen Buch „Menschen in Gurs“: „Ein Mensch, der schreit, der sich wehrt, der gegen das Schicksal angeht, selbst ein Mensch, der
Angst hat, ist noch ein lebendes Wesen; er verteidigt sein Leben, konzentriert alle Kraft, allen Willen auf seine Erhaltung. Ihnen kann man helfen. Aber diese Alten kämpften nicht mehr, Ihre Hände waren noch warm, ihre Füße bewegten sich noch, aber eigentlich waren sie schon gestorben, und das war grauenvoller als alle Verzweiflung und Tränen“.
Wir wissen nicht, in welchem Lagerbezirk (Îlot) und in welcher/ Baracke/n (anzunehmen ist, dass beide in eine Baracke kamen) Bertha und Hedwig Marx einquartiert wurden und welchen Kontakt sie zu Karlsruher Verwandten, Freunden und Bekannten hatten.
Wir wissen auch nicht, wann und wie sie sich sehen konnten, auch nicht, ob sie die Möglichkeit hatten, Briefe zu schreiben und zu erhalten und falls doch, ob diese erhalten blieben und bei wem. Bertha Marx starb am 16. Dezember 1940, kaum sieben Wochen nach Ankunft im Lager, an Erschöpfung, an Hunger, sie hatte keinen Lebenswillen mehr.
Hedwig Marx besuchte mit Erlaubnis des Lagerkommandanten (belegt) am 24. April 1942 das Grab ihrer Tante Else, der Frau von Mutters Bruder Gustav, der sie offenbar besonders zugetan war, auf dem Friedhof in Oloron-Ste.-Marie, der Bahnstation, wo sie alle am 25. Oktober 1940 nach dreitägiger Bahnfahrt angekommen waren. Im Hospital von Oloron war Else Homburger am 21. Dezember 1940 gestorben (s.u.). Sie erhielt noch eine weiteres Mal für den 6. Mai 1942 Ausgang; wohin ihr Weg sie führte, ist nicht bekannt. Am 3. Juli 1942 kam sie in das Lager Rivesaltes (unweit Perpignan), eigentlich ein Familienlager, in das schon im Frühjahr 1941 zahlreiche Familien von Gurs hinkamen. Es existiert noch eine Karteinotiz betreffend Hedwig Marx bei der Familie Raphael Homburger in Jerusalem, dessen – verstorbener – Vater hatte sich einst sehr intensiv mit der Genealogie der Familie Homburger beschäftigt und viel Material gesammelt, auf das auch die eingangs zitierte Esther Ramon für ihr Buch über die Familie Homburger zurück greifen konnte. Auf dieser Karteikarte ist vermerkt: „Letzte Nachricht v. 19.7.1942 aus Camp de Rivesaltes“. Daraus kann geschlossen werden, dass sie von Rivesaltes, wahrscheinlich aber auch schon zuvor von Gurs, schriftlichen Kontakt mit Verwandten, Freunden, Bekannten in Frankreich oder in der Schweiz hatte, über Hilfsorganisationen (z.B. die Quäker), die Zugang zu den Lagern hatten, war es durchaus möglich, Post zu versenden und zu empfangen. Mit wem sie korrespondierte, wissen wir nicht. Am 14. August 1942 kam sie – vielleicht drei Tage oder zuvor von Rivesaltes kommend – vom Durchgangslager Drancy bei Paris auf den Transport Nr. 19 nach Auschwitz. Dieser Transport umfasste 991 Personen, darunter 117 Kinder. Bei Ankunft wurden 878 sofort vergast, darunter alle Kinder, 99 (65 Männer und 34 Frauen) wurden zur Arbeit selektiert, drei überlebten, Hedwig Marx war nicht unter ihnen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde sie gleich nach Ankunft umgebracht, sie war zu diesem Zeitpunkt fast 57 Jahre; in der Regel wurde Frauen über 40 Jahre sofort nach Ankunft umgebracht.
Wann Hugo Marx vom Tod seiner Mutter und seiner Schwester erfahren hat und Emmy von ihren Angehörigen, wissen wir nicht, es gibt keine einzige Zeile darüber, aber sicherlich erst nach Kriegsende.
Hedwig Marx war die Einzige von den Karlsruher Homburgers, die in Auschwitz endete, wie wir noch sehen werden (s.u.). Daher stellt sich natürlich die Frage, warum ausgerechnet sie? Warum bekam sie kein „Certificat de Liberation“ und konnte irgendwo untertauchen?
Die Schicksale der ebenfalls nach Gurs deportierten Homburgers aus Karlsruhe:
• Gustav Homburger wurde am 15. Juni 1941 aus Gurs mit solch einem „Certificat de Liberation“ nach St. Astier (Dept. Dardogne, Nähe Perigueux) entlassen, zu wem, ist nicht aktenkundig. Er starb am 3. August 1952 in Straßburg. Seine Frau
• Else Homburger starb, wie schon erwähnt am 21. Dezember 1940 im Hospital in Oloron.
• Ludwig Homburger und seiner Frau Selma wurden - ebenfalls mit solch einem „Certificat“ - am 30. April 1941 aus Gurs nach Forcalqier (Dept. Basses Alpes, ca. 50 km nördlich von Aix-en-Provence) entlassen, wo die aus Karlsruhe geflohene Familie Nachmann (die Tochter Herta war mit Otto Nachmann verheiratet) lebte (zu Nachmann s. S. 1); der Enkel Werner holte sie vom Lager Gurs ab. Beide sind nach dem Kriege in die USA ausgewandert.
• Ferdinand Homburger starb am 28. Januar 1941 in Gurs. Über ihn gibt es eine eigene Biografie. Seiner Frau
• Rosa Homburger gelang noch, mit großem Glück, die Ausreise in die USA: (am 23. August 1941 wurde nämlich die Auswanderung von Juden durch Himmler generell untersagt) am 5. März 1941 wurde sie aus Gurs entlassen, kam nach Marseille in das - bewachte - Hotel Terminus (Centre d’Emigration Feminin), um hier auf das US-Visum, die Schiffskarte und eine Passage für ein Schiff zu warten. Über Spanien konnte sie am 17. August 1941 von Barcelona aus mit dem Schiff „Villa de Madrid“ in die USA ausreisen, wo sie schließlich am 4. Oktober 1941 eintraf. Am 13. April 1954 starb sie in den USA.
• Dr. Paul Homburger und sein Bruder Dr. Viktor Homburger wurden am 4. März 1941 nach Les Milles (bei Aix-en-Provence gelegen), das war das Interimslager für die USA-Ausreise, entlassen, die Ehefrau von Viktor Homburger, Marianne, kam mit gleichem Datum von Gurs nach Marseille in das Hotel Terminus. Alle drei kamen, nachdem sie Ihre US-Visa und die Schiffskarten erhalten hatten, am 15. Mai 1941, also relativ schnell, mit Schiffspassage über Spanien in die USA. Die notwendigen Affidavits hatten die Söhne von Dr. Paul Homburger besorgt, die bereits in den USA waren. Die Söhne von Dr. Viktor Homburger hatten die Möglichkeit, 1939 mit einem der so genannten Kindertransporte nach England zu gelangen.
• Thekla Homburger kam am 20. Januar 1942 von Gurs in das (Alten-)Lager Noë (bei Toulouse gelegen); am 23. Februar 1942 starb sie hier.
• Die Schwestern Gabriele, Klara und Jenny Homburger hatten das Glück, dank der Intervention eines Schweizer Verwandten, Dr. Hans Hausmann aus St. Gallen, am 9. April 1941 von Gurs in ein anderes Lager bei Pau verlegt zu werden (Name dieses Lagers nicht aktenkundig, nur dass es ein vormaliges Schloss gewesen sein soll). Nach Kriegsende wurden sie auf Kosten des Verwandten in einer Pension in Pau untergebracht. Am 4. November 1947 starb Gabriele Homburger hier. Die beiden Schwestern Klara und Jenny wanderten im Mai 1948 in die USA aus. Klara starb hier am 9. Januar 1959, Jenny am 30. Oktober 1974.
Opfer
Die eingangs zitierte Esther Ramon zählte – einschließlich Bertha und Hedwig Marx – von der Homburger Familie und Familien anderer Namensträger, die mit Homburger verwandt waren, 44 Nazi-Opfer: Menschen, die in Vernichtungslagern (Auschwitz, Majdanek) ermordet wurden, die in deutschen Konzentrationslagern (Buchenwald, Dachau) umkamen, die in Riga erschossen wurden, die in Theresienstadt und in französischen Internierungslagern starben, die in polnische Ghettos deportiert wurden und dort verschollen sind, die Suizid begingen. Diese Zahl ist nicht abschließend:
• Rosa Cohen, geboren am 8. Oktober 1875 in Borgholzhausen/Warburg, Emmy Cohen Marx Mutter (s.o), die im Januar 1939 zu ihrer Tochter Lotte nach Amsterdam ging, wurde zu einem nicht bekannten Zeitpunkt in Holland inhaftiert, in das Lager Westerbork eingeliefert und von dort am 4. Mai 1943 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo sie sofort nach Ankunft am 7. Mai 1943 ermordet wurde.
• Lotte Snagater geborene Cohen, geboren am 12. April 1904 in Burgsteinfurt, Tochter von Rosa Cohen und ältere Schwester von Emmy Cohen Marx wurde zusammen mit ihrem holländischen Ehemann Bram (Abraham) Snagater von Amsterdam, wo sie lebten, am 20. April 1944 vom Lager Westerbork, wo sie zu einem nicht bekannten Datum nach Verhaftung eingeliefert wurden, nach Theresienstadt deportiert. Beide beteiligten sich wahrscheinlich am antifaschistischen Widerstand (Einzelheiten sind nicht bekannt). Am 16. Mai 1944 wurden beide von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht.
• Siegmund Cohen, geboren am 12. Januar 1874 in Burgsteinfurt, Bruder von Julius Cohen, Emmy Cohen Marx’ Vater, emigrierte bereits am 11. Juni 1937 mit seiner Frau Olga geborene Goutberg, geboren am 23. April 1885 in Maastricht, von Schwerte, wo sie zuletzt lebten, in die Niederlande. Am 4. Mai 1943 wurden sie, zusammen mit Rosa Cohen über das Lager Westerbork nach Sobibor deportiert und dort umgebracht.
• Ida Cohen, geboren am 9. April 1878 in Burgsteinfurt, Schwester von Julius Cohen, Emmy Cohen Marx’ Vater, zuletzt wohnhaft in Hannover, wurde zusammen mit ihrem Mann Max Cohen, geboren am 2. Juli 1864 in Hannover, von hier am 23. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und kam von hier am 15. Mai 1944 nach Auschwitz, wo sie ermordet wurde. Max Cohen starb am 21. Dezember1942 in Theresienstadt.
Auch diese Opfer-Liste ist nicht abschließend. Je weiter man sich peripheren Familienzweigen – peripher zur Familie Homburger – nähert, desto mehr Namen tauchen auf, die ihr Leben während der Zeit des Nazi-Regimes auf irgendeine Weise an irgendeinem Ort verloren.
Nachtrag:
Mit Schreiben vom 2. Februar 1947 an den Karlsruher Oberbürgermeister Dr. Veit erkundigte sich Hugo Marx von London aus u.a. nach der Rothschildschen Stiftung in Nordrach, er wolle namens des Verwaltungsrates dieser Stiftung (wir erinnern uns: er war Vorsitzender des Verwaltungsrates dieser Stiftung) Ansprüche geltend machen.
Überliefert ist dies: die Lungenheilstätte Nordrach ging 1939 in den Besitz der Reichsvereinigung der Juden in Berlin über. Ende September 1942 wurden die letzten verbliebenen Patientinnen, das Pflegepersonal und der Chefarzt, 26 Personen insgesamt, nach Darmstadt transportiert und dort einem hessischen Deportationszug nach Auschwitz angeschlossen. Sie wurden alle ermordet. Nachdem das Sanatorium „judenfrei“ war, wurde daraus ein SS-Mütterheim des Vereins „Lebensborn e. V:“ für schwangere Frauen vor und nach der Entbindung. Das Heim bestand bis 15. April 1945.
(Wolfgang Strauß, Dezember 2011)