Marx, Rudolf Raphael

Nachname: Marx
Vorname: Rudolf Raphael
Geburtsdatum: 14. August 1873
Geburtsort: Mannheim (Deutschland)
Familienstand: verheiratet
Familie: Ehemann von Frieda M.;
Vater von Rudi und Amalie Sofie
Adresse:
Klosestr. 33
Beruf:
Handelsvertreter
Deportation:
13.11.-27.11.1938 in Buchenwald (Deutschland),
14.6.1943 nach Buchenwald (Deutschland)
Sterbeort:
Buchenwald (Deutschland)
Sterbedatum:
18. September 1944

Biographie

Rudolf Raphael Marx

„Nervenzerrüttung durch seelische Depressionen“, so diagnostizierte der Nervenarzt Dr. v. Strasser der Sofie Kühn, geborene Marx, ihre Leiden, die aus der Ermordung ihres Vaters durch die Nationalsozialisten und die Wirren des Zweiten Weltkriegs resultierten. Diese kurze medizinische Diagnose lässt nur ahnen, welche Probleme und welche Folgen die Deportation und anschließende Ermordung des Familienvaters Rudolf Marx für seine Angehörigen und ihn mit sich brachte.
Das Leben des Rudolf Raphael Marx beginnt am 14. August im Jahre 1873 als Sohn von Friedrich und Sophie Marx, geborene Marx, in Mannheim. Er besuchte dort von der Sexta im Herbst 1883 bis zur Untersekunda im Sommer 1890 das traditionsreiche Großherzogliche Gymnasium, heute Karl-Friedrich-Gymnasium. Nach eigenen Angaben in seiner nationalsozialistischen „Judenkennkarte“ spricht er Französisch und ist in vielem gut versiert, wie es in der Kennkarte als „Spezialzweig der Industrie, der Landwirtschaft, der Technik (…), der Wissenschaft“ bezeichnet wird, was auf seine Ausbildung und selbstständige Tätigkeit als Handelsvertreter für mittelständische Textilwarenhersteller und -großhändler mit über 45 Jahren Berufserfahrung zurückzuführen ist. Am 14. Mai 1900 schloss er die Ehe mit der Friederike Sofie Katharina Baltheiser, genannt Frieda, geboren am 1. April 1879 in Nürnberg. Die Hausfrau und Christin Frieda trat im Zuge der Heirat mit Rudolf Marx zum Judentum über. Das erste Kind der Frischvermählten, Rudi, kam am 24. April 1901 in Nürnberg zur Welt. Ihm folgten Amalie Sofie, verheiratete Kühn, am 7. August 1903 in Karlsruhe, Kurt am 5. Juni 1905 und Hans am 27. November des Jahres 1908. Inzwischen lebt die junge Familie in Karlsruhe. Nach Rudolfs eigener Angabe in seiner „Judenkennkarte“ tat er als Frontkämpfer drei Jahre Dienst im Ersten Weltkrieg. Erkennbar ist dies auch an seinem Portrait aus dem Jahre 1938 in der „Judenkennkarte“, auf dem er als Miniatur im Knopfloch das vom Reichspräsidenten Generalfeldmarschall Paul v. Hindenburg am 13. Juli 1934 gestiftete „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“ trägt. Bekannt ist, dass das Ehrenkreuz von vielen Gegnern der Nationalsozialisten bzw. von vielen jüdischen Frontkämpfern beantragt wurde, weil man davon ausging, dass die Inhaberschaft vor Verfolgung schützen würde. In den folgenden Jahren kann sich Rudolf Marx als anerkannter und erfolgreicher Handelsvertreter für große mittelständische Textilwarenproduzenten etablieren. Die Familie hat eine großbürgerliche Mietwohnung in der Karlsruher Klosestraße 33 bezogen und könne sich, laut Aussage des guten Freundes Wilhelm Hermann, Dienstmädchen und ein Leben in der Mitte des gesellschaftlichen Lebens leisten. Theater- und Konzertbesuche wie andere kulturelle Veranstaltungen seien keine Seltenheit im Hause Marx gewesen, so Hermann. Zudem hatte Rudolf im Lauf der Jahre eine offenbar beachtliche Briefmarkensammlung zusammengetragen, die einem Schätzwert von etwa 15.000 RM entsprach, allerdings später für 5.500 RM, sprich weit unter ihrem tatsächlichen Wert, in Zeiten finanzieller Not verkauft werden musste. Nach dem Zweiten Weltkrieg forderte Frieda Marx rund 16.000 DM als Restitution für die verkaufte Briefmarkensammlung. Nach Schätzungen belief sich Rudolfs jährliches Einkommen auf rund 6.000 RM. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 war Rudolf als jüdischer Kaufmann stark in der Ausübung seiner Tätigkeit beschränkt, bis 1938 schließlich das endgültige Arbeitsverbot erging. Frieda Marx stellte am 17. Januar 1939 einen Antrag an den „israelitischen Synagogenrat Karlsruhe“ auf ihren Austritt aus der „israelitischen Religionsgemeinschaft“. Der Deportation der südwestdeutschen Juden am 22. Oktober 1940 entgeht Rudolf Marx durch die Ehe mit seiner christlichen Frau Frieda. Am 24. Mai 1943 begann dann endgültig das Leiden der Familie Marx: Rudolf wurde von der Gestapo vorgeladen. Man warf ihm defätistische Bemerkungen in einem Brief vor. Er wurde umgehend in „Schutzhaft“ in das Untersuchungsgefängnis in der Riefstahlstraße genommen. Am 20. Juli 1943 deportierte man ihn unter der Häftlingsnummer 13141, nach anderer Quelle unter der Nummer 30016, und mit dem roten Winkel als politischen Häftling und dem Davidstern auf der Häftlingskleidung in die Lagerstufe II in Block 60 des Konzentrationslagers Buchenwald. Am 4. Dezember 1944 erlitt die nun allein lebende Frieda Marx einen Fliegerschaden, bei dem sie ihre gesamte Habe verlor und sich eine Beinfraktur zuzog. Während ihres Krankenhausaufenthaltes erhielt sie Nachricht von der Gestapo, die ihre Tochter und Schwiegertochter in Empfang nahmen. Es wurde mitgeteilt, dass Rudolf Raphael Marx am 18. September 1944 im KZ Buchenwald den Tod fand. In den Quellen ist einerseits von einer Bauchfellentzündung bei Perforation des Leerdarmes und andererseits von allgemeiner Körperschwäche als Todesursache die Rede. Frieda lebte daraufhin in kläglichsten Verhältnissen und mit finanziellen Problemen. Das Kriegsende erlebte sie in Karlsruhe. Schon bald erhielt sie eine „laufende monatliche Unterstützung von RM 100.-“. Sehr bald bemühte sich Frieda mit ihrem Sohn Hans Marx, der sie als Bevollmächtigter vertrat, Entschädigungen für die unter der NS-Herrschaft erlittenen Strapazen zu erhalten. Von der Städtischen KZ.-Betreuungsstelle Karlsruhe erhielt sie daraufhin 860,90 RM „Aufwandsentschädigung“. Ende der 1940er bzw. Anfang der 1950er Jahre wanderte Frieda zu ihrem Sohn Kurt Marx nach Norfolk, Virginia, in die Vereinigten Staaten aus, der dort als Kaufmann arbeitete. Sie lebte dort unter folgender Adresse: Norfolk, Virginia, 527 West, 26. Straße. Ende der 1950er Jahre zog sie wieder nach Karlsruhe zu ihrem Sohn Hans Marx, der in Karlsruhe als Abteilungsleiter arbeitete, in die Karlstraße 140. Mitte der 1960er Jahre zog sie zusammen mit Hans in die Kurt-Schumacher-Straße 8b. Frieda Marx überlebte ihren Mann Rudolf um fast 30 Jahre und verstarb am 10. Mai 1973 in Karlsruhe im stolzen Alter von 94 Jahren.
Der eben bereits erwähnte Hans Marx, geboren am 27. November 1908 in Karlsruhe, heiratete im Dezember 1933 das Fräulein Hilde Grimm, die Ehe blieb kinderlos, er stieg in die Fußstapfen seines Vaters und wurde Textilkaufmann bei verschiedenen mittelständischen Textilunternehmen. Er übernahm anfangs sogar die Vertretungen für seinen Vater Rudolf, der nach 1938 mit einem Arbeitsverbot belegt war. Am 6. Juli 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und am 28. April 1942 entlassen. Daraufhin arbeitete er als Prokurist bei den „Argus“ Motorenwerken in Karlsruhe, bis deren Anlagen 1944 zerstört wurden. Nach Kriegsende, im September 1945 beriefen der Langenauer Gemeinderat, der Landrat und die Militärregierung Hans Marx als Bürgermeister nach Langenau, Kreis Ulm. Am 24. März 1948 schied er aus dem Amt. Überdies war er von Mai 1946 bis Februar 1948 erster öffentlicher Kläger der Spruchkammer Ulm beim Ministerium für politische Befreiung. Er ließ sich aus beiden Ämtern entlassen bzw. trat keine zweite Amtszeit an, um als Prokurist und Kaufmann in die freie Wirtschaft zurückzukehren. Für die während der NS-Herrschaft erlittenen Schäden erhielt er 767 DM Entschädigung. Daraufhin kehrte er nach Karlsruhe zurück und ließ, wie bereits beschrieben, seine Mutter Frieda bei sich wohnen.
Wie der oben bereits erwähnte Sohn Kurt, wanderte auch der älteste, am 24. April 1901 in Nürnberg geborene Sohn Rudi in die Vereinigten Staaten aus. In den verschiedenen Quellen wird Rudi ab und an nicht als Sohn des Ehepaars Rudolf und Frieda Marx geführt, allerdings bezeichnet Frieda Rudi immer als ihren Sohn. Nähere Nachforschungen bezüglich der wirklichen verwandtschaftlichen Verhältnisse Rudis zu seinen Eltern lassen sich nicht anstellen und zu Spekulationen will sich der Autor nicht hinreißen lassen. Rudi Marx, inzwischen in Rudi Hale umbenannt, wohnte im Jahre 1951 in Syracuse, New York. Über seinen weiteren Lebensweg ließen sich keine Informationen in Erfahrung bringen.
Zu guter Letzt sei noch der Lebensweg der einzigen Tochter des Ehepaares Marx, Amalie Sofie, beschrieben. Geboren am 7. August des Jahres 1903 in Karlsruhe, heiratete sie den Direktor Fritz Kühn in Mannheim, mit dem sie zeitweilig in der Hirschstraße 168 in Karlsruhe wohnte. Von Beruf Hausfrau, bemühte sie sich allerdings besonders um Entschädigung für den Unterhalt ihrer Mutter für die erlittenen Schwierigkeiten und den Mord an Vater Rudolf Marx während der NS-Herrschaft. Sie war es auch, der der Nervenarzt Dr. v. Strasser die anfangs zitierte Diagnose „Nervenzerrüttung durch seelische Depressionen“ stellte. Ihre Gesuche wurden abgelehnt mit der Begründung, dass sie nur „mittelbar betroffen“ sei, trotz der Diagnose Dr. v. Strassers. Dahingegen erhielten alle Erben Rudolf Marx' eine Gesamtentschädigung von 2.250 DM. Sofie Kühn verstarb am 6. April 1958 in Karlsruhe.
Betrachtet man nun das Leben und Schicksal der Familie Rudolf Marx, so ist klar, wie durch die Verhaftung und anschließende Ermordung des Familienvaters Rudolf Marx eine ganze Familie aus den Angeln gehoben wurde: die Witwe Frieda gerät in finanzielle Not und wird dann auch noch ausgebombt. Die Kinder verstreut es bis in die Vereinigten Staaten und letztlich bleibt eine Frieda Marx übrig, die bei ihren Söhnen Kurt und später Hans Marx Unterschlupf finden muss, damit sie von ihrer kleinen Rente, die sie als erwerbslose Hausfrau und Witwe erhält, inklusiver einiger doch geringer Entschädigungszahlungen, ein zufriedenes Leben führen kann. Die Nationalsozialisten haben mit der Verfolgung Rudolf Marx' einen tüchtigen Geschäftsmann aus der Mitte der Gesellschaft und der Mitte seines Lebens gerissen, und das nur, weil er auf dem Papier Jude war. Es ist überliefert, dass die Familie Marx in der jüdischen Gemeinde in Karlsruhe nicht aktiv war. Alles in allem macht die genauere Betrachtung des Lebensweges Rudolf Marx' nur einmal mehr die Wahllosigkeit und die Absurdität der Deportation der Menschen jüdischen Glaubens durch die Nationalsozialisten im Deutschland von 1933 bis 1945 deutlich.

(Michael Börner, 11. Klasse Lessing-Gymnasium, Oktober 2014)