Mendershausen, Emma
Nachname: | Mendershausen |
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Vorname: | Emma |
geborene: | Blumenfeld |
Geburtsdatum: | 19. Juli 1869 |
Geburtsort: | Diespeck/Bayern (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Eltern: | Anselm und Veronika, geb. Blumenfeld, B. |
Familie: | Ehefrau von Heinrich M.; Mutter von Erich und Jenny; Schwester von Jenny Klein, Martha Rein, Bina Lang und Franz; |
Biographie
Heinrich und Emma Mendershausen
Heinrich Mendershausen wurde am 4. August 1862 in Nienburg an der Saale im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt geboren. Seine Eltern waren Moritz Mendershausen und Emilie, geborene Löwenthal. Beide waren bereits in dem einst anhalt-köthenischen Städtchen geboren, der Vater 1813, die Mutter 1825. Die Mendershausens waren sozusagen „eingeborene Nienburger“.
Heinrich Mendershausen verheiratete sich 1888 mit Emma, geborene Blumenfeld, die am 19. Juli 1869 im bayerischen Diespeck bei Nürnberg geboren wurde. Deren Eltern waren Anselm und Veronika Blumenfeld. Auch diese beiden waren bereits als im fränkischen Teil von Bayern Geborene in dieser Region verwurzelt.
Das Ehepaar Mendershausen lebte am Wohnort des Ehemannes in Nienburg, da Heinrich hier seine Existenzgrundlage hatte. Sie bekamen zwei Kinder, beide in Nienburg geboren: Jenny, am 17. August 1890 und Erich, am 2. Oktober 1892.
Heinrich Mendershausen war Inhaber der Getreide-, Futter-, Düngemittel- und Strohgroßhandlung Mendershausen am Ort, um 1920 verlegte er sie in ein 1901 errichtetes großzügiges Firmengebäude mit der heutigen Anschrift Weinberg 1. Das Unternehmen ging gut und ermöglichte der Familie einen gehobenen Lebensstandard.
Die Mendershausens waren eine angesehene Familie am Ort, sie wohnten seit 1920 in einem stattlichen Haus, Warte 7.
Sie waren im gesellschaftlichen Leben des Städtchens aktiv. Heinrich war Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr und förderte diese tatkräftig. Heinrich finden wir in der Mitgliederliste seit 1914. Auch der heranwachsende Sohn Erich war bei der Feuerwehr aktiv. Die Freiwillige Feuerwehr Nienburg hatte ihre Heimstätte im Stadttorhaus in der Marktstraße und später im Haus der Adolf-Meyer-Stiftung. Adolf Meyer war Ehrenbürger Nienburgs, stammte aus einer jüdischen Familie, die zum Katholizismus übergetreten war.
Die jüdische Gemeinde in Nienburg war stets klein, nach der Reichsgründung zogen viele Mitglieder in größere Städte. Deshalb wurde die Synagoge am Ort schon 1888 aufgegeben und verkauft, der neue Besitzer ließ sie zu einem Wohnhaus umbauen. Die Jüdinnen und Juden des Städtchens mussten in die Synagoge des benachbarten Bernburg. Als es schon vor 1933 gerade noch 13 Gemeindemitglieder waren, erfolgte auch die formale Zusammenlegung mit der jüdischen Gemeinde Bernburgs. Von dem Anfang des 19. Jahrhundert angelegten Nienburger Friedhof sind nur noch wenige verwitterte Grabsteine vorhanden.
Heinrich Mendershausen war auch Mitglied in der Privilegierten Schützengilde Nienburg 1887 e.V. In der Chronik des Vereins wird er als 2. Ritter geführt. Traditionell führte der obrigkeitshörige und konservativ ausgerichtete Verein ein Jahresschießen durch, mit dem Küren des (Schützen)Königs, darunter angesiedelt weitere Wettbewerbe, die zum „Ritter-Titel“ berechtigten. Heinrich Mendershausen war vermutlich sehr stolz über diese Auszeichnung gewesen.
Noch 1931 hatten Heinrich und Erich Mendershausen, der Sohn war in die Firma eingestiegen und als Nachfolger vorbestimmt, einen Bauantrag für die Anlage eines Anschlussgleises und eines Getreidespeichers – und eine Verladeanlage am Hafen an der Saale gestellt. Die beantragten Maßnahmen wurden von Mendershausen aber nicht mehr komplett ausgeführt, aus wirtschaftlichen Gründen war der Bau des Speichers zurückgestellt worden.
Die Tochter Jenny Mendershausen hatte sich am 16. April 1912 mit Heinrich Hirsch aus Karlsruhe verheiratet. Hier hatten sich zwei Familien mit gleichem sozialem Status verbunden. Der elf Jahre ältere Heinrich Hirsch, geboren am 13. August 1879 in Karlsruhe, hatte von 1891 bis 1893 das Humboldt-Realgymnasium besucht, nach dem Abgang von 1894 bis 1897 eine Lehre im Bankhaus Veit L. Homburger absolviert. Nach einem Auslandsaufenthalt und Kursen in Nationalökonomie wurde er 1904 Inhaber der renommierten Uniformfabrik L. Ritgen in der Adlerstraße 26. Das Ehepaar bekam drei Kinder unmittelbar hintereinander: Elfriede 1914, Werner 1915 und Lieselotte 1916. Die Familie wohnte zuletzt in den 1930er Jahren in der Renckstraße 1.
Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 wurde das Leben von Juden in Nienburg – waren sie vorher in der Stadt noch so angesehen – immer schwerer. 1933 musste Heinrich Mendershausen alle Ehrenämter in den Vereinen aufgeben. Viele Geschäftspartner erteilten keine Aufträge mehr. Der ökonomische Druck führte zur „Arisierung“ der Firma. Unter diesem Zwang wurde das Unternehmen 1935 an die Firma Hoppe und Lucke verkauft. Die Mendershausens konnten und wollten nicht mehr in dem kleinen Städtchen weiterleben.
Heinrich und Emma zogen 1935 nach Karlsruhe und waren damit nahe zur Familie ihrer Tochter Jenny Hirsch, vielleicht in der Hoffnung, dass dort die Situation für sie erträglicher wäre oder auch zur gegenseitigen Stütze und Unterstützung. Der Schwiegersohn war 1934 von NSDAP-Stellen und durch Gestapo-Haft unter Druck gesetzt worden, seine Firma weit unter Wert zu verkaufen. Dieser Fall zählt zu den besonders frühen „Arisierungen“ und solchen mit direkter Gewaltanwendung. Heinrich Hirsch war zuvor vermögend gewesen, musste nun bis auch dies nicht mehr möglich war, als Versicherungsvertreter der Aachener und Münchner Lebensversicherung arbeiten, die Familie musste sich aber sehr einschränken. Die drei Kinder der Hirschs waren inzwischen 1936 bzw. 1937 in die USA emigriert.
Zu Erich Mendershausen bestehen einige Wissenslücken. Verheiratet war er mit der fünf Jahre jüngeren Edith aus Halberstadt. Das Ehepaar scheint in Magdeburg gelebt zu haben, wo um 1927, 1930 und 1934 die Töchter Vera, Ingeborg und Lore geboren wurden. Wir finden ihn auf der Passagierliste des Dampfers Veendam, der im Januar 1937 von Rotterdam losmachte nach New York, wo er am 8. Februar 1937 ankam. Erich Mendershausen steht allein auf der Passagierliste. Doch ist feststellbar, dass die gesamte fünfköpfige Familie am 22. bzw. 24. Dezember 1938 über New York und Baltimore in San Francisco, Kalifornien ankam. Die Familie amerikanisierte ihren Namen in Menders.
Heinrich Hirsch gehörte zu den weit über 200 jüdischen Männern aus Karlsruhe, die in der Folge der Reichspogromnacht am 10. November 1938 verhaftet und in das KZ Dachau deportiert wurden. Dort blieb er bis zum 26. November 1938 in sogenannter „Schutzhaft“. Dies war eine Terrormaßnahme, um Juden dazu zu bringen, das Land zu verlassen. Heinrich Hirsch gelang es am 27. März 1939 allein über Kuba in die USA zu kommen, ging über New York nach Kalifornien, änderte den Namen schließlich in Henry Higdon.
Heinrich Mendershausen war 1938 nicht nach Dachau gekommen, weil Männer wie er mit über 60 Jahren davon nicht eingeschlossen waren. Jenny Hirsch blieb nach der Emigration ihres Mannes in Karlsruhe; vielleicht weil sie ihre Eltern nicht allein zurücklassen wollte.
Für die Zurückgebliebenen wurde es immer schlimmer. Ihre Konten standen unter sogenannter Treuhänderschaft, nur für das Nötigste zum Leben durfte Geld entnommen werden. Nach der Reichspogromnacht kam die sogenannte „Sühneabgabe“, das heißt das NS-Regime machte Juden verantwortlich für den Terror, den das Regime ausgelöst hatte. Für diese Judenvermögensabgabe musste Jenny Hirsch insgesamt ca. 11.000 RM und Heinrich Mendershausen 10.000 RM bezahlen. Alle Drei versuchten noch die Emigration aus Deutschland, auch noch nach Kriegsbeginn am 1. September 1939. Noch bestand die Möglichkeit, in die noch nicht im Krieg befindliche USA auszuwandern, theoretisch. Noch am 10. Oktober 1940 hatte Jenny bei der Spedition Steffelin in Karlsruhe sechs Lifts Umzugsgut eingelagert; es sollte bei der geplanten Emigration in die USA verfrachtet werden. Dazu kam es nicht. Dieses Umzugsgut wurde am 28. Juli 1941 im Auftrag des Polizeipräsidiums als Vermögen nicht mehr im Reich befindlicher Juden durch den amtlich bestellten Versteigerer Nist versteigert.
Heinrich und Emma Mendershausen und Jenny Hirsch waren zuvor mit über 900 jüdischen Mitbürgerinnen und -mitbürgern unter den Augen der Karlsruher Bürger am 22. Oktober 1940 mit Sonderzügen in das unbesetzte Frankreich abgeschoben und im Lager Gurs interniert worden.
Heinrich Mendershausen führte später während seines Verstecken im Kloster 1943 eine Art Tagebuch oder Berichtsheft, ein kariertes Heft im Format etwa DIN A6. Darin beschreibt er die Ankunft in Gurs so: „…kamen nach 3 Tagen dort an bei strömenden Regen – kamen in Baracken, hatten nicht einmal Stroh zum Lager und Dreck bis an die Knöchel“.
Emma Mendershausen, 71 Jahre alt, überlebte die Strapazen mit den miserablen und demütigenden Zuständen nicht und starb nach nur sechs Wochen bereits am 7. Dezember 1940 im Lager Gurs.
Heinrich Mendershausen war nun Witwer und vermutlich, da im Lager Gurs Männer und Frauen getrennt wurden, ohne direkten Kontakt zur Tochter Jenny ziemlich alleine. Im Lager Gurs blieb er bis 11. Mai 1941 und schreibt dann in seinem „Tagebuch“ weiter: „Im Frühjahr 1941 kam ich nach Les Milles auf ca. 9 Monate…. Und von dort kam ich nach Marseille in die Klinik Jacri Cronz wo ich ganz zufrieden war und musste aber räumen, da die Klinik verkauft und nicht mehr weitergeführt [wurde]. Mein neues Domizil war die Klinik Roxernont, da gab es wenig zu essen und schlechte Bedienung und kam im Herbst 1942 nach Pension Hotel L…42 de la Rose. Hier war die Verpflegung noch viel schlechter, es gab dünne Wassersuppe fast alles ohne Fett und abends dasselbe bloß umgedreht und ¼ Wein, die Hauptnahrung bestand aus Porree. Am 07.04.1943 kam ich nach St. Jean de Dieu [zugehörig zur Kirche bei Marseille], ein Kloster wo ich Unterkunft gefunden habe, bekam gute Verpflegung alles erstklassig“.
Heinrich Mendershausen beschreibt stets sehr ausführlich die Verpflegung, ein Zeichen, wie schlimm die Situation für ihn nach der Deportation gewesen war, insbesondere Hunger zu leiden. Nach diesen Informationen war er im Mai 1941 aus Gurs in das Transitlager Les Milles bei Marseille verlegt worden. Dorthin kamen Männer, für die eine Aussicht zur Emigration bestand und die aus diesem Lager auf die notwendigen Papiere zu warten bzw. noch zu vervollständigen hatten. Aus den USA hatte die Familie nichts unversucht gelassen, seine Ausreise zu bewerkstelligen. Sohn Erich hatte sich unermüdlich an die dafür zuständigen Stellen gewandt. Doch es blieb erfolglos, wie die Bemühungen für viele andere. Üblich war nach dem Misslingen die Rücküberstellung in ein Internierungslager. Doch Heinrich Mendershausen hatte das seltene Glück, davon verschont zu bleiben. Im Herbst 1942 hätte die Rückführung die Deportation von dort über Drancy in ein Vernichtungslager bedeutet. Er nennt eine Krankeneinrichtung, eine „Pension“, leider unleserlich, und als nächste Station das Kloster Saint-Jean-de-Dieu, über die er gegangen ist. Dies waren Stationen von Befreiung. Vorgesehen zur Deportation waren Männer und Frauen bis 60 Jahre, ältere konnten aus den Internierungslagern herauskommen. Wenn sie Helferinnen oder Helfer hatten. Heinrich Mendershausen war in der glücklichen Lage, dass sich Menschen und Organisationen um ihn kümmerten. Welche das waren, benennt er nicht. Ein gewichtiger Teil des katholischen Klerus in Frankreich hatte im August 1942 gegen die Deportation der Juden protestiert. Aus dem Protest wurde Widerstand. So hatte Kardinal Gerlier in Lyon mit dem Protestant Marc Boegner die ökumenische Hilfsorganisation „Amitié Chrétienne“ gegründet, sie schützte und versteckte Kinder und ebenso Alte. Der Bischof Théas in Montauban hatte alle katholischen Einrichtungen aufgefordert, Juden zu verstecken und selbst eine Fälscherwerkstatt zur Erstellung von Papieren für die zu Versteckenden in seinem Bischofssitz ermöglicht. Es war ein Netzwerk christlicher, vormals legaler jüdischer französischer und verschiedener weltanschaulicher – konservativ bis kommunistisch – Organisationen entstanden. Heinrich Mendershausen wurde offensichtlich über katholische Strukturen gerettet, zu denen die Tochter Verbindungen hatte. Leider gibt das „Tagebuch“ keine Hinweise, wer die Helferinnen und Helfer waren und wie sie konkret vorgingen. Aus dem „Tagebuch“ erfahren wir noch, dass er am 14. März aus Marseille nach Lyon gebracht wurde, in das „Schwesternheim“ St. Jean, das ebenfalls eine Schutzeinrichtung war.
Jenny Hirsch war gleichzeitig mit dem Vater aus dem Lager Gurs herausgekommen, sie musste dabei in das Transitlager für Frauen, Centre de Levante in Marseille. Als die Hoffnung auf die Ausreise zerstoben war, drohte ihr die Rückführung in das Internierungslager. Dem entzog sich die 52-Jährige durch Flucht. Es gelang ihr, beim Rabbiner Klein in der Rue de Trois Mages in Marseilles unterzukommen, wo sie als Haushälterin die Familie mit ihren zwei Kindern versorgte. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in das unbesetzte Frankreich im November 1942 wich die Rabbinerfamilie mit ihr nach Saint-Symphorien-de-Laye im Department Loire aus, ca. 25 Kilometer entfernt von Lyon, wo sie bis Juni 1944 bleiben konnte. Tatsächlich besuchte sie in dieser Zeit ihren Vater hin und wieder. Heinrich Hirschs „Tagebuch“ weist auch immer wieder Geldeinträge „von Jenny“ aus, ebenso Briefe. Nach dem Juni 1944 lebte sie mit falschen Papieren weiter illegal an verschiedenen Orten, zuletzt nach der Befreiung in Meissac, wie sie schreibt. Es muss wohl Moissac heißen, bei Montauban?
Heinrich Mendershausen erlebte die Befreiung in Lyon im August 1944 und die dabei stattgefundenen Kämpfe zwischen US-Truppen und der Wehrmacht. Im November jenes Jahres wurde er seines Alters wegen in ein Heim nach Marseille gebracht. Die Tochter versuchte sich sehr um ihren Vater zu kümmern, fasste noch 1945 die gemeinsame Ausreise zur Familie in die USA ins Auge.
Doch der betagte Heinrich Mendershausen hatte zu sehr unter der Verfolgung und den Entbehrungen gelitten. Zuletzt kam er noch in ein Krankenhaus in Marseille, wo er am 4. März 1945 82-jährig verstarb. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof der Stadt begraben.
Im April 1946 konnte Jenny mit dem Dampfer Fort Royal von Bordeaux nach New York und von dort mit dem Zug nach Fresno, Kalifornien fahren und endlich wieder ihren Ehemann in die Arme nehmen.
Henry Higdon starb am 17. Oktober 1966 in Amerika, Jenny Higdon starb 1975.
Die Stadt Nienburg an der Saale erinnert heute ehrend an Heinrich und Emma Mendershausen. Im „Historischen Stadtrundgang“ ist die Kornhandlung Mendershausen und das ehemalige Wohnhaus Mendershausen eingeschlossen.
Für Emma und Heinrich Mendershausen wurden am 18. Oktober 2021 in Karlsruhe zwei Stolpersteine vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Körnerstraße 44a verlegt. Für diese Verlegung hat sich Ralph Mendershausen aus den USA, Enkel von Emma und Heinrich Mendershausen, ganz besonders engagiert. Durch ihn wurden auch Schriftstücke aus Familienbesitz, unter anderem das „Tagebuch“ von Heinrich Mendershausen, zugänglich gemacht.
(Jürgen Müller, April 2022)
Quellen:
- Stadtarchiv Karlsruhe: 1/AEST 29;
- Generallandesarchiv Karlsruhe: 480/7743 und 14951;
- Landesarchiv Sachsen-Anhalt (Dessau), Z 231, A I Nr. 442;
- Israelitisches Gemeindeblatt, Ausgabe B vom 27.7.1938;
- Privatbesitz der Familie;