Merser, Jutta

Nachname: Merser
Vorname: Jutta
Geburtsdatum: 25. April 1925
Geburtsort: Karlsruhe (Deutschland)
Familienstand: ledig
Eltern: Sally und Rosa M.
Familie: Schwester von Berta Helene und Max Leo
Adresse:
Kreuzstr. 28,
Geranienstr. 28
Beruf:
Schüler
Deportation:
Juli 1939 zwangsweise nach Polen

Biographie

Famile Merser

Diese Biographie ist der großen Familie Merser gewidmet.
Die Familie Merser bestand aus den Eltern Sophie und Albert, beide wurden in Warschau geboren. Albert 1869 und Sophie 1875. Das Paar hatte insgesamt acht Kinder: Sally, der älteste Sohn, wurde ebenfalls in Warschau geboren. Seine Geschwister Louis, Fanni, Anna, Berta und Jacob kamen in Berlin auf die Welt, Clara dann schließlich in Karlsruhe. Geburtsort und Geburtsdatum der Tochter Gittel (oder Greta) sind mir unbekannt geblieben.

Ich möchte diese Biographie mit Berta beginnen, der Enkelin von Sophie und Albert. Ihre Erzählungen geben uns einen kleinen Einblick in das Leben der Familie.

Berta Segerzman (geboren 1920 in Karlsruhe) ist die Tochter von Sally, dem ältesten Sohn von Sophie und Albert und die einzige Überlebende ihrer Familie, denn ihr Vater Sally, ihre Mutter Rosa und ihre Geschwister Max (geboren 1921) und Jutta (geboren 1925) wurden ermordet.
Berta wurde von der Familie liebevoll Bertele gerufen, in Israel gab sie sich selbst den Namen Batschewa (Bath-Sheba).

Berta lebte Anfang 2008 als 88-jährige im Kibbutz Sarid in Israel. 1988 besuchte sie gemeinsam mit ihrer Tochter Irit die Stadt Karlsruhe, um am Besuchsprogramm anlässlich des 50. Jahrestages der „Reichskristallnacht“ teilzunehmen. Das war das einzige Mal, dass sie nach Karlsruhe zurückkam.

Da sie selbst aufgrund ihres hohen Alters keine Briefe mehr mit mir austauschen konnte, bat sie ihre Tochter Irit und ihre Enkelin Ayelet dies zu tun. Ich konnte einen bewegenden Einblick in ihr Leben und in das ihrer Familie erhalten. Bertas Enkelin, die ebenfalls in Israel lebt, interviewte sie für eine Schularbeit im Jahr 1985 über das, was sie alles erlebt hatte. Dieses Dokument wurde mir von Bertas Tochter zur Verfügung gestellt und ich möchte es hier aus dem Englischen übersetzt vorstellen.

Ich wurde im Jahr 1920 in Karlsruhe geboren, meine Eltern waren ursprünglich aus Polen. Unsere wirtschaftliche Lage war mittelmäßig.
Meine Eltern waren zwar religiös, aber es gab zuhause keinen Zwang in diese Richtung.
Bis zur vierten Klasse besuchte ich die Grundschule für Mädchen (die Gutenberg Schule). Ich nahm am Religionsunterricht teil, den es im Rahmen der orthodoxen jüdischen Gemeinde gab.
Ab der fünften Klasse (im Jahr 1931) ging ich in die weiterführende Schule, da ich eine gute Schülerin war, wurde mir ein Stipendium gewährt. Zwei Jahre später, nach der Machtübernahme durch Hitler, wurden für jüdische Schüler keine Stipendien mehr gewährt, und wir hätten – da meine Eltern polnische Staatsangehörige waren - für die Schule eine höhere Gebühr bezahlen müssen. Das konnten wir aber nicht, so ging ich wieder zur Volksschule zurück und beendete dort meine Schulzeit. Hier hatte ich zum Beispiel im letzten Jahr die Fächer Haushaltsführung, Kochen und Nähen.
In dieser Zeit trat ich der orthodoxen jüdischen Jugendbewegung bei, den „Werkleuten“. Später in Palästina ging ich zu den „Hashomer Hatsair“, den „Jungen Wächtern“. Mein Bruder Max trat der religiösen Jugendbewegung „Erza“ bei.
Zuhause bewahrten wir einige jüdische Traditionen und Gewohnheiten und feierten die jüdischen Feiertage wie Rosh Hashanah, Yom Kippur und das Passahfest. Ich erinnere mich zu diesen Gelegenheiten an meinen Großvater Albert, der ein besonderer und außergewöhnlicher Mann mit einem langen Bart war. Am Abend von Rosh Hashanah und zu Yom Kippurofa blies er die Schofa, ein spezielles Horn.
Meine Eltern gingen zum Gebet in die Synagoge, in die die polnischen Juden gingen und nicht in die große orthodoxe Synagoge der deutschen Juden. Später änderte sich dies und mein Vater ging in die reformierte Synagoge, die eine Orgel und einen Chor besaß, es gab Schriften in deutsch und in hebräisch.

Mein Vater wuchs mit der deutschen Kultur auf, meine Mutter folgte lieber den osteuropäischen Bräuchen, sie sprach Deutsch mit jiddischen und polnischen Einschlägen.
Zur Unterhaltung gingen meine Familie und ich ins Theater, in die Oper, in das jüdische Theater, die Stummfilme und später die Tonfilme. Wenn sich unsere Familie traf, spielten wir oft zusammen Karten.
Mit der Machtübernahme Hitlers wurde unsere finanzielle Situation sehr schlecht. Die Angestellten meines Vaters verließen das Geschäft, da sie nicht mehr für ihn arbeiten durften. Unser Hausmädchen ging ebenfalls, so dass meine Mutter die Arbeit zuhause und im Geschäft übernahm.
Im Jahr 1936 verließ ich Deutschland im Rahmen der „Youth Aliya“, also der Jugendemigration der Jewish Agency, und ging nach Palästina. Ich kam in Palästina am 05.03.1936 an, vier Monate vor meinem 16. Geburtstag.
Ich kam mit den anderen Jugendlichen in den Kibbutz Sarid, der damals gerade zehn Jahre existierte. Wir waren die erste Jugendgruppe, die im Kibbutz aufgenommen wurde, wir wurden sehr freundlich empfangen, da wir damals schon als überlebende Kinder des Hitlerregimes angesehen wurden. Die Mitglieder des Kibbutz schmückten das Eingangstor mit Plakaten, auf denen sie uns in deutscher und hebräischer Sprache willkommen hießen. Extra für uns wurde ein Steinhaus gebaut, es war erst das dritte auf dem ganzen Gelände, die meisten anderen Kibbutzmitglieder mussten noch in Hütten und Zelten leben.
Unsere Tage bestanden aus vier Stunden Arbeit und vier Stunden Unterricht. Der Unterricht bestand anfangs hauptsächlich aus Hebräisch, wir lernten aber auch die Fächer Geschichte, Erdkunde, Mathematik, Physik und Arabisch.
Bei der Arbeit lernten wir die unterschiedlichen Abteilungen des Kibbutz kennen, um mit allem vertraut zu werden.
Wir wollten natürlich von Anfang an so schnell wie möglich die hebräische Sprache lernen, so dass wir am Anfang im Kibbutz herumliefen und „Rak Ivrit“, das bedeutet so viel wie „Nur Hebräisch“ sangen, das war das einzige, das wir anfangs konnten. Da wir viele Fehler machten, wurde oft über uns freundlich gelacht.
Wenn ich mich an diese Zeit erinnere, dann an eine angenehme und gute Zeit, wir waren integriert und hatten Freunde gefunden.
Im Jahr 1938 gründete meine Kibbutzgruppe eine neue Gemeinde im Ort Petach Tikva, gemeinsam mit anderen Gruppen der Jugendbewegungen „Werkleute“ und „Hashomer Hatsair“. Hieraus entstand später der Kibbutz Hazorea. Unsere wirtschaftliche Situation war sehr schlecht, wir arbeiteten in Obstgärten und verdienten sehr wenig.
Zu dieser Zeit kamen die ersten schlechten Nachrichten aus Deutschland bei mir an. Ich erfuhr, dass meine Eltern nach Polen ausgewiesen worden waren, deshalb holte ich mir die Erlaubnis, den Kibbutz zu verlassen, ich ging nach Tel Aviv, um dort als Kellnerin zu arbeiten, damit ich meinen Eltern Geld schicken konnte.
Nach dem Krieg versuchte ich über das Rote Kreuz meine Familie wieder zu finden, aber ich fand überhaupt keinen Überlebenden mehr. Später hörte ich von meinem Cousin Max, der Auschwitz überlebte und nach dem Krieg in Frankreich lebte, dass meine Mutter und mein Bruder in Auschwitz ermordet wurden.
Im Kibbutz Petach-Tikva lernte ich meinen Mann kennen. Wir heirateten in Jerusalem im Jahr 1941 und gingen in den Kibbutz Sarid zurück. Seit dieser Zeit bin ich ein Mitglied des Kibbutz, bekam hier unsere drei Kinder und arbeitete in verschiedenen Bereichen, zum Beispiel im Kindergarten, in der Kibbutz-eigenen Fabrik Gamal, in der Küche, später im Archiv.


Hier soll nun zu Bertas Erzählung das angefügt werden, was ich über ihre Familie herausfinden konnte:
Ich beginne mit Bertas Großeltern, Albert (oder Anschel) und Sophie (oder Scheiwe) Merser. Beide wurden in Warschau, damals Russisch-Polen, geboren, Albert am 25. Dezember 1869 und Sophie, geborene Schneidermann, am 20. Mai 1875. Sie heirateten in Warschau.
Am 15. Juli 1891 kam ihr erster Sohn Sally auf die Welt.
Zwischen den Jahren 1891 und 1894 zog die Familie aus dem russischen Warschau weg nach Berlin. Hier wurde Tochter Margarete (Gittel) am 24. Juni 1894 geboren.
Ihr folgte der zweite Sohn Louis, am 20. März 1895 geboren.
Nach den mir vorliegenden Quellen wurde die Tochter Fanni ebenfalls im Jahr 1895 (am 21. Januar) geboren, eines der beiden Geburtsdaten kann also nicht stimmen. Überprüfen ließ sich dies nicht, da die nur noch lückenhaft vorliegende historische Einwohnermeldekartei von Berlin dazu keine Unterlagen bereit hält und die standesamtliche Abklärung nicht möglich war.
Tochter Anna kam am 6. April 1898, Tochter Berta am 7. August 1899 und Sohn Jacob am 7. November 1904 auf die Welt.
In Berlin wurde am 26. Mai 1910 Tochter Clara geboren.

Im Jahr 1908 zog die Familie von Berlin nach Karlsruhe. Über die Gründe des Umzugs ist nichts bekannt. Wir wissen, dass es hier mit der Familie Manaster (siehe ihren Beitrag im Gedenkbuch), amtlich Oling, verwandtschaftliche Bezüge gab.
Bis 1926 sind die Mersers im Adressbuch von Karlsruhe unter der Adresse Werderstraße 69 zu finden. Der Eintrag lautet auf Anschel Merser, Zigarettenfabrikant / Kaufmann.
Albert Merser war der Inhaber der Zigarettenfabrik „Fidelitas“. Dies bestätigt der Eintrag ins Handelsregister vom 1. April 1914:
„Cigarettenfabrik Fidelitas Merser & Blievernich“, Karlsruhe
Inhaber Anschel Merser und Eduard Blievenich
Am 11. August 1916 wurde der Firmenname in „Cigarettenfabrik Fidelitas, Anschel Merser“ geändert; also war Albert Merser ab diesem Zeitpunkt der alleinige Inhaber geworden.

Ab dem Jahr 1927 lautet der Adressbucheintrag der Familie auf Albert Merser, Kaufmann, Rudolfstraße 28; er hatte sich inzwischen geschäftlich zur Ruhe gesetzt und wurde als „Privatier“ geführt. Ein Handelsregistereintrag bestätigt dies, am 30. Oktober 1928 war die Firma erloschen.

Tochter Clara, im Jahr 1927 17 Jahre alt, lebte bei den Eltern in der Rudolfstraße, sie beschrieb die Eltern als eher kränklich.
Darüber, wie die Familie die Zeit ab der Machtübernahme durch Hitler im Jahr 1933 erlebte, ist bis auf den oben zitierten Bericht von Berta nichts bekannt.
Albert Merser wurde am 28. Oktober 1938, 69-jährig, wie viele andere Männer ab 16 Jahren, die einmal in den früherer Regionen des ab dem 18. Jahrhundert zwischen Russland, Preußen und Österreich-Ungarn geteilten Polens auf die Welt gekommen war vom „Verladebahnhof Karlsruhe“ über Mannheim zur polnischen Grenze abgeschoben. Dies geschah, da die polnische Regierung von den im Ausland lebenden „Polen“ verlangte, bis zum 30. Oktober 1938 bestimmte Prüfvermerke in ihre Pässe stempeln zu lassen, da die Pässe sonst ihre Gültigkeit verlieren würden. Erschwerend wurde von der polnischen Regierung erlassen, dass dieser Prüfvermerk verweigert werden konnte, wenn die betreffenden Personen schon länger als fünf Jahre nicht mehr in Polen gelebt hatten, was bei sehr vielen Juden, wie auch bei Familie Merser, der Fall war. Viele dieser Familien konnten mit den Veränderungen auf der Landkarte nach den Bestimmungen des Friedensvertrages nach dem Ersten Weltkrieg nichts anfangen, sahen sich nicht als Polen. Der nationalsozialistische badische Innenminister verfügte daraufhin auf Weisung aus Berlin und abgestimmt mit allen „deutschen Ländern“, alle polnischen jüdischen Männer auszuweisen, damit man sich ihrer schnell entledigen konnte, bevor der polnische Staat sie nicht mehr einreisen lassen wollte.

Während die Männer so abgeschoben worden waren, blieben die übrigen Familienmitglieder hier, die Frauen und ihre Töchter sowie minderjährigen Jungen. Das NS-Regime trachtete, sie ebenfalls los zu werden und abzuschieben, was aber aufgrund der internationalen Verwicklungen nach der „Polen-Aktion“ vom 28. Oktober nicht sofort möglich war. Am 14. November 1938 wurden nahezu überfallartig überall in Karlsruhe die noch lebenden „polnischen“ und staatenlosen Juden unter „Einsatz aller Kräfte der Sicherheits- und Ordnungspolizei“ - wie es die Ausländerbehörde beim Polizeipräsidium Karlsruhe nach Berlin meldete - aufgesucht und dabei festgestellt, wer noch hier lebte und wer davon ausdrücklich einen polnischen Pass besaß. Dieses hätte die Abschiebung erleichtert. Familie Merser schien keine polnischen Pässe zu haben.
Nachdem die Verhandlungen auf internationaler Ebene quasi dem fait accompli zustimmten und nur noch den Ablauf der zunächst zurück gebliebenen Abschiebungen regelten, sah eine Vereinbarung zwischen Deutschland und Polen von Anfang 1939 vor, dass abgeschobene Personen noch einmal für vier Wochen zurückkehren konnten, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Anschel Merser scheint aber nicht mehr nach Karlsruhe zurückgegangen zu sein.
Am 8. Mai 1939 ordnete der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, an, dass alle diese Menschen mit ihren Familien bis zum 31. Juli 1939 das Reichsgebiet zu verlassen hätten.
Wieder gab es eine groß angelegte Aktion der Polizei - am 27. Juni 1939 -, bei der alle diese Familien aufgesucht wurden und man ihnen dieses mitteilte und bei Widerstreben Abschiebungshaft in Konzentrationslagern androhte. Bei dieser „Gelegenheit“ erhoben die Beamten gleich mit, welche Pläne die noch Hiergebliebenen hätten, wann und wohin sie Deutschland zu verlassen gedachten. Sophie Merser, ihre Schwiegertochter Rosa sowie die Verwandten Manaster konnten oder wollten dabei offensichtlich keine Angaben machen.
Sicher ist, dass sie aufgrund dieser Drohung, Karlsruhe noch vor dem 31. Juli 1939 verließen und sich nach Polen begaben.

Albert und Sophie trafen sich nach einem vorliegenden Brief ihrer Tochter Clara und auch nach Informationen der Tochter Berta in Warschau, ihrer früheren Heimatstadt, wieder. Bis mindestens zum 6. April 1940 lebte Anschel Merser in Warschau. Es gibt einen Brief von Albert an die Kinder aus dieser Zeit.
In Warschau wurde im Oktober 1940 offiziell das Ghetto eingerichtet. Ob Anschel Merser dieses erlebte, wissen wir nicht, aber es muss doch sehr vermutet werden.

Albert Merser wurde zwischen Juli 1942 und Mai 1943 ermordet oder starb unter unbekannten Umständen.
Sophie Mersers Tod oder Ermordung muss vor dem 6. Februar 1940 erfolgt sein; später, im Jahr 1970, legte das Amtsgericht in Karlsruhe ihren Todestag auf den 5. Februar 1940 fest. Die Umstände sind auch bei ihr nicht bekannt.

Wie erging es den Kindern von Sophie und Albert Merser?

Sally (oder Szlana) Merser
Sally wurde als erstes Kind von Sophie und Albert Merser am 15.07.1891 in Warschau/Polen geboren. Mit den Eltern zog er im Jahr 1908, 17-jährig, von Berlin nach Karlsruhe.
In Karlsruhe heiratete Sally am 29. Juni 1920 Rosa (oder Syrinca Ruchla), geborene Manaster. Das Paar lebte in der Geranienstraße 28.

Rosa wurde am 28. Oktober 1892 in Baligrod/Lisko, heute Polen, damals Österreich-Ungarn, geboren. Ihre Eltern hießen Mordko und Ehaja Bajla Manaster.

Sally und Rosa sind die Eltern von Berta Helene (geboren am 11. Juli 1920), also von jener Berta, von der der Bericht weiter oben stammt.

Ein Jahr nach Berta kam ihr Bruder Max Leo (geboren am 22. August 1921) auf die Welt, am 15. April 1925 dann ihre Schwester Jutta. Von Jutta gibt es ein Foto, das sie zusammen mit anderen Kindern aus ihrer Klasse 7a 1937 in der jüdischen Schule zeigt.

Entgegen Bertas Erinnerungen fand ich in den Akten die Hinweise, dass Sallys Beruf der Beruf des Handlungsreisenden für Waschartikel war. Nach 1933 musste er die Reisen aufgeben und bei seinem Schwager Efraim Manaster in dessen Manufakturwarengeschäft in der Bachstraße helfen. Rosa, die ihrem Mann als Reisende geholfen hatte, half aber während dieser Zeit auch bei ihrem Bruder Efraim mit.

Sally und sein Sohn Max wurden am 28. Oktober 1938 wie der Vater bzw. Großvater Anschel nach Polen zum Grenzort Zbaszyn (Bentschen) ausgewiesen. Max war zu diesem Zeitpunkt gerade 17 Jahre alt.
Rosa und ihre Tochter Jutta wurden im Juli 1939 zusammen mit der Schwiegermutter Sophie Merser nach Polen abgeschoben.
Aufgrund Bertas Bericht kann man annehmen, dass sich die Familie in Warschau wieder treffen konnte, wahrscheinlich trafen sie auch die Großeltern.
Berta war die einzige Überlebende der fünfköpfigen Familie, Sally, Rosa, Jutta und Max wurden mangels Informationen über ihr weiteres Schicksal formal zum 31. Dezember 1945 für tot erklärt.

Gittel oder Margarete
Gittel, die Zweitälteste, war am 29. Juni 1894 in Berlin geboren.
Sie heiratete am 28. April 1922 in Karlsruhe den am gleichen Tag 1892 im galizischen Brzesko geborenen Kaufmann Markus Grün. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, Chaim (vor der Verheiratung am 14. Januar 1921 geboren) und Recha (am 1. Juli 1924 geboren). Markus Grün betrieb ein Textilgeschäft. Nach der späteren Aussage von Gittel war er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten für einige Wochen im Gefängnis. Näheres konnte nicht ermittelt werden. Die Erfahrungen waren aber wohl Anlass, Deutschland zu verlassen. 1935 ging er nach Italien, im folgenden Jahr folgte Gittel mit der Tochter. Die Familie lebte in Triest, betrieb ein kleines Geschäft und die Kinder besuchten Schulen dort. Bis zu den antijüdischen Gesetzen 1938, demnach ausländische Juden Italien innerhalb sechs Monaten zu verlassen hatten. Markus Grün wurde 1939 für kurze Zeit interniert, wohl weil er dieser Bestimmung nicht nachgekommen war, Gittel ging nach Rom. Beiden Kindern gelang es etwa zeitgleich, nach Palästina zu kommen. Die Eltern jedoch befanden sich in einer aussichtslosen Lage, waren mittellos und mussten von der jüdischen Gemeinde in Rom versorgt werden. Im Oktober 1940 ging es weiter, nach Lissabon in Portugal, dem einzigen Tor in Europa nach Amerika. Doch offensichtlich verzögerte sich alles. Anfang 1942 gingen Gittel und Markus Grün an Bord des portugiesischen Dampfers „Serpa Pinto“, der über die Karibik nach New York ging. Offensichtlich hatten sie kein Visum für die USA und mussten in der britischen Kolonie Jamaika landen. Dort wurden sie interniert, im Lager Gibraltar nahe der Hauptstadt Kingstown. Einzelheiten ihres Lebens dazu fehlen. Im Februar 1945 konnten sie die Insel verlassen, doch nur um auf die nächste zu gelangen, nach Kuba. Hier hieß es wieder warten, eineinhalb Jahre lang, ehe die ersehnte Einreiseerlaubnis in die USA 1946 erteilt wurde. Gittel und Markus Grün ließen sich in Brooklyn nieder. Doch Krankheit und das erlittene Schicksal ließen ihnen keine Chancen mehr, sich empor zu arbeiten. Sie erlebten eine arme Existenz.

Louis Merser
Es gibt eine Quelle, die besagt, dass Louis am 20. März 1895 in Berlin geboren wurde, was aber nicht sicher ist, da das Geburtsdatum seiner Schwester Fanni mit Januar 1895 angegeben wurde. Eines der beiden Geburtsdaten kann also nicht stimmen (leider ist es bislang über das Standesamt in Berlin nicht möglich, die korrekten Angaben festzustellen).
Louis hatte wahrscheinlich keine eigene Familie. Er machte sich als Kaufmann selbständig, wohnte um 1929 in der Mondstraße 5 und im Jahr darauf in Karlsruhe-Dammerstock, in der Gustav-Specht-Straße 5, dies war seine letzte Wohnadressen. Ab 1931 ist er in Karlsruhe nicht mehr nachweisbar. Vielleicht ging er von hier aus nach Frankreich?
Weiter ist nichts über sein Leben, seinen Beruf, seinen Werdegang bekannt.
Im Jahr 1940 gab es ein letztes Lebenszeichen von ihm aus Paris. Louis wurde vermutlich zwischen 1940 und 1945 ermordet.

Fanni
Fanni soll am 23. Januar 1895 in Berlin geboren worden sein. Das Geburtsdatum ist nicht sicher, da ihr Bruder Louis im März desselben Jahres geboren sein soll.
Sie konnte rechtzeitig vor der Verfolgung emigrieren und ging in die USA. Hier heiratete sie Irving Wasser, beide hatten drei Kinder (Mildred, Elaine und Claire). Fanni starb am 8. September 1967.

Anna
Anna wurde am 6. April 1898 in Berlin geboren.
Sie heiratete am 14. Dezember 1920 in Karlsruhe den im saarländischen Neunkirchen lebenden Kaufmann Pinkas Singer. Geboren war er am 30. Dezember 1890 im galizischen Mosciska. Die Familie lebte mit ihren Kindern in Neunkirchen, zog 1924 nach Frankfurt a.M., kam aber 1930 wieder nach Neunkirchen zurück, hier hatten sie ihren letzten deutschen Wohnsitz. Noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges gelang es der Familie nach Frankreich zu entkommen. Dorthin wurden sie am 2. Juli 1939 amtlich abgemeldet, sie lebten in Paris. Dort verstarb Pinkas Singer noch vor dem Beginn der Deportationen unter nationalsozialistischer Verantwortung. Die letzte Spur von Anna findet sich noch einmal im Sammellager Pithiviers, Frankreich. Am 3. August 1942 wurde Anna von dort ins KZ Auschwitz transportiert und ermordet.

Berta
Berta wurde am 7. August 1899 in Berlin geboren.
Sie lebte mit ihrem Mann Josef Lachs und ihren Kindern Leo (geboren 1927) und Jutta Fanny oder Judith (geboren 1931) in Karlsruhe, zuletzt unter der Adresse Werderstraße 18. [Heirat leider nicht feststellbar]
Auch ihr Mann Josef wurde am 28. Oktober 1938 nach Polen ausgewiesen, sie und die Kinder mussten im Juli 1939 nachfolgen.
Ein letztes Lebenszeichen der Familie gab es aus Kolomea im polnischen Galizien, dem Geburtsort ihres Mannes. Mangels weiterer Informationen wurde die Familie zum 31. Dezember 1945 für tot erklärt.
Für Familie Lachs gibt es eigene Einträge im Gedenkbuch.

Jacob Merser, später Merzer
Jacob wurde am 7. November 1904 in Berlin geboren. Zuletzt lebte er in Karlsruhe in der Brunnenstraße (damals hieß sie Durlacher Straße) 37, von Beruf war er Handlungsreisender. Zu einem uns unbekannten Zeitpunkt ging er nach Frankreich und lebte zumindest um 1931 eine zeitlang in Belfort. In jenem Jahr verheiratete er sich mit Sonja Kuschlin, die am 21. Juni 1907 in Wilna geboren war. Ihre Eltern kamen bereits 1909 nach Deutschland und lebten 1931 in der Kriegsstraße 85. Das junge Ehepaar lebte vermutlich anfangs in Frankreich, ging aber 1934 nach Saarbrücken, zu einem Zeitpunkt als das Saargebiet noch unter französischer Verwaltung stand.
Jacob, der sich inzwischen auch Jacques nannte, konnte im Jahr 1935 in die USA ausreisen, seine Ehefrau Sonja, geborene Kuschlin, und seine Tochter Yvonne (geboren 1933) kamen im Februar 1936 nach.
In den USA kamen noch zwei weitere Kinder zur Welt: Liliana Sofia, geboren wahrscheinlich im Jahr 1942 und Beatrice, geboren wahrscheinlich im Jahr 1945.
Jacob starb am 22. Februar 1964.

Klara oder Clara, später Clare
Klara wurde am 26. Mai 1910 in Karlsruhe geboren. Sie erlernte in Karlsruhe den Beruf der Sekretärin. Ihre letzte Adresse in Karlsruhe war ebenfalls die Brunnenstaße (Durlacher Straße) 37. Es gibt ein Foto von ihr im Buch „Juden in Karlsruhe“, Sportclub Hakoah von 1935. Im Jahr 1935 ging sie nach Saarbrücken. Von hier wanderte sie ein Jahr später in die USA aus.
Klara stand mit den Eltern bis Oktober 1938 in Briefkontakt, der dann aber abbrach. Sie erhielt Anfang 1940 die Nachricht, dass die Mutter in Warschau gestorben war, der Vater lebte noch.
Klara heiratete ihren Ehemann Herrn Isacson und lebte in den 1960er Jahren in New York. Hier arbeitete sie als Kellnerin.
Klara verstarb im Jahr 2001.

Berta (Batsheva) Segerzmann, geborene Merser, hat im Andenken an ihre durch den nationalsozialistischen Terror verlorenen Eltern, Geschwister und alle Verwandten in Yad Vashem in Jerusalem Gedenkblätter niedergelegt, damit sie niemand vergessen möge.

(Monika Dech, Februar 2010)

Quellen und Literatur:
Generallandesarchiv Karlsruhe: 480/26093, 27792, 27793, 28204-28206;
Stadtarchiv Karlsruhe: 6/BZA 8908; 8/StS 34/136, 19, 21 und 58f.
ITS Arolsen: VCC 155/XII Ordner 26
Louis Maier, Schweigen hat seine Zeit, S. 86;
Josef Werner, Hakenkreuz und Judenstern, S. 480;