Müller, Klara

Nachname: Müller
Vorname: Klara
geborene: Ladenburger
Geburtsdatum: 18. Mai 1904
Geburtsort: Karlsruhe (Deutschland)
Familienstand: verheiratet
Eltern: Leopold und Karoline L.
Familie: Ehefrau von Arnold M.;
Schwester von Gerda
Adresse:
Kaiserstr. 99,
Herrenstr. 9,
Bismarckstr. 77
Beruf:
Hausfrau
Deportation:
22.10.1940 nach Gurs (Frankreich),
10.8.1942 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Sterbeort:
Auschwitz (Polen)

Biographie

Leopold und Karoline Ladenburger, Arnold und Klara Müller

Am 10. Juni 1869 heirateten Salomon Hirsch Ladenburger (geboren 1841), seines Zeichens Viehhändler, und Karoline Reichert (geboren 1845). Salomon, ältester Sohn von insgesamt acht Geschwistern, stammte aus einer alteingesessenen Familie aus Ittlingen, Karoline aus Berwangen, beides benachbarte Dörfer im Kraichgau nahe Eppingen. Beide Familien lassen sich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts nachweisen. Ittlingen hatte zu jener Zeit etwa 1.400 Einwohner, Berwangen etwa 1.000, mit einem jüdischen Bevölkerungsanteil von knapp 10 Prozent bzw. 15 Prozent.
Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, zwei starben im Babyalter. Lazarus Ladenburger, der später Leopold genannt wurde (wir behalten diesen Namen bei), war das zweite dieser vier Kinder, er wurde am 15. Oktober 1871, einem Sonntag, in Ittlingen geboren. Die Mutter, Karoline Ladenburger, starb am 11. Mai 1875 nach der Geburt des vierten Kindes an Kindbettfieber. Salomon Hirsch Ladenburger heiratete bald darauf wieder, und zwar die aus Gemmingen, ebenfalls eine Kraichgau-Gemeinde, stammende Karoline Richheimer, mit der er vier weitere Kinder hatte.

Nach Absolvierung der Ittlinger Volksschule besuchte der junge Leopold die dreijährige Höhere Bürgerschule in Eppingen. Danach - es muss um 1887/1888 gewesen sein - kam er als Lehrling zu der renommierten Eisenwaren-Großhandlung Ettlinger & Wormser in Karlsruhe, die seinerzeit in der Herrenstraße 13 ihren Sitz hatte. Diese Firma war in dieser Branche die älteste in Karlsruhe, ihre Anfänge gehen auf das Jahr 1811 zurück.
War dies der Wunsch des jungen Leopold, seine berufliche Zukunft in der prosperierenden Landesmetropole zu suchen, war es der Wille des Vaters, der als kluger, vorausschauender Kaufmann und Vater für seinen ältesten Sohn eine bessere Zukunft in der Großstadt Karlsruhe als in der dörflichen Enge sah? Wie auch immer, diese Entscheidung erwies sich als richtig, wie zu zeigen sein wird.
Leopold Ladenburger wohnte bei seiner Lehrfirma in einem kleinen möblierten Zimmer, der Vater zahlte dafür, dass der Sohn dort eine Ausbildung machen durfte - wie es damals fast überall im Lande üblich war - und für Kost und Logis, ein „Lehrlingsgehalt“, wie heute obligatorisch, gab es nicht. Nach der Lehre blieb er als Handlungsgehilfe bei Ettlinger & Wormser. Mit Beharrlichkeit, Engagement, Fleiß und kaufmännischem Sensus für Geschäfte und gute Kundenbeziehungen erarbeitete er sich einen festen Platz in der Firma, so dass es ihm wirtschaftlich möglich wurde, eine Familie zu gründen. Er heiratete - mutmaßlich - im Jahre 1903 Kathie, genannt Karoline, Zion aus Bonfeld, ebenfalls im Kraichgau gelegen, heute Ortsteil von Bad Rappenau. Sie war die einzige Tochter von Seligmann Zion, der dort eine Metzgerei betrieb, und Auguste Wimpfheimer aus Ittlingen.
Karoline Zion war Ende der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts nach Karlsruhe gekommen, um im Hotel „Nassauer Hof“ in der Kriegsstraße 88 - so die Tochter Gerda vom Hörensagen - eine Ausbildung als Köchin zu absolvieren, für die damalige Zeit sicherlich sehr ungewöhnlich.

Mit der Hochzeit nahmen Leopold und Karoline Ladenburger ihre erste gemeinsame Wohnung in der Kaiserstraße 99. Am 18. Mai 1904 wurde die Tochter Klara geboren.
1908 nahm auch der Bruder von Leopold, Moritz (geboren 1879), im gleichen Haus Domizil. Er gründete eine Papierwarengroßhandlung in der Karl-Wilhelm-Straße 40. 1912 zog er in die Durlacher Allee 25 und hatte hier auch seine Geschäftsräume. 1910 zog auch der andere Bruder Ferdinand (geboren 1877) mit Familie in das Haus Kaiserstraße 99. Ferdinand Ladenburger war 1906 nach Karlsruhe gekommen und hatte mit seinem Geschäftspartner Wolf die Schuhgroßhandlung Ladenburger & Wolf gegründet, ebenfalls in der Karl-Wilhelm-Straße 40. Am 27. Oktober 1906 starb der Vater von Leopold Ladenburger, Salomon Hirsch Ladenburger, in Ittlingen. Seine Witwe Karoline, Leopold Ladenburgers Stiefmutter, zog 1912 zu ihrem Sohn Moritz nach Karlsruhe, nachdem auch die jüngste Tochter Berta (geboren 1888) als letzte der Kinder geheiratet hatte und von Ittlingen wegzogen war.

Am 15. Juli 1914 wurde den Eheleuten Leopold und Karoline Ladenburger der Sohn Hans geboren. Er starb am 3. August 1917 an Lungenentzüdung, die er sich durch die zahlreichen Kelleraufenthalte während der Fliegerangriffe zugezogen hatte, wie Gerda Ladenburger berichtete.
Klara besuchte - nach der vierjährigen Volksschulzeit in der Pestalozzischule in der Ständehausstraße (der Name der Schule, die im Zweiten Weltkrieg durch Bomben völlig zerstört und später abgerissen wurde, ging 1947 auf die Durlacher Hindenburgschule über) - das Fichtegymnasium in der Sophienstraße vom 13. Oktober 1914 bis 1921, das sie mit dem Abitur abschloss. Danach trat sie ebenfalls in die Firma Ettlinger & Wormser ein, um eine kaufmännische Lehre zu absolvieren. Nach der Ausbildung blieb sie in der Firma als Büroangestellte.
1915 war die Familie Leopold Ladenburger in das Haus Herrenstraße 9 eingezogen; im Hinterhaus befanden sich auch die Geschäftsräume der Firma Ettlinger & Wormser. Der Firma gehörte auch das Wohnhaus. Diese Wohnung blieb das Domizil der Familie für die nächsten 23 Jahre. 1917 bezog auch die Familie des Bruders Ferdinand in diesem Haus eine Wohnung, bis dieser im Jahre 1925 in sein eigenes Haus in der Vorholzstraße 56 umzog.
1921 wurde Leopold Ladenburger aufgrund seiner Verdienste um die Firma zum Prokuristen bestellt, er war zu dieser Zeit - wie man so sagt - die „Seele vom Geschäft“.

Am 22. April 1922 wurde als „Nachzüglerin“ und „Nesthäkchen“, 18 Jahre nach der Geburt der Tochter Klara, die Tochter Gerda geboren - ein überaus freudiges Ereignis für die Familie, vor allem nach dem schmerzlichen Tod des Sohnes Hans.
Auch Ferdinand Ladenburger und seine Frau Johanna bekamen noch nach 14-jähriger Pause seit Geburt der ersten Tochter Else (geboren 1908) am 5. Juni 1922, also nur sechs Wochen später, eine zweite Tochter, Hilde. Gerda Ladenburger schreibt, sie und Hilde seien in ihren Kindertagen wie unzertrennliche Zwillinge gewesen, immer herzlich und liebevoll zu einander, bis heute vermisse sie ihre Cousine sehr.
Gerda Ladenburger erinnert sich an ihre Familie:
„Mein Vater war ein großartiger Mann, ehrlich, ausgesprochen sympathisch, hilfreich, ehrgeizig, ein liebevoller Vater für meine Schwester und mich und ein wunderbarer Ehemann für meine Mutter. Er liebte gutes Essen, ein Glas guten Weines und seine Zigarren.
Meine Mutter war ein Engel, sie wirkte für den israelitischen Frauen- und Frauenwohltätigkeitsverein und half den Lebenden und den Sterbenden, sie war bei allen beliebt. Unser Haus war offen für jeden in Not. Ihr Leben galt meinem Vater, meiner Schwester Klara und mir.“
Die Ladenburgers pflegten ein gastliches Haus für viele, viele Freunde und Bekannte, zu denen eine schier endlose Zahl bekannter jüdischer Namen jener Zeit aus dem Karlsruher Wirtschafts- und Kulturleben gehörte. Auch zu ihrer Schwester Klara - auch Clairle genannt - hatte Gerda ein besonders inniges Verhältnis: „Sie war wie eine zweite Mutter zu mir“, schreibt sie.
1928 kam Gerda zur Schule, sie besuchte - wie schon ihre Schwester 18 Jahre zuvor - die Pestalozzischule in der Ständehausstraße, danach absolvierte sie noch für einige Monate Koch- und Nähkurse an der Dominikanerinnenschule in Karlsruhe. Glücklicherweise blieben ihr als Jüdin Diskriminierungen seitens der Mitschülerlinnen und Lehrer erspart.

Anfang 1930 liquidierte die Firma Ettlinger & Wormser - nach fast 120-jährigem Bestehen. War die Weltwirtschaftskrise mit den verheerenden Auswirkungen die Ursache, gab es andere Gründe? Wir wissen es nicht. Jedenfalls verlor Leopold Ladenburger nach über 40-jähriger Tätigkeit für diese Firma seine Existenz, die Tochter Klara ebenfalls. Mit fast 60 Jahren entschloss er sich zur Selbständigkeit mit all dem Wissen und den gesammelten Erfahrungen in seiner Branche. Im Juli desselben Jahres startete er seine eigene Firma Leopold Ladenburger in der Sophienstraße 116 im Hinterhof einer Baufirma. 1932 konnte er seine Geschäftsräume in die Herrenstraße 4, schräg gegenüber seiner Wohnung in die Räume einer vormaligen Gastwirtschaft, heute Gebäudekomplex der Badischen Beamtenbank, verlegen. Dieser Schritt in die Selbständigkeit war für die damalige Zeit ein enormes wirtschaftliches Risiko und erforderte sehr viel Mut und Selbstvertrauen. Die Tochter Klara, die er mit in das Geschäft nahm, war die „gute Seele“ im Innendienst, ohne sie lief nichts. Die Größe des Betriebes lässt aber darauf schließen, dass es eher eine bescheidene Existenz für die Familie war.

Im Hause Herrenstraße 9, in dem die Familie wohnte, hatten Albert und Bernhardine Klein ein Manufakturwarengeschäft, sie wohnten auch in diesem Haus. Bernhardine Klein stammte aus dem bayerischen Dorf Binswangen, heute zum Landkreis Dillingen gehörend; sie war eine geborene Leiter. Natürlich hatten Ladenburgers und Kleins engen Kontakt. Der Vater von Bernhardine Klein, Ludwig Leiter, Viehhändler in Biswangen, kam 1934 mit seiner Frau nach Karlsruhe, nachdem ihm seine Viehhändler-Lizenz als Jude entzogen worden war. Zunächst wohnten er und seine Frau bei der Tochter, bis sie eine Wohnung in der Marienstraße 63 fanden.
Ludwig Leiter wirkte als „Schadchen“ (traditionell jüdischer Heiratsvermittler), er brachte den Binswangener Arnold Müller, geboren am 29. Juni 1906, Sohn des Metzgers Jacob Müller und seiner Frau Johanna geb. Heinemann, mit Klara Ladenburger zusammen.
So heirateten Arnold Müller, gelernter Koch, und Klara Ladenburger am 17. Februar 1935 in Karlsruhe.
Gerda Ladenburger schreibt, es sei eine richtig schöne Hochzeit gewesen.
Arnold Müller, das neue Mitglied der Familie, lebte mit seiner Frau Klara in der schwiegerelterlichen Wohnung. Und Leopold Ladenburger nahm seinen Schwiegersohn in seine Firma, hier war er als Lagerist und Reisender tätig.
Am 5. Oktober 1936 brachte Klara Müller ein totes Mädchen zur Welt. Die Eltern hatten sich so auf ihr Kind gefreut. Für die ganze Familie war dies ein überaus trauriges Ereignis.

Die Naziparole "Kauft nicht beim Juden" blieb auch nicht ohne Auswirkungen auf das Geschäft von Leopold Ladenburger. Die Kunden blieben weg, einer nach dem anderen. Es war ein wirtschaftliches Siechtum, das schließlich am 30. Dezember 1938 aufgrund der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft“ mit der Löschung der Firma im Handelsregister auch sein formales Ende fand. Von da ab musste die Familie von dem wenigen Ersparten, was noch geblieben war, leben.
Dessen nicht genug, alle jüdischen Bewohner des Hauses Herrenstraße 9 wurden Ende 1938 nach der Arisierung des Grundstücks - das Haus gehörte seinerzeit zur Firmengruppe der Kaufhauskette Hermann Tietz, die von Georg Karg übernommen wurde, das Karlsruher Kaufhaus erhielt den Namen „Union“ - aus ihren Wohnungen hinausgeworfen. Die Familien Ladenburger, Müller und Klein fanden ein neues Domizil in der Bismarckstraße 77.
Als am 10. November 1938 die „braune Diktatur“ in den Pogromen im ganzen Lande ihr wahres Gesicht zeigte, die Synagogen brannten, jüdische Geschäfte verwüstet wurden, die männlichen Karlsruher Juden größtenteils verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau transportiert wurden, blieben auch Leopold Ladenburger und Arnold Müller nicht verschont.
Leopold Ladenburger wurde zwar am Morgen dieses Tages verhaftet, aber jemand brachte ihn am selben Abend wieder nach Hause, wohl wegen seines Alters. Arnold Müller hingegen kam am 11. November 1938 nach Dachau und erhielt dort die Häftlingsnummer 22180 und musste - wie alle anderen Häftlinge - die endlosen Erniedrigungen, auch körperliche Misshandlungen erfahren. Kurz vor Weihnachten 1938 wurde er wieder entlassen und kam zurück nach Karlsruhe.

Diese Ereignisse veranlassten Leopold und Karoline Ladenburger, wenigstens für die damals 16-jährige Tochter Gerda ein sicheres Land zu finden. Die großartige, bewundernswerte, von dem „Refugee Children’s Movement“ (RCM) in England initiierte Rettungsaktion von 10.000 jüdischen Kindern ab Dezember 1938, vor allem aus Deutschland und Österreich, in die Geschichte - auch in der englischen Sprache - als „Kindertransport“ eingegangen, bot Gelegenheit, auch Gerda nach England in Sicherheit zu bringen, nicht zuletzt auch begünstigt durch eine in England lebende befreundete Familie. Am 6. Juni 1939 war es endlich soweit, Gerda wurde zum Hauptbahnhof in Karlsruhe gebracht zu einer langen Reise. Gerda Ladenburger: „Es war ein trauriger und Angst einflößender Tag und eine Nacht. Es war mehr oder weniger das erste Mal, dass ich alleine war, und niemand war da, um die Tränen zu trocknen.“ Es war ein Abschied für immer, ihre Eltern, ihre Schwester und Schwager konnte sie nie mehr wiedersehen. Die Eltern waren einerseits erleichtert in der Hoffnung, dass die Tochter in einigen Stunden in Holland und damit in Sicherheit sein würde, andererseits waren sie natürlich tieftraurig. Ob sie wohl geahnt haben, dass es ein Abschied für immer war?
Die Zugfahrt des „Kindertransports“ ging zunächst - mit vielen Zwischenstopps, andere Kinder stiegen zu - nach Hoek van Holland. Große Erleichterung empfanden alle Kinder als endlich die holländische Grenze bei Bentheim überquert wurde, die Gefahr war vorbei. Von Hoek van Holland ging es mit dem Fährschiff nach Harwich im Südosten Englands, wo sie - mit einem Schild um den Hals mit Namen und Permit-Nummer - zusammen mit ungezählten anderen Kindern am Folgetag eintraf.
Nach einem Zwischenaufenthalt in einem Holiday Camp ging es dann mit der Bahn nach London. Am Bahnhof Liverpool Street wurde sie von Freunden der Eltern abgeholt und von diesen nach ein paar Tagen von ihrer „Pflegefamilie“ Neuberger übernommen. Bei den Neubergers mit ihren drei Kindern und Eltern in London lebte sie dann die nächsten drei Jahre. Für ein Dach über dem Kopf und Essen und Trinken arbeitete sie für die Familie als Kindermädchen und Hausgehilfin. Und sie erinnert : „Unmengen von Abwasch und schmutziger Wäsche. Wegen der ständigen Luftangriffe lebten wir fast ständig im Luftschutzkeller im rückwärtigen Teil des Hauses.“
Nach den Neubergers kam sie zu der „Pflegefamilie“ Gradenwitz in Hindon (Nähe Salisbury/Südwest-England ). Hier lebte und arbeitete sie zu gleichen Bedingungen wie zuvor.
Schließlich konnte sie endlich am 21. Februar 1946 in Southampton das Schiff, einen Truppentransporter, auf dem sie während der Überfahrt als Stewardess- für freie Überfahrt und einen bescheidenen Lohn - arbeitete, besteigen; am 8. März 1946 kam sie überglücklich in New York an, Verwandte hatten ihr die notwendigen Papiere übersandt.
Viel zu spät entschlossen sich auch Leopold und Karoline Ladenburger zur Auswanderung in die USA. Die hohe Quotennummer beim Konsulat in Stuttgart gab jedoch kaum Hoffnung auf eine Realisierung des Auswanderungswunsches.

Am 22. Oktober 1940 wurden die badischen und saarpfälzischen Juden in einer „Blitzaktion“ nach Gurs in Südfrankreich deportiert, mit ihnen auch die Ladenburgers, Müllers, Leiters und so viele Freunde und Bekannte aus Karlsruhe. Die erbärmlichen Lebensverhältnisse im Lager führten dazu, dass vor allem die alten Menschen in großer Zahl - schon in den ersten Wochen und Monaten starben. Auch Leopold Ladenburger starb am 20. Mai 1941 in Gurs, er wurde nicht einmal ganz 70 Jahre alt.
Am 10. August 1942, also 15 Monate später, wurden Karoline Ladenburger und die Tochter Klara Müller von Drancy bei Paris mit Transport Nr. 17 nach Auschwitz deportiert. Der Transport umfasste 1006 Personen; davon wurden bei der Ankunft 766 sofort vergast, 140 Männer und 100 Frauen wurden auf der Rampe selektiert. Von diesen hat ein einziger Auschwitz überlebt.
Arnold Müller kam mit dem Transport Nr. 29 am 7.9.1942, also vier Wochen später als seine Frau und seine Schwiegermutter, von Drancy nach Auschwitz. Von dem 1000 Personen umfassenden Transport wurden 889 sofort nach Ankunft vergast, 59 Männer und 52 Frauen wurden „zur Arbeit“ auf der Rampe selektiert, darunter auch Arnold Müller. Er erhielt die Häftlingsnummer A 5603. Von diesem Transport hatten 34 Auschwitz überlebt, darunter auch Arnold Müller. Aber sein Tod war nur aufgeschoben. Als nämlich Auschwitz, Birkenwald und Monowitz mit den zahlreichen Nebenlagern wegen der heranrückenden sowjetischen Front Mitte Januar 1945 geräumt wurden, wurden die noch lebenden Häftlinge, das waren zu über 90 Prozent Juden, bei bitterer Kälte und Schnee größtenteils zu Fuß in das Konzentrationslager Groß-Rosen (bei Breslau gelegen) getrieben, soweit sie nicht auf diesem Marsch zu hunderten und Aberhunderten von der SS erschossen wurden oder vor Erschöpfung liegen blieben und starben. Auch Arnold Müller kam so nach Groß-Rosen. Nach einigen Tagen Aufenthalt wurden diejenigen, die noch am Leben waren, in offenen Güterwagen, nur bekleidet mit der dünnen Häftlingskleidung, kahlgeschoren, ohne Verpflegung in das Konzentrationslager Buchenwald (bei Weimar) transportiert und hier in das so genannte. „Kleine Lager“ gebracht. Unter kaum vorstellbaren Bedingungen mussten sie hier auf engstem Raum kampieren. Die SS brauchte diese Menschen gar nicht mehr erschießen, sie starben an Erschöpfung, an Hunger zu Tausenden. Arnold Müller kam am 10. Februar 1945 in Buchenwald an, er bekam die Häftlingsnummer 130801. Zwei Wochen später, am 26. Februar 1945, starb er in Buchenwald.

Gerda Ladenburger heiratete am 29. Dezember 1946 in New York Siegfried Meyer, geboren am 25. September 1919 in Massenbach, einem Kraichgau-Dorf, dem es als letztem seiner Familie 1938 gelungen war, in die USA auszuwandern. Am 9. Februar 2003 starb er in Florida. 56 glückliche Jahre verbrachten Gerda Ladenburger und Siegfried, genannt Siggi, miteinander. Sie haben zwei Söhne und fünf Enkelkinder. Alle leben in den USA.
1968 besuchte sie mit ihrem Mann und den Kindern Gurs. Sie besuchten das Grab ihres Vaters und vieler anderer Verwandter, Freunde und Bekannte - ein trauriger Tag für uns alle, wie sie schreibt: „Ich konnte ihren Schrei nach Hilfe hören und den Atem des Todes spüren.“
Zu den erwähnten anderen Personen ist nachzutragen:
Ferdinand Ladenburger, der Bruder von Leopold Ladenburger, starb am 30. August 1942 in Soumoulou, Frankreich. Dessen Tochter Hilde Ladenburger wurde am 4. September 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Ludwig Leiter starb am 29. November 1942 im Krankenhaus in Limoges, wohin er von dem Gurs-Nebenlager Nexon am 12. Oktober 1942 eingeliefert worden war. Seine Frau Maria wurde ebenfalls am 10. August 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Albert und Bernhardine Klein konnten noch 1940 mit ihrem neunjährigen Sohn Hans in die USA auswandern. Auch der Bruder Moritz konnte mit Familie rechtzeitig in die USA auswandern. Berta Ladenburger, verheiratete Grünebaum, wurde nach Polen deportiert und gilt als verschollen.

Wie für die meisten der Holocaust-Überlebenden, so stellte sich auch für Gerda Ladenburger, als sie von der Ermordung ihrer Familie erfuhr, diese Frage: „Ich fragte mich, wie es kam, dass ich überlebte, wenn keiner von der Familie mehr am Leben war.“

Anmerkung: Dieser Bericht hätte ohne Gerda Meyer Ladenburger nicht geschrieben werden können. Geduldig hat sie über viele Wochen viele, viele Fragen mit erstaunlich gutem Gedächtnis beantwortet. Ihr gilt mein Dank.

(Wolfgang Strauß, Oktober 2003)