Odenwald, Ferdinand
Nachname: | Odenwald |
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Vorname: | Ferdinand |
Geburtsdatum: | 3. Juli 1865 |
Geburtsort: | Berlichingen (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Eltern: | Lazarus und Gidel, geb. Strauß, O. |
Familie: | Ehemann von Mathilde;
Vater von Ludwig und Robert |
1899: Leopoldstr. 1,
1906: Hertzstr. 5,
1916: Dragonerstr. 11,
1930: Händelstr. 19
Biographie
Ferdinand Odenwald
In Berlichingen, heute Teil von Schöntal im Hohenlohekreis, wurden Juden als Einwohner erstmals im Jahr 1561 genannt. Die Höchstzahl der jüdischen Einwohner in dem bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts teilweise den Herren von Berlichingen und dem Zisterzienserkloster Schöntal gehörenden Ort wurde 1846 mit 249 Personen erreicht, das waren 20 % der Dorfbevölkerung. Doch die Bevölkerung insgesamt war bettelarm und so verließen ab Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts 400 Menschen ihren Heimatort. Im Jahr 1900 wurden nur noch 89 Juden am Ort gezählt.
Eltern und Geschwister in Berlichingen
Einer der jüdischen Abwanderer war Veis Löw (später Ferdinand) Odenwald, geboren am 3. Juli 1865. Er stammte aus einer alteingesessenen jüdischen Familie in Berlichingen, schon seine Großeltern, Samson Falk und Ziffa Odenwald und Joel Strauß und seine Frau Bräunle, geborene Feiß hatten hier gelebt. Das Sterberegister Berlichingen führt auch die Namen der Generation davor: Falk und Bella Odenwald, Samson Lazarus und Vißle Simson, Joel Benjamin Strauß und Breinle, geborene Feiß, Benjamin und Breinle Marx, Feiß Schalom.
Ferdinand Odenwald war das siebte von insgesamt acht Kindern des Bauern Leser (Lazarus) Odenwald (21.Oktober 1821) und seiner Frau Gidel, geborene Strauß (3. August 1822). Am 8. Oktober 1850 hatten sie geheiratet, zwischen 1851 und 1868 kamen acht Kinder zur Welt. Sie hießen, soweit bekannt, Bräunle, Samson, Bela, Joel, Löw, Veis (Faist) Löw (Ferdinand) und Sofie. Drei von ihnen starben 1864 im Alter von ein, drei und acht Jahren, ein Jahr vor Ferdinands Geburt. Die Geschwister besuchten wahrscheinlich die jüdische Schule im ersten Obergeschoss eines Hauses in der Hauptstraße. Der Lehrer war zugleich Schochet und Vorbeter in der Synagoge in der Mühlgasse, an deren Rückseite sich die Mikwe befand. Die Geschwister gingen mit den katholischen Kindern in die allgemeine Schule, zum Religionsunterricht wechselten sie zwei Häuser weiter. Der Religionslehrer war zugleich Schochet und Vorbeter in der Synagoge in der Mühlgasse, an deren Rückseite sich die Mikwe befand. Am 2. April 1868 starb der Vater Lazarus, mit noch nicht einmal 50 Jahren, kurz nachdem seine Frau Gidel am 11. März die Tochter Sofie zur Welt gebracht hatte. Am 26. November 1879 verstarb auch die 57-jährige Witwe Gidel Odenwald. Sie wurde, wie zuvor ihr Mann auf dem großen Jüdischen Friedhof in Berlichingen, für den, einer Legende nach, einst Götz von Berlichingen unentgeltlich den Platz zur Verfügung gestellt haben soll, beigesetzt. Ihr Grabstein trägt den Text: „wackere Frau, Krone ihres Gatten, Frau Gitel, Gattin des Leser Odenwald, Berlichingen, gest. am Mittwoch, dem 11. Kislew und begraben am Donnerstag, dem 12. Kislew“. Drei ihrer Kinder waren zu diesem Zeitpunkt volljährig, Ferdinand Odenwald war 14, seine Schwester Sofie erst elf Jahre alt. Pfleger der Kinder wurde Moses Kaufmann, der Wirt des gutgeführten koscheren Gasthauses „ Zur Krone“.
Heirat und Umzug nach Karlsruhe
1893 wanderte Ferdinand Odenwald von Berlichingen aus nach Karlsruhe ab. Am 15. Mai 1893 heiratete er Mathilde Strauss, geboren am 13. März 1873, an ihrem Heimatort Ulm/Donau.
In der Karlsruher Adressbuchausgabe für das Jahr 1894 (Stand Oktober 1893) wird der 28-jährige Kaufmann im Haus des Schirmfabrikanten Anselm Hirsch in der Kaiserstraße 153 geführt. In der ehelichen Wohnung brachte Mathilde Odenwald am 22. März 1894 ihren Sohn Ludwig zur Welt. Nach einem Umzug in die Leopoldstraße 1 im Jahr 1896 wurde dort am 25. Juni 1899 Robert geboren. Ab 1906 wohnte die Familie in der Hertzstraße 5, 1916 dann in der Dragonerstraße 11. 1930 zogen sie in die Händelstraße 19 um. Ihren Söhnen konnten die Eltern ein Hochschulstudium ermöglichen. Ludwig studierte Chemie an der Technischen Hochschule Karlsruhe, der fünf Jahre jüngere Robert wählte das Fach Medizin. Man weiß, dass Ferdinand Odenwald und später auch der ältere Sohn Ludwig, Mitglied in der Carl-Friedrich-Loge, einem der vielen Ableger der B´nai B´Brith-Loge, waren. Die Familie gehörte der liberalen jüdischen Gemeinde an.
“Rudolf Lincke´s Lackfabrik“
Im Adressbuch für 1899 (Stand November 1898) wurde Ferdinand Odenwald als Inhaber von „Rud. Lincke´s Lackfabrik, Grünwinkel“ vermerkt. Einem Kaufvertrag nach erwarb dieser Herr Lincke 1887 von einem Julius Wagner Gelände auf der Gemarkung Grünwinkel im Gewann „Schafwiesen“ oder „Dürrmaiersche Wiesen“. 1892 wurde im Verzeichnis der Abteilung IV (Nachlass- und Teilungssachen im Generallandesarchiv Karlsruhe) ein Kaufvertrag zwischen Rudolf Lincke und Ferdinand Odenwald eingetragen. Ferdinand Odenwalds Söhne gaben später übereinstimmend an, ihr Vater habe in diesem Jahr, 1892 die Firma gegründet, auf eigenem Grundstück und schuldenfrei.
Die Suche nach der Person „Rudolf Lincke“ war erfolglos und die geschäftliche Beziehung von Rudolf Lincke und Ferdinand Odenwald blieb rätselhaft. So wurden beispielsweise zwei Rechnungen im Stadtarchiv Karlsruhe gefunden, beide ausgestellt 1899 und mit unterschiedlichen Briefköpfen. „Rudolf Lincke´s Lackfabrik Grünwinkel-Karlsruhe, Ferd. Odenwald“, Telegramm-Adresse: Lackfabrik Grünwinkel. Ein Engel, der eine Krone in Händen trägt, ziert den Briefkopf, über ihm steht der Slogan „Dem Besten die Krone“ und darunter „eingetragene Schutzmarke“. Als Produkte der Firma werden im Briefkopf aufgeführt die Spezialität Bernstein- und Linoleum- Fußboden – Glanzlacke mit Farbe, sämtliche fette Lacke in allen Preislagen, Glasuren und Spirituslacke für alle Gewerbe. Auf der zweiten Rechnung an einen Herrn Fischer in Weinheim wirbt die Lackfabrik Lincke, Daxlanden–Karlsruhe, Post Grünwinkel, Telegramm- Adresse: Lincke, Daxlanden im Briefkopf für ihre Emaille-Ofen-, Copal-, Bernsteinlacke und mehr. Dazu preist sie ihre Fußbodenlacke an, mit amtlich eingetragener Schutzmarke Dachs. Die Mitte des Firmenlogos ziert ein solcher, stehend neben einem Lackeimer im Lorbeerkranz.
Ab 1909, dem Jahr der Eingemeindung von Grünwinkel zu Karlsruhe, wurde „Lincke´s Lackfabrik, Inh. Ferd. Odenwald, Hauptstraße 97“ (Tel.: 1281) im Karlsruher Adressbuch verzeichnet. 1910 steht im Anhang Daxlanden, nun ebenfalls eingemeindet, der Eintrag „Lincke´s Lackfabrik, Inh. Ferd. Odenwald, Hardtäcker“ (Tel.: 1577). Nach der Straßenumbenennung 1911 infolge der Eingemeindungen lagen beide Anwesen an der neuen Durmersheimerstraße, die in Grünwinkel begann und mit nur drei Anwesen auf Daxlander Gemarkung endete. Ab der Ausgabe 1912 gehörte das Anwesen Durmersheimerstraße 196 der Lincke Lackfabrik, Frau Rud. (Alma) Lincke.
Die Fabrik in der Durmersheimerstraße 12 wurde ab1916 ausschließlich unter dem Namen Ferdinand Odenwald geführt.
Die Chemische Fabrik Ferdinand Odenwald
Nach Abschluss seines Chemiestudiums 1919 trat der Sohn Ludwig in die Firma ein.
1922 erschien diese große Anzeige im Adressbuch:
FERD. ODENWALD
Chemische Fabrik
Herstellung aller Lacke für Industrie und Gewerbe
Parkettwachs-Fabrik- Maschinenöl-Groß-Import
Telephon-Anschluß - Nr. 717, 1281 und 1974
Goldene Medaillen für hervorragende Leistungen
Gegründet 1892
Karlsruhe- Grünwinkel
Die Kontoristin Martha Steinel, die 1913 als 15-Jährige in die Firma Odenwald eingetreten war, berichtete 1953: „… in der Herstellung stützte sich der Betrieb auf einen Lacksieder als Fachmann … außerdem wurde eine Reihe von Frauen beschäftigt … die Zahl … wechselte zwischen drei und sechs“. Die benötigten Maschinen und Farbmühlen, ein Schmelzhaus mit Kesseln waren natürlich vorhanden. Zur Herstellung „besonders schwerer Lacke“, wie sie hauptsächlich Autofirmen benötigten, wurden bis 1933 ausländische Rohstoffe wie „Leinöl, Terpentinöl, Shellakk und Copale“, die im Inland nicht produziert wurden, bezogen. Der Transport erfolgte zunächst mit eigenen, pferdebespannten Fuhrwerken, ab etwa 1930 mit eigenem Lastwagen und einem Kastenwagen. Der Kundenbereich erstreckte sich über Baden und Württemberg bis nach Bayern. Die Stadt Karlsruhe orderte Odenwalds Erzeugnisse für die Bereiche Hoch- und Tiefbauamt, Stadtverwaltung, die Krankenanstalten, das Gaswerk und die Straßenbahn und von der Deutschen Reichsbahn erhielten die Firma Großaufträge. Der Betrieb belieferte die größeren Malergeschäfte in Karlsruhe und Umgebung, dazu Betriebe wie Haid & Neu, Gritzner, die Brauerei Sinner und Mercedes-Benz, dazu Magirus in Ulm. Im Büro der Firma waren in diesen Jahren fünf bis sechs Personen beschäftigt, einschließlich dem Junior Ludwig Odenwald, der den Außendienst übernahm.
Familie Ludwig und Else Odenwald
Etwa 1920 heiratete Ludwig Odenwald Rosalie Else Oestreicher (die Namensschreibweise differiert manchmal auch zu Östreicher), geboren am 28. September 1902 in Heidelberg. Sie war die Tochter von Albert Oestreicher, geboren am 12. April 1874 in Mingolsheim und seiner Ehefrau Selma, geborene Fürst, die am 3. August 1879 in Metz zur Welt gekommen war, dort war auch 1901 ihre Hochzeit. Ein Nachbar glaubte später sich daran zu erinnern, dass das Ehepaar Oestreicher zwei Kinder hatte, die die höhere Schule besuchten und er gab auch zu Protokoll, Albert Oestreicher sei „ein reicher Mann“ gewesen. Er war Teilhaber einer einst von seinem Großvater begründeten „ Zigarrenfabrik in Mingolsheim“. Seine Geschäftspartner waren der Schwager Ferdinand Neumann und dessen Sohn Theo. Die Fabrik war die größte von insgesamt sechs Zigarrenfabriken am Ort und ein geschätzter Arbeitgeber. Albert Oestreicher fuhr täglich von seiner Wohnung in der Dantestraße in Heidelberg in die Firma, vermutlich mit der Eisenbahn.
Das Ehepaar Else und Ludwig Odenwald bezog im großen, fünfstöckigen Haus Herderstraße 13, Eigentum der Ferdinand Odenwald oHG, eine Wohnung im ersten Stock (Erdgeschoss), dort kam am 30. Oktober 1921 Edith Gerda zur Welt, ihre Schwester Lore Ellen am 13. September 1927 in der Landesfrauenklinik in Karlsruhe. 1928 zog die Familie in eine größere Wohnung in der dritten Etage (badisch für zweites Obergeschoss) im Haus Bunsenstraße 16 um. Über ihr Familienleben ist nichts bekannt. Die ältere Tochter besuchte eine höhere Schule und schloss sich der jüdischen Sportbewegung Makkabi an.
Die Wohnung in der Bunsenstraße wurde wie auch die Wohnung der Eltern in der Händelstraße von der ehemaligen Angestellten als sehr schön, gut bürgerlich und mit allem Komfort eingerichtet beschrieben. Sie hatte den Eindruck, dass „die Verhältnisse sowohl des Betriebs als auch der beiden Inhaber wohl geordnet“ seien. Neben der florierenden Fabrik gehörte ihnen das Wohnhaus in der Herderstraße und unter dem Namen Veis Löw Odenwald führte die Badische Bank ein Wertpapierdepot.
Kurz nach dem Umzug in die Händelstraße, am 25. Januar 1931, starb Mathilde Odenwald im Alter von 58 Jahren. Ihren Tod meldete, laut Eintrag in der Sterbeurkunde, der jüngere Sohn, Robert Odenwald, Arzt von Beruf und wohnhaft in Nürnberg.
Rückgang der Geschäfte und Flucht der Familie Ludwig Odenwald (1933–1936)
Vor der Machtergreifung Hitlers 1933 hatte die Chemische Fabrik in der Durmersheimerstraße 12 bis zu zehn Beschäftigte, nach 1933 verringerte sich deren Zahl schnell, die Aufträge blieben aus. Von einem direkten Eingreifen staatlicher oder Parteidienststellen ist allerdings nichts bekannt. Aber die Stadt Karlsruhe beispielsweise durfte nun nicht mehr bei jüdischen Firmen kaufen und zu Arbeitsausschreibungen der öffentlichen Hand wurden diese nicht mehr eingeladen. Auch bei den anderen Kunden wirkten die nationalsozialistischen Boykottmaßnahmen und in Malergeschäften konnten sich Farbdosen und andere Erzeugnisse mit Odenwalds Firmenaufschrift „nicht mehr sehen lassen“, wie es die ehemalige Angestellte nannte. Dazu war ab 1933 die Produktion besonderer, „schwerer Lacke“ für die Automobilindustrie durch ein Importverbot bestimmter Rohstoffe und den Ersatz durch deutsche Kunstharzerzeugnisse erschwert worden. Bis 1936 verkleinerte sich infolgedessen die Belegschaft auf drei bis vier Mitarbeiter für Büro und Verkauf und einen Lacksieder für die Produktion.
1934 zog der Sohn Ludwig Odenwald, mittlerweile promoviert, in eine kleinere Wohnung in die Eisenlohrstraße 45 um. Im Sommer des Jahres 1936 wurde er festgenommen und in Dachau inhaftiert, gegen Kaution wurde er nach drei Wochen freigelassen, wie seine ältere Tochter später erzählte. Nach der Entlassung flüchtete er mit Frau und Töchtern nach Frankreich, etwa am 20./21. August 1936, wie er später angeben sollte. Alle vier Namen stehen auf einer der im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen über die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger. Wann sein Bruder Dr. med. Robert Odenwald, der 1931 in Nürnberg lebte, Deutschland verließ, ist nicht bekannt.
Der Vater und Witwer Ferdinand Odenwald, der alleine in Karlsruhe zurückblieb, hatte zu seiner Unterstützung im Januar 1936 eine Hauswirtschafterin eingestellt. Die etwa 45-jährige kinderlose Witwe Frieda Goldschmidt aus Wertheim konnte bei ihm in der großen Fünfzimmerwohnung in der Händelstraße 19 wohnen (siehe Beitrag zu Frieda Goldschmidt im Gedenkbuch).
Verkauf der Firma und des Hauses Herderstraße, Judenvermögensabgaben und weitere Ausbeutung (1933–1939)
Der nun 70-jährige Ferdinand Odenwald sah sich alleine der angespannten geschäftlichen Lage nicht mehr gewachsen und entschloss sich deshalb zum Verkauf seiner Fabrik. Der Kaufvertrag mit einem Spediteur und Fuhrunternehmer wurde am 17. August 1936 abgeschlossen. Ob sein Sohn Ludwig noch in Dachau inhaftiert oder gerade wieder in Freiheit war, ist nicht bekannt. Es darf auch spekuliert werden, ob ihm in der sogenannten Schutzhaft die Zustimmung zum Verkauf der Fabrik „abgepresst“ wurde, selbst dazu geäußert hat er sich nicht. Für das Anwesen mit der Chemischen Fabrik und einstöckigem Wohnhaus, Schopf mit Werkstätte und Fabrikgebäude mit Siedehaus, einiges davon erst Anfang der dreißiger Jahre vollständig neu gebaut, inklusiv aller Rechte, „auch die der Schutzmarke“ wurde der Kaufpreis auf 61.000 Reichsmark festgesetzt. Laut Kaufvertrag waren 40.000 RM sofort zahlbar, die erste Rate der Restzahlung über 5.000 RM war am 1. September 1938, die zweite in Höhe von 16.000 RM am 1. September 1942 fällig. Die Maklerfirma Nunn & Schmidt, Mitglied der Immobilien- und Hypothekenbörse Karlsruhe und der Rechtsanwalt Strauss berechneten für ihre Leistungen je 160 RM. Der neue Besitzer Hermann Ochs betrieb die Lackfabrik „nur nebenher“, wie es Odenwalds ehemalige Kontoristin schilderte, viel mehr ging es ihm um das Gelände für sein Fuhrunternehmen. Beim Verkauf wurde verabredet, dass die Kontoristin übernommen werden sollte. Nach sechs Wochen schied sie freiwillig aus der Firma aus, das Benehmen des neuen Chefs sei der Grund dafür gewesen. Andere Zeugenaussagen untermauern ihre Schilderungen. Eine Parteizugehörigkeit konnte dem neuen Besitzer jedoch zu keiner Zeit nachgewiesen werden, er selbst wies diesen Vorwurf weit von sich. In den Akten heißt es allerdings, er und seine Brüder hätten den Anschein der NSDAP-Zugehörigkeit dadurch erweckt, weil das Fuhrunternehmen Ochs, vom Vater und seinen drei Söhnen geführt, öfters SA-Mannschaften von Karlsruhe und Umgebung zu Versammlungen beförderte, als andere Unternehmen sich noch weigerten dies zu tun.
Nach der Geschäftsübergabe am 1. September 1936 blieben Ferdinand Odenwald und seine ehemalige Kontoristin in Kontakt. Bei einem ihrer Gespräche habe er geklagt, der Käufer halte die Ratenzahlungen nicht ein, berichtete sie später.
Im Frühling 1939 musste Ferdinand Odenwald, „handelnd für sich und seinen Sohn Dr. Ludwig Odenwald in Paris – Neuilly“ auch das Grundstück mit Haus in der Herderstraße 13 (5ar 16qm, Einheitswert 46.100,- RM, Badischer Steuerwert 95.000 Reichsmark) verkaufen. Der Bürgermeister der Stadt Karlsruhe und der Polizeipräsident akzeptierten den Kaufpreis von 59.000,- RM, die NSDAP Gauleitung genehmigte den Vertrag gemäß § 8, Absatz 2 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938. Ludwig Odenwald berichtete später, sein Vater habe ihn im Frühjahr/ Frühsommer 1939 in Paris besucht und von Sonderabgaben, in Form von fünf Raten ab 14. Dezember 1938 im Gesamtwert von 13.500 Reichsmark, die er als Jude zu zahlen hatte, berichtet. Neben dieser „Judenvermögensabgabe“ erfolgte die systematische Ausbeutung in Form der Zwangsablieferung von Wertgegenständen und Schmuck, die Beschlagnahmung von Wertpapier- und Bankkonten und der Einzug der Lebensversicherung.
Die Familie Ludwig Odenwald in Frankreich
Nach ihrer Flucht aus Deutschland lebten Ludwig und Else Odenwald mit den Töchtern Edith und Lore in Neuilly-sur-Seine, einem westlichen Vorort von Paris. Eine Arbeitserlaubnis hatte der promovierte Chemiker nicht bekommen, unterstützt wurde die Familie von Freunden und Hilfsorganisationen.
Nach Kriegsausbruch im September 1939 kamen ungeplant und überstürzt Albert und Selma Oestreicher nach Frankreich und suchten Zuflucht bei der Familie ihrer einzigen Tochter Else Odenwald. Albert Oestreicher war, nachdem er erfahren musste, dass der Familienbetrieb aufgegeben werden musste, an Leukämie erkrankt. Nach einem Krankenhausaufenthalt in Heidelberg verwies man ihn an einen Spezialisten in Zürich. Danach machte das Ehepaar einen kleinen Kuraufenthalt in Montreux und verließen den Kurort fluchtartig, als der Krieg ausbrach. Wann sie Heidelberg verlassen hatten, ist nicht sicher. Als am 9./10.November 1938 ihre Wohnung in Heidelberg völlig zerstört wurde, waren sie wohl schon auf Reisen. Der Hausbesitzer berichtete später, acht Personen mit Vorschlaghämmern und Äxten hätten das Schlafzimmerfenster aufgebrochen und „die Wohnungseinrichtung vollständig demoliert“. Betten, Polstermöbel und Gemälde wurden aufgeschlitzt, Glas, Porzellan und Spiegel zerschlagen, auch der Gasherd, so dass Gas ausströmte. Eine Kassette trugen sie aus der Wohnung. Vielleicht informierte der Hausbesitzer auch die Mieter der Wohnung. Selma Oestreicher schrieb später: „wir haben durch unsere Reise, die dann zur Flucht wurde, alles verloren“. Durch die Flucht und Aufregungen sei ihr Mann immer leidender geworden. Als die deutsche Wehrmacht auf Paris vorrückte, floh die Tochter mit ihrer Familie. Die Eltern blieben in Paris zurück, denn Albert Oestreicher war bettlägerig und bekam in der Klinik Bestrahlungen. Als die Deutschen vor den Toren von Paris standen, wurden die Apparate abmontiert. Kurz nach dem Einmarsch der Deutschen, am 29. Juni 1940, starb Albert Oestreicher. Die Witwe Selma Oestreicher konnte mit viel Hilfe noch im selben Jahr nach Grenoble entkommen, lebte dort illegal unter dem Namen „Weiss“.
Ihr Schwiegersohn Ludwig Odenwald berichtete später, allerdings nur in der Ichform, er sei nach Kriegsausbruch interniert worden, habe „im Champ de Richard auf nassem Stroh“ geschlafen und sei zur Zeit der deutschen Besetzung in verschiedenen Arbeitslagern festgehalten worden, aus denen er schließlich fliehen konnte. Illegal, versteckt lebte er ab Mai 1940 unter dem falschen Namen Lo(u)is Olivier, kampierte in einer verlassenen Hütte, arbeitete für etwas Verpflegung und Schuhe in den Wäldern. Seine Familie hat er dabei nicht erwähnt. Seine Tochter Edith Kremsdorf, Enkeltochter von Ferdinand Odenwald berichtete später, sie sei Anfang 1941als 20-Jährige nach Grenoble zu ihren Eltern, ihrer jüngeren Schwester und wohl auch ihrer Großmutter gezogen. Nach dem frühen Tod der Mutter Else Odenwald im August 1941 habe sie die Familie unterstützt. In Grenoble trat sie dem jüdischen Pfadfinder-Widerstandnetzwerk „la Sixième“ und damit „dem Untergrund“ bei. Unter dem Namen Edith Oberlin arbeitet sie heimlich in einer kleinen Schule, für Kindertransporte und mehr.
Ferdinand Odenwald im Camp de Gurs
In Karlsruhe lebte nun als einziger der Familie Ferdinand Odenwald, der sich nicht, wie seine Söhne Ludwig und Robert zur Flucht aus Deutschland hatte entschließen können. Am Morgen des 22. Oktobers 1940 verlor er, was ihm noch geblieben war. Zusammen mit seiner Hauswirtschafterin Frieda Goldschmidt wurde er am frühen Morgen aus seiner Wohnung in der Händelstraße 19 verschleppt. Der gesamte Hausrat und das Hab und Gut beider wurde beschlagnahmt und später versteigert. Im Kassenschrank in der Wohnung lagen noch 8.500 Reichsmark, werden später die Verwandten von Frieda Goldschmidt aussagen.
Zusammen brachte man sie zum Hauptbahnhof, wo auf dem Vorplatz die jüdischen Menschen aus Karlsruhe zusammengetrieben und unter Bewachung festgehalten wurden. Am Abend verließen sieben „Sonderzüge“ den Hauptbahnhof, das Ziel der Fahrt lag im äußersten Südwesten Frankreichs, nur 40 km von der spanischen Grenze entfernt. Nach einer 18 km langen Fahrt auf teils offenen Lastwagen kamen sie im Camp de Gurs an.
Ferdinand Odenwald war dort bis zum 5. Januar 1941 interniert. Am 10. April 1941 starb er in einem Arbeitslager in Izeste/Bas Pyrenées (121 e-526 e Group des travailleurs étrangeres), wo der 75-Jährige als Waldarbeiter zum Holzschlagen eingesetzt worden war.
Die Wiederzulassung der Chemischen Fabrik 1945
In der Farbfabrik in der Durmersheimerstraße 12 in Karlsruhe war nach einem Fliegerschaden ab dem 3. September 1942 die Produktion stillgestanden, der Besitzer selbst war bei der Wehrmacht. Das Gebäude wurde in den letzten Kriegsjahren von „ukrainischer Polizei und ausländischen Mädchen [gemeint sind wohl Zwangsarbeiterinnen]“ belegt, die in der Lumpenfabrik Heim & Huber (vormals das 1938 arisierte Unternehmen Vogel & Schnurmann) arbeiten mussten. Der Zustand des Gebäudes war übel, alles, was aus Holz war, wurde verheizt.
Vier Monate nach Kriegsende, im September 1945, wurde von den Inhabern ein Antrag auf Wiederzulassung der Lackfabrik gestellt. Einer Aktennotiz vom 25. März 1946 nach, war wieder „alles instand gesetzt“, die Wiederzulassung wurde beantragt. Schuhcreme, Bodenfett, Hochglanzputzmittel, Zahnpasta und mehr sollten produziert werden. Man hatte 400 Gasmaskenbüchsen gekauft, aus deren Einsätzen sich je zehn Dosen herstellen ließen, die Büchsen sollten anderweitig verwendet werden.
Am 13. April 1946 schrieb der Betriebsleiter K.[raft] an das Wirtschafts-Kontrollamt, eine Verzögerung der Betriebsgenehmigung läge nicht im Interesse der Bevölkerung. Man habe ihm mitgeteilt, „dass nur der Name H.[ermann] O.[chs] ein ernsthaftes Hindernis darstelle“. Nach den Aussagen mehrerer Zeugen über die Person des Antragstellers wurde die Wiederzulassung der Chemischen Fabrik am 18. Juni 1946 abgelehnt. Die Spedition durfte ab Oktober desselben Jahres wieder betrieben werden.
Etwa Ende Februar 1947 erhoben, einer Aktennotiz vom 18. März 1947 nach, die beiden Söhne Odenwald Einspruch gegen eine Betriebsgenehmigung. Beide stünden „als Offiziere im Rang eines Majors in der amerikanischen bzw. in der französischen Armee“. Ludwig, der Chemiker, wolle den Betrieb selbst übernehmen, hieß es darin. In zwei Wochen würden die Herren erneut beim Bezirksverwaltungsamt Grünwinkel vorsprechen.
Am 27. März 1947 war eine Besprechung beim Amt für Vermögenskontrolle, demnach blieb das Vermögen der Firma weiterhin blockiert, die Zulassung dem Wirtschafts-Kontrollamt überlassen.
Ludwig Odenwald schrieb am 21. April 1947 an den Oberregierungsrat beim Amt für Wiedergutmachung in Karlsruhe, er wolle das Fabrikgrundstück übernehmen, er wisse, dass Hermann Ochs die Betriebsgenehmigung verlange und bat darum, dies zu verhindern.
Am 2. Juni 1947 erhielt Ochs dennoch die Betriebsgenehmigung für die Herstellung von Farben und Lacken, nicht aber für Schmiermittel, Bohnenwachs und ähnliches.
Rückkehr
Einige Jahre nach Kriegsende ließ sich Ludwig Odenwald, der Sohn und frühere Geschäftspartner von Ferdinand Odenwald in Strasbourg nieder, wann, war nicht zu klären. Verschiedene Anstellungen als Techniker musste er 1949 beenden, da er sich den Dämpfen im Labor aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr aussetzen konnte. 1949 eröffnete er nach der Naturalisation eine eigene Firma, eine kleine Vertretung. Später schrieb er, 1949 sei seine jetzige Ehefrau Martha, geborene Landau, verwitwete Schulemann nach Strasbourg gekommen. Ende der fünfziger Jahre kehrte Ludwig Odenwald, dem 1957 eine „Soforthilfe“ in Höhe von 6.000,- DM gewährt worden war mit seiner Ehefrau nach Deutschland zurück und ließ sich in Baden-Baden nieder. 1959 gab er seine kleine Firma auf, der Amtsarzt bescheinigte eine auf 50 % eingeschränkte Berufsfähigkeit.
Im Wiedergutmachungsverfahren, das Dr. Ludwig Odenwald, Baden-Baden und Dr. med. Robert Odenwald, Washington betrieben, kam es zu einem Vergleich. Der neue Besitzer der Lackfabrik sollte an Odenwald Waren zum Fabrikpreis bis zu 20.000 DM liefern, Odenwald als chemischer Berater gegen ortsübliches Entgelt herangezogen werden, außerdem 5 % auf Waren bekommen, die mit seiner Hilfe entstanden.
Die Vergangenheit verfolgte Dr. Ludwig Odenwald sein Leben lang bis in seine Träume, darüber gesprochen hat er nur wenig. Am 27. November 1977 ist er im Krankenhaus in Bruchsal verstorben. Sein Bruder, Dr. med. Robert Odenwald ist bereits im Juli 1965 verstorben.
(Christa Koch, Juli 2016)
Quellen und Literatur:
StadtAK 1/AESt /36; 1/H-Reg. 1514; 8/StS 24/1614, 8/StS 34/145 ; 1/Wi-ko-Amt 267 Bl.25; Israel. Gemeindeblatt, Ausgabe B vom 8.12.1937.
GLA Karlsruhe 480/580,10426, 21053, 31429; 237/Zug 1967-19/1963; 270/8 und 9; 330/380.
Staatsarchiv Ludwigsburg: E 175/Bü. 5163.
Josef Werner : Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, 2. Überarbeitete und erweiterte Auflage Karlsruhe 1990.
Ernst Otto Bräunche, Manfred Koch, Heinz Schmitt: Juden in Karlsruhe S. 578.
Michael Hepp: Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933-45 nach dem im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, Neuauflage Verlag Walter de Gruyter, 1985.
Willy Messmer: Juden unserer Heimat, Bad Schönborn 1986.
Auskünfte Ortsarchivar Georg Scheuerlein und Ludwig Eckert.
Http:www.sysoon.com/deceased/robert-odenwald-237 (Todesdatum Robert Odenwald)
http:calzareth.com/tng/getperson.php?personID=I6984&tree=tree1 (Albert Oestreicher)
https:www.geni.com/people/Else-Odenwald/368651292540012097 (Oestreicher)
http:www.ajpn.org/personne-edith-Kremsdorf-2289.html (Edith Kremsdorf, geb. Odenwald)
http:*mein-kleiner-rauchsalon.de/tbind_bw.htm (Zigarrenfabrik in Mingolsheim)