Billig, Recha
Nachname: | Billig |
---|---|
Vorname: | Recha |
Geburtsdatum: | 27. Januar 1921 |
Geburtsort: | Karlsruhe (Deutschland) |
Familienstand: | ledig |
Eltern: | Samuel und Erna B. |
Familie: | Schwester von Willi |
4.9.1942 von Gurs nach Auschwitz (Polen)
Biographie
Samuel, Erna und Recha Billig
Samuel Billig wurde am 7. November 1891 in Stanislau/Galizien geboren, das heute Ivano-Frankoski heißt. Die Namensänderung spiegelt die wechselvolle Geschichte wider, die dieser Teil Osteuropas im 20. Jahrhundert erfahren hat. Als Samuel Billig dort geboren wurde, war Galizien östliche Provinz der österreichisch-ungarischen Monarchie. Nach dem Ersten Weltkrieg kam die Region zum wiedererrichteten Polen und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion annektiert, wodurch dieser Teil heute Bestandteil der Ukraine ist. Die Familie Billig als „Ostjuden“ zu bezeichnen, wie die ortsansässige jüdische Einwohnerschaft Galiziens und angrenzender Regionen, um damit ihre originären Besonderheiten hervorzuheben wie z. B. das „Jiddisch“ als Sprache, wäre falsch.
Samuels Großvater Karl stammte aus Wien und bekannte sich ausdrücklich als eine jüdische Familie, die sich innerhalb des österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaates zum deutschen Kulturkreis zählte. Allein aus beruflichen Gründen war er als junger Mann nach Stanislau gegangen, und brachte es dort als Angestellter einer Petroleum-AG zu Wohlstand. In Stanislau bewegte sich die Familie in den österreichisch-deutschen Kreisen und die Kinder besuchten die deutsche Schule; Samuels Vater Wilhelm (geboren 1860) wurde dazu ausdrücklich nach Wien zur Schulausbildung geschickt und trat anschließend ebenfalls in die Ölgesellschaft ein wie der Vater. Nach dem Tod von Karl Billig scheint Wilhelm Billig nicht mehr das gewohnte geschäftliche Glück gehabt zu haben. So ging er mit seiner Ehefrau Rosa, geborene Brechler und den beiden Söhnen Samuel und Sigmund (1890 geboren) im Jahr 1900 aus Galizien weg und ließ sich in Deutschland, in Karlsruhe nieder. Warum gerade Karlsruhe? Wir wissen es nicht. Samuel Billig war zu diesem Zeitpunkt acht Jahre alt. Die Lebensumstände müssen bescheiden gewesen sein, die Familie wohnte unter verschiedenen Adressen im Karlsruher „Dörfle“. Erst nach 1919 konnte Samuels Vater Wilhelm, auch Wolf genannt, ein eigenes Bekleidungs-Geschäft eröffnen, starb jedoch alsbald darauf 1923. Die Mutter Rosa, zu diesem Zeitpunkt 55 Jahre alt, führte das Geschäft selbständig weiter und war augenscheinlich eine erfolgreiche Geschäftsfrau.
Samuel Billig konnte die Oberrealschule besuchen, die er 1908 mit der Mittleren Reife verließ. Danach absolvierte er eine kaufmännische Lehre bei der renommierten Eisenwarenhandlung L.J. Ettlinger und verblieb im Anschluss dort bis 1911 als Korrespondent, d.h. gehobener kaufmännischer Sachbearbeiter. Für seinen weiteren Werdegang beschloss er 1911 nach Pforzheim zu gehen, wo er es alsbald zum Geschäftsführer der Kassenschrankfabrik Jakob Pfeifer brachte. Von seiner Geburt her war er noch immer österreichisch-ungarischer Staatsbürger. Für sein weiteres Fortkommen und um das mit dem Schulabschluss mögliche militärische „Einjährige“ zu absolvieren, versuchte er 1913 die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen, dies gelang ihm vor Beginn des Ersten Weltkrieges nicht mehr. So musste Samuel Billig 1915 als k.u.k.-Soldat im österreichischen Infanterieregiment 58 in den Krieg ziehen. Er kämpfte für Österreich-Ungarn an einigen der südosteuropäischen Frontabschnitte, verlor durch einen Kolbenschlag beinahe das Augenlicht und war zum Schluss Zugführer, bevor er 1919 den Waffenrock wieder ausziehen konnte.
Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Karlsruhe heiratete er im Februar 1920 Erna Ester Westreich, die ebenso in Galizien, in der Nähe von Krakau, geboren war. Deren Eltern hatten es dort aus armen Verhältnissen kommend mit einer Seifen- und Paraffinfabrik zu Wohlstand gebracht. Vielleicht kannten sich Samuel und Erna aus Kindertagen oder die Ehe wurde durch die Bekanntschaft der Eltern arrangiert, genaues wissen wir nicht. Samuel Billig machte sich nun selbständig und das junge Ehepaar erwarb wahrscheinlich auch mit finanziellen Mitteln von Erna ein Haus am Werderplatz, Werderstraße 34a. Darin etablierte sich das Weiß- und Wollwarengeschäft en gros „Samuel Billig & Co“, später auch als Spezialmodegeschäft für Herren- und Berufskleidung geführt. Die Geschäfte liefen gut, und so wurde die Familie Billig zu damaliger Zeit relativ wohlhabend, die Behörden bescheinigten Samuel Billig zu dieser Zeit, 1924, dass er ein „äußerst tüchtiger, angesehener Geschäftsmann“ sei. Die Familie wuchs mit der Geburt der Kinder Recha (1921) und Willi (1924). Es wäre wohl alles „in bester Ordnung“ gewesen, wäre da nicht die fehlende Staatsbürgerschaft gewesen. Durch den Zerfall Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg und weil die Billigs aus dem Anfall Galiziens an Polen keinesfalls die daraus resultierende polnische Staatsbürgerschaft annehmen wollten, waren sie nun staatenlos. So stellte Samuel Billig in Karlsruhe seinen zweiten Einbürgerungsantrag, der im Juni 1920 durch den Stadtrat bewilligt wurde, doch die Einbürgerung wurde aus unbekannten Gründen nicht vollzogen. Erst nach der Erneuerung seines Antrages im Oktober 1924 fand die bürokratische Odyssee, in der er seine „urdeutsche Gesinnung“, seine „Tüchtigkeit“ und seine „Unbescholtenheit“ hatte beweisen müssen, sein Ende, als das Innenministerium im Juli 1925 die deutsche Staatsbürgerschaft zuerkannte. Somit war er Deutscher - bis 1934 die Nazis seine Einbürgerung nochmals untersuchten. Er konnte jedoch Deutscher bleiben, da er nachweislich „Frontkämpfer“ gewesen war.
Das aber hatte ihn vor den Diskriminierungen seit 1933 nicht bewahrt. Schließlich wurde das Geschäft im Oktober 1938 arisiert. Für den Lebensunterhalt der Familie musste sich Samuel Billig als Handlungsreisender durchschlagen. Dies muss für ihn mehr als erniedrigend gewesen sein, vor dem Hintergrund seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg und des - letztlich erfolgreichen – Ringens um die deutsche Staatsbürgerschaft mit dem Nachweis, „im Herzen“ Deutscher zu sein.
Schwer muss es der Familie Billig gefallen sein, als sie 1938 beschlossen, die Emigration in die USA zu versuchen. Der Sohn Willi war schon 1937 durch die Vermittlung eines US-Hilfskomitees für begabte Schüler in die USA gelangt. Gleiches schien auch der restlichen Familie zu gelingen, die Reisepässe dazu waren schon ausgestellt und im Dezember 1938 hieß es, dass „mit baldigem Abruf“ zu rechnen sei. Doch darauf warteten die Billigs vergeblich.
Im Oktober 1940 wurden Samuel und Erna Billig mit ihrer Tochter Recha nach Gurs in Frankreich deportiert. Von Gurs aus kamen alle drei im August 1942 nach Auschwitz. Mit der Ankunft im Vernichtungs-KZ verliert sich ihre Spur; sie haben wohl alle drei ihr Leben dort verloren.
Umgekommen sind auch Samuels Mutter Rosa Billig ebenso wie der Bruder Sigmund.
(Sebastian Barton, Dennis Hucker, Christian Kastner, Andreas König - 12. Klasse, Eichendorff-Gymnasium Ettlingen, Februar 2003)
Quellen und Literatur:
Stadtarchiv Karlsruhe 1/AEST 1237; STAK 6/BZA 1790; 8/StS 34 Nr. 136.
Generallandesarchiv Karlsruhe 330/126-129.
Hauptstaatsarchiv Stuttgart J 386 Bü 318.
Staatsarchiv Ludwigsburg EL 402/13, Nr. 399 und 400.
Kant-Gymnasium-Archiv.
Josef Werner, Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Nationalsozialismus, Karlsruhe 1990, S. 237 f., 460.