Poritzky, Ruth Rebekka
Nachname: | Poritzky |
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Vorname: | Ruth Rebekka |
abweichender Name: | Porita (Künstlername) |
Geburtsdatum: | 24. August 1902 |
Geburtsort: | Berlin (Deutschland) |
Familienstand: | ledig |
Eltern: | Elias und Helene P. |
Schauspielerin
Sängerin Opernsängerin
Musikerin u.a. Harfenistin, Pianistin, Organistin
Musiklehrerin
Stenotypistin
10.8.1942 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Biographie
Zu Ruth Poritzkys Vater Jakob Elias Poritzky und der in der Shoah ermordeten Mutter Helene Poritzky, beide Literaten, ist in diesem Gedenkbuch eine biographische Ehrung zu lesen unter Helene Poritzky
Ruth Poritzky genannt Porita
Am 24. August 1902 kam Ruth Rebekka in Berlin zur Welt. Die Wohnung ihrer Kindertage lag am Schleswiger Ufer 16, Gartenhaus Aufgang I, 3./4. Stock, im Hansaviertel im Bezirk Tiergarten.
Die Tanten Henriette und Jenny wohnten in der Zehdenicker Str. 12.IV im Postbezirk NW 21, mit der S-Bahn vielleicht ½ Stunde entfernt.
Schilderungen aus Ruths Kindheit in Berlin enthält die Humoreske ihres Vaters: „Das Buch Ruth mit Anmerkungen“ in seinem Buch „Von jungen Philosophen und alten Narren“ (1912), S. 60 ff.:
Von den Katzen.
Jüngst war unser Freund Geucke bei uns, um uns eine sechs Wochen alte Katze zu schenken. […] Früher dachte ich und hörte es oft, daß der ganze Haushalt eine Revolution erfährt, wenn man ein Kind bekommt. Aber wenn man eine Katze bekommt, ist es nicht viel anders.
Mein Töchterchen war stark enttäuscht. Denn sie hatte den Zucker wahrlich nicht in der Erwartung ein viertel Jahr lang vors Fenster gelegt, daß der Storch dafür eine Katze bringen würde.
„Hat die wirklich der Storch gebracht?“ fragte das kleine Fräulein.
„Nein, Onkel Langbein,“ sagte ich.
„Na, das ist doch der Storch!“
„Diesmal ist es Onkel Geucke.“
„Ach, das ist wirklich ulkig,“ rief mein Töchterchen und zog Mouche am Schwanze durch das Wohnzimmer, wie sie mich immer an der Strippe zu ziehen pflegt, wenn wir Pferdchen spielen. Aber, während ich als Gaul nie das Recht hatte, dagegen zu protestieren (ich darf nur mit den Hinterbeinen ausschlagen und wiehern), machte Mouche blitzartig linksumkehrt und kratzte.
„Kratzen denn alle Kätzen?“ wurde ich nun gefragt. Denn meine Nachkommenschaft war entrüstet. Trotz meiner Bestätigung wurde Mouche aber dennoch wie Edith (das ist die Mutterpuppe, die vor Alter schon das Augenlicht und die Beine verloren hat) auf den Arm genommen und nach der Küche getragen.“
Dort richtet sie allerlei Unheil an und wird vom Dienstmädchen ausgeschimpft.
„Texterklärung.
Vor einigen Tagen schickte mir meine von der Kultur der Schule noch unberührte Tochter Ruth aus der Sommerfrische einen eigenhändig geschriebenen Brief. Mein dreijähriges intensives Studium der ägyptischen Keilschriften machte mich ganz besonders befähigt, den Inhalt des Briefes schon innerhalb weniger Tage glücklich zu entziffern: […] ‚Süh sesp ap achen esi st hirse rschöhnsch ickemam an gelther zliche grüze rot.’
Flüchtig besehen, war der krause Sinn, den ich herausdestillierte, etwa der: ‚Die organischen Funktionen sind regelmäßig; ich esse Hirse; ich spiele mit Nickelmann; es wird schon kälter; ich esse rote Grütze.’
[…] Der Dichter Kurt Geucke, der Ruth vom ersten Tage ihres Erdenwallens an kennt, und der Grund hat, meiner Tochter, der treuen Mitarbeiterin seiner Werke, immer dankbar zu sein (er wartet auf sie, weil sie ihn in einer schwachen Stunde zu ihrem Bräutigam ernannt hat), faßte die an mich gerichtete Epistel als ein sinnloses Kindergekritzel auf […] er glaubt, daß sich hier einfach – wenn man so sagen darf – die vegetative Freude des Schriftstellerkindes am Federhalter und am unbeschriebenen Papier auslebte. Aber, obwohl ich weiß, daß meine Tochter sich redlich Mühe gibt, das Tintenfaß auszuschöpfen, befriedigte mich diese Erklärung nicht. […] Drei Graphologen wurden noch befragt; […] In meiner Verzweiflung klammerte ich mich an ein schlichtes Kindermädchen (natürlich nur bildlich!) […] Und sie las sofort fließend: ‚Süßes Papachen, es ist hier sehr schön. Schicke Maman Geld. Herzliche Grüße, Ruth.’“
„Probleme.
[…] Meine Tochter fragt mich zuweilen in einer Weise aus, die auf eine starke Begabung für den Posten eines Untersuchungsrichters schließen läßt. […] Nie wird mir das Bewußtsein meiner Unwissenheit stärker zu Gemüte geführt, als wenn mich diese junge Dame examiniert. Ich helfe mir dann immer durch Despotismus oder lasse ein Donnerwetter los. Aber nun ist sie auch hinter diesen Kniff gekommen und merkt, sobald ich anfange unparlamentarisch zu werden, daß es Ausweichmanöver sind, um meine Dummheit nicht bloßzustellen. Ich dachte schon an Prügel; aber schließlich – ein Kind ist ja kein Beefsteak, das vom Durchklopfen besser wird.
Wenn wir einen kleinen Ausflug nach einem Dorfe machen, soll ich z.B. wissen, warum die Sonne nicht herunterfällt […], warum es im Kuhstall so schön riecht und wieso die Milch weiß ist und nicht grün.
‚Du hast gesagt, sie fressen und dann kommt ihnen alles hoch, wie mir, wenn ich Mehlsuppen essen soll, und dann essen sie das Hochgekommene noch mal. Dann sind sie doch aber Schweine?’
‚Wieso?’
‚Na, wenn man sowas tut! ... Und wie machen sie denn in ihrem Bauch die Milch zurecht?’
Keine Ahnung; aber auf gut Glück sage ich irgend etwas: ‚Das Futter, das sie fressen, das wird erst zu einer Art Brei verarbeitet –‚
Da Brei nur Vorstellungen der Tortur in Ruth auslöst, ruft sie entsetzt: ‚Brei?’
‚Ja. Und dieser Brei wird vom Magen usw.’
Bis Ruth Lunte riecht und merkt, daß ich ahnungslos im Dunklen tappe. In solchen Augenblicken ist sie sehr nett und lenkt nachsichtig ab: ‚Ja, aber das Futter ist doch grün; wovon wird die Milch weiß?’
Keine Ahnung; ich helfe mir durch einen Hustenanfall […]“
‚Wenn ich tot bin, werde ich dann auch ein Engel?’
‚Natürlich.’
[…]
‚Wovon leben
‚Sie speisen Manna.’
‚Solches, wie ich heut einbekommen habe?’
‚Nein solches nicht; das ist ja nur für Verdauungsbeschwerden.’
‚Was denn für welches?’
‚Himmlisches.’
‚Essen sie das immerzu?’
‚In alle Ewigkeit.’
‚Ist es Kuchen?’
‚So eine Art...’
‚Besser als Königskuchen mit Schlagsahne?’
‚Der Himmel ist keine Konditorei, Ruth. Es ist respektlos, so zu denken.’
‚Und muß man von früh bis spät singen?’
‚Du mußt nicht; du wirst es gern tun; so groß wird deine Freude sein.’
‚Na na!’
Ich bin starr über diese Skepsis. ‚Aber sicher,’ sage ich.
‚Immerzu? Tausend Jahre lang?’
‚Und noch einmal tausend und viele viele tausend dazu.’
‚Aber man kann doch hoffentlich davon dispensiert werden, wie in der Schule?’
‚Singst du denn so ungern?’
‚Aber tausend Jahre! Das hält doch kein Mensch aus.’
‚Du wirst ja dann auch kein Mensch sein, sondern ein Engel.’
‚Na ja – aber lieber nicht.’
[…]
Ruth seufzt. […] ‚Ach Väterchen, du weißt so schrecklich viel; ich glaube, du weißt alles.’ […] ‚Natürlich.’ sage ich. […] Meine kleine Dame grübelt wie über einem Rätsel, seufzt und sagt: ‚Wieso wissen bloß die großen Leute alles?’ […] Ich sage:
‚Wenn man lernt, dann weiß man eben etwas.’
‚Es gibt noch mehr Leute, die nicht viel gelernt haben und doch so tun,’ entgegnet sie. Ich sehe Ruth scharf an.“
In der Badischen Landesbibliothek ist ihr persönliches Exemplar dieses Buchs erhalten, das der Vater der Neunjährigen widmete:
„Liebe Ruth, weil du mir so viel bei diesem Buch geholfen hast, meine süße Schnauze, sollst du es auch haben. Dein Pepperepepps. J.E.P. Januar 1912“.
Ruth besuchte Schulen in Berlin und ab 1915 in Karlsruhe und schloss hier die „Höhere Mädchenschule“ ab;1 darunter war zu jener Zeit die 1911 eröffnete Lessing-Schule in der Sophienstraße 147 zu verstehen, die zum Abitur führte. In Karlsruhe gab es damals bereits seit über einem Vierteljahrhundert Gymnasialbildung für Mädchen. Im Frühjahr 1915 erwähnte Ruths Vater in einem Brief, seine Tochter habe noch drei Schuljahre vor sich. Im Oktober 1915 kam sie mit der Mutter nach Karlsruhe. Sie bezogen die Wohnung Eisenlohrstr. 22 II, die der Vater bereits seit August gemietet hatte.2
Ruth absolvierte eine Gesangsausbildung (Sopran) und lernte Klavier, Orgel, Gitarre bzw. Laute sowie Harfe. Nachgewiesen ist, dass sie auf der Opernbühne und solistisch auftrat, als Klavierbegleiterin tätig war, Orgel in der liberalen Synagoge spielte, sich selbst auf Laute oder Gitarre begleitete und verschiedene (chromatisch gestimmte, historische) Harfen spielte und auch entsprechenden Unterricht erteilte.
Von Ruths Mutter Helene liegt im Stadtarchiv Karlsruhe ein undatiertes Manuskript vor: „Das Konzert“,3 in dem sie die Reaktionen einer Pianistin auf ihr Publikum bei ihrem ersten großen Auftritt schildert: Die Künstlerin findet ihr Spiel misslungen und ist beschämt über den Beifall von Männern, die nur um ihres Aussehens willen zu applaudieren scheinen. Als einige im Publikum „zischen“, empfindet sie es als ehrlichen Ansporn und spielt einen brillanten zweiten Teil. Der kleine Text lässt die Atmosphäre intensiver Musikalität erahnen, die in der Familie geherrscht haben mag.
Am 9. November 1921 heißt es in einem Schreiben ihres Vaters an die Direktion des Landestheaters, seine „Tochter Ruth Porita“ sei derzeit zwar krankheitshalber nicht tätig, aber Mitglied des Karlsruher Ensembles.4 An der Verwendung ihres Künstlernamens wird deutlich, dass die 19-jährige bereits als Sängerin bzw. Musikerin hervorgetreten sein muss.
Das „Deutsche Bühnen-Jahrbuch“ 1920 und 1921 legt nahe, dass sie auch bereits kleine Schauspielrollen hatte. Ruth Porita findet sich dort unter „Landestheater Karlsruhe, Freiwilliges Mitglied des Schauspiels“;5 es fanden sich in der Tat einige Theaterzettel aus dem ersten Halbjahr 1921, denen zufolge Ruth in der Komödie „Lottchens Geburtstag“ von Ludwig Thoma die „Babette, Köchin bei Giselius“ spielte und in dem Drama „Heimat“ von Hermann Sudermann die „Frau Schumann“.6
Laut Jahrbuch 1922 trat sie dem „Lokalverbund“ der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger bei und wird im selben Jahr im Bühnenjahrbuch beim Hessischen Landestheater Darmstadt in der Rubrik „Darstellende Mitglieder: Damen“ aufgeführt. Da sie 1922/23 sonst nirgends erwähnt wird, liegt es nahe, dass die junge Frau in dieser Zeit ihrem Musikstudium nachging – vermutlich u.a. bei Carl Beines in Darmstadt – und vielleicht kleine Rollen am Theater hatte.7 Professor Beines (1869-1950) war Musiker und Gesangspädagoge, ab 1923 „Vortragsmeister“ am Darmstädter Landestheater.8
Im Jahrbuch 1924 nennt das Jahrbuch Ruth Porita in der dortigen Abteilung „Oper und Operette; Damen“ mit der Wohnadresse Elisabethenstr. 49, in Darmstadt.9 Von August 1923 bis Juli 1924 wohnte sie dort, „bei Stolte“.10
Sie hatte in der Spielzeit 1923/24 am Hessischen Landestheater ein Engagement als Sängerin, in der letzten Spielzeit des als sehr modern oder avantgardistisch geltenden Intendanten und Regisseurs Gustav Hartung. Nach den in der Theatersammlung der Landes- und Universitätsbibliothek Darmstadt überlieferten, lückenhaften Besetzungszetteln ist sie in dieser Zeit in folgenden Rollen aufgetreten:
• Zweite Adelige in: Richard Strauss, „Der Rosenkavalier“ (30. 9.1923
• Vierte Magd in: Richard Strauss, „Elektra“ (14.10.1923)
• Rosette, Tocher des Pächters Semos in: Luigi Cherubini, „Der Wasserträger“ (12.12.1923)
• Besika, eine der vier Frauen von Izzet Pascha in: Franz v. Suppé, „Fatinitza“ (31.12.1923)
• Edelknabe in: Richard Wagner, „Lohengrin“ (4.1.1924)
• Zweite Bäuerin in: W. A. Mozart, „Figaros Hochzeit“ (5.3.1924)
• Gerhilde, Walküre, in: Richard Wagner, „Die Walküre“ (12.4.1924)
• Erster Page in: Richard Wagner, „Tannhäuser“ (20. 4.1924)
• Dritte Brautjungfer in: Carl Maria v. Weber, „Der Freischütz“ (16.5.1924)11
Der in Berlin tätige Vater nahm am Werdegang seiner Tochter im Badischen sicherlich sehr Anteil. Sein 1923 in einer Auflage von 100 Exemplaren erschienenes, bibliophil gestaltetes Buch „Mysterien“ trägt die gedruckte Widmung „Für Ruth Porita“, die der Autor in einem Exemplar der Badischen Landesbibliothek12 handschriftlich ergänzt hat: „meine inniggeliebte Tochter“. Auch „Über Nacht. Ein Drama in vier Akten“ (1925) ist in einem Widmungsexemplar erhalten, im November des Jahres schrieb er hinein: „Meiner geliebten Ruth von Turtel“.13
Es fanden sich auch einige Belege für das Presseecho auf Ruths Auftritte.
Das „Heidelberger Tagblatt“ vom 19. April 1928 brachte einen Artikel von Ruths Kollegen, dem Kritiker Dr. Karl Hessemer (1885-1951), der „Lehrer für Musikgeschichte und Violine“14 am Munz'schen Konservatorium war. Nach einer einführender Erörterung bedeutender Komponisten für Gitarre und Laute (Berlioz, C.M. von Weber, Schubert) leitet er über:
„Mit dem echten Spürsinn für diese reizvolle Welt von Klangpoesien wird die bekannte Lautensängerin Ruth Porita aus Karlsruhe einige Juwelen aus dem verborgenen Schatz auslesen und mit ihrem Konzert >Ernstes und Heiteres zur Laute< am 23. April im Kammermusiksaal der Stadthalle [Heidelberg] dafür eintreten.“
Und am 1. Mai 1928 druckte das „Karlsruher Tagblatt“ folgende Besprechung des obigen Rezensenten:
„Heidelberg, 27. April. Ruth Porita, die bekannte Karlsruher Lauten- und Konzertsängerin und Lehrerin am Munzschen Konservatorium in Karlsruhe, stellte sich dieser Tage dem Heidelberger Publikum in einem eigenen Konzert vor. Daß ein reges Interesse für ihre Kunst vorhanden war, bewies der gut besuchte Kammermusiksaal der Stadthalle. Und sie erfüllte die Erwartungen, denen ein schmeichelhafter Ruf vorausging, aufs Trefflichste. Nicht nur, daß sie mit einer eindringlichen, von innen genährten und durchwärmten, wie ebenso diskret gestuften Vortragskunst das stets beliebte und dankbare Lautenlied-Repertoire vom Schalklied bis zur zartesten Volksliedpoesie in neue und originale Farben tauchte und mit eigenem Leben und Wesen erfüllte, sie traf mit hoher, einfühlungssicherer Meisterschaft den Stil des von ihr selbst kreierten höheren Niveaus von Kunstliedbereichen in Originalkompositionen von Schubert und Weber. Des Ersteren „Leiermann“ und des Letzteren „Die Zeit“ waren ein tiefgreifendes Erlebnis, dem die technische Fertigkeit der Interpretin ebenso entgegenkam wie ihre hochentwickelte Gesangskunst, die alle Register und stimmlichen Nuancen voll beherrscht und auch das Wesen des speziell Liedhaften durchaus erfaßt. Für den lebhaft gespendeten Beifall durfte sie sich mit einigen Zugaben bedanken.“
Am 18. Mai 1928 brachte wieder das „Karlsruher Tagblatt“ etwas von Karl Hessemer über die Jubiläumsfeier zum 60. Geburtstag von Theodor Munz:
„In einer sehr stimmungsvollen Feier hat am vergangenen Freitag das Kollegium des Munz'schen Konservatoriums seinen Direktor […] geehrt. Ein von Frau Darmstadt verfaßter Vorspruch hat nicht nur den Jubilar herzlich erfreut und überrascht, sondern auch die zahlreich erschienenen Festgäste, die bis jetzt Frau Darmstadt wohl nur als hervorragende Pianistin und Lehrerin gekannt und geschätzt haben. [...] Frl. Ruth Porita, von Herrn [Richard] Slevogt am Flügel trefflich unterstützt, sang drei Lieder des Gefeierten mit der bei ihr gewohnten Meisterschaft. Zwei Chöre, ebenfalls Kompositionen des Jubilars, frisch und flott von Schülerinnen des Konservatoriums aus der Gesangsklasse von Frau Burg gesungen, umrahmten die schlichte, aber eindrucksvolle Feier. [...]“
Das Programm nennt die von Ruth vorgetragenen „Drei Lieder für Sopran (Th. Munz)“:
• Auf Bergeshöh'
• Die Nacht
• O grolle nicht!15
Am 12. Juni 1930 erschien im „Frankfurter Illustrierten Blatt“ eine Anzeige unter dem Titel: „König Davids Harfe“:
„Joseph Klingele (Karlsruhe) hat, angeregt von der Zierfigur des Königs David am Freiburger Münster, eine chromatische Harfe gebaut, die trotz eines Umfangs von vier Oktaven sehr bequem zu handhaben ist und deren Preis etwa nur ein Zehntel des Preises einer großen Harfe beträgt. Das Instrument ist geeignet zum Solospiel wie zur Begleitung des Gesangs, nicht zuletzt auch zur Mitwirkung bei Kammermusik und im Salonorchester. Die Berliner Sängerin Ruth Porita-Poritzky hat es im Konzertsaal mit Erfolg erprobt.“
Das zugehörige Bild zeigt die Musikerin „mit der neuen Harfe“.
Im Karlsruher Adressbuch findet sich ab 1930 als selbständiger Eintrag: „Porita, Ruth. Opern- und Lautensängerin. Eisenlohrstr. 22.2“.
Nach 1933
Im Vorspann über die Karlsruher Unterrichtsanstalten nennen die Adressbücher 1929 bis 1932/33 unter „Munzsches Konservatorium: Theater- und Orchesterschule, Musiklehrerseminar. Vorbereitung für die staatliche Musiklehrerprüfung“: „Porita, Ruth, Musiklehrerin“.
Das Israelitische Gemeindeblatt, Ausgabe B vom 23. November lud im Dezember 1931 zum „Synagogenkonzert“ für die Winternothilfe der Gemeinde ein. In der „Vortragsfolge“ finden wir neben Mozart, Händel und Lewandowski:
3. Einstimmige Chorgesänge: Ruth Porita (Mitglied des Synagogenchors)
a) „Gott, wie ist deine Liebe so groß“
b) „Alles, was Odem hat“ 16
Die Zeitung vom 20. Februar 1932 kündigte eine „Synagogale Feierstunde“ zum Volkstrauertag an. Neben Musik von Sulzer und Lewandowski und Solovorträgen gesungener Psalmen führt das Programm auf:
Einzelgesänge (mit Harfe und Orgel): Porita
„Die Gnade des Herrn“
„Dies aber ist die stärkste Liebe“.17
Am 25. Mai 1932 schrieb dasselbe Gemeindeblatt:
Hinweis! Als Schlußlied am ersten Schowuostag gelangt eine Herrn Stadtrabbiner Dr. Schiff und Frau zugeeignete Komposition für Chor und Orgel unseres Gemeinde- und Synagogenchor-Mitglieds, Fräulein Ruth Porita – mit dem hebräischen Text des Psalms 29 Vers 11 – zum erstmaligen Vortrag.18
Am 16. Dezember 1932 berichtete dieselbe Zeitung von einem weitere „Synagogen-Konzert“ zugunsten der Winternothilfe:
Im Lechododi von Lewandowski und der Keduscha von Munz kam Herrn Oberkantor Metzgers warmes, weit tragendes Organ zu schönster Geltung. Einstimmige Chorgesänge, von Frl. Ruth Porita komponiert, wirkten durch einfache, klare Linie. Herr Th. Munz, der das ganze Konzert leitete, […] dirigierte vor allem das imposante Schlußwerk von Hiller rhythmisch straff und mit ganzer Hingabe. Zu diesem Werke sang Frl. Else Eis die Soli mit leuchtendem Sopran sehr musikalisch und sicher [...]19
Am 30. Oktober 1933 berichtete ein weiteres Mal Karl Hessemer in einer ungenannten Zeitung über eine „Opernaufführung im Munzschen Konservatorium“:
„Anerkannt werden darf […] die treffliche Vorarbeit der beteiligten Gesangslehrkräfte: Bürg-Steinmann, Porita, Bussard, Eiffler und Sonntag (Tänze). So ergaben die beiden Einakt-Werkchen, Händels Acis und Galathea und Bachs Kaffeekantate ein abgerundetes und wirkliches vortreffliches Bild [...]“
Auch wenn hier ein mutiger Kritiker Ruth Porita noch ein dreiviertel Jahr nach der braunen Machtübernahme würdigte: Bald nach 1933 waren jüdische Künstler/innen aus dem „offiziellen“ Kulturbetrieb ausgeschlossen. Im Adressbuch stand Ruth zwar noch ein paar Jahre, 1938 wurde sie noch knapp als „Opernsänger“ (sic!) aufgeführt, 1939 ein letztes Mal, als „Organistin“, sie kann aber praktisch nur als Privatlehrerin und im Rahmen des Jüdischen Kulturbunds bzw. der Gemeinde tätig gewesen sein. So findet sich im „Israelitischen Gemeindeblatt, Ausgabe B“, am 13. Dezember 1933 die Anzeige:
„Musikunterricht
Gesang (Methode Prof. Beines=Darmstadt), Klavier, Guitarre (Laute), Davidsharfe (Honorar nach Übereinkunft) erteilt
Ruth Porita, Karlsruhe, Eisenlohrstr. 22“
Dieselbe Zeitung berichtete am 15. Dezember 1934:
„Die Ortsgruppe Karlsruhe im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten lud ihre Kameraden und deren Angehörige für den 17. November 1934 zu einem Familienabend mit buntem Programm ein. Viele auswärtige Kameraden von kleinen Gemeinden hatten sich eingefunden, und so war der Saal der Loge überfüllt, als Kamerad Leopold Neumann, der Vorsitzende der Ortsgruppe, die Gäste begrǘßte. Er gedachte, wie bei allen Veranstaltungen, zunächst der gefallenen Kameraden und übergab dann die Leitung des Abends Kamerad Goldschmidt. […] Das Programm eröffnete unsere bekannte Opernsängerin Else Eis, die mit ihrer schönen Stimme zunächst zwei Arien aus Figaros Hochzeit zu Gehör brachte, um später noch Lieder von Brahms, womöglich noch schöner vorzutragen. Darauf folgte ein indischer Tempeltanz, von Fanny Jakubowitz hübsch getanzt. Unsere einheimische Lautensängerin Ruth Porita erfreute im ersten Teil mit ernsten, im zweiten Teil mit lustigen, zum Teil selbst komponierten Liedern zur Laute. Nach einem lustigen Pat- und Patachon-Tanz der Geschwister Jakubowitz […] führten Frl. Dreyfuß und Max Kaufmann einen Sketsch vor. […] ...ein vergnügter Familienabend, im wahrsten Sinne des Wortes.“
Im April 1935 berichtet wiederum das Israelitische Gemeindeblatt von einem Konzert des Synagogenchors:
[...] verdient die Vertonung des 114. Psalms durch Ruth Porita Hervorhebung. Es handelt sich um eine gut gesetzte, klangvolle Komposition, in welcher die Themen sinnvoll durch alle Stimmen und den Gesamtchor geführt, zusammen mit der Solostimme zu eindrucksvoller Wirkung kommen können. In der Aufführung kam dies indessen nicht voll zur Geltung, da der Chor sich in dem technisch nicht ganz einfachen Satz nicht richtig zusammenfand. Zudem war Frl. Porita selbst mit einer für den Raum der Synagoge nicht ausreichenden und vielleicht deshalb besonders in der Höhe sehr angestrengt klingenden Stimme trotz ehrlicher Bemühung nicht die richtige Interpretin ihres eigenen Werkes […]20
Im Januar 1936 berichtete dieselbe Zeitung von einer Chanukka-Feier für alleinstehende Frauen:
Festlich gedeckte Tische wurden von der Menorah überragt, deren Lichter Oberkantor Metzger entzündete. Entsprechend der Aufforderung des Herrn Dr. Schiff setzten sich alle wie eine Familie zu Kaffee und Kuchen um die Tische. Frau Poritzky las eine im russisch-jüdischen Milieu spielende, längere Novelle ihres Gatten. Dann hörte man noch Frl. Porita mit Liedern zur Laute und Margot Wimpfheimer mit Gedichtvorträgen […] 21
Das Gemeindeblatt erwähnt im Februar 1936 in der Besprechung einer „Synagogalen Feierstunde“
Im Urtext und in Übersetzungen gelesene – die neue Bubersche Übertragung stand im Mittelpunkt – und in Kompositionen von Mendelssohn, Lewandowski, Porita, Rosenberg und Munz gesungene Psalmen.22
Im August des Jahres kam im Gemeindeblatt ein kurzer Bericht aus Bruchsal von einer Schabbatfeier an Tischa b'Av:
Fräulein Ruth Poritzky, die Leiterin des Synagogenchores, sang, von Frau Lang verständnisvoll begleitet, ein selbst komponiertes „Klagelied über Zion“, das in seiner wehmutstiefen Geschlossenheit ergreifend wirkte. Mit warmer, wohltönender Stimme formte die Künstlerin die Trauer- und Klagestimmung des Liedes zu beseeltem Ausdruck.23
Im selben „Gemeindeblatt“ gab das Stadtrabbinat am 9. Dezember 1936 zu den „gottesdienstlichen Feiern an den Chanukka-Tagen“ bekannt:
„Die Gesänge werden geboten
an beiden Dienstagen von Frl. Eis
am Mittwoch durch Frl. Poritzky
am Donnerstag durch Herrn Oberkantor [Simon] Metzger
am Sonntag durch Herrn Dr. Karl Mayer.“
In der Zeitschrift „Der Morgen“,24 1925 von Prof. Julius Goldstein in Darmstadt gegründet, erschien in Heft 12, 1937 ein Beitrag von Helene Poritzky-Orzolkowski: „Hand und Kult“,25 in dem sie, anknüpfend an die in ihrer Zeit neu aufgekommene Hand-Kultur-Lehre (Manufaktologie), die menschliche Hand als kulturstiftende Instanz beschrieb. Der Kritiker und Musikerkollege ihrer Tochter, Karl Hessemer, war ein führender Vertreter dieser – heute vergessenen – kulturwissenschaftlichen Sparte.
Das Jüdische Gemeindeblatt für die Rheinpfalz berichtete im April 1938 von einem „Konzert des Karlsruher Synagogenchors“ in Landau:
Der Orgelpart wurden bei den meisten Stücken von Fräulein Ruth Poritzki aus Karlsruhe mit schönem Können und guter Einfühlungskraft versehen.26
Das Jüdische Gemeindeblatt für die Israelitischen Gemeinden in Baden meldete am 16. September 1938 aus der Gemeinde Karlsruhe:
„Synagogale Feierstunde
Am Sonntag 18. IX. 1938, abends 8 1/2 Uhr, dem ersten Selichostage, findet eine synagogale Feierstunde statt.
Die voraussichtlichen Mitwirkenden sind:
Frau Gisela Liebermensch-Schiff, Mannheim – Gesang.
Frl. Ruth Poritzky – Orgel.
Herr Oberkantor [Simon] Metzger – Gesang.
Herr Kapellmeister [Kurt] Stern – Orgel.
Herr Alfred Jacubowitz – Violine.
Der Synagogenchor.“
Die erste Nacht des Slichot-Betens ist eine spezielle Gemeindeangelegenheit im aschkenasischen Brauchtum, an der auch Frauen und Kinder teilnehmen: Bußgebete, regulär am letzten oder vorletzten Sonntag vor Rosh Hashana bis Yom Kippur (Versöhnungstag), mit besonderen Piyyutim, d.h. alten poetischen Gesängen in Anlehnung an die Wochentagsliturgie.
Unmittelbar danach wurde Ruth Poritzky angestellte Organistin der Gemeinde. Im August 1938 hatte ihr der Gemeindevorstand die durch die geplante Emigration des früheren Staatskappellmeisters Kurt Stern freiwerdende Stelle offeriert und im September mit einem monatlichen Gehalt von 80,- RM übertragen. Aus diesem Entscheid geht auch hervor, dass sie bis dahin Organistin in der Synagoge in Bruchsal gewesen war und man eigens um ihre Freistellung hatte bitten müssen.27
Die fragmentarisch erhaltene Karlsruher „Judenkartei“28 enthält mit Datum 14. August 1939 folgenden Eintrag zu Ruth Poritzky:
„Ausgeübter Beruf: Stenotypistin, angestellt.
Gelernter Beruf: Opernsängerin.
Kenntnisse: Kurzschrift, Maschineschreiben, Kochen, Musik (Orgel, Laute, Davidsharfe)“
Offenbar hatte sie für den Lebensunterhalt der Familie auch noch eine Bürotätigkeit aufgenommen. Über ihre Tante, die als „Schneiderin“ aufgeführte Henriette Orzolkowski geht aus der Kartei hervor, dass sie nach „zwei Oberschenkelbrüchen“ gehbehindert war. Dass sie beruflich sehr engagiert war und ihre Mutter und ihre beide Tanten zu unterstützten hatte, mag ein Grund dafür sein, dass Ruth unverheiratet blieb.
Anfang 1939 wurde die Verwendung der Zwangsnamen Sara und Israel eingeführt. So erschien von Ruth „Sara“ Poritzky am 25. April 1939 ein Artikel mit dem Titel „Der fünfte Schöpfungstag“ in den Ausgaben Berlin und Wien des „Jüdischen Nachrichtenblatts“. Am fünften Schöpfungstag (Gen. 1, 20-23) werden die Fische und Vögel erschaffen und gesegnet; der Mensch ist noch nicht da. Der Artikel schildert ein lebhaftes Gespräch unter den Schülern des Berditschewer Rabbi Levi Jitzchok (1740-1809), einem Gefolgsmann des Baal Shem Tov. Es geht um Gottvertrauen, um das Bejahen des eigenen, rätselhaften, auch leidvollen Schicksals. Auf der selben Seite des Nachrichtenblatts schrieb die ebenfalls 1902 in Berlin geborene Regina „Sara“ Jonas einen Artikel zum Pesach-Fest. Regina Jonas war nichts weniger als die erste in Deutschland ordinierte und tätige Rabbinerin überhaupt. –
Deportation und Tod
Bei der Volkszählung im Mai 1939 bereitete der NS-Staat mit Extra-Bögen für jüdische Haushalte die weitere Verfolgung vor, nachdem die Betroffenen schon seit Jahren mit Verboten, Auflagen und Sondersteuern drangsaliert worden waren. In der Eisenlohrstr. 22 II wurden erfasst: Helene Poritzky, ihre Tochter Ruth Rebekka und ihre beiden ledigen Schwestern Jenny Deborah und Henriette Ester Orzolkowski. Bei allen vier Namen steht der spätere Vermerk eines Nazibeamten: „Unbekannt abgewandert.“
Wie fast alle in Karlsruhe gebliebenen Jüdinnen und Juden wurden die vier Frauen am 22. Oktober 1940 während des Laubhüttenfests (Sukkot) überraschend in den Morgenstunden festgenommen, mit dem Befehl zur Abschiebung. Innerhalb von ein oder zwei Stunden mussten alle ihre Sachen packen (50 kg Gepäck war erlaubt, Proviant für mehrere Tage, 100 RM, keine weiteren Wertsachen). Die Festgenommenen wurden nach „Waffen, Munition, Sprengstoff, Gift, Devisen“ durchsucht und zum abgesperrten „Fürstenbahnhof“ im Ostflügel des Hauptbahnhofs verfrachtet. Die verstörten, teils verängstigten, teils wütenden Menschen, über 900 an der Zahl vom Baby bis zum Greis, mussten zunächst stundenlang auf dem Vorplatz und am abgesperrten Bahnsteig warten, dann ging die dreitägige Reise in einfachen Personenwaggons Richtung Süden. Nach vielen Halten und noch immer im Unklaren über das Ziel erreichten die Passagiere am Freitag, dem 25. Oktober im strömenden Regen den Bahnhof Oloron-St. Marie im Departement Pyrénées-Atlantiques. Der Ort lag im von den Deutschen noch unbesetzten Süden Frankreichs. Lastwagen brachten die Deportierten in das „Camp de Gurs“, ein riesiges, absolut tristes Barackenlager, in dem auch Flüchtlinge des Spanischen Bürgerkriegs untergebracht waren. In 13 „Ilots“ beiderseits der langen Lagerstraße standen jeweils 25-27 weitgehend leere Baracken,29 ohne Fenster, nur mit Luftklappen versehen. Vom Regen aufgeweicht, war das abseits der Hauptstraße zumeist unbefestigte Lager eine für Ältere und Kranke fast unpassierbare Schlammwüste. Es gab nur je eine Latrine pro Ilot. Jedes Ilot war mit Stacheldraht und französischem Wachposten von den übrigen separiert; außerdem waren die Frauen von den Männern getrennt, kleinere Kinder ausgenommen. Nur gegen Bestechung oder z.B. bei Begräbnissen war es zunächst möglich, in andere Teile des Lagers zu gelangen.
Erst nach einigen Wochen konnten Hilfsorganisationen die Versorgungslage verbessern, vor allem für die Kinder; später trafen auch von Angehörigen im Ausland Pakete ein, an denen sich allerdings die ansonsten eher desinteressierte französische Lagerverwaltung regelmäßig selbst bediente. Etwa 600 vor allem ältere Menschen starben in den ersten drei Monaten an Entbehrungen, Unterkühlung, Ruhr u.a. Den ersten Winter überstanden auch die beiden Frauen Orzolkowski nicht. So starb am 24. Dezember 1940 die ältere der beiden, Jenny; am 3. Januar 1941 auch ihre Schwester, Henriette.30 Auf dem Deportiertenfriedhof in Gurs wird ihrer gedacht.
Am 10. August 1942, nach fast zwei Jahren in Gurs, wurden Helene und Ruth – neben weiteren 107 Personen aus Karlsruhe, darunter Ruths erwähnter Kollegin Elsa Eis – nach Drancy bei Paris verfrachtet. Dieses Durchgangslager, ein abscheuliches, überfülltes Provisorium in einem 200x400 Meter großen Wohnblock, verließen sie am 12. August mit insgesamt 1007 überwiegend älteren Menschen im „18. RSHA-Transport“ Richtung Osten.
In der Sommerhitze, ohne ausreichendes Wasser und ohne Platz zum Schlafen in den etwa 20 Güterwaggons kamen sie am 14. August im oberschlesischen Auschwitz an der „Alten Rampe“ beim Bahnhof an31 und wurden in das einige Kilometer entfernte Lager Auschwitz II (Birkenau) geführt, Kranke und Gebrechliche zumeist per Lkw, alle anderen mussten zu Fuß gehen. Ihr Gepäck wurde den Eintreffenden komplett gestohlen.
62 Frauen und 233 Männer wurden desinfiziert, kahlgeschoren und in das Lager eingewiesen, die übrigen sofort vergast und – nach dem Herausbrechen eventueller Goldzähne – in einem der gerade neu erbauten Krematorien von Häftlingen des „Sonderkommandos“ verbrannt,32 die Asche in nahe gelegene Gewässer geschüttet.
Helene und Ruth Poritzky waren nicht unter den Überlebenden. Ihrer wird seint 2005 auf der „Mur desNoms“ des „Mémorial de la Shoah“ in Paris gedacht.33
Eine in den USA lebende Cousine, Irma, Tochter von Therese geb. Poritzky, hatte mit ihrem Mann Louis Freeman während des Krieges vergeblich versucht, ihre beste Freundin Ruth nach Amerika zu holen.34 Das Ehepaar Freeman benannte nach ihr eine 1940 geborene Tochter: Ruth.
In der Musikaliensammlung aus dem Nachlass des Kantors Simon Metzger im Leo Baeck Institut in New York sind Noten zu Konzerten und Gottesdiensten der Synagoge Kronenstraße erhalten (Center for Jewish History, AR 6484), in denen sich allem Anschein nach auch Ruths Bleistift-Eintragungen finden.35 Es bleibt zu wünschen, dass ihre Kompositionen noch gefunden werden, denn auch das zeitgenössische Nachschlagewerk „Brückner-Rock“ (1938) belegt „u.a. Chorwerke, Lieder“ von ihrer Hand.36
Die Enkelinnen und Enkel von Therese Gutel-Poritzky und ihre Kindeskinder bewahren das Andenken der Familie; auch die Werke des schriftstellerisch begabten Großonkels sind unvergessen und werden auf Deutsch gelesen. Eine mit ihnen befreundete Germanistin in Oregon erarbeitet derzeit eine Dissertation über Jakob Elias Poritzky.
(Christoph Kalisch, April 2011)
Anmerkungen:
[1] Karteikarte Stadtarchiv Karlsruhe.
[2] GLA 57A, Generaldirektion des Hoftheaters, Badisches Landes- und Staatstheater, Personalia Nr 1553.
[3] Stadtarchiv Karlsruhe, 8/StS 13 Bd. 2, 186, Bl. 1-3.
[4] Ebenda.
[5] Bühnen-Jahrbuch 1920, S. 486; 1921, S. 476.
[6] Bad. Staatstheater Karlsruhe, Theaterzettel Bad. Landestheater Spielzeit 1920/21.
[7] Bühnen-Jahrbuch 1922, S. 377.
[8] Josef Dröscher: „Carl Beines zum Gedenken“. Zeitschrift für Musik, Jg. 111/1949-50, S. 651.
[9] Bühnen-Jahrbuch 1924, S. 189
[10] Mitteilung Stadtarchiv Darmstadt April 2011.
[11] Angaben Dr. Yorck A. Haase, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, Feb. 2011
[12] Badische Landesbibliotherk (BLB) 66 B 405 RB G Hessemer.
[13] BLB 59 A 2101 aK Hessemer.
[14] Adressbuch Stadt Karlsruhe 1927 ff., Vorspann: Unterrichtsanstalten.
[15] Die Zeitungsausschnitte und das Programm vgl. Stadtarchiv Karlsruhe 7/NL Hessemer/17 u. 19.
[16] Israelitisches Gemeindeblatt, Ausg. B, 9. Jg. 1931, H. 11, S. 11.
[17] Israelitisches Gemeindeblatt, Ausg. B, 10. Jg. 1932, H. 2, S. 10.
[18] Israelitisches Gemeindeblatt, Ausg. B, 10. Jg. 1932, H. 5, S. 8.
[19] Israelitisches Gemeindeblatt, Ausg. B, 10. Jg. 1932, H. 12, S. 8.
[20] Israelitisches Gemeindeblatt, Ausg. B, 13. Jg. 1935, H. 7, S. 10.
[21] Israelitisches Gemeindeblatt, Ausg. B, 14. Jg. 1936, H. 1 , S. 5.
[22] Israelitisches Gemeindeblatt, Ausg. B, 14. Jg. 1936, H. 4 , S. 7.
[23] Israelitisches Gemeindeblatt, Ausg. B, 14. Jg. 1936, H. 15 , S. 9.
[24] Der Morgen, H. 12, 1937, S. 563-6, wieder abgedruckt im Israelit. Gemeindeblatt Ausgabe B, 15. Jg. 1937, H. 13, S. 2-3.
[25] http:www.compactmemory.de/library/seiten.aspx?context=pages&ID_0=15&ID_1=328&ID_2=6608&skalierung=30&tzpid=15 .
[26] zit. nach Jüd. Gemeindeblatt für die Isr. Gemeinden in Baden, 16. Jg. 1938, Nr. 9, S. 6.
[27] Synagogenratsprotokoll vom 17.8.1938 in Stadtarchiv Karlsruhe 8/StS 17/321, Bl. 99 und 101.
[28] Personenkartei, Stadtdarchiv Karlsruhe 1/AEST/1238.
[29] Zu Gurs: Hanna Meyer-Moses: Reise in die Vergangenheit. Ubstadt-Weiher, 2009, S. 34 ff. und Josef Werner: Hakenkreuz und Judenstern. 2. Aufl. Karlsruhe 1990, S. 302 ff.
[30] Mémorial de la Shoah (Klarsfeld), http:mms.pegasis.fr/jsp/core/MmsGlobalSearch.jsp .
[31] Nicht an dem bekannten gewordenen, erst später gebauten Gleis in Birkenau.
[32] Danuta Czech: Kalendarium der Ereignisse des KZ Auschwitz-Birkenau. 1989. S. 272f.
[33] Ruth mit dem irrtümlichen Geburtsjahr 1908
archiver.rootsweb.ancestry.com/th/read/FARBER/2003-06/1055823352 .
[34] http:*www.thejewishchronicle.net/printer_friendly/3949781. Auch www.irmafreeman.com/Site/exhibitions.html .
[35] Mitteilung LBI Archives New York April 2011.
[36] Brückner/Rock (1938).