Schuss, Regina
Nachname: | Schuss |
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Vorname: | Regina |
abweichender Vorname: | Rifka Silka |
geborene: | Kranz |
Geburtsdatum: | 25. April 1896 |
Geburtsort: | Przylenka/Posen (Deutschland, heute Polen) |
Familienstand: | verheiratet |
Familie: | Ehefrau von Karl Sch.; Mutter von Simon (1909-1922), Anna, Bernhard, Max und Siegfried |
1932-1939: Adlerstr. 35, 1939 nach Leipzig
Kauffrau Inhaberin eines Geschäftes für Bettdecken seit 1933, Adlerstr. 36
Biographie
Regina und Anna Schuss
Rifka (Regina) Silka Schuss wurde am 25. April 1896 in Przlenka, unweit Bromberg in der preußischen Provinz Posen im heutigen Polen geboren. Sie war mit dem wesentlich älteren Kalman (Karl) Salomon Schuss verheiratet, der am 19. Mai 1874 in Ostrowy-Tuszowskie auf die Welt kam, und hatte mit ihm vier Kinder: Max, Bernhard, Siegfried und Anna.
Die beiden verließen vermutlich noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs ihre osteuropäische Heimat und lebten bevor sie 1921/22 nach Karlsruhe kamen in Stuttgart, wo auch der zweite Sohn Max 1918 zur Welt kam. Der erste Sohn Simon war 1909 noch im österreichisch-ungarischen Miliec bei Tarnov geboren. Er verstarb am 10. Januar 1922 im Städtischen Krankenhaus in Karlsruhe mit nur 12 Jahren, woran ist uns unbekannt. Die Familie wohnte in Karlsruhe zunächst in der Schützenstraße 58 und zoge1932 in eine größere Wohnung in die Adlerstraße 35, in der sie auch eine Sackhandlung betrieb. Der Ehemann von Regina war anfangs kaufmännischer Angestellter der Sackfabrik Hans Dieffenbacher GmbH, später verkaufte er als selbstständiger Gewerbetreibender gebrauchte Säcke von Dieffenbacher weiter. Mit dem Boykott jüdischer Geschäfte im April 1933 bekam er Schwierigkeiten mit dem Ankauf gebrauchter Säcke. Deshalb eröffnete Regina Schuss 1933 auf ihren Namen ein Geschäft zum Verkauf von Bettfedern und Decken, wofür sie einen Laden gegenüber der Wohnung in der Adlerstraße 36 anmietete. Zur Kundschaft zählten hauptsächlich jüdische Auswanderer, die vor allem Daunendecken kauften. Das Geschäft lief zunächst erfolgreich, musste aber später wegen des nationalsozialistischen Boykotts in die eigene Wohnung verlagert werden, in welcher ein Zimmer als Lager eingerichtet wurde.
Wann Karl und Regina Schuss (das erste Mal) heirateten, ist nicht mehr nachvollziehbar. In den Geburtsregistern der Kinder sind sie standesamtlich immer als eheliche Eltern eingetragen. Doch wurde diese Ehe 1930 behördlicherseits für ungültig erklärt. Der Standesbeamte vermerkte in den Geburtsregistern nachträglich säuberlich, dass die Kinder unehelich geboren seien, da die Eltern nicht verheiratet seien. Waren Karl und Regina Schuss in der alten osteuropäischen Heimat vielleicht nur religiös getraut worden oder gab es Schwierigkeiten mit Papieren oder existierten eventuell gar keine? Jedenfalls heirateten die beiden offiziell nochmals in Karlsruhe im April 1930 vor dem Standesamt.
Im Herbst 1938 wurde Reginas Ehemann in der Oktoberdeportation der „Ostjuden“ nach Polen abgeschoben. Für die Nationalsozialisten galt er als polnischer Staatsbürger, obwohl er keinen polnischen Pass besaß und kein polnisch konnte. Die Eheleute hatten ihre Vornamen längst auf Regina und Karl eingedeutscht. Kalman – Karl - Schuss durfte Anfang August 1939 mit behördlicher Genehmigung zur Familie nach Karlsruhe zurück - diese Erlaubnis sollte nur für vier Wochen gelten. Doch als unmittelbar darauf der Krieg begann, ging die Restfamilie, die nach dem Weggehen der älteren Söhne nur noch aus den beiden Eheleuten und der jüngsten, 1927 geborenen Tochter Anna bestand, nach Leipzig. Eine Reihe jüdischer Familien verließ nach dem September 1939 aus Kriegsfurcht die Stadt. Da sie im Gegensatz zu „arischen“ Familien nicht in das sicherere Hinterland evakuiert wurden, waren sie gezwungen sich in die Obhut größerer jüdischer Gemeinden zu begeben, insbesondere der von Leipzig.
Wie schon zuvor lastete auf Regina Schuss’ Schultern der Unterhalt der ganzen Familie. Den Lebensunterhalt musste sie wie andere „evakuierte“ Juden durch Arbeitsverpflichtung bestreiten, in einer Arbeitsanstalt in Leipzig. Dort verrichtete sie täglich von 5 bis 16 Uhr schwere Arbeiten, wie z.B. Holzhacken. Geschlafen wurde auf dem nackten Fußboden. Im Lager wurde Regina anfangs von ihrer Tochter Anna getrennt, die in einem jüdischen Kinderheim untergebracht wurde. Unmittelbar nach der Ankunft in Leipzig starb Karl Schuss von Entbehrung und Krankheit gezeichnet am 14. November 1939 in Leipzig. Dort wurde er auch zwei Tage später auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.
„Mein Herz bricht, meine Augen trocknen nicht vor weinen, wenn man sich überlegt, wie schön es war, wie wir alle zusammen waren und jetzt ist jeder besonders und ich drehe mich allein herum und bin auf fremde Menschen angewiesen und sehe aus wie ein Dienstmädel vor 20 Jahren“, klagte Regina ihrem jüngsten Sohn Siegfried ihr Leid in einem Schreiben zum jüdischen Neujahr (1940). Immer wieder bat sie ihn um Lebensmittelpäckchen angesichts ihrer schwierigen Situation.
Der Sohn Max war bereits 1935 nach Palästina ausgewandert, wo er in Tel Aviv lebte und arbeitete. Der ein Jahr jüngere Sohn Bernhard saß auf dem Weg dorthin in Italien fest. Sohn Siegfried, kaufmännischer Lehrling, sollte 1938 ebenso wie sein Vater nach Polen abgeschoben werden, entzog sich siebzehnjährig dem aber dadurch, dass er über die jüdische Jugend-Alija nach Dänemark flüchten konnte. Von dort aus sollte seine Einreise nach Palästina organisiert werden. Dem kam der Zweite Weltkrieg zuvor und Siegfried konnte später durch dänische Hilfe nach Schweden vor dem Zugriff der nationalsozialistischen Mörder in Sicherheit gebracht werden. Zwischen Mutter und Sohn Siegfried bestand noch bis 1941 ein reger Schriftverkehr auf Postkarten; nachdem Siegfried in Dänemark Arbeit gefunden hatte, konnte er die Mutter und seine kleine Schwester in Leipzig hin und wieder mit Geldbeträgen und Dingen des täglichen Lebens unterstützen. Sohn Max und Bernhard blieben postalisch unerreichbar, worunter die Mutter besonders litt. Immer wieder beschwor sie in ihren Karten das Wiedersehen aller: „Wie schön wäre es, wenn ich mit euch lieben Kindern zusammen sein könnte, vielleicht gibt mir noch der liebe Gott diese Gnade, dass ich noch erleben soll euch liebe Kinder zu sehen. Die Sehnsucht und das Heimweh ist jedes Mal stärker.“ (15. Mai 1941)
Regina bekam Anfang August 1940 eine Arbeit außerhalb der Lagerunterkunft in Leipzig als Pflegerin einer alten Frau. Sie verdiente ein paar Mark, mit denen sie sich und ihre 14-jährige Tochter Anna durchbringen wollte und darüber hinaus noch Verwandten etwas zusteckte. Diese Stelle behielt sie aber nicht lange, da sie berichtet, dass sie Anfang 1941 wieder im Gemeinschaftslager arbeiten musste.
Bis zum Schluss setzte Regina Schuss all ihre Hoffnung daran, dass die geplante Ausreise nach Palästina gelingen würde, mit Hilfe von Verwandten in der Schweiz und über ihren Sohn Max. Zu der Zeit, als noch Aussicht auf Ausreise bestand, vermutlich vor dem September 1939, war der Hausstand zur Ausreise bereits nach Triest verbracht worden. Im September 1940 musste sie ihrem Sohn Siegfried nach Dänemark schreiben. „Mein Kind, du fragst mich wegen unserem Lift [Umzugsgut in Holzkiste seefest verpackt, d.V.]. Leider haben wir nicht viel zu erwarten, der Spediteur aus Triest schrieb mir, dass die meisten Sachen kaputt sind, hauptsächlich Kleider und Wäsche, die Matratzen sind ganz verfault und was gutes an Möbeln ist, muss er verkaufen, um die Unkosten zu decken…Wie uns das Unglück getroffen hat, von allen Seiten. Ich habe nur die einzige Hoffnung, nur euch noch, meine lieben Kinder zu sehen, mehr will ich nicht.“
Doch auch diese Sehnsucht blieb unerfüllt.
Am 10. Mai 1942 wurden Regina und Anna Schuss nach Belzice in das dortige Ghetto deportiert. Von dort stammt auch das letzte Lebenszeichen, eine Postkarte vom 1. Juni 1942.
Im Oktober 1943 wurde das Ghetto Belzice aufgelöst. Die Ghettobewohner wurden in den angrenzenden Vernichtungslagern Majdanek oder Sobibor durch Gas ermordet.
Im Geschichtsunterricht beschäftigte sich die Klasse 10a des Heisenberg-Gymnasiums in einem längerfristigen Projekt mit dem Schicksal der Juden, insbesondere der Karlsruher Juden, die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet worden sind. Dabei ging es uns darum, mit der Rekonstruktion der Lebensläufe ein Stück weit die jüdische Kultur und die jüdischen Traditionen kennen zu lernen. Im Rahmen des Geschichtsunterrichts hatten wir einen Holocaustüberlebenden als Zeitzeugen zu Gast, nahmen wir an einem Stadtrundgang auf jüdischen Spuren in Karlsruhe teil, studierten Akten der Opfer im Stadtarchiv Karlsruhe, recherchierten im Generallandesarchiv Karlsruhe und besuchten während unserer Landschulheimfahrt das Kleine Lager und das Ghetto in Theresienstadt, was uns sehr beeindruckte und bewegte.
(Anna Ivers, Anna Seith, Anita Kotschi, Alessandra Fischer - Schülerinnen der Klasse 10a des Heisenberg-Gymnasiums, Schuljahr 2001/2002)