Schwarzberg, Friedrich

Nachname: Schwarzberg
Vorname: Friedrich
abweichender Name: Feder
abweichender Vorname: Fryderyk
Geburtsdatum: 24. November 1904
Geburtsort: Karlsruhe (Deutschland)
Familienstand: ledig
Eltern: Siegfried und Amalia, geb. Wolff, Sch.
Familie: Bruder von Simon und Selma
Adresse:
Markgrafenstr. 3
Beruf:
Kaufmann
Deportation:
28.10.1938 Abschiebung nach Polen,
26.9.1939 nach Buchenwald (Deutschland)
Sterbeort:
Buchenwald (Deutschland)
Sterbedatum:
9. Juni 1941

Biographie

Amalia Schwarzberg und ihre Söhne Friedrich und Simon


Herkunft und erste Heirat


Amalia kam am 21. August 1872 im südpfälzischen Rülzheim als Tochter von Ulrich und Sara Wolff zur Welt. Das stattliche Dorf mit fast 2.900 Einwohnern hatte laut Volkszählung 1871 14% jüdische Einwohner und damit eine der größten jüdischen Gemeinden der damals bayerischen Pfalz.

Vater Ulrich, gebürtiger Rülzheimer, seit 1871 in zweiter Ehe verheiratet mit Sara, geborene Weil, war ein Sohn des Moises Wolf und der Rebekka, geborene Kahn. Ulrichs Geburtsurkunde vom 2. Februar 1818 hatte sein Vater, „welcher deklarierte, nicht deutsch schreiben zu können“, in hebräischen Buchstaben unterschrieben: משה וואלף. Bei Amalias Geburt war ihre Mutter 26 Jahre alt, ihr Vater bereits 54. Zunächst als Schneider tätig, wird Ulrich Wolff im Handelsadressbuch 1877 als „Krämer“ erwähnt und handelte ambulant mit Brillen. Für Brille oder Monokel brauchte es vorgefertigte, runde Gläser in gestaffelten Stärken und verschiedenen Größen, dazu Nickelgestelle; all dies wurde üblicherweise aus dem Koffer an der Haustür angeboten.

Mutter Sara war am 30. November 1846 als Tochter des Viehhändlers Marx (Mordechai) Weil und der Franziska (Beile), geborener Weinheim in Rust bei Lahr geboren worden. Sie war Hausfrau und Mutter von sieben Kindern und unterstützte zweifellos ihren Mann beruflich. Nach Amalia als Ältester hatte das Ehepaar die Kinder Maximilian, geboren am 14. September 1875; Moses, am 24. Juli 1878; Scholastika, am 26. September 1880; Leopold, am 12. September 1883 und Friederike, am 22. Juli 1886.

In jenen Jahren bestand in Rülzheim eine jüdische Elementarschule direkt neben der zentral gelegenen, 1833 erbauten Synagoge. Der Unterricht für Mädchen reichte bis zum 13. Lebensjahr. Ob Amalia danach eine weiterführende Schule besuchte, wissen wir nicht. Im Jahr 1888 – Amalia war 16 Jahre alt – verstarb ihr Vater in Rülzheim.

Mit knapp 19 Jahren heiratete Amalia am 9. Juli 1891 in Ingenheim (heute Billigheim-Ingenheim, Kreis Südliche Weinstraße) den 25-jährigen „Lumpensammler“ Maximilian Dreifus, Sohn des dortigen Synagogendieners Bernhard Dreifus und der Veronika, geborene Wolff. Die Berufsbezeichnung muss keineswegs herabsetzend sein – das Textilrecycling, auch für die Papierindustrie, war eine florierende Branche.

Amalias verwitwete Mutter war eine neue Verbindung eingegangen, so kam noch Ferdinand Wolff am 4. Januar 1892 als jüngster der Geschwister in Rülzheim zur Welt. Der Name des Vaters ist in den vorhandenen Unterlagen nicht verzeichnet.

Amalias Ehemann Maximilian Dreifus verstarb am 22. August 1892. Ihre kaum mehr als einjährige Ehe blieb kinderlos. Über die Todesursache ist nichts überliefert.

Zweite und dritte Ehe, Leben in Karlsruhe, Familie

Am 12. März 1894 heiratete sie erneut, dieses Mal in Rülzheim den „Tüncher“, auch: „Anstreichergehilfen“ bzw. „Aufseher“ Gustav Kaufmann, geboren 1862 in Unna, zuvor gemeldet in Neustadt an der Haardt – heute Neustadt/Weinstraße –, Sohn des David Kaufmann und der Hanna, geborener Weinberg. In der für ihre 23-jährige Tochter damals noch erforderlichen, elterlichen Einwilligung zur Eheschließung gab Sara Wolff ihren eigenen Beruf als „optische Warenhändlerin“ an, d.h. sie führte das Geschäft ihres verstorbenen Ehemanns Ulrich weiter.

Vielleicht hat Amalia beide Male einen schwerkranken Mann geheiratet, denn auch Gustav Kaufmann starb nach sehr kurzer Zeit, am 18. März 1894 in der Wohnung in Rülzheim. Auch diese Ehe blieb kinderlos. Über die Todesursache erfahren wir auch hier nichts. Armut und soziale Gründe sind kaum anzunehmen, da Amalias Geschwister alle das Erwachsenenalter erreichten und ihre Eltern 70 bzw. 84 Jahre alt wurden. Dass der eigentlich im Malergeschäft tätige Gustav als „Aufseher“ bezeichnet wird, lässt vermuten, dass er durch Krankheit oder Behinderung eingeschränkt war.

Um 1900 zogen Sara Wolff und ihre Kinder nach Karlsruhe, mit ihnen auch die verwitwete Amalia. Im Juni 1901 heiratete ihre Schwester Scholastika in Karlsruhe den Kaufmann Moritz (Moses) Fleischer aus Stuttgart. Im selben Jahr finden wir „Wolff Ulrich Optikers Witwe“ und „Kaufmann, Gustav, Aufseher Witwe“ in der Kapellenstraße 42, Hinterhaus 2. Stock, im Jahr darauf in der Durlacher Straße 4, ein weiteres Jahr später ist an derselben Adresse auch Amalias Bruder Moses genannt.

Amalia heiratete um diese Zeit zum dritten Mal, zunächst wohl nur per ritueller Trauung durch einen Rabbiner. Ihr Bräutigam war der zuvor ledige Kaufmann Siegfried Schaja (Jeshajahu) Feder vel Schwarzberg, geboren am 10. Dezember 1863 im galizischen Lipica Górna bei Rohatyn, Österreich-Ungarn – heute Verkhnia Lypytsia, Oblast Ivanofrankivsk in der westlichen Ukraine. Das lateinische „vel“ steht für „oder“, d.h. er führte beide Nachnamen. Schwarzberg war der amtlich akzeptierte Name: Schajas Vater war der Müller bzw. „Mühldiener“ Simon Schwarzberg, geboren um 1830 in Lipica Górna. Schaja hatte mindestens einen Bruder oder eine Schwester. Wahrscheinlich gab es nach Vater Simons Tod 1877 einen Pflegevater, dessen Familiennamen Feder die Kinder dann führten – anders ist der Doppelname nicht zu erklären. Schajas Mutter war die Hausfrau Sara, geborene Mandel, Jahrgang 1833. Die Witwe lebte zuletzt im von Lipica nicht weit entfernten Brzeźany – heute Bereschany, Oblast Ternopil, Ukraine. Nach deren Tod 1883 zog der inzwischen 20-jährige Schaja offenbar Richtung Westen und kam spätestens 1903/04 im Badischen an.


Das frisch vermählte Ehepaar wohnte im Dörfle in der heute verschwundenen Schwanenstraße, Nr. 19. Am 24. November 1904 kam ihr erstes Kind, Friedrich, zur Welt. Amalias Mutter Sara und ihr Bruder Moses, Inhaber der „Süddeutschen Gamaschen-Industrie Moses Wolff“, wohnten parterre, im Stockwerk darüber „Kaufmann, Gustav, Aufseherwitwe“; ihr Ehemann war noch nicht im Adressbuch aufgeführt. Im Jahr 1905 finden sich laut Adressbuch Mutter, Moses und Amalia samt ungenanntem Ehemann in der Markgrafenstraße 31, einer weiteren, einfachen Unterkunft im Dörfle.

Am 3. September 1907 schlossen in Karlsruhe Amalias Schwester Friederike (Frieda) und Julius Feibelmann (1882-1934) die Ehe. Er war aus Brooklyn gebürtig und zuvor Kaufmann in Mannheim.

Am 1. November 1907 kam das zweite Kind der Schwarzbergs, Tochter Selma, zur Welt. Am 24. Dezember 1907 folgte schließlich die standesamtliche Trauung von Amalia und Schaja, die beiden wohnten nun mit ihren zwei kleinen Kindern in der Adlerstraße 8, einem Haus der Eisenhandlung Ettlinger & Wormser. Der Vater firmierte meist als „S. Feder, Agent“, das dürfte heißen, er vertrat Firmen im Alleinvertrieb entsprechend einer Agentur. Seine mühsame Erwerbsarbeit zeigt ein Inserat im Karlsruher Tagblatt vom 9. Oktober 1909: „Hoher Preis wird bezahlt für getragene Schuhe und Kleider. Man schreibe an S. Schwarzberg, Adlerstr. 8 II“.

Am 3. April 1910 kam als drittes Kind Simon zur Welt. Die größer gewordene Familie wohnte in den Folgejahren am Zirkel 12, Hinterhaus 2. Stock.

Im August 1910 starb in Karlsruhe Amalias Schwägerin, Moses Wolffs 25-jährige Ehefrau Regina, geborene Gintzburger, gebürtig aus dem oberelsässischen Kembs.

Amalias Mutter lebte in diesen Jahren zunächst in der Kaiser-, Ecke Adlerstraße, einem Haus des Kaufmanns Adolf Schnurmann, dann bis um 1916 einige Häuser weiter in der Adlerstraße. Ihre Kinder blieben in der Nähe. So findet sich für einige Jahre das „Schreib- und Vervielfältigungsbüro“ von Ferdinand Wolff in der Adlerstraße; Moses Wolff hatte sein Zuhause in der Zähringerstraße, Julius und Frieda Feibelmann wohnten in der Kronenstraße.

Im Juli 1915 starb Amalias Bruder Maximilian Wolff in Karlsruhe im Alter von 39 Jahren. Sein Grabstein auf dem Liberalen Jüdischen Friedhof ist erhalten.

Im Oktober 1918 musste die Familie auch von Amalias Schwester Friederike Feibelmann Abschied nehmen. Sie verstarb 32-jährig im Kindbett und ist zusammen mit ihrem totgeborenen Kind auf dem Liberalen Friedhof in Karlsruhe begraben.

Ab etwa 1918 war Familie Schwarzberg in der Markgrafenstraße 3 im Vorderhaus, Erdgeschoss, ansässig. Eigentümer des einfachen Gebäudes mit Hinterhaus war seit den frühen 1920er Jahren der aus dem polnischen Ostrowiec gebürtige Schneider Israel Mendel Zimmermann, der mit Familie im Stock darüber wohnte und im Erdgeschoss einen Altwarenladen führte. (Über die Familie gibt es einen Eintrag im Gedenkbuch.) Das An-und Verkaufsgeschäft bestand schon seit Jahren; Jakob und Chaja Glotzer hatten es bis etwa 1918 betrieben. Vermutlich arbeitete Schaja als Vertreter und Einkäufer für das Geschäft.

Die Schwarzbergs mieteten dort nach Schilderung der Tochter Selma eine einfache 3-Zimmer-Wohnung – zwei Schlafzimmer, Stube, Küche, kein Bad. Zum Inventar zählten einige Möbel der Großmutter Sara Wolff, eine Kuckucksuhr und ein Grammophon mit über 100 Schallplatten. Alle Schwarzberg-Kinder waren berufstätig, die Mutter Hausfrau. Die Familie gehörte zumindest nominell der liberalen bis konservativen Hauptgemeinde in der Kronenstraße an und scheint teils mehr, teils weniger strenggläubig gewesen zu sein.

Vater Schaja war offenbar geschäftlich erfolglos und geriet unter diesen prekären Bedingungen in rechtliche Schwierigkeiten. So musste er sich im Juli 1919 beim Amtsgericht in Karlsruhe einem Verfahren stellen. Er habe von einem Lehrling wissentlich Diebesgut aus einem Einbruch angekauft - Uhren, Hüte, Schuhe, Kleider und anderes, und den Dieb aufgefordert, weiteres zu bringen, so die Anklage. Die 1. Strafkammer verurteilte Schaja wegen „gewerbsmäßiger Hehlerei“ zu einem Jahr Zuchthaus. Diese besonders harte Haftstrafe (strenger Arrest, Arbeitspflicht und Ehrverlust) wurde später wegen zuvor einwandfreien Lebenswandels in ein Jahr Gefängnis umgewandelt, das er bald darauf vermutlich in Karlsruhe absaß.

Nach dem Ende des Weltkriegs und dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie fiel die Gegend um Rohatyn, aus der Schaja Schwarzberg stammte, 1921 an Polen. Damit wurden er und seine Kinder polnische Staatsangehörige.

Im Dezember 1924 traf ein weiterer Todesfall die Familie. Amalias Schwester Scholastika Fleischer verstarb in Stuttgart und wurde auf dem Israelitischen Teil des dortigen Pragfriedhofs beigesetzt.

Im Januar 1927 kam das nächste Unheil. Amalias Bruder Leopold Wolff, Absolvent des Karlsruher Lehrerseminars, 1906 Hilfslehrer in Malsch, zuletzt Hauptlehrer in Mannheim, verheiratet mit Lina, geborene Günzburger, starb 43-jährig in Mannheim und ist dort beigesetzt worden. Die Witwe Lina verzog 1928 nach Konstanz.

Am 10. Mai 1929 starb schließlich „nach längerem Krankenlager“ der 65-jährige Familienvater Siegfried Schaja Schwarzberg in Karlsruhe und wurde auf dem Liberalen Friedhof Haid-und-Neu-Straße begraben. Ein schlichter Grabstein erinnert an ihn. Unter den Trauernden war auch ein Bruder oder eine Schwester des Verstorbenen. Jetzt war Amalia mit 56 Jahren ein drittes Mal Witwe und vermutlich auf die Unterstützung ihrer Kinder und ihres Halbbruders Ferdinand angewiesen.

Im Jahr darauf kam ein weiterer Abschied: „Unsere über alles geliebte Mutter, Schwester, Großmutter, Schwiegermutter und Tante, Frau U. Wolff Wwe wurde uns Sonntag … im Alter von 84 Jahren durch den Tod entrissen. Karlsruhe, Kembs, Stuttgart, München, Konstanz, den 21. Dezember 1930. In tiefem Schmerz Ferdinand Wolff, Schloßplatz 13. Die Beerdigung findet … auf dem Friedhof der Israel. Gemeinde statt“, so meldete die Badische Presse. Auch Sara Wolffs Grabstein ist erhalten.


Zunehmende Verfolgung

Für fast zwei Jahrzehnte wohnte Amalia – in damaliger Redeweise „Schwarzberg, Siegfried, Agentenwitwe“ oder auch „Vertreterwitwe“, in der Markgrafenstraße 3, auch noch mit ihren erwachsenen Kindern. Das legt nahe, dass sie mit den Zimmermanns in gutem Einvernehmen lebten.

Im Mai 1937 kam Amalias 1918 geborene Nichte Hanna Fleischer, Tochter ihrer verstorbenen Schwester Scholastika, nach Karlsruhe. Gut möglich, dass sie bei den Schwarzbergs wohnte.

Im Oktober 1938 wurde in einem diplomatischen Schlagabtausch zwischen dem Deutschen Reich und Polen Jüdinnen und Juden mit polnischen Pässen von polnischer Seite die Visumverlängerung verweigert, woraufhin die deutsche Seite die Betroffenen am 28. Oktober an die polnische Grenze abschob. Polen wiederum verweigerte die Einreise, so dass etwa 16.000 Menschen im Grenzgebiet vor allem bei Zbąszyń hängen blieben, darunter über 60 erwachsene Männer aus Karlsruhe, in vielen Fällen Ernährer ihrer Familien. Friedrich war durch seinen verstorbenen Vater Schaja auch unter den Abgeschobenen. Erhaltene Gestapoakten belegen den Ablauf:

Am 11. November vermerkt ein Beamter: „Zurückgekommen ist niemand“. Bei einer Razzia am 14. November früh um 6 Uhr „unter Einsatz aller Kräfte der Sicherheits- und Ordnungspolizei“ wurde Amalia zu Hause kontrolliert. Bis Ende Juli 1939 erwartete man von Amalia und ihrer Tochter die „freiwillige“ Abreise, danach werde „Abschiebungshaft“ angeordnet.

Ferdinand Wolff berichtete nach dem Krieg (er lebte 1965 im israelischen Ramat Gan), er habe seine Schwester in Karlsruhe bis Sommer 1939 öfters besucht, er selbst sei im Juli 1939 emigriert.

Am 21. Juli findet sich Amalia im „nochmals überprüften Verzeichnis der zum Vollzug der Abschiebungshaft vorgesehenen Juden polnischer Staatsangehörigkeit“. Am 24. Juli 1939 schrieb Dr. Jordans vom Staatlichen Gesundheitsamt, dass er „Halpern, Jakob und Schwarzberg, Amalia als für Unterbringung im Konzentrationslager nicht geeignet ansehe wegen Alters und Kränklichkeit (Halpern ist 1877, die Schwarzberg 1872 geboren)“. Am 31. Juli griff dennoch das Aufenthaltsverbot im Deutschen Reich. Aktenvermerke besagen nun „Schwarzberg Amalie Witwe Markgrafenstr. 3, fort, Polen“, dann „angeblich nach England verzogen“ – beides ist falsch. Tatsächlich zog Amalia im Spätsommer 1939 für einige Wochen zu ihrem Schwager Moritz (Moses) Fleischer nach Stuttgart in die Reuchlinstraße 9, wo sie auch mit ihrem ältesten Sohn Friedrich zusammenkam. Dann ging sie nach Fürth, wo sie – ähnlich wie der erwähnte Jakob Halpern – offenbar von der Jüdischen Gemeinde versorgt wurde. Schließlich reiste Amalia am 14. November weiter nach Regensburg. Ferdinand Wolffs nicht-jüdische Frau Luise besuchte sie dort im Herbst 1939, wo Amalia ein möbliertes Zimmer in der Heilig-Geist-Gasse 10/1 bei Witwe Klara Selig und ihren Töchtern bewohnte. Am 6. Februar 1940 zog sie um in die Rote-Hahnen-Gasse 7 zu Familie Jacob Farntrog. (Vor diesem Haus liegt heute ein Stolperstein für Amalia Schwarzberg).

In dieser Zeit verschärfte sich der Naziterror gegen Amalias Angehörige.

Die Schwägerin Lina Wolff, geborene Günzburger, gebürtig aus Emmendingen, wurde im Oktober 1940 von Konstanz nach Gurs verschleppt. (Sie ist später über Drancy nach Auschwitz deportiert worden und umgekommen).

Eine Nichte, Friederike Feibelmanns Tochter Henriette (Henni), geboren 1912 in Karlsruhe, verheiratete Grünebaum, 1939 im Israelitischen Krankenhaus in der Gagernstraße in Frankfurt, ist an unbekanntem Ort im Holocaust umgekommen.

Ein Neffe, Scholastika Fleischers Sohn Ferdinand, geboren 1907, wurde im Juni 1940 als Psychiatriepatient in Grafeneck ermordet. Auf dem Grabstein der Mutter am Pragfriedhof in Stuttgart wird seiner gedacht.

Ein weiterer Neffe, Ferdinand Fleischers Bruder Ludwig, geboren 1916, wurde im Dezember 1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert und ist dort umgekommen.

Nach 2 ½ Jahren in Regensburg erhielt Amalia als Siebzigjährige am 13./14. April 1942 die Einweisung in das dortige jüdische Altersheim Weißenburgstraße 31. Das Haus war überfüllt, es teilten sich sechs und mehr alte Menschen ein Zimmer. Von dort erhielt ihre Tochter zum letzten Mal Nachricht von Amalia, mit Datum 10. Juni 1942, so erfahren wir aus einer Suchanfrage, die Selma Schwarzberg 1946 über das Britische Rote Kreuz bei amerikanischen Besatzungsstellen stellte.

Am 23. September 1942 nachmittags wurde Amalia Schwarzberg zusammen mit anderen aus dem Altersheim von Regensburg nach Hof gebracht und in einem Sonderzug mit Passagierwaggons unter Polizeibewachung deportiert. Die Reise führte über Dresden nach dem böhmischen Bohusovice/Bauschowitz, wo die etwa 680 Menschen am nächsten Morgen ankamen. Die Gehfähigen mussten die drei Kilometer bis Terezin/Theresienstadt mit ihrem Gepäck zu Fuß gehen. Die Ankunft im Ghetto muss ein unbeschreiblicher Schock gewesen sein. Im Herbst 1942 waren zwischen 40.000 und 50.000 Menschen in der kleinen Festungsstadt interniert. Die meisten Unterkünfte waren stark überbelegte, provisorisch eingerichtete Kasernen, belegt vom Keller bis zum Dachboden, im Winter kaum beheizt, im Sommer unerträglich heiß. Ständige Begleiter waren die Unruhe in den überfüllten „Ubikationen“, Hunger, Ungeziefer und Seuchen und vor allem die tägliche Gefahr, zum Transport „in den Osten“ aufgerufen zu werden.

Der Schwager Moritz (Moses) Fleischer, der Orthodoxie zugehörig, Jahrgang 1872 wie Amalia, ab 1941 in Haigerloch im Altersheim, war seit August 1942 ebenfalls in Theresienstadt. Sicherlich hat Amalia ihn dort gesehen. (Er wurde im Mai 1944 deportiert und kam um).

Es herrschte Arbeitspflicht im Ghetto. Wer nicht arbeiten konnte, bekam weniger zu essen und hatte kaum Chancen, lange am Leben zu bleiben. Offenbar fand Amalia Arbeit und ein Umfeld, das sich gegenseitig half, denn erst ein Jahr nach ihrer Ankunft im Ghetto ist sie am 29. September 1943 gestorben. Das Krematorium bescheinigte die Einäscherung am 3. Oktober. Seit Herbst 1942 wurden die Toten dort – im Widerspruch zum jüdischen Religionsgesetz – verbrannt. Die Asche wurde später in die Eger geschüttet.


Sohn Friedrich Schwarzberg

Friedrich wurde am 24. November 1904 in Karlsruhe als Friedrich Kaufmann geboren. Seine Geburt meldete beim Standesamt Adele Spitzer, geborene Altmann, lange Jahre die einzige jüdische Hebamme in Karlsruhe. Die Eltern wohnten in der heute verschwundenen Schwanenstraße 19 im Dörfle. Mit der Zivilehe der Eltern wurde das Kind 1907 zu Friedrich Feder vel Schwarzberg.

Friedrich ging in Karlsruhe zur Schule und begann sein Arbeitsleben 1921 bei der Firma Loeb & Co Import und Export, trat dann 1922 eine kaufmännische Lehre an bei der Badischen Blindengenossenschaft in der Kriegsstraße. Nach erfolgreichem Abschluss blieb er dort als Buchhalter bzw. kaufmännischer Angestellter, bis 1931/32. In diesem Betrieb ging es um Produktion und Vertrieb von Bürsten, Besen, Korbwaren, Matten, Scheuer- und Spültüchern usw., aber auch um Dienstleistungen. Anschließend arbeitete er bei Firma Kosmos in der Südendstraße, deren Geschäftsführer sein Onkel Ferdinand Wolff war, in Fabrikation und Vertrieb von Vervielfältigungsapparaten. Als die Firma 1933 aufgab, fand Friedrich keine Stelle mehr und arbeitete stundenweise als Adressenschreiber bei der Jüdischen Gemeinde, 800 Adressen zu 3 RM. Laut späterer Aussage von deren Sekretär Heinrich Freund war Friedrich in der sogenannten Frühschul tätig, „einer Einrichtung verschiedener jüdischer Mitbürger, die den orthodoxen Gottesdienst in der Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft und den liberalen Gottesdienst in der Hauptsynagoge nicht tolerieren wollten“. Gegründet von Ludwig Homburger (1866-1954) als Wochentagsminjan in Abspaltung von der Israelitischen Religionsgesellschaft, befand sich dieser orthodoxe Betsaal am Zirkel 3, Ecke Waldhornstraße im Haus des Möbelmagazins Bär. Außerdem existierten noch das Ettlingersche Minjan sowie mehrere Betsäle osteuropäischer Juden.

Bei der Abschiebung der männlichen Juden mit polnischen Papieren an die Grenze bei Zbąszyń am 28./29. Oktober 1938 war der 33-jährige Friedrich unter den „Transporthäftlingen“, wie auch Nachbar Mendel Zimmermann aus der Markgrafenstraße 3 mit seinen beiden Söhnen (über diese gibt es einen Eintrag im Gedenkbuch).

Laut einer amtlichen polnischen Liste vom Herbst 1938 kam Friedrich in Zbąszyń in der ulica Żwirki 5 unter. Als Beruf steht dort: „Bücher“, d.h. vielleicht: Gelehrter in religiösen Dingen. Und weiter: Polnischkenntnisse schriftlich?: nein; Verwandte im Land, die ihn unterstützen können?: nein; Wohin im Fall der Freilassung?: Warszawa; Emigrationsziel: U.S.A.

Im Sommer 1939 machte sich Friedrich – vielleicht mit befristeter Erlaubnis der Behörden – auf den Rückweg nach Deutschland. In einer Zbąszyń-Liste des „Joint“, dem American Jewish Joint Distribution Committee von 1939 ist er noch genannt. Irgendwie schaffte es Friedrich kurz vor Kriegsbeginn über die Grenze und konnte für einige Wochen zusammen mit seiner Mutter Amalia in der Reuchlinstraße 9 in Stuttgart bei seinem Onkel Moritz Fleischer unterkommen.

Als staatenloser Jude und unerwünschter Rückkehrer aus Polen, dem Land, das die Deutschen seit einigen Tagen mit Krieg überzogen, war er zweifellos im Visier der Nazibehörden, als Friedrich am 11. September 1939 von der Stapo Stuttgart verhaftet wurde. Am 26./27. September wurde er als „Politischer Jude/wehrunwürdig“ in das KZ Buchenwald bei Weimar eingeliefert. In Buchenwald musste er als Häftling Nr. 6655 im Kommando SS-Unterkunft Bauarbeiten ausführen und im Schacht-Kommando I Tiefbauarbeiten wie das Ausheben von Schächten oder Kanälen.

Andere setzten sich für den Gefangenen ein; Quittungen von November 1939 belegen, dass für Friedrich bei der Lagerverwaltung 40 RM vom Israelitischen Wohlfahrtsbund Karlsruhe und 30 RM von der Jüdischen Gemeinde Fürth eingingen, womit man in der Lagerkantine allerdings kaum Lebensmittel, eher im Lager hergestellte Zahnpasta oder Seife zu überhöhten Preisen kaufen konnte. Im Januar 1940 bemühte sich die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Abteilung Wanderung (Hilfsverein) laut einem Schreiben um Friedrichs Auswanderung. Der junge Mann, gegen den laut Strafregisterauszug nichts vorlag, wurde aber nicht entlassen.

Fast zwei Jahre miserable Verpflegung, Schläge und Schwerarbeit hat Friedrich Schwarzberg überstanden. Am 9. Juni 1941 in der Frühe ist er im Krankenbau des KZ Buchenwald an Ruhr gestorben.


Tochter Selma Schwarzberg

Selma kam am 1. November 1907 in Karlsruhe zur Welt. Bei ihrer Geburt wohnten die Eltern in der Adlerstraße 8. Selma besuchte die Volksschule in Karlsruhe bis zum 14. Lebensjahr, danach zwei Jahre Handelsschule sowie Näh- und Handarbeitsunterricht in der sogenannten Mädchenfortbildungsschule. Sie begann ihr Berufsleben im April 1925 als Hilfsarbeiterin bei der Firma Siegfried Ruben Webwaren-Großhandel, Mechanische Berufskleiderfabrik am Zirkel.

Ab November 1932 mit Unterbrechungen bis September 1937 arbeitete Selma in der Wohlfahrtsspeisung des Israelitischen Wohlfahrtsbundes Karlsruhe, Kronenstraße 15, als 1. Küchenhilfe, mit Zugeh- und Vorbereitungsarbeiten für die Köchin, die sie auch vertrat. In der Wohlfahrtsküche wurde das Essen koscher zubereitet. Zunächst machte Selma Erfahrungen in der „fleischdingen Massenküche“, die folgenden 2 ½ Jahre dann in der „milchdingen“ Küche, und sie war auch fünf Monate in der Israelitischen Winterspeisung als Küchenhilfe tätig, so bestätigte ihr Karla Homburger in Zeugnissen mit hoher Anerkennung.
In dieser Gemeindeküche im Seitenbau der Synagoge gab es zeitweilig nur drei Kräfte für die Versorgung von 200 Personen mit Mittagessen. So erledigte Selma sämtliche Küchenarbeiten, sie servierte, führte die Kartei, putzte und sorgte für die orthodoxe Küchenführung (Kaschrut), so bestätigten ihr Nelly Schnurmann, die Leiterin der Speisung, und Ruth Fenchel, die Geschäftsführerin.

Von Oktober 1937 bis Anfang September 1938 war Selma „Stütze“ im Haushalt von Sofie Strauss, im Anschluss einige Wochen aushilfsweise Haushälterin bei Familie Bravmann, beide in Bruchsal.

Am 27. Juni 1939 wurde Selma laut Gestapoakten bei einer Kontrolle der verbliebenen Juden mit polnischen Papieren – meist Frauen und Kinder – zusammen mit ihrer Mutter Amalia in der Markgrafenstraße 3 angetroffen. Der Beamte protokollierte unter „geplante Abreise“: „einige Monate“. Ab Juli des Jahres galt ein Aufenthaltsverbot für die „polnischen“ Juden. Am 20. August 1939 verließ Selma Karlsruhe, offenbar zusammen mit ihrer aus Stuttgart stammenden Kusine Hanna Fleischer. So erreichten die beiden im Hochsommer 1939 England. Erst als Verkäuferin im Warenhaus, verbesserte Selma ihr Englisch und begann eine Ausbildung an der Abendschule im Konditorhandwerk. Im Dezember 1944 heiratete Selma Frederick William Hayward, eine Tochter wurde geboren; die Familie wohnte in Cheltenham. Als einzige Überlebende ihrer Familie bemühte sich Selma Hayward um Aufklärung des Schicksals ihrer Angehörigen und Entschädigung für erlittenes Unrecht.


Sohn Simon Schwarzberg

Simon wurde am 3. April 1910 in Karlsruhe geboren. Er wurde entsprechend der jüdischen Tradition nach einem verstorbenen Vorfahren, dem Großvater väterlicherseits benannt. Die Eltern wohnten bei Simons Geburt in der Adlerstraße 8. Er besuchte Karlsruher Schulen und arbeitete ab dem Alter von etwa 15 Jahren als Buchbindergehilfe im Geschäft von Emil Weiland in der Marienstraße 15.

Da Simons Vater nie eingebürgert worden war, hatte auch Simon einen polnischen Pass. Laut einer kriminalpolizeilichen Personenakte der Landespolizeidirektion Karlsruhe, Kriminalhauptstelle, wurde ihm aber die Verlängerung seiner bis 25. Oktober 1935 geltenden Aufenthaltserlaubnis versagt. Die Begründung war, dass Simon von 27. August bis 5. September des Jahres „wegen Rassenschande [...] in Schutzhaft war“. Er war also in einem Akt der Willkür wegen einer sexuellen Beziehung zu einer Nicht-Jüdin eingesperrt worden, sogar bevor die entsprechenden Nürnberger Gesetze in Kraft waren. Seine Beschwerde von Januar 1936 gegen die Ausweisung wurde im April des Jahres verworfen. Er solle Deutschland verlassen, sonst käme er nach Kislau, so habe man ihm angedroht, so wird er in der Akte zitiert. Bald darauf reiste der junge Mann, der zweifellos wie sein Bruder kein Polnisch sprach, alleine nach Polen aus.

Laut seiner Schwester Selma ist der damals 28-jährige Simon Schwarzberg Ende 1938 in Kattowitz/Katowice ledig verstorben, wie sie aus einem Schreiben von dort erfuhr, das nicht überliefert ist. Was ihm dort zugestoßen ist, wissen wir nicht. Die Industriestadt gehörte seit 1922 durch die Teilung Oberschlesiens zu Polen. Dort gab es eine deutschsprachige, auch jüdische Minderheit. Der Internationale Suchdienst bzw. die Arolsen Archives haben keine Unterlagen zu Simon Schwarzberg/Szymon Szwarcberg. Das heutige Standesamt in Katowice konnte auch nichts über ihn feststellen – so muss Simon als vor dem deutschen Einmarsch im polnischen Ostoberschlesien verschollen gelten.


(Christoph Kalisch, Januar 2024)

Quellen:
Generallandesarchiv Karlsruhe: 233/36977; 330/1330; 508-2 Nr. 1452;
Staatsarchiv Ludwigsburg: EL 228 b II Grabsteindokumentation Nr 23419-23420; EL 350 I Bü 39605;
Staatsarchiv Freiburg: L 10 Nr. 1430 Rust OG; Israelitische Gemeinde: Standesbuch 1843-1870;
Arolsen Archives: Transport II/26: Verzeichnis der Gestapo Regensburg zur Deportation (aus Würzburg) nach Theresienstadt am 23.09.1942; KZ Buchenwald, Akte Friedrich Schwarzberg; Schriftwechsel mit Selma Schwarzberg 1946; Gestapoakten zur „Polenaktion“, Ordner 26, V.C.C. 155, XIII;
Badische Landesbibliothek: digitale Zeitungssammlung und Adressbücher;
Anfrage Stadtarchiv Regensburg 2023;
IPN Warszawa, No. 1141 (Sygn. GK 166). Lista Polskich Żydów deportowanych z Trzeciej Rzeszy do Polski przez obóz w Zbąszyńiu w 1938;
stolpersteine-stuttgart.de, stolpersteine-regensburg.de und gedenkbuch.muenchen.de;
Ortssippenbuch Rust, 1969: