Jankelowitz, Lilly

Nachname: Jankelowitz
Vorname: Lilly
abweichender Name: Wahl, verh.
Geburtsdatum: 7. Mai 1907
Geburtsort: Gera (Deutschland)
Familienstand: verheiratet
Eltern: Adolf (17.9.1869-4.3.1917) und Emmma Blandine (?-1936), geb. Heilbronner, J.
Familie: Ehefrau von Dr. Viktor Wahl;
Mutter von Silvio (31.12.1936-?);
Adresse:
1931: Herrenstr. 24,
1932: Akademiestr. 51,
1933: Stephanienstr. 59
Beruf:
Künstlerin
Schauspielerin
Sängerin Opern- und Operettensoubrette am Badischen Landestheater (Bad. Staatstheater)
Deportation:
1944 nach Bergen-Belsen (Deutschland),
22.7.1944 von Bergen-Belsen nach Ravensbrück (Deutschland)
Sterbeort:
Ravensbrück (Deutschland)
Sterbedatum:
11. Oktober 1944

Biographie

Lilly Jankelowitz, verheiratete Wahl

Lilly Rosa Amalie Jankelowitz (Künstlername Lilly Jank)

„... dass Lilly Jank als lispelndes Klärchen Heinzelmann ihm [dem Staatsschauspieler und Publikumsliebling Hermann Brand] eine passende Partnerin war, braucht kaum betont zu werden“, So urteilte die Karlsruher Zeitung vom 21. September 1931 über die Premiere der Operette „Im Weißen Rössl“ von Ralph Benatzky. Am 8. Dezember 1931 schrieb die gleiche Zeitung zur Premiere der Schlageroperette „Olly-Polly“ von Walter Kollo, in der Jank die Titelrolle spielte: „ ... da ist z.B. ein hübscher Backfisch - von Lilly Jank fast mit zuviel, nicht immer am richtigen Fleck sitzender Routine gespielt.“ Am 6. März des folgenden Jahres rezensierte wiederum die Karlsruher Zeitung Lilly Janks Auftritt in „Zur goldenen Liebe“ von Ralph Benatzky: Die Aufführung stützte sich „solistisch in erster Linie auf Sängerinnen wie Emmy Seiberlich und Lilly Jank, für die zugleich darstellerisch das Buch zwei famose Rollen bereit hält.“ „Weit mehr als die Rolle eigentlich verlangt, gab Lilly Jank als Grisi, und selbst, wo sie greifbar übertrieb, war ihrer höhnisch-tröpfelnden Satire schlagkräftigste Wirkung sicher.“ So urteilte die Karlsruher Zeitung vom 5. Juni 1932 über Lilly Janks Auftreten in der Operette „Dreimäderlhaus“ nach Franz Schubert.

Diese Theaterkritiken verdeutlichen die Begabung der damals etwa 25-jährigen Sängerin und Schauspielerin Lilly Jank am Beginn ihrer hoffnungsvollen Theaterlaufbahn. Darauf lassen auch die späteren Aussagen der etwa gleichaltrigen Karlsruher Opernsängerin, der Kammersängerin Emmy Seiberlich, der Schauspielerin Lola Ervig und des Schauspielers Hermann Brand schließen. Einhellig nennen sie Lilly Jank auch eine sehr beliebte Kollegin. Emmy Seiberlich, bei der Lilly Jank zeitweise in der Stephanienstraße 59 zur Untermiete wohnte, berichtete in einem Zeitzeugeninterview mit Josef Werner von einer harmonischen Freundschaft zu ihr und einer zeitweiligen Beziehung Lilly Janks zu Hermann Brand.

Anhand der Lilly Jank übertragenen Rollen seit ihrem Engagement 1928 lässt sich gut ihr Aufstieg zu einem wichtigen Ensemblemitglied des Badischen Landestheaters nachempfinden. In ihrer ersten Saison 1928/29 spielte sie in einer Krenek-Operette ein Stubenmädchen, darauf in der „Fledermaus“ die Tänzerin Natalie und den Geist des Prinzen Orlowsky. In der Saison 1929/30 spielte sie bereits in 14 Inszenierungen der Oper und des Schauspiels, darunter die Rolle der Wally in der Operette „1001 Nacht“ von Johann Strauß und eine Brautjungfer im „Freischütz“ von Carl Maria von Weber, einen Edelknappen in der Wagner-Oper „Lohengrin“ und in Brechts „Dreigroschenoper“ die Seeräuber-Jenny. In den beiden folgenden Spielzeiten wurden Lilly Jank größere Rollen in insgesamt 17 Aufführungen übertragen. In den Operetten von Ralph Benatzky „Im Weißen Rössl“, „Zur Goldenen Liebe“ und „Die drei Musketiere“ sang sie das Klärchen, die Edith und die Zigeunerein Leonie de Castro, im „Vetter aus Dingsda“ sang sie das Hannchen und im „Dreimäderlhaus“ nach Franz Schubert war sie die Hofsängerin Demoiselle Giuditta Grisi.


Jäh endeten im März 1933 alle Hoffnungen und Erwartungen Lilly Janks auf eine Karriere als Sängerin. Der sozialdemokratische „Volksfreund“ meldete am 16. März unter der Schlagzeile „Veränderungen am Landestheater“ die Entlassung des Intendanten, des Kapellmeisters, des Solorepetitors, des Ausstattungsleiters und von sieben Ensemblemitgliedern, darunter Lilly Jank. Der nationalsozialistische „Führer“ triumphierte: „Damit ist nur der erste Vorstoß gegen den jüdischen Ungeist und die Riesengagen am Landestheater vorgenommen. Weitere Maßnahmen werden folgen.“ Betroffen von diesen antisemitischen, rassistischen „Maßnahmen“ war auch Emmy Seiberlich, die bei den Nazis als „Judenfreundin und Judenprotegée“ galt. Ihr wurde angedroht, dass ihr Vertrag nicht verlängert werde, was dann auch geschah.

Geboren wurde Lilly Rosa Amalie am 7. Mai 1907 in Gera als Tochter des Dr. med. Adolf Jankelowitz (geboren am 27. September 1869 in Neustadt bei Heidekrug/Ostpreußen, gefallen am 4. März 1917 als Feldarzt) und der Emma Blandine geborene Heilbronner (14. März 1879 in Ludwigshafen). Einige Jahre nach Kriegsende, vermutlich 1925, übersiedelte die Mutter mit ihrer Tochter nach Baden-Baden in die Fremersbergstraße 119. Über Lillys Schulausbildung bzw. Schulabschluss geben die Akten keine Auskunft. Vermutlich nach dem Abitur, ab 1927, besuchte sie die Musikschule in Weimar, wo sie Gesang studierte. 1928 wechselte sie zur Fortsetzung ihrer Ausbildung als Opernsängerin und Operettensoubrette an die Karlsruher Theaterakademie. Diese 1927 gegründete Einrichtung sollte in einer zweijährigen Ausbildung sowohl die theoretischen Fächer der Theaterwissenschaft vermitteln als auch den Schülern und Schülerinnen die Möglichkeit eröffnen, praktische Erfahrungen auf der Bühne zu sammeln durch die Mitwirkung bei Inszenierungen des Landestheaters. Lilly Janks Auftritte in den Jahren 1928 - 1930 fanden somit während ihrer „Lehrzeit“ an der Theaterakademie statt. Ihr festes Engagement ab 1930 mit einem monatlichen Gehalt von ca. 350 Reichsmark ist so ein Beispiel für die erfolgreiche Nachwuchspflege, die das Badische Landestheater mit seiner Theaterakademie betrieb. Die Unterrichtsräume der Theaterakademie waren im Botanischen Garten hinter dem Theaterbau von Heinrich Hübsch untergebracht.


Auch nach ihrer durch die Nazis erzwungenen Entlassung hielt sich Lilly Jank wohl noch in Karlsruhe auf. Ab Anfang 1934 lebte sie in einem Mädchenheim in Straßburg, wo sie als Sprechstundenhilfe bei dem 1899 in Worms geborenen jüdischen Arzt Dr. Viktor Wahl eine Anstellung gefunden hatte. Ihre 55-jährige Mutter lebte zu dieser Zeit noch in Baden-Baden.

Nach den Wiedergutmachungsakten war Lilly Jank 1935/36 ohne Beschäftigung. Im Januar 1936 hielt sich Lilly in Zürich auf. Sie gab dort an, ihre Ausreise nach Palästina vorzubereiten. Wohl etwa zur gleichen Zeit bemühte sich ihre Freundin Emmy Seiberlich, die inzwischen nach Kanada ausgewandert war, für Lilly eine Einreiseerlaubnis zu erwirken. Möglicherweise wegen der Heiratspläne mit Dr. Wahl ließ Lilly ihre Auswanderungspläne fallen. Am 19. März 1936 heiratete das Paar in Basel. Ihre gemeinsame Wohnung bezogen sie in Straßburg. Dort kam am 31. Dezember 1936 der Sohn Joseph, Marius, Silvio zur Welt. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges veranlasste nach Auskunft des Sohnes Silvio die Eltern zur Flucht in den Süden Frankreichs, nach Vichy.

Aquae Calidae nannten die Römer das Gebiet, wo zwölf heiße Sauerstoff-
quellen sprudelten, das aber erst 1676 durch die Marquise de Sévigné berühmt wurde, die dort ihre rheumatischen Beschwerden ausheilte. Auch Magen-Darm, Leber-Galle- und Harnwegs- Erkrankungen wurden erfolgreich therapiert. Persönlichkeiten wie Louis XVI, Madame Laetitia, die Mutter Napoléons, der 1830 den Parc des Sources einweihte und Napoléon III, der Vichy für einige Zeit zu seiner Sommerresidenz erklärte, förderten den Ruf dieses Badeortes, wo der internationale Adel auf den Boulevards und in den nach englischem Stil angelegten Parks flanierte. 1865 eröffnete das Casino, 1903 das Centre Thermal des Dômes mit Trinkhalle und orientalischem Bad und im selben Jahr wurde das Opernhaus eingeweiht - all diese Attraktionen trugen dazu bei, bis weit in die 30er Jahre Kurgäste aus ganz Europa anzulocken.

In dieser blühenden Kurstadt in der Auvergne ließen sich die Wahls nieder.
Victor praktizierte als Facharzt für Magen- Darmerkrankungen. Lilly konnte leider nicht an ihre Erfolg versprechende Karriere anknüpfen und arbeitete in der Arztpraxis ihres Mannes.


Noch 1935 hatte Richard Strauss im Rahmen eines Komponistenkongresses in Vichy, an dem 17 Nationen teilnahmen, seine Oper Salomé dirigiert. Am Opernhaus waren während der Saison einhundert Orchestermusiker, Sänger, Tänzer und Schauspieler engagiert. Doch der Einzug Maréchal Pétains in das Gebäude der Oper im Juli 1940 beendete - nicht nur - das musikalische Leben in Vichy.

Damit wurde auch, so kann man vermuten, schon kurz nach ihrer Übersiedlung nach Vichy die Hoffnung von Lilly und Viktor Wahl auf die Teilnahme an einem regen kulturellen musikalischen Leben zerstört. Inwiefern dies zu einer Hinwendung Victor Wahls zur Résistance beigetragen hat, ist nicht bekannt. Silvio Wahl berichtet, dass sein Vater mithilfe eines auf dem Dachboden versteckten Radioapparats heimlich BBC hörte, an weitere Kontakte oder eine Zugehörigkeit zum Widerstand kann sich der damals etwa sechsjährige Sohn nicht mehr erinnern.


Nach dem Sieg der deutschen Truppen, im so genannten Blitzkrieg gegen Frankreich im Sommer 1940, blieb der Süden Frankreichs zunächst unbesetzt unter der französischen Verwaltung in Vichy. Durch den Druck der Nazis und dank der Kollaboration der Vichy-Regierung wurde auch im Süden Frankreichs die Lage der Juden immer bedrohlicher. Ab Juli 1942 wurden auch Kinder und alte Menschen zu so genannten Arbeitseinsätzen über das Lager Drancy nördlich von Paris in Richtung Auschwitz transportiert, und ein Jahr später wurde der unbesetzte Süden durch das Sonderkommando Alois Brunner systematisch nach letzten versteckten Juden durchsucht.

Zwei Wochen nach der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 und zwei Tage nach der Verlegung des Vichy-Regierungssitzes nach dem baden-württembergischen Sigmaringen, fiel am 22. Juni 1944 auch die Familie Wahl, wie insgesamt 76.000 französische Juden durch den latenten Antisemitismus vieler Franzosen, der Verfolgung zum Opfer. Sie wurde mitsamt der Mutter Viktors von französischen Milizionären festgenommen und in das Gefängnis von Moulin (Allier) gebracht.

Unmittelbar darauf folgte die Deportation nach Deutschland. Viktor Wahl kam nach Ohrdruf, einer Außenstelle des KZ Buchenwald, wo sich seine Spur verlor. Lilly, Silvio und die Großmutter kamen in das KZ Bergen-Belsen, kurz darauf im Juli 1944 nach Ravensbrück, wo beide Frauen im Oktober 1944 starben. Lilly Jank wurde nur 37 Jahre alt. Um Silvio kümmerte sich nach dem Tod von Mutter und Großmutter nach seinen Worten eine Lagerinsassin aufopferungsvoll, so überlebte er die Strapazen und Gräuel dieses Lagers.

Nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes und der Befreiung der Überlebenden der KZ wurde Lillys einziges Kind, ihr Sohn Silvio, im Juni 1945 von einem, von der französischen Regierung beauftragten Arzt, zusammen mit den anderen französischen Lagerinsassen in seine Heimat zurückgeführt. In Paris wurde der physisch und psychisch kranke 9-jährige Junge bis zu seiner Rekonvaleszenz ärztlich betreut. Danach beendete er in einem Internat in Ribeauvillé im Elsass seine Schulausbildung. Dorthin folgte ihm seine Großmutter Emma Jankelowitz, die von Nizza aus über den Suchdienst des Roten Kreuzes nach der Familie ihrer Tochter hatte recherchieren lassen. Sie nahm sich in Ribeauvillé eine Wohnung und sorgte bis zu ihrem Tod Ende 1958 für ihren Enkel. Zu seiner Retterin in Bergen-Belsen behielt Silvio bis zu deren Tod in den siebziger Jahren Kontakt.

Lillys Mutter Emma wurde von ihrem Wohnort Baden-Baden am 22. Oktober 1940 wie alle anderen badischen und saar-pfälzischen Juden in das Lager Gurs verschleppt. Dort hatte sie das Glück wegen ihres Alters von 61 Jahren vom Präfekten wie andere ältere Deportierte in ein Altenheim entlassen zu werden. Sie gelangte nach Nizza und überlebte dort die Zeit der Deportationen nach Auschwitz bis zur Befreiung Frankreichs durch die Alliierten.

Lillys Sohn Silvio Wahl absolvierte nach dem Internatsbesuch in Ribeauvillé mit Unterstützung des französischen Staates eine Ausbildung an der Ecole Nationale d’Optique in Morez (Jura). Heute lebt er im Ruhestand mit seiner Ehefrau Geneviève in Paris.

(Cornelie Hornung, September 2009)