Schiffmann, Ida
Nachname: | Schiffmann |
---|---|
Vorname: | Ida |
abweichender Vorname: | Itta |
geborene: | Weiss |
Geburtsdatum: | 9. Dezember 1888 |
Geburtsort: | Kolbuszowa/Galizien (Österreich-Ungarn, heute Polen) |
Familienstand: | verheiratet |
Familie: | Ehefrau von Isak Sch. |
1921-1922: Augartenstr. 17,
ab 1922: Werderstr. 59
19.5.1944 von Malines nach Auschwitz (Polen)
Biographie
Ida und Isak Schiffmann
Fast wären sie hier vergessen worden: Ida und lsak Schiffmann - wäre da nicht Fanny gewesen, die Nichte, die bei ihnen aufgewachsen und 1936 nach Palästina ausgewandert war, die seit der Mitte der 1970er Jahre wieder Verbindung hatte zu ehemaligen Klassenkameradinnen und seither gelegentlich nach Karlsruhe kam. Als 1988 das Buch „Hakenkreuz und Judenstern“ von Josef Werner erschien, stellte sie fassungslos fest, dass Tante und Onkel in der Liste der ums Leben gebrachten Karlsruher Juden fehlen, und wurde von nun an nicht müde, allenthalben an diese Lücke zu erinnern, Hinweise zu geben und Beweise zu sammeln dafür: es hatte sie hier gegeben - und dann gab es sie nicht mehr.
Ida Schiffmann, geborene Weiss, gehörte zu der großen Familie des Mosche Jechiel Weiss, der mit Frau und fünf Töchtern, deren Ehemännern und den ältesten Enkelkindern aus Kolbuszowa in Galizien 1919 nach Karlsruhe kam, denn Galizien war nach dem Ersten Weltkrieg durch den Friedensvertrag von St. Germain 1919 von Österreich wieder Polen zugefallen. Seit 1772 hatte dieser Landstrich nach der ersten Teilung Polens zum Habsburger-Reich gehört, in dem die Juden Ende des 18. Jahrhunderts weitgehend gleichberechtigte Bürger geworden waren. Es war ihnen vergleichsweise gut gegangen, und nun mussten sie wohl um ihre Rechte und um ihre bisher möglichen Lebensumstände fürchten. Man sprach deutsch, das Polnische schien fremd, eine Auswanderung nach Deutschland war möglich, und so brachen viele nach Westen auf - auch die Großfamilie Weiss. Warum nach Karlsruhe? Vielleicht hatte es sich herumgesprochen, dass es sich hier gut leben ließ? Denn die Familie Weiss war nicht die einzige jüdische Familie aus Kolbuszowa, die sich hier niederließ. Vielleicht spielte aber auch der Umstand eine Rolle, dass Mosche zwei Brüder im nahen Straßburg hatte, mit denen nun ständig Besuche ausgetauscht werden konnten.
Ida war die älteste der fünf Töchter; daneben gab es Esther Malka, verheiratet mit Abraham Schreck; Dora, verheiratet mit dem Cousin Majer Weiss; Frieda, verheiratet mit Leo Fränkel, und Else, verheiratet mit Evigdor Gross. Esther Malka, Fannys Mutter, kehrte mit den Kindern für einige Zeit, wie sie vielleicht meinte, nach Polen zurück, wo auch die jüngsten ihrer acht Kinder geboren wurden, starb dort aber, und der Vater brachte die Kinder zurück. Die Ältesten jedoch hatte die Großmutter schon längst wieder nach Karlsruhe geholt - so kam Fanny zu Schiffmanns.
Ida (oder Itta), in der Familie Itale genannt (so unterschrieb sie auch ihre Briefe), war am 9. Dezember 1888 in Kolbuszowa geboren worden. lsak Schiffmann, geboren am 26.(oder 16.) Juli 1883, stammte aus einem Ort, der in der Nähe gelegen haben soll und nach Fannys Angaben dem Klang nach Ronschaw hieß, bei dem es sich aber vielleicht um das in Idas Briefen mehrfach erwähnte Raniżow (Wola Raniżowska) handeln könnte.
Da aufgrund der besonderen Verbundenheit der Schwestern Ida und Else/Elsa, der ältesten und der jüngsten, aber auch durch verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Männern Schiffmann und Gross diese beiden Familien immer wieder gemeinsame Sache machten, ist anzunehmen, dass lsak Schiffmann (und vielleicht auch Ida) wie Evigdor Gross in Karlsruhe zunächst als sogenannter „Reisender“ tätig war, d.h. Aufträge für bereits ansässige Händler sammelte. Zusammen mit dem als sehr geschäftstüchtig geltenden Evigdor Gross erwarben die Schiffmanns 1924 dann zu gleichen Teilen wie die Familie Gross das vierstöckige Miets- und Geschäftshaus Werderstraße 59, vermutlich durch Aufnahme von Krediten (beim erzwungenen Verkauf 1938 waren vom Käufer die Hypotheken zu übernehmen) und machten sich selbständig: Evigdor Gross in größerem Stil, indem er in Nebengebäuden im Hof Geschäfts- und Lagerraum einrichtete und das erste Obergeschoss als Wohnung der Familie nutzte, Schiffmanns in kleinerem. Sie lebten zunächst noch im Hinterhaus des großen Anwesens, dann aber in der 6-Zimmer-Wohnung im zweiten Obergeschoss des Haupthauses. In dieser Wohnung, gut und gediegen eingerichtet, waren auch die Geschäftsräume untergebracht. Sie handelten vornehmlich mit Bett- und Tischwäsche bzw. mit den dafür geeigneten Stoffen, aber z.B. auch mit Handtüchern. Bestellungen wurden durch wiederum für sie tätige Reisende in den umliegenden Dörfern und Außenbezirken der Stadt eingeholt, die Ware - vielfach von Ida auf Bestellung selbst genähte Bettwäsche (später half Fanny dabei) - per Post und auf Rechnung geliefert. Für die Führung der Geschäftsbücher kam regelmäßig ein Buchhalter ins Haus.
Für das Geschäftliche war Ida die treibende Kraft, für das Praktische war sie zuständig. Sie hatte vielleicht am Anfang ihrer Ehe Kinder geboren, so meint Fanny gehört zu haben, doch diese Kinder waren ganz früh gestorben. So wurde das eigentliche Kind der Schiffmanns, liebevoll und sorgsam erzogen, Fanny Schreck. „Onkel“ lsak scheint ein sehr sanfter, sich sorgender, äußerst frommer Mensch gewesen zu sein, hoch geachtet in der orthodoxen jüdischen Gemeinde, für die er ausersehen war, alljährlich eines der wichtigsten Gebete des Judentums, das Schlussgebet an Jom Kippur (dem Versöhnungstag), vorzutragen. Die Synagoge in der Karl-Friedrich-Straße wurde allerdings nur selten aufgesucht, regelmäßig aber ein in einem Wohnhaus der Südstadt für den Gottesdienst eingerichteter Betsaal. Auch sonst kam die Familie gewissenhaft allen religiösen Geboten nach.
Sie lebten im großen Familienverbund, denn alle wohnten im engen Bereich um die Werderstraße: in der Schützen-, Luisen- und Marienstraße; und die Feste begingen sie alle gemeinsam bei den Großeltern Weiss. So hatten die Schiffmanns viele Nichten und Neffen um sich, und jetzt noch erinnert sich auch eine der Töchter der Familie Gross, Betty (geboren 1928): Da sie keine Kinder hatten, waren alle Nichten und Neffen immer bei ihnen willkommen, wo Onkel und Tante sie bewirteten und mit ihnen spielten; sie seien gute und freundliche Menschen gewesen, der Onkel habe immer mit sanfter Stimme gesprochen, habe sich liebevoll um seine Frau gesorgt, da diese oft Magenbeschwerden hatte; sie hätten niemandem etwas zuleide tun können und vertrauten allen.
Sie führten ein ruhiges und erfülltes Leben, Ida und Elsa fuhren fast jedes Jahr zur Kur in das tschechische Karlsbad, das Geschäft ging gut - bis zum Jahr 1933 mit seinen judenfeindlichen Aufrufen ("Kauft nicht bei Juden!") und ersten Ausgrenzungen. Doch sie arbeiteten weiter, Fanny erledigte nicht nur die Einkäufe für den Haushalt, sie ging zur Bank, gab Pakete an Kunden bei der Post auf - wenn sie zuhause war. Da ihr nun in Deutschland eine weiterführende schulische Ausbildung verwehrt wurde, ließ sie sich an mehreren auswärtigen Schulungsorten für die Übersiedlung nach Palästina zur zionistischen Pionierin ausbilden. Und gegen die Einwände der Tante, die das für ein unverheiratetes, unbehütetes junges Mädchen für zu gefährlich hielt, setzte sie 1936 ihre Auswanderung durch. Im selben Jahr starb der Großvater Weiss (er liegt auf dem orthodoxen Friedhof in Karlsruhe begraben), und die alte Mutter zog zu Schiffmanns, wo ja nun Fannys Zimmer frei geworden war. Dass die Lebensumstände um diese Zeit immer bedrückender wurden, lässt sich in Büchern nachlesen, nicht jedoch in Idas Briefen an Fanny. Statt dessen wurde sie stets ermahnt, sich doch bald einen guten, jungen jüdischen Mann zum Heiraten zu suchen - aus Deutschland kämen jetzt doch viele nach Palästina.
Am 28. Oktober 1938 wurden alle männlichen aus Polen stammenden Juden nach einem geheimen Eilerlass zusammengetrieben und an die polnische Grenze verbracht, da Polen nach dem 29. Oktober keine Rückkehrer mehr ins Land lassen wollte. lsak und Evigdor waren nicht unter ihnen: sie konnten sich rechtzeitig im Kohlenkeller verstecken. Danach aber berieten sie sich, vermutlich mit dem Rabbiner, und reisten von sich aus nach Osten - dort irrten viele bereits an der längst geschlossenen Grenze im Niemandsland herum. Sie taten sich mit anderen zusammen und kehrten zurück an ihren Wohnort. Aber in ihrem Haus wollten sie nicht wieder überrascht werden - sie tauchten wohl irgendwo unter. So sind sie allem Anschein nach auch der großen Deportation aller männlichen Juden nach dem 10. November 1938 nach Dachau entgangen: entweder sie waren noch nicht von der Grenze zurückgekehrt oder sie hielten sich versteckt. Im Haus bzw. in den Wohnungen wurden jedoch während der Reichspogromnacht, mehrfach von Elsa Gross später bezeugt, große Schäden am Hausrat angerichtet, Wertgegenstände (wie z. B. der große vielarmige silberne Leuchter) verschwanden. Am 24. November 1938 waren dann beide Männer mit ihren Frauen im Notariat V zugegen, um den Vertrag über den Verkauf des Hauses zu unterschreiben, der im Februar 1939, rückwirkend zum 1. November 1938, rechtsgültig wurde. Er brachte ihnen nur eine geringe Geldsumme ein und verpflichtete sie zur Zahlung von Miete „bis zu ihrer Auswanderung“.
Noch im Sommer 1938 war Abraham Schreck mit sechs Kindern (der Älteste war längst schon in Palästina) die Ausreise nach den USA gelungen; Dora und Majer Weiss waren mit dem jüngeren Sohn bis nach Antwerpen gelangt. Am 29. März 1939 schreibt Ida an Fanny, daß sie zwar eine niedrige Nummer (Nr. 789!) auf der Warteliste für die Ausreise nach den USA hätten, doch vielleicht noch monatelang warten müssten, bis sie die Reise antreten dürften. Dabei sei jeder Tag hier „wie ein Jahr“, und der Onkel ängstige sich so, dass er fast wie von Sinnen sei. Ob Fanny nicht helfen könne, indem sie über einen Engländer in Israel eine Bürgschaft für sie beschaffe, die nötig sei, damit sie vorläufig erst einmal nach England fahren könnten? Im Juli scheint sich die Lage dann zugespitzt zu haben: die Schwester Frieda Fränkel wurde mit der kleinen Rosa zu ihrem im Oktober des Vorjahres nach Polen deportierten Mann ausgewiesen (ihre anderen Kinder befanden sich bereits auf der Flucht über Frankreich, bis auf den Ältesten mit einem Kindertransport), die alte Mutter Weiss war schon auf einer Liste für die Abschiebehaft nach Polen am 21.Juli vorgesehen - mit ihr zusammen begaben sich die Schiffmanns nun auf die Flucht (über Frankreich oder Holland) nach Antwerpen. Wie schwierig, kostspielig und strapaziös eine solche Flucht war, ist am Beispiel der ihnen im September folgenden Familie Gross bezeugt. Mitte Juli seien sie dort angekommen, meldete Onkel Maier (Weiss) an Fanny. Die Familien (Weiss, Schiffmann, Gross) lebten nun offensichtlich auf engem Raum alle zusammen in der Provincestr. 295 in Antwerpen.
Es gibt von dort noch eine Karte (ohne Datum) und einen Brief (vom 13. Januar 1940) Idas an Fanny: Ihre Hauptsorge scheint es zu sein, dass die Großmutter sich grämt, weil der älteste Enkel aus Palästina ihr nicht schreibt, und dass Fanny sich noch immer nicht verlobt hat. Nein, Geld solle sie nicht schicken, sie hätten vorläufig alles, was sie brauchen - aber von Herzen danken der Onkel und sie für dieses Angebot. Alle die herzlichen Grüße und Bitten um weitere Briefe, um ihr alles genau zu berichten: es waren die letzten, die Fanny erreichten. Der Familie Gross gelingt es noch im März 1940, auf ein Schiff nach New York zu kommen. Die anderen werden im Mai vom Einmarsch der deutschen Wehrmacht überrascht und sitzen in der Falle. Die alte Mutter stirbt bald, wie später von anderen berichtet wird. Denn es kamen keine Briefe mehr aus Antwerpen.
Wie sie von da an ihr Leben fristeten, weiß man nicht. Am 11. Mai 1944 werden Ida und lsak Schiffmann wie die Familie Weiss und (vermutlich) Aron Fränkel in Belgien verhaftet und mit dem Transport XXV fortgebracht. Die Fahrt begann am 19. Mai und endete am 21. Mai in Auschwitz, wo Ida und lsak vermutlich zu denen gehörten, die sofort ermordet wurden.
Mit dem Gedanken an sie verbindet Fanny, die damals schon bald Frau Aron geworden war, einen letzten Gedichteintrag in den Aufzeichnungen der Nichte ihres Mannes, die ebenfalls umkam:
Ich sah heut tausend Menschen verstörten Angesichts,
Ich sah heut tausend Juden, die wanderten ins Nichts,
Ins Grau des kalten Morgens zog die verfemte Schar,
Und hinter ihr verblasste, was einst ihr Leben war.
Sie traten durch die Pforte, ein Blick geht noch zurück,
Sie ließen alles draußen, die Heimat, Gut und Glück.
Wohin wird man Euch führen, wo endet Euer Pfad?
Sie wissen nur das eine, ihr Ziel heißt Stacheldraht,
Und was dort ihrer wartet, ist Elend und ist Not,
Entbehrung, Hunger, Seuchen, für viele baldiger Tod.
Ich forscht in ihren Augen mit brüderlichem Blick,
Erwartend tiefsten Jammer in solchem Missgeschick,
Doch voll Erstaunen sah ich ein tiefes, tiefes Mühn
Um Haltung und Erleuchtung in ihren Augen glühn,
Sah heißen Lebenswillen, sah Glauben und sah Mut
Und sah in manchem Auge ein Lächeln stark und gut.
Da habe ich tief ergriffen den Geist des Volks erkannt,
Das, auserwählt zum Leiden, es stets noch überstand
Und das aus tiefstem Elend, aus Fron und bitterer Haft
Doch immer auferstanden mit ungebrochener Kraft.
Ich sah heut tausend Menschen verstörten Angesichts,
Ich sah im Grau des Morgens den Strahl des
EWIGEN LICHTS.
Rita Chraplewsky, Berlin 1942
(Helga Janitzky, Dezember 2003)