Blum, Julie
Nachname: | Blum |
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Vorname: | Julie |
abweichender Vorname: | Julia |
geborene: | Haas |
Geburtsdatum: | 24. Oktober 1874 |
Geburtsort: | Darmstadt (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Eltern: | Simon und Hannchen, geb. Strauss, H. |
Familie: | Ehefrau von Alfred B.;
Mutter von Alix Rosa |
1902: Schlossplatz 7,
1909: Erbprinzenstr. 4,
1937-1939: Schnetzlerstr. 11
9..5.1942 nach Westerbork (Niederlande),
11.5.1943 nach Sobibor (Polen)
Biographie
Im Gedenken an Alfred und Julie Blum,
auch an die Familie ihrer Tochter Alix Rosa Cohn
Alfred Blum ist am 28. Januar 1871 im badischen Weingarten geboren. Er war der Sohn von Nathan Blum, einem Kaufmann, und Janette, geborene Bär. Wie viele traditionelle Juden auf dem Land, waren auch die Blums noch eine Großfamilie. Alfred Blum hatte insgesamt sieben Vollgeschwister. Die drei älteren hießen Ludwig, Simon und Bertha Blum und die vier jüngeren Samuel, Robert, Lina und Julius Blum. Allerdings verstarben sowohl Simon als auch Lina kurz nach ihrer Geburt. Daneben hatte Alfred Blum noch Halbgeschwister, welche aus der ersten Ehe seines Vaters hervorgegangen waren. Dieser hatte 1857 die Jette Nathan aus (Königsbach-)Stein geheiratet und mit ihr die fünf Kinder Ferdinand, Amalie (mit 5 Monaten verstorben), Jannette, Rosa und Hirsch (verstorben zwei Wochen nach der Geburt). Die erste Ehefrau war unmittelbar mit der Geburt dieses letzten Kindes Hirsch am 7. Oktober 1864 in Weingarten verstorben. Eineinhalb Jahre später heiratete der spätere Vater von Alfred Blum die genannte 23-jährige Janette Bär. Die Familie zog schließlich 1879 von Weingarten in die Residenzstadt Karlsruhe, da war Alfred acht Jahre alt. Seit der staatlichen Judenemanzipation und mit der Industrialisierung zogen Juden noch häufiger in die Städte als die christliche Landbevölkerung.
Das Karlsruher Adressbuch verzeichnet Nathan Blum erstmals im Adressbuch von 1883 in der Steinstraße 12. Dies war eine Lage im so genannten Dörfle, dem Stadtviertel der ärmeren Wohnbevölkerung, wo viele der Zugewanderten erst einmal anfingen. Vermutlich lebten in Karlsruhe bereits nicht mehr alle Kinder, die zwischen 1857 und 1880 auf die Welt gekommen waren, im Haushalt der Familie.
Bei Alfred Blum lässt sich gut erkennen, wie in nur einer Generation aus einer ländlichen Tradition kommend, die „Verstädterung“ und Verbürgerlichung einen völlig anderen Familienentwurf hervorbrachte. Seine Familie sollte nur noch dreiköpfig sein, wie es zahlreiche in der besseren bürgerlichen Gesellschaft jener Zeit gab.
Über das Familienleben und das Aufwachsen von Alfred Blum liegen keine Zeugnisse vor. Sein gesellschaftlicher Aufstieg ist bemerkenswert, aber auch nicht untypisch für jüdische Familien. Bei Alfred Blum lag die Grundlage in seiner höheren schulischen Bildung an der Oberrealschule, der sich eine gehobene kaufmännische
Ausbildung im Einzel- und Großhandel anschloss. Seine Ausbildung vervollkommnete er durch eine mehrjährige Tätigkeit im Ausland, vor allem in Paris. 1897 wird Alfred Blum erstmals eigens im Karlsruher Adressbuch aufgeführt, zugleich sein „Spezialgeschäft Alfred Blum, Teppiche, Möbelstoffe, Portière [schwerer Türvorhang], Teppiche und Reise-Decken, Linoleum, Englische Tüll-Gardinen“, sowohl Einzel- als auch Großhandel. Dazu schaltete er eine größere Anzeige in das Karlsruher Adressbuch. Ein solches „trendiges“ Einrichtungshaus bot offensichtlich in der Zeit des Wachstums Karlsruhes zur Groß- und Industriestadt gute Einkommensmöglichkeiten.
1899 heiratete er in Darmstadt Julie Haas, geboren am 24. Oktober 1874 als Tochter des Kaufmanns und Fruchthändlers Simon Haas (geboren am 25. August 1842 in Groß-Bieberau) und seiner Frau Hannchen, geborene Strauss (geboren am 8. Oktober 1845 in Heilbronn). Julie Haas war eine von vier Töchtern. Ihre Geschwister wurden alle zwischen 1872 und 1876 geboren. Die Lebenssituation der Familie war wohl gut, sie hatten noch drei Bedienstete in ihrem Haushalt in der Wilhelminenstraße 9. Ab 1886 lebte die Familie Haas im eigenen Haus in der Heinrichstraße. Nachdem alle vier Töchter nach ihrer Heirat ausgezogen waren, zogen die Eltern Haas 1905 nach Frankfurt am Main.
Julie und Alfred Blum begründeten nach ihrer Hochzeit 1899 in Karlsruhe in der Waldhornstraße 14 ihren eigenen Hausstand, bis dahin hatte Alfred in der elterlichen Wohnung in der Steinstraße gewohnt.
Kurze Zeit später bekam das junge Ehepaar am 14. Februar 1901 eine Tochter, welcher sie den Namen Alix Rosa Blum gaben. Sie sollte das einzige Kind bleiben, bemerkenswert, angesichts der Großfamilie, der Alfred Blum selbst entstammte.
1902 zog die Familie in den Schlossplatz 7. Gleichzeitig zog sein Geschäft in den Schlossplatz 20 um. 1909 bezog die Familie eine Wohnung in der Erbprinzenstraße 4, im zweiten Obergeschoss. Alfred Blum machte die Geschäftsumzüge jeweils mit größerem Werbeaufwand bekannt. Solche durchdachten Werbemaßnahmen weisen ihn als mit den modernen Mitteln umgehenden Kaufmann aus. 1905 verlegte er den Schwerpunkt vom Einzelhandelsgeschäft, das offensichtlich nur noch nebenher betrieben wurde, zur Tätigkeit als selbstständiger Handelsvertreter. Er vertrat verschiedene Möbelfabriken und Einrichtungserzeuger wie zum Beispiel „Zelter und Platen“ in Berlin, „Genkinger“ in Gammertingen, aber auch regionale wie „Pius Becker Söhne“ in Stupferich.
Der Lebensstandard der Familie war gehoben, sie bewohnten eine 6-Zimmerwohnung mit Bad, ein Gartenanteil gehörte dazu. Die Wohnung war gutbürgerlich eingerichtet, mit ausgesuchten Gegenständen, wie z.B. einem persischen Teppich, ein schöner Salon mit hochwertigem Porzellanservice. Vorhanden war sogar ein Klavier, auch ein großer Bücherschrank. Sicherlich vermittelte diese Einrichtung den besseren Status der Familie, sie weist aber über die materielle und finanzielle Situation der Familie hinaus auch hin auf Charakterzüge, Bildungs- und Kulturinteresse. Entsprechend ihrem bürgerlichen Status hielten sie auch eine Hausangestellte. Jährlich leistete sich die Familie mehrwöchentliche Ferienreisen in Gegenden in Deutschland und in die Schweiz.
Alfred Blum musste seinen geschäftlichen Erfolg als Weltkriegsteilnehmer unterbrechen. Eingezogen im August 1914, wurde er offiziell im Dezember 1918 wieder entlassen, dekoriert mit zwei Kriegsauszeichnungen.
Neben dem Familien- und Geschäftsleben war Familie Blum gesellschaftlich sehr engagiert. Die Familienmitglieder gehörten verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen an. Alfred Blum war Mitglied der jüdischen „Carl-Friedrich-Loge“, dem Karlsruher Ableger der „B´nai B´Rrith-Loge“. Ihr Ziel war die Aufklärung über das Judentum, in der Selbstdarstellung war die Förderung von Toleranz, Humanität und Wohlfahrt festgelegt. In dieser Loge waren gutsituierte Geschäftsleute, Freiberufler und Bildungsbürger. Seit 1921 gehörte Alfred Blum zusätzlich dem eher orthodox ausgerichteten Verein „Dower Tow“ an, der bedürftige Juden unterstützte. Dieses soziale Engagement ging einher mit einem ebensolchen in direkten religiösen Angelegenheiten. Seit 1809 gab es auf Veranlassung durch Großherzog Karl Friedrich den Oberrat der Israeliten Badens, der den Juden erstmals staatliche Anerkennung brachte, aber auch mit direkter staatlicher Einflussnahme verbunden war. Die direkte staatliche Lenkung wurde nach der Judenemanzipation 1862 und überhaupt dem gesellschaftlichen Wandel in Frage gestellt. 1894 wurden in einer Reform israelitische Synoden geschaffen, auf denen neben Rabbinern gewählte Vertreter aus allen badischen Landesteilen die Angelegenheiten diskutierten. Deren Aufgaben bestanden darin, verschiedene Aufgaben innerhalb der Religionsgemeinschaft zu regeln, Vorschläge für die Liturgien zu machen, sowie einen Synodalausschuss zu wählen. Der Synodalausschuss beschloss schließlich zusammen mit dem Oberratausschuss über die verschiedenen Geschäfte der Religionsgemeinden. Alfred Blum besaß in der Gemeinde wohl ein hohes Ansehen, denn er war ein Abgeordneter der zwei- bis dreijährlich zusammentretenden Synoden 1920, 1922, 1926, 1929 und 1935. Alfred Blum scheint also ein sehr nach außen wirkender Mensch gewesen zu sein, zielstrebig und offen, sicherlich auch fähig sich richtig zu präsentieren und auszudrücken.
Julie Blum engagierte sich in den Frauenwohltätigkeitsvereinen, indem sie ein
Mitglied des Israelitischen Frauenvereinsw und der „Tachrichim-Kasse“ war, deren
Haupttätigkeit in der Unterstützung seiner Mitglieder in Krankheitsfällen bestand.
Auch Tochter Alix Rosa Blum war im jüdischen sozialen Leben eingebunden. Sie übernahm kurzzeitig die Funktion der Geschäftsführerin des „Bundes Israelitischer Wohlfahrtsvereinigungen in Baden“, im Büro in der Kronenstraße 15.
Tochter Alix Rosa war in sehr guten Verhältnissen aufgewachsen, vermutlich kam ihr die ganze elterliche Liebe in dieser durch und durch bürgerlichen Familie zu. Und gewiss waren Alfred und Julie stolz auf sie. Alix Rosa Blum legte erfolgreich die Reifeprüfung im Mädchengymnasium ab, dem heutigen Lessing-Gymnasium. Nach ihrem Abschluss verließ sie 1920 ihr Elternhaus, um an den Universitäten in München und Heidelberg romanische Sprachen und Literatur zu studieren. Dieses Studium beendete sie 1924 erfolgreich mit der Promotion über Rousseau zum Dr. phil., das heißt Doktor der Philosophie. Anschließend arbeitete Alix als Prokuristin. Ob dies ihre Neigung war, oder ob sie zu dieser Zeit keine Stellung in der Literaturwissenschaft finden konnte, der sie offensichtlich zugeneigt war, wie ihre spätere Tätigkeit auf diesem Gebiet zeigte, muss unbeantwortet bleiben. Vermutlich aber konnte sie ihre Fremdsprachenkenntnisse insbesondere in französisch gut nutzen. Sie war eine selbstständige Frau und vermutlich sehr selbstbewusst. Im Jahr 1927 heiratete sie Julius Cohn, ebenfalls Doktor phil., promoviert mit einem Thema über Descartes, und Fabrikant, und ging zu ihm nach Hamburg. Am 11. August 1930 bekamen die beiden einen gemeinsamen Sohn, dem sie den Namen Georg gaben. „In Hamburg“, so wird es beschrieben, „gehörte das Paar zu einem großen Freundeskreis von Intellektuellen - Cassirer, Erwin Panofsky, Gertrud
Bing, Fritz Schalk, Walter Küchler - und Künstlern.“ (Walter Pabst, Romanist. Mit Beiträgen von Titus Heydenreich, Klaus W. Hempfer und Doris Fouquet-Plümacher. Berlin 2005 (Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, 5), S. 17f.)
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 bedeutete eine große Wende im Leben der Familie Blum. Die neuen Machthaber regierten mithilfe von Terror, Notverordnungen, Gleichschaltungsgesetzen, Parteiverboten, beseitigten die Demokratie, den Föderalismus sowie den Rechtsstaat komplett. Die jüdische Bevölkerung wurde ausgegrenzt und ihrer Rechte beraubt. Schon früh verließen Juden Deutschland. Vermutlich entschloss sich unter diesen Umständen auch Alix Rosa Cohn, mit ihrem Mann Julius Cohn und ihrem Sohn Georg Cohn 1933 in die Niederlande nach Zwolle auszuwandern, wo sie zunächst in der Hertenstraat, dann Genestetstraat 9 lebten. Julius Cohn besaß in Zwolle in Holland eine Lederfabrik. Juden fühlten sich zu diesem Zeitpunk sicher in den Niederlanden.
Alfred und Julie Blum blieben hingegen weiterhin in Karlsruhe. Doch die geschäftliche Basis von Alfred Blum wurde jäh zerstört. Die großen Möbelfabriken entzogen Juden ihre Handelsvertretungen. Alfred Blum verlor schon 1933 die Vertretung fast aller namhaften Firmen. Später, 1960 im Wiedergutmachungsverfahren, begründete bspw. die Möbelfabrik Pius Becker dagegen, dass die Auftragsentziehung bereits 1932 gewesen sei und auf der Weltwirtschaftskrise und den hervorgehenden Produktionskosten beruht habe. Von 1933 waren Alfred und Julie Blum darauf angewiesen, vom Ersparten und teilweise der Hilfe des Bruders und Schwagers, Robert Blum, zu leben. Dieser lebte in Basel in der Schweiz, wo auch zwei weitere Geschwister von Alfred Blum lebten.
Das Ehepaar Blum musste sich immer mehr einschränken, zog schließlich aus seiner 6-Zimmerwohnung in eine 3-Zimmerwohnung in der Schnetzlerstraße 11.
Die Situation verschlechterte sich währenddessen in Deutschland immer weiter indem die „Nürnberger Rassengesetzte“ im September 1935 in Kraft traten. Schließlich folgte der Terror der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938, wobei in dieser Folge deutschlandweit etwa 400 Juden ermordet wurden. In Karlsruhe brannten beide Synagogen, viele jüdische Geschäfte wurden verwüstet. Zum 31. Dezember desselben Jahres wurden schließlich alle jüdischen Geschäfte, die bis dahin noch nicht in „arisches“ Eigentum übergegangen waren, zwangsweise aufgelöst. Da Alfred Blum zu dieser Zeit über kein Geschäft mehr verfügte, betraf ihn dies nicht mehr.
Alfred und Julie Blum reisten immer wieder zu Familienangehörigen in die Schweiz. Nach den „Nürnberger Rassegesetzen“, gemäß denen Juden zwar Staatsangehörige, jedoch keine Reichsangehörige waren, wurde dies schwieriger, weil die Gültigkeitsdauer von Reisepässen für Auslandsreisen eingeschränkt wurde. Das bedeutete ständige Behördengänge und manchmal Abhängigkeit von deren Willkür. So beantragte Alfred Blum 1937 zwei mal einen Reisepass, wobei dieser das erste mal im Januar auf sechs Monate Gültigkeit genehmigt wurde, beim zweiten Mal auf Weisung der Gestapo, die bei Passvergabe immer beteiligt war, jedoch nicht mehr. Es zeugt von Alfred Blums Mut oder Glauben an korrektes Verwaltungsrecht, dass er dagegen anging, in jedem Fall um eine starke Persönlichkeit. Mit Bezug auf einen Paragraphen der Passverordnung bestand er in seinem Widerspruchsschreiben vom 10. Juli 1937 darauf, dass er zwar Jude sei, es aber keinen Anhalt gebe, dass er Belange des Reichs gefährden würde. Blum war erfolgreich. Die Gestapo teilte nun intern dem zuständigen Polizeipräsidium mit, dass „nach nochmaliger Prüfung des Sachverhalts ... nichts einzuwenden“ sei.
Die Blums reisten zu ihren Angehörigen in die Schweiz, aber auch ziemlich regelmäßig zwei Mal im Jahr zur Familie der Tochter in die Niederlande, wo sie im Geschäft und bei der Betreuung vom Enkel Georg halfen.
Julie und Alfred Blum, inzwischen jenseits der 60 Jahre, litten selbst zunehmend unter gesundheitlichen Einschränkungen. Ihr machten Schilddrüsenbeschwerden zu schaffen, er litt deutlich an Herz- und Gefäßerkrankungen. In einem Gesundheitszeugnis, das Alfred Blum für einen erneuerten Reisepass im Frühjahr 1938 vorlegte, werden ihm gar „nervöse Beschwerden“ und „Neigung zu psychischen Depressionen“ bescheinigt, die einen Kuraufenthalt erforderten, den er in der Nähe der Tochter verbringen wollte.
Es war wohl sein Alter über 65 Jahre, dass Alfred Blum nicht wie viele jüdische Männer direkt nach der Reichspogromnacht in das KZ Dachau verbracht wurde. Ein Leben in Deutschland schien aber spätestens jetzt nicht mehr denkbar. Deshalb stellten Alfred und Julie Blum am 13. Dezember 1938 abermals Passantrag, diesmal mit dem Ziel, Deutschland zu verlassen und in die Niederlande zur gehen.
Dem stellten sich die NS-Behörden nicht in den Weg, waren sie doch im Gegenteil zu diesem Zeitpunkt bestrebt, alle Juden aus Deutschland zu vertreiben. Noch am 28. Dezember 1938 erhielten Alfred und Julie die notwendigen Papiere.
Sie wohnten nun bei der Familie der Tochter in Zwolle, in der Genestetstraat 9. Sie hatten sich wohl sicher geglaubt. Dieser Anschein zerstob jedoch, als das nationalsozialistische Deutschland den Krieg im Westen am 10. Mai 1940 mit dem Einfall in die neutralen Beneluxstaaten begann und schließlich die Niederlande nach deren Kapitulation nur fünf Tage später besetzte und ein Besatzungsregime unter einem Zivilkommissar installierte. In der Folge wurden zunächst in die Niederlande zugewanderte Juden unter Ausnahmerecht gestellt. Immer mehr antijüdische Erlasse traten in Kraft, schließlich auch der vom 29. April 1942, demnach Juden ab dem sechsten Lebensjahr ab 2. Mai einen Stern zu tragen hätten. Es begannen Deportationen in die seit 1942 arbeitenden Vernichtungslager, intensiviert ab dem Oktober 1942.
Die Blums, die seit einiger Zeit im nahen Hattem in Voorstadslaan 206 IV wohnten, müssen in fortwährender Angst gelebt haben. Schließlich wurden auch Alfred und Julie Blum verhaftet, am 9. April 1943 in Zwolle. Sie kamen in das Lager Vught, welches auch als Konzentrationslager Herzogenbusch bekannt ist. Dieses war am 5. Januar desselben Jahres von der deutschen SS eingerichtet worden. Nach einem einmonatigen Aufenthalt dort wurden Alfred und Julie Blum am 9. Mai 1943 ins Konzentrationslager Westerbork überstellt, das als Durchgangslager für die Vernichtungstransporte diente. Die Menschen blieben so lange dort, bis ein Eisenbahntransport zur Abfahrt bereit stand.
Am 11. Mai 1943 verließ ein Eisenbahnzug nach dem Vernichtungslager Sobibor das Lager. Darin waren Alfred und Juli Bär. Es steht fest, dass dieser Zug am 14. Mai 1943 in Sobibor angekommen ist. Mehr ist nicht mehr feststellbar. Sicher ist davon auszugehen, dass Alfred und Julie dort ermordet wurden. Als Sterbedatum wurde amtlich aus diesem Grund für beide der 14. Mai 1943 vermerkt.
Auch die Familie von Tochter Alix Rosa Cohn war zu diesem Zeitpunkt in höchster Gefahr. Sie versteckten sich. Dazu trennte sich die Familie, Sohn Georg Cohn wurde unweit Zwolle auf einem Gehöft in Molecaten versteckt, Alix Rosa und Julius Cohn an einem anderen Ort. Doch das Versteck von Georg Cohn flog auf. Am 2. September 1944 wurde er entdeckt und nach Westerbork deportiert. Einen Tag später am 3. September 1944 wurde er in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo der Zug am Mittwoch den 6. September 1944 ankam. Zu jener Zeit wurden bei der Selektion an der Rampe von Auschwitz aufgrund des Arbeitskräftebedarfs viele zunächst zum KZ-Zwangsarbeitseinsatz selektiert. Es ist aber kaum anzunehmen, dass der 14-Jährige Bub als älter angesehen und als arbeitsfähig eingeteilt wurde. Georg Cohn gehörte zu den letzten in den Gaskammern von Auschwitz Ermordeten. Etwa einen Monat später wurden die Ermordungen in den Gaskammern eingestellt.
Alfred Blum, Julie Blum und Georg Cohn sind somit Opfer des Holocaust geworden.
Alix Rosa Cohn und ihr Mann Julius Cohn überlebten die Judenverfolgung in ihrem
Versteck. Sie lebten nach der Befreiung im Frühjahr 1945 kinderlos. Welchen Schmerz mussten sie empfunden haben? Beide kehrten nicht wieder nach Deutschland zurück, blieben in Hattem leben und nahmen die niederländische Staatsangehörigkeit an. 1968 schrieb Alix Rosa Cohn an ihren Mentor, den Romanisten Walter Pabst dazu: „Wir hatten unser Leben im Ausland nur sozusagen interimistisch aufgebaut, da wir nicht daran zweifelten, nach dem Fall Hitlers in ein demokratisches Deutschland zurück zu können. Die Ermordung unseres Kindes, unserer Eltern hat uns den Weg zurück innerlich unmöglich gemacht. So blieben wir, wo wir waren, bei den Menschen, die uns auf großartig-humane Weise, mit Einsatz ihres ganzen Lebens, gerettet haben.“ (Brief abgedruckt in: Walter Pabst, Romanist. Berlin 2005, S. 19.)
Alix Rosa Cohn arbeitete nochmals ihrer Neigung entsprechend literaturwissenschaftlich. In Deutschland erscheinen eine Reihe Interpretationen von Werken Flauberts, Balzacs oder Becketts, beispielsweise in der Fischerverlagausgabe 1962 zu Vetter Pons von Honoré de Balzac.
1957 stellten die Cohns entsprechend dem Bundesentschädigungsgesetz Antrag auf Wiedergutmachung. Es handelt sich hierbei um eine finanzielle Wiedergutmachung des vom NS- Regimes verübten Unrechts, begrenzt auf bestimmte Sachverhalte. Der Tod eines Angehörigen war darin gar nicht eingeschlossen. Auch wenn sich die Frage stellt, ob das mit einem Geldbetrag aufwiegbar wäre, scheint es bitter, dass für den ermordeten Sohn der deutsche Staat als Rechtsnachfolger nicht den allergeringsten Betrag aufbrachte.
Julius Cohn verunglückte in Hattem am 7. Juni 1972 tödlich.
Alix Rosa Cohn überwand diesen Verlust nicht und beging am 7. Dezember 1972 Suizid.
2011 wurde vor dem Veldweg 9 in Zwolle-Hattem ein Stolperstein im Gedenken an Georg Cohn verlegt.
Ich habe vom Leben der Familien Blum und Cohn nur aus den überlieferten Akten erfahren können, winzige Bruchstücke aus ihrem wirklichen Leben, das ohne übrig gebliebene persönliche Aufzeichnungen nicht annähernd erschlossen werden konnte. Doch es steht für mich fest, dass es sich bei ihnen allen um starke Menschen mit besonderem Charakter gehandelt hat, denen ich etwas Besseres gewünscht hätte. Der Nationalsozialismus hat viele Millionen Juden ermordet, aus für Nachgeborene unfassbar erscheinenden Beweggründen. Das Gefühl, dies alles nicht rückgängig machen zu können ist bedrückend. Deise kleine Biographie möge beitragen, dass die Familie Blum sowie auch die Familie Cohn über die niedergeschriebenen Opfernamen hinaus nicht vergessen werden. Jeder einzelne Mensch ist etwas wert.
(Diana Frickel, 12. Klasse Lessing-Gymnasium, September 2014)