Schweizer, Dr. jur. Adolf Max
Nachname: | Schweizer |
---|---|
Vorname: | Adolf Max |
Geburtsdatum: | 18. November 1880 |
Geburtsort: | Karlsruhe (Deutschland) |
Familienstand: | ledig |
Eltern: | Josua und Lina, geb. Mayer, Sch. |
Familie: | Bruder von Hermann |
Beethovenstr. 1,
Hirschstr. 126
22.10.1940 nach Gurs (Frankreich)
Biographie
Adolf Schweizer
Adolf Schweizer wurde am 18. November 1880 in Karlsruhe geboren. Er war der jüngere Sohn des Kaufmanns Josua Schweizer, geboren am 20. November 1842 in Hohenems/Vorarlberg (Österreich) und Lina geborene Mayer, geboren am 7. August 1845 in Landau. Er hatte einen älteren Bruder, Hermann Josef, geboren am 21. Juni 1884, ebenfalls in Karlsruhe, von dem später noch ausführlicher die Rede sein wird. Josua Schweizer war das zehnte und jüngste Kind von Josef Schweizer, geboren 1791 und Sophie geborene Löwengard, geboren 1804. Die Familie Schweitzer – in Hohenems schrieben sie sich noch mit „tz“ – lässt sich in Hohenems bis in die Mitte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachweisen. Den Namen Schwei(t)zer nahmen sie erst 1813 an, bis dahin führten sie den Namen Guggenheim.
Josua Schweizer taucht erstmalig im Karlsruher Adressbuch von 1872 auf. Wann genau und warum er nach Karlsruhe kam, lässt sich nicht mehr feststellen. Jedenfalls wohnte er mit Ehefrau und später mit den Kindern einige Jahre am Schloßplatz 8. Mutmaßlich war er im Textilhandel tätig, denn in den Jahren 1883 bis 1885 betrieb er zusammen mit einem Julius Strauß in der Waldstraße 41 ein Kurzwarengeschäft. Während seiner Karlsruher Zeit wurde die Wohnung mehrfach gewechselt, zuletzt wohnte die Familie in der Kaiserallee 5. 1892 zog die Familie nach Straßburg. Auch hierfür sind die Gründe nicht bekannt. Noch im Jahre 1887 hatte er für sich und seine Familie die badische Staatsangehörigkeit beantragt und im September 1888 erhalten.
Schule und Studium
Adolf Schweizer besuchte in Karlsruhe von 1887 bis 1890 die Volksschule und von 1890 bis 1892 die ersten beiden Gymnasial-Schuljahre, mutmaßlich am damaligen Humanistischen Gymnasium (dem späteren Bismarck-Gymnasium). Nach dem Umzug nach Straßburg besuchte er dort das altehrwürdige Protestantische Gymnasium (gegründet 1538) und legte dort am 5. August 1899 das Abitur mit insgesamt guter Benotung ab: die Noten bewegten sich überwiegend zwischen gut und sehr gut, lediglich in Deutsch (!), Physik und Leibeserziehung, dieses Fach hatte damals die Bezeichnung „Ausbildung zur körperlichen Kraft und Gewandtheit“, hatte er nur genügend; Aufmerksamkeit, Fleiß und sittliches Verhalten waren mit sehr gut benotet. Im Abiturszeugnis ist vermerkt, dass er sich dem Bankfach widmen wolle. Und tatsächlich begann er nach dem Abitur eine Volontärsausbildung bei der Oberrheinischen Bank in Straßburg. Gleichzeitig studierte er aber Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität in Straßburg von 1899 bis 1903, dem Beispiel seines älteren Bruders folgend, der ebenfalls an dieser Universität von 1892 bis 1895 Rechts- und Staatswissenschaften studiert hatte. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt beendete er jedoch sein Volontariat und konzentrierte sich ganz auf sein Studium, das er am 23. Juli 1903 mit der Referendarprüfung (1. Staatsprüfung) mit der Note „gut“ abschloss. Die Prüfungsarbeit vom 21. April 1903 hatte das gleiche Thema zum Inhalt wie drei Jahre spätere seine Dissertation (s.u.), diese allerdings weitaus ausführlicher: „Der Irrtum im Strafrecht“.
Berufsausbildung. Erste berufliche Stationen
Seine Referendar-Ausbildung schloss sich unmittelbar an seine 1. Staatsprüfung an und beinhaltete die obligatorischen Referendar-Ausbildungsstationen Amtsgericht, Landgericht, Staatsanwaltschaft, Grundbuchamt, Notariat, Bezirksverwaltung und Anwaltsstation, er schloss sie ab mit der 2. Staatsprüfung am 11. Juli 1907 in Straßburg mit dem Prädikat „gut“, seine schriftliche 172-seitige Prüfungsarbeit vom 1. Mai 1907 hatte das Thema „Grenzbestimmung zwischen Kauf-, Werk- und Dienstvertrag (auch unter Berücksichtigung des Handelsrechtes)“. Seine Beurteilungen aus der Referendarzeit: sehr fleißig, tüchtig, gründlich, hohe juristische Kenntnisse.
Während dieser Ausbildungszeit wurde er am 8. Februar 1906 an der Universität Straßburg mit der Dissertation „Zur Lehre vom Irrtum im Strafrecht“, bewertet mit ‚Summa cum Laude’, zum Dr. jur. promoviert.
Zum 24. November 1907 wurde er zum elsass.-lothringischen Gerichtsassessor ernannt.
In einer Vielzahl von Stationen wurde er nun auf seinen künftigen Beruf vorbereitet, um praktische Erfahrungen zu sammeln: Amtsgericht Straßburg (1.10.-30.10.1907), Amtsgericht Schlettstadt (1.11.-30.11.1907), Amtsgericht Hagenau (3.12.1907-31.5.1908), Landgericht Metz (1.6.1908-15.8.1909), Amtsgericht Deutsch Oth (15.8.-15.9.1909), Landgericht Metz (16.9.1909-11.7.1910), Amtsgericht Mörchingen (15.7.-15.8.1810). Dann war er vom 9.9.1910 – 28.8.1911 als Rechtsanwalt beim Landgericht in Metz zugelassen und dort auch als solcher tätig. Vielleicht wollte er – dem Beispiel seines Bruders Hermann folgend, der schon seit 1900 als Rechtsanwalt am Landgericht in Straßburg tätig war – sehen, ob er seinen Weg auch als Anwalt gehen könne. Offenbar waren diese Erfahrungen eher negativ, denn er entschloss sich, weiterhin im Staatsdienst zu bleiben. Zum 12. September 1911 erfolgte seine Wiederernennung zum Gerichtsassessor. So wurde er vom 1. Oktober 1911 bis 28. Februar 1912 beim Amtsgericht in Rappoldsweiler eingesetzt, vom 1. März bis 4. November 1912 war er Hilfsrichter am Landgericht in Colmar, vom 5. November 1912 bis 30. Juni 1913 in gleicher Funktion beim Landgericht in Straßburg, danach vom 1. Juli bis 30. September 1913 in gleicher Funktion beim Amtsgericht in Schiltigheim, vom 1. Oktober 1913 bis 5. Januar 1914 erneut beim Landgericht in Colmar und vom 6. Januar bis 7. April 1914 – nach Bestellung zum Amtsrichter in Elsaß-Lothringen am 29. Dezember 1913 – als Amtsrichter in Saarburg. Schließlich wurde er ab 8. April 1914 als Landrichter am Landgericht in Colmar fest positioniert.
Kriegsdienst
Bei Kriegsausbruch 1914 wurde er zum Mitglied des außerordentlichen Kriegsgerichtes in Neu-Breisach bestellt. Ob er in dieser Funktion tätig wurde, ist nicht überliefert. Jedenfalls wurde er zwei Jahre nach Kriegsbeginn am 1. September 1916 eingezogen und war bis 15. Juni 1917 als Kanonier beim Ersatzbataillon des Fußartillerieregiments 10 in Straßburg eingesetzt. Vom 15. Juni 1917 bis 11. Juni 1918 war er bei der Geheimen Feldpolizei der Heeresgruppe Herzog Albrecht. Auf Reklamation des Elsaß-Lothringen Ministeriums, Abteilung Innenministerium, wurde er zu diesem Datum aus dem Heeresdienst entlassen, um als juristischer Hilfsarbeiter im Ministerium im Bereich der gewerblichen Zwangsverwaltung tätig zu werden. Hier war er bis 15. Januar 1919 tätig.
Schwieriger Neubeginn in Mannheim
Das Jahr 1919 wurde das schwierigste Jahr für Adolf Schweizer in seinem bisherigen Leben.
Der Zusammenbruch des Kaiserreiches, seine Entlassung im Januar 1919 und die damit verbundene Frage, was er künftig tun werde, der Verlust seiner Heimat (zwar geboren im Badischen in Karlsruhe, aber mit zwölf Jahren ins Elsaß gekommen und dort aufgewachsen, betrachtete er diesen Landesteil als seine Heimat; die Abtrennung von Deutschland, formal zwar erst im Vertrag von Versailles vollzogen, zeichnete sich jedoch bereits zu Jahresbeginn ab) machten ihm auch emotional – noch viele Monate - schwer zu schaffen. Er war auch all die Jahre sehr eng mit seinen Eltern verbunden. Am 25. Januar 1919 verließ er Elsaß-Lothringen „unter dem Druck der politischen Verhältnisse“, wie er später schrieb. Wo ging er hin? Nach Karlsruhe? Wahrscheinlich, aber das ist nicht aktenkundig. Jedenfalls bewarb er sich beim Badischen Justizministerium um eine Übernahme in den badischen Justizdienst. Diese Bewerbung blieb – vorerst jedenfalls – erfolglos, denn wir finden Adolf Schweizer in den Monaten April und Mai 1919 in Berlin im Reichsjustizministerium wieder, wo er als juristische Hilfskraft Dienst tat. Welche Aufgaben er hatte, ist nicht überliefert.
Das Reichsjustizministerium empfahl mit Schreiben vom 24. Mai 1919 an das Badische Außenministerium (!), nicht etwa an das Justizministerium, eine Anstellung von Adolf Schweizer im badischen Justizdienst, da er als „scharfsinniger Richter und fleißiger Arbeiter“ gelte. Mit dieser Empfehlung wurde er als Dienstverweser (Urlaubsvertretung) vom 30. Juni bis 12. Oktober 1919 beim Amtsgericht in Mannheim eingesetzt.
Aber schon nach 14 Tagen gab es eine massive schriftliche Beschwerde des Präsidiums des Landgerichtes Mannheim auf Eingabe des stellvertretenden Leiters des Amtsgerichtes Mannheim (mit ausführlichen Beweisen), des Oberamtsrichters Koch, an das Badische Justizministerium: Schweizer sei dem Dienst nicht gewachsen, seine Arbeit sei u.a. durch völlige Entschlusslosigkeit gekennzeichnet, sein Zustand könne pathologisch sein, er solle sofort seines Dienstes enthoben werden. Der Landgerichtsrat Dr. Jakob Bär, späterer Kollege von Adolf Schweizer, wurde vom Landgerichts-Präsidium beauftragt, eine eingehende Überprüfung dieser Vorwürfe vorzunehmen. Bär bestätigte die Entschlusslosigkeit Schweizers und wies auf seelische Probleme hin, riet aber von einer Amtsenthebung ab. Das LG-Präsidium folgte dieser Empfehlung. Das Justizministerium enthob ihn seiner Tätigkeit am Amtsgericht und setzte ihn als Hilfsrichter beim Landgericht Mannheim ab 24. August 1919 ein. Ausweislich eines ärztlichen Attestes des Mannheimer Nervenarztes Dr. Kaufmann war Adolf Schweizer jedoch arbeitsunfähig erkrankt wegen nervöser Depression, eine Kur wurde empfohlen. Er bat das Justizministerium um einen vierwöchigen Krankheitsurlaub, er benötige dringend eine Kur (in Neckargemünd), er befinde sich im Zustand völliger Erschöpfung wegen Veränderung der Lebensumstände. Nach dieser Kur ordnete das Justizministerium ein Gutachten der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg an. Das Gutachten kam zu dem Schluss, Schweizer könne als voll leistungsfähig erachtet werden, eine Übernahme in den badischen Justizdienst wurde empfohlen. Ab 13. November 1919 wurde er nunmehr als Landrichter am Landgericht Mannheim bestätigt, zum 1. April 1920 zum Landgerichtsrat ernannt. Adolf Schweizer nahm nunmehr seinen ständigen festen Wohnsitz in Mannheim: im so genannten Quadrat-Stadtviertel im Zentrum Mannheims wohnte er ab 3. November 1919 in D 6, Haus 32, ab 31. Dezember 1920 in L 11, Haus 20. Er wohnte zur Miete, Hauseigentum besaß er nicht, auch später nicht, als er in Karlsruhe wohnte (s. unten).
In dieser Zeit wurde er auch Mitglied seiner berufsständischen Organisation, dem 1907 gegründeten Badischen Richterbund, bis August 1933, dann wurde er aus dieser Organisation als Jude „entfernt“. Ansonsten gehörte er keiner politischen Partei oder Organisation oder Vereinigung und auch keiner Loge jemals an, wie er in einer Fragebogenaktion 1933 und 1935, der sich alle Beamten unterziehen mussten, erklärte.
Seine fragile Gesundheit, auch von dem vormaligen Mannheimer Amtsrichter Dr. Hugo Marx nach dem Krieg in einem Aufsatz mit dem Titel „Das Schicksal der im Jahre 1933 in Mannheim amtierenden jüdischen Richter“ in den Mannheimer Heften 1961/Nr. 3, ausdrücklich hervorgehoben, zeigte sich 1929 mit den gleichen Krankheitssymptomen wie 1919 und erneut 1931/1932: Erkrankung wegen körperlicher und nervlicher Erschöpfung wegen jahrelanger Überanstrengung. Seinen Krankheitszeiten folgten jeweils mehrwöchige Kuraufenthalte, zuletzt in Höchenschwand im Schwarzwald.
Hugo Marx, geboren am 27. Juni 1892 in Heidelberg, konnte mit viel Glück 1933 in die Schweiz fliehen; wie in einer Odyssee führte ihn sein Weg über Frankreich, Belgien, USA nach dem Krieg wieder in die Schweiz, wo er 1979 starb.
Hugo Marx beschrieb Adolf Schweizer als „stille Gelehrtennatur, ein Richter von ungewöhnlichem Scharfsinn und manchmal geradezu erschütternder Gewissenhaftigkeit, eine der menschlich sympathischsten Erscheinungen der Mannheimer Gerichte, der deshalb nicht nur bei den Kollegen, für die er trotz seiner geschwächten Gesundheit einzuspringen bereit war, sich größter Zuneigung erfreute. Er war auch wegen seiner ruhigen, bescheidenen, sachlichen Art und seiner seltenen Fähigkeit, auch dort aufmerksam zuzuhören, wo es ihn bisweilen physisch erschöpfte, auch in den Kreisen der Mannheimer Anwaltschaft ungewöhnlich beliebt“.
Außer dieser – aus beruflicher Sicht geschriebenen – Charakterisierung Adolf Schweizers ist jedoch über ihn nichts überliefert, auch nicht durch seine Schwägerin (s.u.). Wir wissen nichts über seine Lebensgewohnheiten, Interessen, Freunde, Bekannten. Es scheint, er war ein Einzelgänger, der zwar seinen Beruf liebte, aber wenig Kontakt zu seiner Umwelt hatte.
Es ist auch nicht bekannt, ob er religiös war und auch die Synagoge – regelmäßig oder gelegentlich - besuchte. Er war nie verheiratet und hatte auch keine Kinder.
Die Jahre 1933 bis 1936
Im Januar 1933 amtierten in Mannheim noch 13 jüdische Richter: der Präsident des Landgerichtes Dr. Heinrich Wetzlar, drei Landgerichtsdirektoren, darunter der oben erwähnte Dr. Jakob Bär, fünf Landgerichtsräte, darunter Adolf Schweizer, und vier Amtsgerichtsräte, darunter der oben erwähnte Hugo Marx.
Vor dem Hintergrund des so genannten Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933 trat am 7. April 1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in Kraft, das einzig darauf gerichtet war, Juden und politische Gegner aus ihren Ämtern zu entfernen, mit drei Ausnahmetatbeständen – Altbeamte (vor dem 1. August 1914 im Amt), Frontkämpfer im Weltkrieg und Väter/Söhne von kriegsgefallenen Söhnen/Vätern. Auf Adolf Schweizer traf zwar der erste der genannten Ausnahmetatbestände zu, aber dies hielt das Justizministerium nicht davon ab, schon im vorauseilenden Eifer zur Anwendung dieses Gesetzes am 3. April 1933 an das Präsidium des LG Mannheim wie folgt zu schreiben: „Mit Rücksicht auf die Gefahren, die sich für die Ruhe und Ordnung im Rechtsleben und für das Ansehen der Rechtspflege aus der weiteren Beschäftigung von Richtern jüdischer Abstammung ergeben könnten, ist den Landgerichtsräten Dr. Schweizer, Dr. Frank, Dr. Darmstädter, Dr. Alfred Bär und Dr. Silberstein nahezulegen, sofort ein Urlaubsgesuch einzureichen. Diesem Gesuch ist von dort aus zu entsprechen.“ So geschah es auch pflichteifrig, Dr. Schweizer wurde am 5. April 1933 beurlaubt. Aber kaum vier Wochen später, das Gesetz war nunmehr in Kraft, wurde er mit Schreiben des Justizministeriums vom 2. Mai 1933 wieder in den Dienst zurück gerufen, die Beurlaubung wurde aufgehoben. Es folgte am 1. Juni 1933 ein weiteres Schreiben des Justizministeriums des Inhalts, dass er als stellvertretender Vorsitzender des Landesarbeitgerichtes Mannheim enthoben sei, als Landgerichtsrat am Landgericht in Mannheim jedoch weiter im Amt bleibe. Eigentümlicherweise ist in der sehr umfangreichen Personalakte von Adolf Schweizer kein Schriftstück, nicht einmal eine Aktennotiz zu finden, aus der hervorgeht, dass er – in dem 1927 eingerichteten – Landesarbeitsgericht Mannheim eingesetzt war, sogar als stellvertretender Vorsitzender dieses Gerichtes und seit wann. Gleiche Feststellungen wurden auch für den Vorsitzenden dieses Gerichtes, den Landgerichtsdirektor Dr. Jakob Bär, getroffen, auch bei ihm konnte kein Schriftstück gefunden werden, das seinen Einsatz an diesem Gericht bestätigt. Die Enthebung Adolf Schweizers von dieser Position war klar: man wollte keinen Juden in diesem herausgehobenen Amt haben. Ihm ging es wie dem Vorsitzenden dieses Gerichtes, Dr. Jakob Bär, der amtsenthoben an das Oberlandesgericht Karlsruhe zwangsversetzt wurde. Adolf Schweizer konnte wenigstens in Mannheim verbleiben. Am 27. August 1934 wurde er zum dritten Mal vereidigt, diesmal auf den „Führer“ Adolf Hitler. Die erste Vereidigung war am 11. August 1903 bei Eintritt in die Referendarausbildung erfolgt, die zweite Vereidigung – auf die Republik - im November 1919 nach seinem Einsatz als Landrichter am Landgericht in Mannheim
Adolf Schweizer wurde am 1. Oktober 1935 von der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichtes Karlsruhe die Verfügung des Reichsjustizministeriums übermittelt, dass er mit sofortiger Wirkung beurlaubt sei. Gleichlautende Schreiben erhielten auch alle anderen jüdischen Beamten, die noch im Dienst waren. Mit Verfügung desselben Ministeriums vom 18. Dezember 1935 wurde er per 1. Januar 1936 endgültig gem. § 4 der 1. VO zum Reichsbürgergesetz (sog. „Nürnberger Gesetze“) in den Ruhestand versetzt. Adolf Schweizer war zu diesem Zeitpunkt 55 Jahre. Finanzielle Not hatte er – vorerst – nicht zu leiden, seine Dienstbezüge liefen weiter bis Ende 1938.
Seit Juni 1935 war Adolf Schweizer erneut erkrankt und dienstunfähig wie schon mehrfach zuvor, er blieb es bis zu seiner Beurlaubung. Und als er dann zwangspensioniert wurde, kehrte er Mannheim den Rücken und zog am 8. Juli 1936 nach Karlsruhe, wo sein Bruder, als Rechtsanwalt am Oberlandesgericht tätig, mit Ehefrau seit 1920 lebte. Er wohnte in der Hirschstraße 126. Hier bewohnte er eine große 4-Zimmer-Wohnung mit wertvollen Möbeln, wie seine Schwägerin nach dem Kriege im Wiedergutmachungsverfahren bezeugte.
Hermann und Jenny Schweizer
Der ältere Bruder Adolfs, Hermann, hatte vermutlich schon in Karlsruhe das Abitur abgelegt, als die Familie 1892 nach Straßburg verzog (Belege dafür fehlen). Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Straßburg und legte dort 1895 seine 1. juristische und 1900 seine 2. Staatsprüfung ab und wurde zum Gerichtsassessor ernannt. Er entschied sich jedoch für die Anwaltstätigkeit und wurde bereits 1900 als Rechtsanwalt beim Landgericht in Straßburg zugelassen und war in dieser Funktion dort bis 1911 tätig. 1911 erhielt er seine Zulassung als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht in Colmar. Er war verheiratet mit Jenny geb. Frohwein, geboren am 16. Dezember 1877 in Köln. Mit Ausbruch des Krieges 1914 wurde er zum so genannten ungedienten Landsturm eingezogen, aber nur für einige Tage blieb er dabei, dann wurde zum Bürodienst abkommandiert. Wo dies war und wie lange dieser Einsatz dauerte, ist nicht überliefert. Die Ehe blieb kinderlos. Das Ende des Kaiserreiches und die zwangsweise Abtretung Elsaß-Lothringens bedeutete für ihn – genauso wie auch für seinen Bruder Adolf, wie beschrieben – eine Zäsur für sein Leben, auch für seine Frau (wann und wo er geheiratet hatte, war nicht zu ermitteln), er musste sich beruflich neu orientieren, im Elsaß konnte er nicht weiter tätig bleiben.
Mit Schreiben vom 24. Mai 1919 beantragte er beim Badischen Justizministerium die Zulassung als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht Karlsruhe. Anscheinend war ihm jedoch ein Neubeginn als Rechtsanwalt recht risikoreich, daher richtete er am 21. August 1919 eine schriftliche Anfrage an das Justizministeriums ob es für ihn im Staatsdienst oder in einem Selbstverwaltungsorgan eine Verwendungsmöglichkeit gäbe. Offenbar wurde seine Anfrage negativ beschieden, jedenfalls erhielt er mit Schreiben vom 20. Januar 1920 die Zulassung als Rechtsanwalt. Er zog daraufhin nach Karlsruhe und wohnte – bis 1925 - in der Westendstraße (heute Reinhold-Frank-Straße) 69, danach kurzzeitig in der Stefanienstraße 39, danach von 1927 bis 1935 in der Grashofstraße 3, also in allernächster Nähe zum Gericht. Er teilte das Büro (Bürogemeinschaft) mit dem – damals schon sehr bekannten, fast berühmt zu nennenden – Rechtsanwalt Ernst Fuchs in der Moltkestraße 17. Es war für ihn ein großes Glück, wirtschaftlich gesehen, im „Windschatten“ des großen Ernst Fuchs arbeiten zu können. Dieser starb jedoch am 10. April 1929; kurz zuvor war ihm noch die Ehrendoktorwürde der juristischen Fakultät der Universität Heidelberg verliehen worden. Schon seit 1923 hatte Ernst Fuchs seinen Sohn Albrecht als Sozius aufgenommen, seit April 1925 ebenfalls als Rechtsanwalt beim OLG Karlsruhe zugelassen. Nach dem Tod seines Vaters verkaufte Albrecht Fuchs dessen Haus Moltkestraße 17 und kaufte eine Villa in der Bachstraße 12, in der er nunmehr seine Kanzlei führte. Er stellte jedoch sehr bald fest, dass er vom Arbeitsvolumen her allein die Kanzlei nicht führen konnte und nahm daher ab 15. November 1929 Hermann Schweizer als Sozius auf, sie führten nunmehr gemeinsam die Praxis. Obwohl die Einkünfte-Verteilung zwischen beiden vorsah, dass Albrecht Fuchs ¾ und Hermann Schweizer ¼ erhielt, schien diese Relation Hermann Schweizer für die nächsten Jahre ein ausreichendes Einkommen zu ermöglichen, jedenfalls bis zur Machtübernahme Hitlers, von da ab änderte sich alles. Zwar durfte er als „Alt-Anwalt“ nach dem Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933 auch weiterhin praktizieren, jedoch blieben den jüdischen Rechtsanwälten die Mandanten weg und damit schrumpften die Einkünfte dramatisch. Das traf ihn genauso wie auch seinen Sozius Albrecht Fuchs. Für 1933 erzielte Hermann Schweizer nur noch 7.468 RM, für 1934 sogar nur noch 5.800 RM. Für 1935 und 1936 erst Recht gingen die Einkünfte gegen nahezu „null“. Dies und die zunehmende soziale und gesellschaftliche Ausgrenzung machten ihm zunehmend zu schaffen und strapazierten seine Gesundheit. Am 23. September 1936 verstarb er im St. Vincentius-Krankenhaus in Karlsruhe. Seine Witwe gab daraufhin die zuletzt, seit 1935, bewohnte Wohnung in der Mozartstraße 13 auf und zog – aus Kostengründen - in die billigere Wohnung in der Schnetzlerstraße 9.
Im Unterschied zu seinem Bruder war Hermann Schweizer für einige Jahre in den 1920er Jahren, der genaue Zeitraum ist nicht mehr feststellbar, politisch engagiert, und zwar war er Mitglied in der Demokratischen Partei. Und er war auch Mitglied in der Carl-Friedrich-Loge, der Karlsruher Abteilung der B’nai B’rith-Loge. Aber so wenig über das Leben außerhalb des Berufes seines Bruders Adolf bekannt ist, so wenig ist über sein und seiner Frau Leben bekannt, kein Brief, keine Aufzeichnung, nichts.
Adolf Schweizer und seine Schwägerin Jenny Schweizer errichteten ein gemeinsames Testament, in dem sie sich wechselseitig zum Alleinerben einsetzten. Dieses Testament ging leider verloren.
Dachau. Gurs
Die Tage 9./10. November 1938 sind in die Geschichtsbücher als „Reichskristallnacht“ oder auch „November-Pogrome“ eingegangen, die Synagogen wurden verwüstet, zerstört, abgebrannt, ungezählte jüdische Geschäfte zerstört und auch geplündert. Alle männlichen Juden zwischen 16 und 60 Jahren wurden in die Konzentrationslager Dachau (aus dem süddeutschen Raum und aus Österreich), Buchenwald oder Sachsenhausen verbracht. Auch Adolf Schweizer traf es, zusammen mit mehr als 200 Karlsruhern: vom 11. November bis 29. November 1938 war er mit der Häftlingsnummer 21035 in Dachau inhaftiert. Anscheinend befand sich Adolf Schweizers Schwägerin Jenny Schweizer, der Witwe seines verstorbenen Bruders Hermann, zum Zeitpunkt als er aus der Wohnung von SA- oder SS-Leuten abgeholt wurde, bei ihm, denn sie rief den Rechtsanwalt Dr. Albrecht Fuchs, vormaliger Sozius ihres verstorbenen Mannes, in seinem Haus in der Richard-Wagner-Straße 11 gegen 9.00 Uhr morgens am 10. November 1938 an und bat ihn eindringlich zu ihr zu kommen: „Bitte kommen Sie sofort, bei meinem Schwager ist etwas Schreckliches geschehen, ich kann am Telefon nichts Näheres sagen!“. Dies schrieb Albrecht Fuchs u.a. in seinem ausführlichen Erlebnisbericht über jene Novembertage 1938 nach seiner Flucht nach Frankreich am 16. November 1938. Natürlich fuhr er zu ihr hin, allerdings erst einige Zeit später, weil er sich zuvor um die Witwe seines Cousins Philipp Fuchs, der, als er zu etwa gleicher Zeit in seiner Wohnung in der Wendtstraße 1 von SS-Leuten verhaftet werden sollte, sich erschoss, kümmern musste. Als er bei Jenny Schweizer eintraf, konnte er aber nur feststellen, dass Adolf Schweizer nicht mehr da war, niemand wusste zu dieser Zeit, dass er und all die anderen Verhafteten nach Dachau gebracht werden sollten.
Es gibt eine Vielzahl von Erlebnisberichten über die Verhaftung, den Transport nach Dachau und insbesondere über die Zeit in Dachau. Josef Werner hat in seinem Buch „Hakenkreuz und Judenstern“ ausführlich darüber berichtet. Von Adolf Schweizer selbst gibt es keinen Bericht. Seine Entlassung aus Dachau erfolgte relativ früh, die meisten kamen erst Wochen später – wenn sie Dachau überstanden hatten.
Weder dieses Erlebnis noch die folgende Zeit konnten jedoch Adolf Schweizer dazu bringen, sich um eine Auswanderung, wohin auch immer, zu bemühen. Noch einmal Hugo Marx: „Dass diese stille Gelehrtennatur die Kraft zur Auswanderung nicht würde finden können, war bei seiner depressiven Veranlagung, die ihn schon während seiner Dienstzeit bisweilen in seiner Arbeitsfähigkeit sehr gehemmt hatte, nicht anders zu erwarten. So ging er leidend und schweigend dem unvermeidlichen Schicksal, dem Abtransport in das Konzentrationslager Gurs entgegen.“ Doch davon später. Auch von der Schwägerin Jenny ist nichts überliefert, dass sie sich in irgendeiner Weise um eine Auswanderung bemüht hat, sie ließ also auch die Dinge auf sich zukommen.
Am 22. Oktober 1940 wurden die badischen und saarpfälzischen Juden, 6.550 an der Zahl, darunter 905 von Karlsruhe (einschließlich Grötzingen) auf Initiative der Gauleiter Wagner und Bürckel, die ihre Gaue „judenrein“ haben wollten, nach Gurs in Südfrankreich deportiert, darunter auch Adolf Schweizer und seine Schwägerin Jenny Schweizer, diese jedoch von Baden-Baden aus, wo sie sich gerade zu dieser Zeit zu einem Kuraufenthalt zur Ausheilung eines Beinbruchs befand.
Über das Leben in diesem Lager, über die miserablen Lebensbedingungen, über die unsäglichen hygienischen Verhältnisse, über den Hunger ist an anderer Stelle von zahlreichen Autoren, insbesondere von Überlebenden in Erlebnisberichten ausführlich geschrieben worden, das soll hier nicht wiederholt werden. Bereits am 4. November 1938 verstarb Adolf Schweizer in der Infirmerie (Krankenstation) des Lagers an Herzinsuffizienz. Den Strapazen des Lagerlebens war er nicht gewachsen. Er war der fünfte Tote von den deportierten Juden aus Karlsruhe: Lina Wachenheimer starb bereits auf dem Transport nach Gurs, ihr Tod wurde amtlich auf den 26. Oktober 1940 festgelegt; es folgten in der Todes-Reihenfolge: Simon Durlacher am 28. Oktober, Else Frank geborene Rosenstein am 30. Oktober, Jakob Levy am 31. Oktober. Am gleichen Tag wie Adolf Schweizer verstarb auch Rosa Löwe geborene Östreicher. Es folgten in den Wochen danach noch viele, viele andere. Adolf Schweizer ist auf dem Lagerfriedhof Gurs beerdigt.
Jenny Schweizer überlebte Gurs und auch die anderen Lager, trotz Zuckerkrankheit. In Gurs war sie bis 17. März 1941; es folgten das Lager Récébédou vom 17. März 1941 bis 3. August 1942, das Lager Noé vom 3. August 1942 bis 17. August 1943, danach lebte sie bis Mai 1946 in einem Armenhaus in Montanban (Dept. Tarn-et-Garonne), das bis zur Befreiung unter Aufsicht der Deutschen stand. Danach lebte sie in einem Heim in Plombières le Dijon. Im Juli 1951 kehrte sie nach Karlsruhe zurück und wohnte zunächst in der Beethovenstraße 1, ehemals das Wohnhaus von Rechtsanwalt Dr. Jacob Marx, dessen Tochter Elisabeth, einzige Überlebende der Familie, das Haus nach dem Kriege verkauft hatte, nunmehr eine „Pension Hering“. Der Rechtsanwalt Dr. Anders, ehemals Sozius von Dr. Jacob Marx, vertrat sie im Wiedergutmachungsverfahren. Laut Erbschein vom 25. Juli 1952 war sie Alleinerbin von Adolf Schweizer. Später kam sie in die Privatklinik Dr. Wagner in der Sophienstraße 29, als Pflegefall wegen geistiger Gebrechlichkeit, wie es hieß. Am 27. April 1953 starb Jenny Schweizer in Karlsruhe.
(Wolfgang Strauß, August 2009)