Speyer, Fanny
Nachname: | Speyer |
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Vorname: | Fanny |
geborene: | Godlewsky |
Geburtsdatum: | 27. Januar 1882 |
Geburtsort: | Hirschaid/Bamberg (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Familie: | Ehefrau von Siegfried S.; Mutter von Alexander, Gertrud, Lothar und Manfred |
Kronenstr. 15
später nach Récébédou (Frankreich),
31.8.1942 von Drancy nach Auschwitz (Polen)
Biographie
Siegfried und Fanny Speyer
Siegfried Speyer wurde 24. Oktober 1876 in Gelsenkirchen geboren. Sein Vater war der Kantor und Religionslehrer Levi Speyer (1845-1907), seine Mutter Gella, geborene Stern (1840-1891). Siegfried hatte eine zwei Jahre jüngere Schwester Olga. 1879 zog die Familie nach Haigerloch, wo Vater Levi den Posten des Kantors und Religionslehrers inne hatte und ab 1894 auch den Posten des Rabbinats-Verwesers, nachdem der bisherige Rabbiner Dr. Spitz die Gemeinde im Streit verlassen hatte. Die Tätigkeit in Haigerloch übte er bis zu seinem Tode im Jahr 1907 aus. Die Grabsteine von Gella und Levi sind auf dem jüdischen Friedhof in Haigerloch zu finden.
Die Kinder verbrachten ihre Jugend im Rahmen der dortigen, relativ großen jüdischen Gemeinde. Nach Abschluss der Schule wurde Siegfried im Israelitischen Lehrerseminar in Würzburg zum Kantor und Religionslehrer ausgebildet.
Fanny stammt aus der Familie Godlewsky, in der es in mindestens zwei Generationen mehrere Kantoren und Lehrer gab. So auch ihr Vater Moses, der 1900 in Gerolzhofen starb, ihr Bruder Mayer (1867-1939), ihre Brüder Leopold (1878-1943) und Elias (1880-?) und ihr Cousin Arthur Godlewsky (1892-1942). Der Grabstein von Moses ist auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen zu finden. Die Mutter von Fanny war Ida Lachmann (1844-1919). Ihr Grabstein ist auf dem jüdischen Friedhof in Wenkheim. Fanny wurde am 27. Januar 1883 in Hirschaid geboren und hatte neben den erwähnten Brüdern noch zwei weitere, Adolf(?-?) und Julius (1884?-?) und die Schwester Rosa, verheiratete Moddel (1881-1942).
Fanny und Siegfried heirateten am 15. Mai 1911. Von 1913 bis 1922 war Siegfried Kantor und Lehrer bei der jüdischen Kultusgemeinde Wenkheim. Die Lehrerwohnung befand sich im Gebäude der Synagoge, die erhalten blieb und in den letzten Jahren zusammen mit der Mikwe vorbildlich restauriert wurde.
Das Foto zeigt die Familie am Ende von Speyers dortiger Tätigkeit. Links ist Manfred (1914-1936), in der Mitte die Tochter Gertrud (1918-1985), dann die Söhne Alexander (1916-1998) und Lothar (1913-1987).
1922/1923 zog die Familie nach Karlsruhe, da Siegfried sich erfolgreich um eine dortige Kantor- und Lehrerstelle beworben hatte. Sie lebten zunächst in einer Wohnung in der Kronenstraße 15, direkt neben der Synagoge, und ab 1933 in einer Wohnung im Rückgebäude der Herrenstraße 14. Im Vorderhaus war damals die Israelitische Gemeindeverwaltung untergebracht.
Siegfried Speyer erteilte in verschiedenen Schulen Religionsunterricht an jüdische Schüler.
Den vor 1933 relativ liberalen Regelungen des Landes Baden entsprechend, waren die jüdischen Religionslehrer den übrigen Lehrkräften gleichgestellt und somit Gehaltsempfänger des Landes. Jedoch wurde er kurz nach Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten, wie die anderen jüdischen Lehrer, aus dem Staatsdienst entlassen und dann von der Jüdischen Kultusgemeinde bezahlt.
In den Jahren bis zur vollständigen Auflösung der Gemeinde war das jüdische Schulwesen in Karlsruhe durch immer neue Verfügungen in dauernder Veränderung und Unruhe, eine Situation, die durch die sich ständig vermindernde Kinderzahl (Auswanderung) noch verstärkt wurde. Ein Verlassen ihrer Heimat kam aber für das Ehepaar wegen ihrer deutschkonservativ geprägten Einstellung nicht in Frage, was für sie, wie auch für viele andere, vor allem ältere Deutsche jüdischen Glaubens mit ähnlicher Einstellung, dann leider fatale Folgen hatte.
Die allgemeine Lage wurde noch durch verschiedene, inner-jüdische Probleme belastet. So bestanden die orthodoxen Juden auf getrenntem Religionsunterricht. Aus heutiger Sicht unverständlich sind einige, bis zum Ende der Gemeinde andauernde Streitigkeiten, z.B., ob Hebräisch in sephardischer oder aschkenasischer Betonung gesprochen werden sollte!
Siegfried Speyer gab an verschiedenen Karlsruher Schulen Religionsunterricht, so auch an der Humboldt-Schule, bis dieser 1936 an öffentlichen Schulen verboten wurde. Er lehrte Hebräisch, biblische und jüdische Geschichte, Religionslehre und gab Noten, die in den Zeugnissen erschienen. Danach organisierte die Israelitische Gemeinde unter großen Schwierigkeiten selber den Unterricht für die immer kleiner werdenden Schülerzahlen.
Speyer war auch Mitglied des Naphtali-Epstein-Vereins, der zur Unterstützung kranker Lehrer und Lehrerwitwen gegründet worden war.
Gertrud, Lothar und Alexander, die Kinder des Ehepaars Speyer, zogen es rechtzeitig vor, Deutschland zu verlassen. Die Sportlehrerin Gertrud wanderte 1938 nach England aus und heiratete Mr. Samuel Appleson. Lothar machte 1932 sein Abitur an der Kant-Oberrealschule in Karlsruhe und durchlief danach eine Ausbildung am Jüdischen Lehrerseminar in Würzburg. Die Reichspogromnacht 1938 überstand er ohne Verhaftung durch kaltblütiges, mutiges Verhalten. Mit dem „Völkischen Beobachter“ unter dem Arm kam er durch die Straßen-Kontrollen der SA. 1939 gelang es ihm nach Palästina auszuwandern. Alexander besuchte die Kant-Oberrealschule bis zur Mittleren Reife im Jahr 1933. Eigentlich wollte er Sportlehrer werden, er war begeisterter Fußballer, doch dann ging er in ein von der zionistischen Bewegung organisiertes, landwirtschaftliches Ausbildungslager bei Offenburg. Gegen den Willen seiner Eltern verließ er im Mai 1934 Deutschland, um nach Palästina auszuwandern. Dort war er zunächst kurze Zeit in einem Kibbuz tätig, bevor er ein Jahr lang eine landwirtschaftliche Schule besuchte. Dann wurde er Haganah-Angehöriger und kämpfte später in der Britischen Armee, schon drei Jahre bevor die Jüdische Brigade gebildet wurde. Nach Kriegsende kümmerte sich diese besonders um das Schicksal überlebender Juden und in diesem Rahmen gelang es ihm, seinen Onkel Rudolf Moddel in einem Lager für „Displaced Persons“ ausfindig zu machen und nach England zu bringen.
Danach war er Ausbilder bei der Haganah und, als die Israelische Armee gebildet wurde, trat er ihr bei und beendete seine militärische Laufbahn als Oberstleutnant. Den Namen „Speyer“ musste er als Offizier allerdings in die hebräische Form „Shapir“ umwandeln.
Nach dem 9./10. November 1938, der Reichspogromnacht, als über 400 jüdische Männer aus Karlsruhe für Wochen nach Dachau zur „Schutzhaft“ gebracht und dabei teilweise schwer misshandelt wurden, hatte Siegfried Speyer Glück. Er war am Morgen des 10.
November wie immer um 7 Uhr zum Morgengottesdienst in den kleinen Betsaal des Hauses Kronenstraße 15 gegangen. Nach Beendigung des Gottesdienstes wurden alle Männer von einem Polizeibeamten aufgefordert, mit zu einer Sammelstelle zu kommen. An einer Straßenecke gelang es Speyer zu flüchten. Seine tapfere Frau Fanny versteckte ihn auf dem Dachboden und so entkam er einem Abtransport. Nach einigen Tagen hatte sich die Lage etwas beruhigt und er konnte sich wieder zeigen.
Nach den schlimmen Ereignissen des November 1938 wurde jüdischen Schülern der Besuch öffentlicher Schulen ganz verboten und die Gemeinde organisierte selber einen Schulunterricht. Wegen des Abbruchs der Reste der zerstörten Synagoge in der Kronenstraße musste der Unterricht zeitweise im Gemeindesaal im Rückgebäude der Herrenstraße 14 oder sogar in der Wohnung der Familie Speyer, eine Etage darüber, stattfinden. Auch Sohn Lothar stellte sich bis zu seiner Auswanderung als Lehrkraft zur Verfügung.
Siegfried Speyer erfüllte alle seine Pflichten in der weiter schrumpfenden jüdischen Gemeinde der Stadt mit großer Hingabe. In ihrer ehrlichen, treu-deutschen Gesinnung konnte er wie seine Frau einfach nicht an ein mögliches, schlimmes Ende glauben.
Dieses begann am 22. Oktober 1940 in infamster Weise genau am jüdischen Feiertag Sukkoth, dem Laubhüttenfest. Ohne vorherige Warnung standen morgens um 8 Uhr Gestapo-Beamte vor den Wohnungen der jüdischen Bürger, so auch vor denen im hinteren Haus Herrenstraße 14, wo Speyers wohnten. Das Ehepaar hatte 1 ½ Stunden Zeit, das Nötigste einzupacken. Schmuck, Wertgegenstände und Geld (bis auf 100 RM) mussten abgegeben werden. Unter Polizeiaufsicht wurden die Festgenommenen mit der Straßenbahn zum Bahnhof gebracht. Nach 19 Uhr fuhr der lange Zug mit 905 Karlsruher Juden ab, zur Erleichterung der Insassen nach Süden und nicht in Richtung Osten, wie von vielen schon befürchtet worden war.
Am 25. Oktober kam der Zug in der Nähe des Lagers Gurs im damals noch nicht besetzten Teil Frankreichs an. Auf Lastwagen ging es weiter ins Lager in die, wie sie bald merkten „Vorhölle von Auschwitz“. Unter den katastrophalen Verhältnissen starben schon in den ersten Wochen nach Ankunft sehr viele der Deportierten an Hunger und Krankheit, vor allem ältere Leute, insgesamt über eintausend. So schreibt z.B. Fanny im Dezember 1940:
„...die alten Leute können die Strapazen nicht aushalten...“. Sie wurde zur Vertrauensfrau der Baracke 13 gewählt und war u.a. für die Essensausgabe verantwortlich.
Im Frühjahr 1941 wurden Insassen in andere Lager verbracht, das Ehepaar Speyer im April nach Recebedou in der Nähe von Toulouse, wie andere, vor allem ältere und kranke Juden. Die Baracken waren dort aus Stein und hatten Fenster. Die Verpflegung war zunächst etwas besser, doch schon bald klagten die Insassen wieder sehr über Hunger. Beide Eheleute verloren nach wenigen Monaten ein Drittel ihres Gewichts, waren öfters krank und im Winter 1941/1942 erfroren Siegfrieds Füße. Einige Briefe, die das Ehepaar aus den Lagern
an ihre Kinder in England und Israel schrieben, sind erhalten geblieben und stellen eine hoch interessante und ergiebige Quelle für Informationen dar. Sie spiegeln aber auch den unbeugsamen Lebensmut dieser außergewöhnlichen Frau wider, der selbst wenige Tage vor dem Abtransport nach Osten noch vorhanden war. Beide blieben die ganze Zeit gläubige Menschen, vertrauten ihrem Gott und versuchten die jüdischen Gesetze einzuhalten, soweit es unter den katastrophalen Bedingungen möglich war.
Männer und Frauen waren in getrennten „Pavillons“ untergebracht, Fanny zuerst in Nr. 68, dann 65, dann 60. Die Frauenbaracken durften allerdings nicht von Männern betreten werden. Die Eheleute konnten sich aber außerhalb treffen, so z.B. beim Kochen auf einem selbstgebastelten Herd aus einer leeren 5 kg Marmeladen-Büchse.
Im Februar 1942 versuchten sie noch über die Jüdische Emigrations- und Hilfsorganisation HICEM eine Ausreisegenehmigung zu erhalten, leider vergeblich.
Am 23. August 1942 schrieb Siegfried Speyer an seine Tochter Gertrud in England, dass ihre Mutter in ein anderes Lager verlegt werden solle. Er habe sich aber freiwillig entschlossen, mit ihr zu gehen. Wohin es ginge, wüssten sie nicht, doch sicherlich kämen sie unter deutsche Verwaltung. Fanny, wahrscheinlich etwas realistischer eingestellt, schrieb dagegen auf einer anderen Postkarte: „Abreise in eine unbekannte Ferne...“.
Nur eine Woche später, am 31. August 1942, wurde das Ehepaar Speyer mit dem Sammeltransport Nr. 26 direkt nach Auschwitz gebracht. Von den etwa eintausend Personen dieses Transports, der am 2. September 1942 eintraf, wurden 961 nicht arbeitsfähige, ältere Männer und Frauen, sowie alle Kinder sofort nach Ankunft in die Gaskammern geschickt.
Josef Werner, der Autor des Buchs „Hakenkreuz und Judenstern“, Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, Karlsruhe 1988, war in der bevorzugten Lage, besonders bei Besuchen der Söhne Lothar und Alexander viele wichtige Informationen über die Familie zu erhalten. Einzelne Details dieser Biographie sind dem Buch oder den Kopien von Briefen aus Archiven entnommen.
Der Verfasser dieser Kurzbiographie erhielt darüber hinaus noch wertvolle Hinweise und Fotos von Alexanders Sohn Yiftah Shapir aus Israel, wofür er sehr dankbar ist.
(Richard Lesser, August 2005)