Alterthum, Dr. Ernst
Nachname: | Alterthum |
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Vorname: | Ernst |
Geburtsdatum: | 23. Mai 1872 |
Geburtsort: | Magdeburg (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Familie: | Ehemann von Odalinde A.; Vater von Erwin (1900-1907) |
1931-1935: Seldeneckstr. 11, nach Herrenalb verzogen
Biographie
Dr. Ernst Alterthum (1872 – 1944)
Ernst Alterthum wurde am 23. Mai 1872 als Sohn deutscher Bürger jüdischen Glaubens in Magdeburg geboren. Sein Vater war der angesehene Kaufmann Siegfried Alterthum, der 1838 in Magdeburg zur Welt kam und 1913 in Berlin verstarb. Siegfried wiederum war das siebente der acht Kinder des Ehepaares Wolf Michael Alterthum (1778-1860) und Sara, geborene Hessel (1791-1873). Die Vorfahren lebten in Schwerin. Die Mutter von Ernst war Elise, geborene Hirschfeld, die 1919 in Berlin verstarb. Ernst hatte eine Schwester Martha. Über deren Schicksal ließ sich jedoch nicht viel herausfinden, nur, dass sie in Magdeburg verheiratet war, dort 1914 verstarb und mehrere Kinder hinterließ.
Von Schulbeginn an nahm Ernst am evangelischen Religionsunterricht teil, im Alter von 16 Jahren wurde er protestantisch getauft. Auch seine Eltern konvertierten, vermutlich im selben Jahr. 1890 bestand er am Königlichen Dom-Gymnasium in Magdeburg das Abiturprüfung und begann mit dem Medizinstudium an der Universität Freiburg. Danach ging er von 1891-1892 nach Heidelberg, wo er am 9. Februar 1892 die ärztliche Vorprüfung bestand. Danach absolvierte er den einjährigen Militärdienst beim Zweiten Bayrischen Infanterieregiment „Kronprinz“. Nach kurzem Studium in München ging er wieder nach Freiburg, wo er im Wintersemester 1894/1895 die zweite ärztliche Prüfung mit dem Prädikat „sehr gut“ bestand und am 2. Januar 1895 die Approbation als Arzt erhielt. Im gleichen Jahr promovierte er zum „Dr. med.“. Seine Inaugural-Dissertation hatte den Titel: „Über das spätere Befinden der Operierten nach Ausführung der amputatio uteri supravaginalis. Sein Doktorvater war der damals sehr bekannte Geheimrat Prof. Dr. Alfred Hegar. Böse Ironie des Schicksals: Dieser wurde später Ehrenmitglied der deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene!
Von 1895 bis 1896 diente Dr. Alterthum als Arzt beim Königs-Ulanen-Regiment 1. Er wurde zum Assistenzarzt der Reserve ernannt und 1899 zum Oberarzt und 1909 zum Stabsarzt befördert. Daneben arbeitete er ab 1896 etwa drei Jahre lang an der Gynäkologischen Universitätsklinik Freiburg.
1899 heiratete er die am 14. April 1873 in Mannheim geborene Odalinde Eisinger. Ihr Vater war der am 7. Februar 1835 in Neckarbischofsheim geborene Ludwig Wilhelm Eisinger, der später in Freiburg Gymnasialprofessor wurde und am 18. März 1897 verstarb. Ihre Mutter war Amelia Kruszenska, am 24. Dezember 1845 in Freiburg geboren und unbekannten Datums verstorben. Die Familie war alt-katholischen Glaubens.
Nach kurzem Aufenthalt in Mannheim zog das Ehepaar wieder nach Freiburg, wo Dr. Ernst Alterthum 1901 eine Facharztpraxis für Frauenkrankheiten eröffnete. Daneben betätigte er sich als Geburtshelfer und arbeitete auch ein paar Jahre in der Privatklinik des Prof. Bulius. In Freiburg kam 1900 der Sohn Erwin zur Welt, der jedoch schon 1907 in Berlin verstarb. Die eigene Praxis gab Dr. Ernst Alterthum 1907 auf, er eröffnete eine neue in Berlin, die bis 1916 im Adressbuch eingetragen ist.
Bei Kriegsbeginn 1914 wurde er zum Militärdienst eingezogen. Zunächst war er Arzt in der Unteroffizier-Vorschule Greifenberg in Pommern (heute Gryfice), dann Chefarzt bei der Reserve- Sanitäts- Kompanie 45, danach Regimentsarzt beim Infanterie- Regiment 210, beim Infanterie- Regiment 149, beim 2. Landsturm- Infanterie- Bataillon Bromberg II/4 und zuletzt beim Reservelazarett in Schneidemühl. An der Westfront wurde er in Kämpfe verwickelt (Yser, Ypern, Wytschaetebogen) und erhielt 1914 das EK II für die Bergung einer größeren Anzahl Verwundeter unter Granatenbeschuss. 1916 erkrankte er, war danach nicht mehr voll felddiensttauglich und wurde in der Etappe eingesetzt.
1919 aus dem Kriegsdienst entlassen, wurde er als Arzt und Beamter zum Bezirkskommando Schneidemühl versetzt. 1920 auch aus dem Militärdienst entlassen, war er dann in der gleichen Stadt als Arzt beim Versorgungsamt tätig. Im August 1920 erhielt Dr. Ernst Alterthum das amtliche Schreiben: „Sie sind gemäß Verfügung des Reichsarbeitsministers zum Regierungs-Medizinalrat unter Anstellung beim Versorgungsamt Waren (Müritz) ernannt, Sie unterstehen damit künftig dem Hauptversorgungsamt Altona“. Neben seiner amtlichen Tätigkeit unterhielt Dr. Alterthum in dieser kleinen Stadt in Mecklenburg-Vorpommern eine Privatpraxis für Frauenheilkunde. Von 1921 bis 1925 war er Mitglied der „Deutschen Volkspartei“. 1923 wurde er vorübergehend in den Ruhestand versetzt, staatliche Einspargründe lagen dem wohl zugrunde, wurde jedoch wieder ab 1925 eingesetzt, diesmal beim Versorgungsamt Gelsenkirchen. Hier war er bis 1930, dann erfolgte seine Versetzung zum Hauptversorgungsamt Baden, er war dann als Oberregierungs-Medizinalrat in Karlsruhe tätig. 1933 wurde er Direktor des „Büro Karlsruhe“ beim Hauptversorgungsamt Südwest, worin die Karlsruher Dienststelle aufgegangen war. Das Ehepaar wohnte in der Douglasstraße 10 und später in der Seldeneckstraße 11.
Als im April 1933 das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in Kraft trat, durch das jüdische Beamte aus dem Dienst entfernt werden sollten, zog Dr. Ernst Alterthum Nutzen vom Kriegsteilnehmer-Privileg. Er blieb im Dienst und musste 1934 den Beamteneid „auf den Führer“ ablegen. Es nützte nichts! Am 15. September 1935 wurde er nach Erlass des Herrn Reichs- und Preußischen Arbeitsministers als so genannter Rasse-Jude „bis auf Weiteres“ vom Dienst beurlaubt und später entlassen. Ein Gesuch, doch noch bis zur Erreichung der Altersgrenze tätig sein zu dürfen, wurde im Januar 1936 abgelehnt. Immerhin erhielt er als Frontkämpfer seine Dienstbezüge bis Ende August 1937, danach eine Pension, die aber immer wieder gekürzt wurde. In Hinblick auf das weitere Lebensschicksal ist es bedrückend zu lesen, wie Dr. Alterthum in dem erwähnten Gesuch auf seine Kriegsteilnahme, aber auch auf seine streng deutsch-nationale Gesinnung hinwies, auf seine evangelische Religionszugehörigkeit, auf viele arische Freunde, Bekannte und Familienangehörige seiner Frau.
1935 verließ die Familie Karlsruhe und zog nach Herrenalb, Felsenweg 2. Diese kleine Stadt tat sich allerdings schon früh, d. h. im selben Jahr besonders national-sozialistisch hervor und verbot Juden den Zutritt zum Freibad. Das Ehepaar Altertum pachtete einen Garten, in dem sich Dr. Alterthum sehr eifrig betätigte. Doch der zunehmenden Nazi-Willkür entsprechend, wurde ihm 1939 diese geliebte Tätigkeit verboten. Außerdem musste er Verschiedenes abliefern, so das Radio, das Fernglas, den Fotoapparat, er musste die Juden-Vermögensabgabe leisten und schließlich den Judenstern tragen. Eine Restpension blieb ihm erhalten. Er verließ die Wohnung nun kaum noch, vereinsamte immer mehr, wurde schwermütig und fürchtete, obwohl Kriegsteilnehmer und mit einer Arierin verheiratet, doch noch „abgeholt“ zu werden. Es ist nur zu gut verständlich, dass er diese Situation als christlich erzogener, treuer deutscher, dem Staat verpflichteter, ehemaliger Beamter ganz besonders grausam empfand. Als seine Frau Odalinde am 28. Juli 1944 für kurze Zeit das Haus verließ, wählte er den Freitod. Er hinterließ ein Schreiben: „Lieber Schatz, Sei nicht böse, wenn ich Dich alleine lasse. Aus freiem Entschluß mache ich meinem Leben ein Ende. Die politischen Verhältnisse brechen mir das Herz. Meine letzten Gedanken sind bei Dir und Dank. Uns kann nichts trennen. Ernst.“ Am 31. Juli 1944 wurde er auf dem Friedhof in Herrenalb beerdigt. Kurz nach seinem Tode wurde auch der letzte verbliebene jüdische Bürger aus Herrenalb nach einem missglückten Suizid „aus der Stadt entfernt“.
Seine Ehefrau Odalinde blieb noch bis 1952 in Herrenalb wohnen und zog dann nach Karlsruhe in das Altersheim des Sophienstifts in der Blumenstraße 2. Nach dem Ableben ihres Ehemannes 1944 wurde ihr dessen gekürzte Pension noch ein „Gnadenvierteljahr“ lang gewährt, da dieser Kriegsteilnehmer gewesen war. Dann erhielt sie Witwenrente. Nach Kriegsende hatte sie große Mühe die Witwengeldfrage administrativ klären zu lassen und Ansprüche auf Wiedergutmachung durchzusetzen. Noch 1952 erklärte ein Angestellter des zuständigen Amtes zynisch, dass Dr. Alterthum ja „aus freiem Entschluß“ sein Leben beendet hätte und folglich keine Maßnahmen der NSDAP als Begründung für seinen Tod gelten könnten. Diese unglaubliche Feststellung musste erklärlicherweise zurück genommen werden, jedoch erst durch Gerichtsbeschluss! Sie ist ein weiterer Hinweis für die Geisteshaltung mancher der damaligen Bürokraten, die im Schriftverkehr auch noch öfters den Ausdruck „Angehöriger der jüdischen Rasse“ verwendeten. Nach zufriedenstellender Regelung der Angelegenheiten schrieb sie Ende 1956 traurig-resignierend: „ …ich weiß, daß alles in Bester Ordnung geschieht. Alle Vergünstigungen können mir meinen Mann nicht zurückgeben und die Schmach tilgen, die man mir nach meines Mannes Tod angetan hat. Man wollte auch mich austilgen. ...“
Odalinde Alterthum verstarb am 14. Februar 1960 in Karlsruhe im Alter von fast 87 Jahren.
(Richard Lesser, Oktober 2009)
Quellen und Literatur:
Generallandesarchiv Karlsruhe 480/21606.
Staatsarchiv Ludwigsburg EL 710 II Bü 601 und EL 350 I Bü 29265;
Staatsarchiv Sigmaringen Wü 33 T 1 lfd. Nr. 622.
Universitäts-Archiv Freiburg Matrikel A 66/8, B 44/74/1887 und B44/77/2779 und B 54/739 und D 29/6/2281.
www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/en_de_ju_sky50311.pdf.
Josef Werner, Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, Karlsruhe 1990, S. 51 und 457.