Brand, Leib Leopold

Nachname: Brand
Vorname: Leib Leopold
abweichender Vorname: Jehuda Leibisch
Geburtsdatum: 29. Mai 1911
Geburtsort: Karlsruhe (Deutschland)
Familienstand: ledig
Eltern: Jakob und Fanny B.
Familie: Bruder von Samuel Hermann und Max Markus
Adresse:
Kronenstr. 45,
Kriegsstr. 68
Beruf:
Student
Lehrling Schriftsetzer und Drucker
Emigration:
um 1936 nach Palästina ca. 1938 zurück gekehrt, nach Warschau gegangen
Deportation:
zuletzt im Ghetto Lemberg (Lvov) (Polen, heute Ukraine)
Sterbeort:
Lemberg (Lvov) (Polen, heute Ukraine)
Sterbedatum:

Biographie

Leib Leopold und Max Markus Brand
Erinnerung an die Familie Brand: Jakob und Fanny Brand, Hermann Samuel und seine beiden Brüder

Der Ursprung der Familie liegt in Osteuropa, in Rozwadow im galizischen Landesteil von Österreich-Ungarn. Wie viele andere seit Ende des 19. Jahrhunderts kam sie bereits lange vor dem Ende der k.u.k.-Monarchie nach Mittel- und Westeuropa auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen als sie sie in ihrer „Heimat“ mit unterentwickelter Wirtschaft und zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen vorfanden. Ihr Lebensweg in Karlsruhe, dem Nachgehen des Vaters in einer Geschäfts- und Reisetätigkeit sowie die besondere Frömmigkeit war in etwa gleich, wie ihn viele „Ostjuden“ - ein Ausdruck, der bereits in jener Zeit als herabwürdigende Bezeichnung in Abgrenzung zu den alteingesessenen und „assimilierten“ Juden benutzt wurde - in Karlsruhe auch aufwiesen. Sicherlich gab es auch in anderen jüdischen Familien Spannungsverhältnisse zwischen den tradierten Anschauungen der Eltern und ihren sich mit den ganz anderen Einflüssen auseinandersetzenden Kindern, die sich dem Anpassungsdruck an die Mehrheitsgesellschaft gegenüber sahen. Doch in der Familie Brand schürzte sich in besonderem Maß ein Knoten, der sehr unterschiedliche Vorstellungen und Werte verband. Anders als im Drama kulminierte dieser nicht in einem Konflikt mit anschließender Läuterung. Ein hoher Familiensinn und vermutlich ebenso die nationalsozialistische Verfolgung trugen zur Verbundenheit in dieser durch moderne Einflüsse herausgeforderten Familie bei. Der älteste Sohn wurde eine bekannte Persönlichkeit in Karlsruhe: Samuel alias Hermann Brand wurde Staatsschauspieler am Badischen Landestheater (Badisches Staatstheater), ein Publikumsliebling und war äußerst vielseitig künstlerisch ausgerichtet. Er lebte über zwei Jahrzehnte in, wie es seinerzeit durchaus ebenso negativ wie mit angereicherter Fantasie genannt wurde - „wilder Ehe“. Früh in das Exil gezwungen, überlebte er und blieb Schauspieler bis an sein Lebensende in der Schweiz. Während der Zeit eines Auslandsengagements in Deutschland 1954 bis 1961 am Schauspielhaus Düsseldorf unter Gustav Gründgens verfasste er autobiographische Aufzeichnungen (Hermann Brand, Die Tournee geht weiter, Ein Schauspielerschicksal in Deutschland und der Schweiz 1888-1966. Konstanz 1990), die erst Jahrzehnte später von seinem Cousin Schmuel Brand durch Erhard Roy Wiehn herausgegeben wurden.

Bei der Recherche zur Biographie seiner beiden ermordeten Brüder benutzten wir zuerst die verfügbaren archivischen Quellen und glichen danach ab mit der Autobiographie. Diese deckte sich jeweils mit den vorgefundenen Quellen zur Familie, so dass sie als authentisch zu bewerten ist. Dadurch sind die Informationen, die sie gibt, wozu keine Quellen aufzufinden waren, ebenfalls als authentisch einzuschätzen. Sie ist abgefasst in der Brandschen Art von Ironie wie in tiefgründiger Analyse und ebenso mit Humor wie mit Bitterkeit über das Erlebte. In einem ersten Teil führt Brand ein fiktives Gespräch mit einem Schauspielerkollegen über die Behandlung der Juden, was man in Deutschland darüber wusste, wie man sich verhielt und was nach 1945 verdrängt wurde. Dabei sind Beschreibungen über das Leben von „Ostjuden“ in Karlsruhe eingeflochten, verallgemeinernd und mit Verfremdung von Namen. Im zweiten Teil, mit „Die Aufzeichnungen des Salomon Zorn“ beschreibt er allein seine Familie und sich, verfremdet zwar auch hier die Namen, doch ist alles im Detail aus dem eigenen Erleben gegriffen.
Die fünfköpfige Familie bestand aus dem Vater Jakob und dessen Frau Fanny und ihren drei Söhnen Samuel Hersch (Hermann), Max Markus (Max Mordechai) und Leopold Leib (Leibisch).

Die Geschichte der Familie beginnt mit der Geburt von Jakob Brand am 7. Januar 1875 in Rozwadow in Österreich – Ungarn, heute Polen. Ziemlich genau elf Monate später kam im gleichen Ort Fanny bzw. Feige Deborah, geborene Knopf am 4. November 1875 zur Welt. Die beiden heirateten, wahrscheinlich im Laufe der 1890er Jahre, denn im Jahr 1898 kam ihr erster Sohn Hermann Samuel am 12. Dezember zur Welt. Nur etwas mehr als ein Jahr später zog die dreiköpfige Familie nach Deutschland, so wie viele andere Familien aus den östlichen österreichisch-ungarischen Regionen, da deren Lebensumstände, abgekoppelt von den modernen industriellen Entwicklungen, sehr bescheiden waren und keine Hoffnung auf Besserung bestand. Nach Hermann Brand sei es die Mutter gewesen, die den angeblich etwas fatalistischen Vater hierzu überredet haben soll.
Die Brands kamen nach Karlsruhe, lebten zunächst in der Brunnenstraße 2, einem Gässchen in der ehemaligen Altstadt, das heute nicht mehr besteht, und nur noch eine Reminiszenz als Name einer anderen Straße heute hat. Bis 1906 sind jährlich Wohnungswechsel im Stadtteil, dem so genannten Dörfle, belegt, in dem sich viele neu zugezogene einfache Leute, Arme und auch die so genannte Halbwelt kreuzten. Ein Zeichen dafür, dass die Familie wirtschaftlich zu kämpfen hatte und dass man im wahrsten Sinne des Wortes am Rande lebte. Jakob Brand galt als Handelsmann, konkret sorgte er für den Unterhalt der Familie als Hausierer. Er ging von Haus zu Haus und verkaufte seine Ware - sicher nicht leicht, wo an zahlreichen Haustüren das Schild „Betteln und Hausieren verboten“ prangte -, Textilien, die er von anderen jüdischen Händlern bezog, die es bereits ein Stückchen weiter auf der sozialen Leiter gebracht hatten.
In dieser Zeit, am 10. Juni 1902, kam ihr zweiter Sohn Max Markus (Mordechai) in Karlsruhe zur Welt. Der dritte Sohn, Leib Leopold, auch Leibisch genannt, wurde am 29. Mai 1911 ebenfalls hier geboren.

Eventuell war der Vater Jakob doch nicht so fatalistisch, wie ihn Hermann Brand beschreibt. Er arbeitete hart und schaffte es langsam, sich in seinem mühseligen Gewerbe etwas aufzubauen. 1906 zog die Familie in die Kronenstraße 45, immer noch im „Dörfle“, jedoch solider als zuvor, wo sie auch viele Jahre wohnen blieben. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg eröffnete Jakob Brand ein Ladengeschäft für Manufakturwaren in der Durlacher Straße 58 (heute Verlängerung der Brunnenstraße/Am Künstlerhaus), ein Zeichen, dass er sich inzwischen etabliert hatte. Dieses Geschäft gab er jedoch 1923 wieder auf, vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen. Fortan arbeitete er wieder als Reisender, wenngleich auf besserem Niveau als zu Beginn. 1919 war die Familie in eine bessere Adresse gezogen, in die Kriegsstraße mit der damaligen Hausnummer 68 (heute zwischen Mendelssohnplatz und Adlerstraße gelegen). Dort blieben sie auch nach der Aufgabe des Ladengeschäfts wohnen. Der Vermieter beschrieb ihn als „einen zuverlässigen und fleißigen Mann“, auch dass er seine Kinder streng erzogen habe.
Hermann Brand beschreibt die familiäre Situation sehr genau. Das streng religiöse Leben mit der Befolgung aller Gebote sowie die Teilnahme am Gottesdienst in der Betstube - streng religiöse „Ostjuden“ gehörten der orthodoxen Gemeinde an, verfügten darüber hinaus aber über eigene Betstuben - muss ihn und seinen zweitgeborenen Bruder sehr eingeengt haben. Sprechen am Tisch war strengstens verboten, überhaupt scheint der Vater ganz wenig mit Samuel Hermann und Max Markus gesprochen zu haben. Offensichtlich war die Mutter die eigentliche Erzieherin, im Praktischen. Ihre Grundaussage bestand darin, ihnen einzuschärfen: „Kinder, ihr sollt nie was nehmen. Von niemand!“. Die Eltern sprachen noch jiddisch, lebten sich erst mühsam in die „hochdeutsche“ Sprache ein und behielten die jiddische Syntax und Sprachmelodie. Die Kinder fanden sich leicht in das Hochdeutsch ein, das heißt in das Badische der Karlsruher Mundart. Samuel Hermann wie Max Markus entwickelten eine innere Distanz zum Familienleben, der Betstube und dem Talmud, gingen lieber in den Wald, tobten draußen, spielten Fußball. Max Markus folgte dann aber in der Phase des Erwachsenwerdens wieder dem Familienleben. Der jüngste Bruder Leibisch Leopold dagegen ähnelte von Beginn an dem Vater und entwickelte sich zu dessen großer Freude zu einem religiösen Menschen. Zu ihm habe der Vater viel gesprochen, stellt Hermann Brand fest und gibt eine so bloß stellende wie liebevolle Beschreibung: Leibisch „war ein gläubiger Jude und versäumte keine der vorgeschriebenen Gebetsübungen. Er beschäftigte sich in seiner freien Zeit mit den heiligen Büchern. Er war einfältig im guten Sinne. Dabei war er ein tapferer Mensch; allerdings von einer hilflosen Tapferkeit. Wohl hatte er dieselben großen kräftigen Hände wie ich, aber ihm fehlten die Muskeln.“ Trotz der Entfernung zur Religion und nur noch seltenen Synagogenbesuchen bekannte sich Samuel Hermann zum Judentum. Gerade antisemitische Anwürfe, gedankenlose wie absichtsvoll verletzende, trugen bei ihm zum Bewusstsein bei, Stolz gegenüber solchen Verletzungen zu zeigen.

Alle drei Söhne des Vaters gingen auf höhere Schulen. Hermann Samuel war nicht der beste Schüler, schaffte es nur zu Dreien und Vieren. Er wiederholte schließlich die 7. Klasse der Oberrealschule (heute Kant-Gymnasiums) wegen Fünfen in Französisch und Mathematik und verließ danach im gleichen Schuljahr (1912/1913) diese Schule. Er versuchte sich danach noch in der 8. Klasse des Realgymnasiums (Humboldt-Realgymnasium). Doch auch auf dieser Schule wurde er nicht versetzt und verließ die Schule somit ohne einen höheren Bildungsabschluss. Längst hatte er sich erträumt, seine offen zutage liegenden künstlerischen Fähigkeiten zu leben, Zeichner zu werden, doch nun musste er mit 15 Jahren den kaufmännischen Beruf erlernen.
Ebenso wie sein großer Bruder war auch Max Markus kein schulischer Überflieger. Nach Abschluss der Volksschule erlernte er den Kaufmannsberuf bei „Emil Kaufmann Furniergroßhandel“. Dieser war im Vorstand der orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft. Danach aber trat er in das väterliche Geschäft ein, reiste, um Aufträge hereinzubekommen und blieb ledig, stets zuhause in der Familie eingebunden.

Der jüngste, Leibisch Leopold dagegen war ein Erfolgsschüler, ging 1921 von der Karl-Meidinger-Volksschule am Durlacher Tor auf das Realgymnasium, in dem der große Bruder gescheitert war und absolvierte 1931 dort sein Abitur. Sein Wunsch war, Medizin zu studieren. Dazu schrieb er sich im Sommersemester 1932 an der Universität in Heidelberg ein, wurde jedoch noch im gleichen Jahr exmatrikuliert, weil er die Vorlesungen nicht besuchte. Grund war, dass er die Gebühren nicht bezahlt hatte.
Samuel Hermann Brand war nach der kaufmännischen Lehre aus den Zwängen ausgebrochen, hatte sich im Dezember 1916 nach den Niederlanden begeben, wo er bis Dezember 1918 blieb. Er hatte eine Stellung als Zeichner bei der prodeutschen Zeitung „Teokomst“ in Den Haag gefunden. Nach der Rückkehr blieb ihm nichts anderes übrig als im väterlichen Geschäftsladen mitzuarbeiten. Doch er entschloss sich Schauspieler zu werden, nahm ab 1920 Schauspielunterricht beim Städt. Konservatorium und schaffte es, die nötigen 450,- RM im Jahr dafür aufzubringen. Nach einem Volontariat ab 1921 beim Badischen Landestheater (Badisches Staatstheater) fand er dort 1923 ein festes Engagement und wurde schließlich ganz Staatsschauspieler in Karlsruhe. Er trat in ernsten Charakterrollen ebenso auf wie als Komödiant, er spielte, tanzte und sang sich in die Herzen der Zuschauer, sie liebten sein Sprachspiel und -witz mit der Karlsruher Mundart. Er schrieb Gedichte, Kritiken, Chansons für das Kabarett, zeichnete und karikierte, beruflich wie privat. Hermann Brand trat in die SPD ein. Seit Ende der 1920er Jahre war er mit seiner Schauspielkollegin am Theater, Petronella (Nelly) Rademacher, liiert, ohne die Ehe einzugehen. All dies brachte ihn in den Gegensatz zur Religion und zur Familie. Diese war aber doch zugleich auch stolz auf ihren „berühmten Sohn“. 1920 hatte er einen Antrag auf Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft gestellt, da er und die ganze Familie nach der Auflösung Österreich-Ungarns als Polen galten, der jedoch abgelehnt wurde. Als inzwischen erfolgreicher Schauspieler erhielt Hermann Brand dann am 3. März nach erneutem Antrag den deutschen Pass. Die dafür fälligen 500,- RM konnte er auch mit seinen damals 440,- RM monatlichen Bezügen nur in Raten aufbringen, denn er unterstützte auch seine Familie finanziell.

Das elterliche Geschäft mit dem Bruder Max Markus reichte gerade für das Notwendige und auch dies manchmal nicht. 1929 schwebte ein Damoklesschwert über dem Vater, da er sich einem Steuerverfahren gegenüber sah, bei dem er eine hohe Geldstrafe zu bezahlen hatte.

Der Machtantritt der Nationalsozialisten veränderte alles. Hermann Brand hätte als Staatsschauspieler nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen werden können. Tatsächlich aber war er bereits zuvor im März „beurlaubt“ worden.
Für die Nazis war er als beliebter Schauspieler eine Hassfigur. Zugleich hassten sie ihn, weil er als Intellektueller aus seiner Feindschaft zum Nationalsozialismus keinen Hehl gemacht hatte und weil er das sozialdemokratische Parteibuch besaß. Dies war wohl auch der Grund, dass Mitte März 1933 in der elterlichen Wohnung, wo er seit einigen Wochen aus Furcht lebte, eine Haussuchung durch die Polizei stattfand, am frühen Morgen vor Beginn des Sonnenaufgangs. Offizielle Begründung war die Suche nach Waffen, die selbstverständlich nicht gefunden wurden. Dies aber war für ihn der Anlass, wenige Stunden später Hals über Kopf aus Deutschland zu flüchten. Dieser Weg soll nicht nachgezeichnet werden, in seiner Autobiographie ist er detailliert beschrieben, deckt sich mit den Akten, die in den Archiven hierzu vorliegen. Er fand sein Exil zusammen mit Nelly Rademacher in der Schweiz, war als Emigrant - seit 1934 der deutschen Staatsbürgerschaft verlustig, ohne die schweizerische erlangen zu dürfen - enormen Schwierigkeiten ausgesetzt und lebte die ersten Jahre mühsam von unsicheren Engagements.

In Karlsruhe aber wurden am 5. April 1933 Max Markus und Leibisch Leopold in „Schutzhaft“ genommen. Trotz Hetze und Boykott sowie einzelnen tätlichen Angriffen auf Juden war dies eher ungewöhnlich. Anzunehmen ist, dass das Regime hier Sippenhaft betrieb und eigentlich Hermann Brand hatte treffen wollen. Am 13. April schrieb Max Markus aus dem Gefängnis in der Riefstahlstraße einen Brief an den Bruder Samuel Hermann: „Lieber Bruder Samuel!
Du wirst dich wundern, dass du schon längere Zeit von Leib und mir nichts gehört hast. Es kommt nämlich daher, daß wir uns beide seit 5. April in Schutzhaft befinden. wir sind beide in einer Zelle und können uns über die Behandlung nicht beklagen. Wir bekommen jeden Tag unser Essen von zu Hause, wir dürfen auch rauchen und zwei mal im Tag spazieren laufen. Gestern hatten wir einen wunderbaren Gottesdienst welcher von Herr Stadtrabbiner Dr. Schiff abgehalten wurde. Wie Du siehst, geht es uns ganz gut. Deine Postkarte an die Eltern haben wir gelesen und uns sehr gefreut, daß Du in Zürich spielen durftest.
Lieber Samuel [ich]lege dir einen Zeitungsausschnitt bei der Bad. Presse. [...] Bitte schreibe uns mal wie es Dir geht u. ob Du Aussichten auf eine Anstellung hast.
Mit Gottes Hilfe werden wir dir bald die Nachricht unserer Haftentlassung mitteilen können. Gesundheitlich geht es uns gut, was wir auch von dir hoffen. Mit herzlichen Grüßen von Leib und mir wünschen wir dir alles Gute u. vergnügte Feiertage Dein
Markus“

Einige Tage später wurden beide tatsächlich wieder entlassen. Das Leben der Familie aber konnte sich unter den gegebenen Umständen nicht mehr normalisieren.
Leibisch Leopold absolvierte anstelle des gedachten Studiums eine Schriftsetzerausbildung. Der religiöse junge Mann war längst aktiv in der zionistischen Jugendbewegung, war leitend aktiv beim „Misrachi“ in Karlsruhe, einer 1902 gegründeten orthodox-zionistischen Bewegung. Programm war, nach „Erez Israel“, das heißt Palästina, auszuwandern und dort jüdisches Leben aufzubauen. Dies wissen wir aus verschiedenen Quellen. Damit aber endet das sichere Wissen über Leibisch. Verschiedene Aufstellungen der Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung führten ihn bislang auf als Todesopfer 1942 im KZ Sachsenhausen. Dies trifft nicht zu. Samuel Brand schreibt, dass Leibisch nach Palästina auswanderte. Dort lernte er eine junge polnische Frau aus Warschau kennen. Die Liebenden gingen gemeinsam nach Europa zurück, nach Warschau. Dort arbeitete Leibisch in der Firma des Schwiegervaters. Es soll eine schöne Zeit für den Bruder und seine Braut gewesen sein. Bis zum Überfall Hitlerdeutschlands am 1. September 1939.

Die übrig gebliebenen Drei, Jakob und Feige mit Markus, mühten sich um die Sicherung ihrer Existenz. Diese wurde schließlich 1938 vernichtet. Ende Oktober 1938 verfügte das NS-Regime die Abschiebung so genannter polnischer Juden nach Polen. Dies war die erste nationalsozialistische Juden-Deportation. Aus Karlsruhe wurden 65 Männer zwischen 16 und 60 Jahren abgeschoben. Jakob Brand war wegen seines Alters nicht darunter, aber Max Markus. Über Mannheim ging es an die polnische Grenze, wo Tausende im Niemandsland ausgesetzt waren, schließlich teils monatelang im Lager beim Grenzort Zbaszyn festgehalten blieben.
In Karlsruhe wurde es noch schlimmer. In der Reichspogromnacht wurden auch die zurückgebliebenen Eltern Jakob und Feige terrorisiert. Nachdem die Synagogen geschändet, Geschäfte zerschlagen worden waren, suchten die NS-Schergen auch Privatwohnungen auf. Am Morgen des 10. November 1938 zwischen 3 und 4 Uhr in der Frühe suchten die Schlägertrupps die Wohnung der Brands auf, „zertrampelten und zerschlugen“ das Mobiliar, warfen die Bücher, darunter viele wertvolle Klassikerausgaben und Kunstbände von Hermann Brand, heraus. Augenzeugin der Zerstörung war im späteren Wiedergutmachungsverfahren Olga Töpper, die Witwe von Friedrich Töpper, 1947 bis 1952 Oberbürgermeister von Karlsruhe und SPD-Mitglied. Die Töppers kannten die Brands durch die Parteimitgliedschaft von Hermann und hatten die Familie immer wieder besucht.

Nach der Abschiebung des Sohnes Max Markus und der Reichspogromnacht wurden die allein zurück gebliebenen Eltern Brand behördlich unter Druck gesetzt, nach Polen auszureisen. Unter diesen Umständen gelang es Hermann Brand mit den größten Schwierigkeiten, sie zu sich in die Schweiz zu holen, da war es bereits Sommer 1939. Über die sicherlich belastende Situation schweigt Hermann Brand in seinen autobiographischen Aufzeichnungen.

Inzwischen befand sich Mark Markus aus dem Lager Zbaszyn kommend wieder in Deutschland. Die internationalen Verwicklungen wegen der Polenabschiebung hatten darin gemündet, dass den Männern für einige Wochen die Rückkehr erlaubt wurde, um noch persönliche Dinge zu regeln, bevor sie dann endgültig nach Polen auszureisen hätten. Diese Zeit fiel genau mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs zusammen.

Mit dem 1. September 1939 und dem Überfall auf Polen gerieten Max Markus und Leibisch Leopold in unmittelbare Gefahr. Max Markus wurde wie viele andere „polnische Juden“ in das KZ gesteckt, kam am 26. Oktober 1939 in das KZ Sachsenhausen. Von dort gibt es keine Nachrichten mehr von ihm. Allein sein Tod im KZ Sachsenhausen ist amtlich festgehalten. Max Markus Brand fand am 18. Juni 1940 den Tod. Ein Sterbeschein hält fast, dass er um 6 Uhr abends verstorben sei, an „kruppöser Pneumonie, Lungenabszess, Pleuritis“. Die genauen Umstände bleiben unklar. Selbst wenn die Todesursache einigermaßen stimmen sollte, dann starb der 38-jährige durch die Bedingungen des NS-KZ-Systems.

Leibisch Leopold Brand erlebte die Beschießung und Besetzung durch die Wehrmacht Ende September 1939 in Warschau. Danach gelang es ihm und seiner Frau aus der Stadt zu flüchten Richtung Osten. Sie erreichten Lemberg, das durch den „Hitler-Stalin-Pakt“ sowjetisch geworden war. So aber waren sie in Sicherheit, zunächst. Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion und die schnelle Einnahme Lembergs nur 10 Tage später am 30. Juni 1941 beendeten diese Atempause. Wie durch ein Wunder wurde Leibisch nicht Opfer der sofort stattfindenden Massenermordungen von Juden der Stadt. Er und seine Frau lebten dann jedoch im eingerichteten Ghetto der Stadt, in dem zeitweise bis zu 160.000 Menschen zusammengepfercht waren. Es gibt ein letztes Lebenszeichen von Leibisch Leopold Brand, datiert vom 29. August 1942. Darin teilt er über den Lemberger Judenrat in einem Brief an die Familie in der Schweiz den Tod seiner Frau mit. Seitdem fehlt jedes Lebenszeichen von ihm.

Hermann Brand blieb begnadeter Schauspieler bis zu seinem Tod 1966 in Zürich, verheiratete sich mit Nelly Rademacher erst nach 1949. Mutter Feige war 1946, der Vater Jakob Brand 1958 verstorben. Die drei blieben sich bis zum Schluss eng verbunden. Hermann Brand identifizierte sich mit der Religion und dem Judentum stärker, als er es vor 1933 gehalten hatte.
Auf dem jüdischen Friedhof in Karlsruhe, wo 1940 die Asche seines Bruders Max Markus bestattet worden war, ließ er einen Grabstein aufstellen:
DEM ANDENKEN
AN MEINE BRÜDER
MORDECHAI
MAX BRAND
JEHUDA
LEIBISCH BRAND
BENEI JANKOW (Söhne des Jakob)
UMGEKOMMEN IM
KZ SACHSENHAUSEN 1940
UND IN POLEN 1942

FASSE UNSERE TRÄNEN
IN DEINEN KRUG

(Julia Landhäußer, 11. Klasse Friedrich-List-Gymnasium Juli 2012)