Strauss, Marie
Nachname: | Strauss |
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Vorname: | Marie |
geborene: | Eisinger |
Geburtsdatum: | 28. Oktober 1877 |
Geburtsort: | Mannheim (Deutschland) |
Familienstand: | verheiratet |
Familie: | Ehefrau von Max S. (1871-1940); Mutter von Fritz und Walter |
Weitertransport vermutlich nach Sobibor (Polen)
Biographie
Marie Strauß, geborene Eisinger
Dies ist nicht nur ein Bericht über Marie Strauß, sondern auch über ihren Ehemann Max Strauß und beider Söhne Walter und Fritz Strauß; ohne Max, Walter und Fritz wäre das Leben von Marie Strauß so nicht gewesen wie es war.
Beginnen wir mit Max Strauß. Er wurde am 2. Juni 1871 als zwölftes Kind von Leopold und Sarah Strauß geb. Kirchheimer in Heilbronn geboren (3 Kinder waren allerdings schon im Babyalter gestorben). Max war das jüngste Kind, ein „Nachzügler“. Die Mutter starb zwei Wochen nach seiner Geburt am 17. Juni 1871 an Kindbettfieber, wie es im Sterberegister heißt. Der Vater Leopold heiratete am 6. Mai 1874 die aus Reichenberg bei Würzburg stammende Ernestine, genannt Dina, geborene Uhlfelder, geboren am 15. November 1842, wieder; mit ihr hatte Leopold Strauß weitere sieben Kinder, von denen allerdings das jüngste, Julius, ebenfalls im Babyalter starb. Leopold Strauß starb am 1. April 1898 in Würzburg, Dina Strauß starb am 26. Februar 1922 in Nürnberg.
Leopold Strauß, der Vater, geboren am 23. Juli 1826 in Massenbachhausen, einem schwäbischen Dorf im heutigen Landkreis Heilbronn, heiratete 1851 in Stebbach (heute Ortsteil von Gemmingen), einem Nachbardorf im Badischen, heute auch zum Landkreis Heilbronn gehörend, Sarah Kirchheimer, geboren am 18. Oktober 1830, und ließ sich nach der Heirat in Berwangen nieder. Alle Kinder wurden, mit Ausnahme von Max, in Berwangen geboren. Er betätigte sich als Getreide- und Futtermittelhändler, anfangs in Berwangen, aber schon Mitte der 1850er Jahre verlegte er seine geschäftlichen Aktivitäten nach Heilbronn (im Württembergischen war zu dieser Zeit viel mehr Mühlenindustrie angesiedelt als im Badischen) und kaufte dort ein Haus in der Sulmer Straße; zunächst wohnte er noch in Berwangen, zog aber Mitte der 1860er Jahre nach Heilbronn um. Und mit der Heirat seiner zweiten Frau zog er nach Würzburg und lebte dort bis zu seinem Tod.
Max Strauß kam um 1890 nach Karlsruhe. Sein Schwager Bernhard Würzburger, der Max’ ältere Schwester Cäcilie 1880 geheiratet hatte, betrieb in Karlsruhe recht erfolgreich eine Großhandlung für Lokomobile, Pumpen, Rollbahnen und Werkzeugmaschinen in der Gerwigstraße 51. Bei Bernhard Würzburger, der 1880 aus Binau/Neckar nach Karlsruhe kam und sich aus kleinsten Anfängen hochgearbeitet hatte, lernte er den Kaufmannsberuf. Offenbar war er so tüchtig, dass er schon 1900 Prokurist und 1902 bereits Teilhaber in der Firma seines Schwagers wurde.
Die Teilhaberschaft gab Max Strauß die finanzielle Basis, im gleichen Jahr, am 3. Juli 1902, Marie Eisinger – in Mannheim – zu heiraten.
Marie Elise Eisinger wurde am 28. Oktober 1877 als ältere von zwei Töchtern von David Eisinger und Rosa Aberle in Mannheim geboren. Der Vater, David Eisinger, Tabakhändler, kam Anfang der 1870er Jahre aus Merchingen, heute Ortsteil von Ravenstein im Landkreis Buchen, nach Mannheim. Als Tabakhändler belieferte er – erfolgreich – die zahlreichen prosperierenden Zigarrenfabriken/-manufakturen (Zigarren rauchen war in Mode gekommen). So war er in der Lage, seine Tochter für die Ehe mit Max Strauß mit einer guten Mitgift „auszustatten“. Er starb 1908 in Mannheim. Die Witwe Rosa Eisinger verzog 1914 mit der unverheirateten Tochter Margarete (Greta) nach Köln.
Max Strauß war ehrgeizig, die Teilhaberschaft bei seinem Schwager genügte ihm nicht, er wollte ganz auf eigenen Füßen stehen und gründete bereits zwei Jahre später, 1904, mit 33 Jahren, seine eigene Firma, die Firma „Max Strauß , Feld-, Wald- und Industriebetriebs-, Bau- und Werkzeugmaschinenhandel“ in Karlsruhe in der Hansastraße 18 im kurz zuvor neu eingeweihten Hafengelände in Karlsruhe. Am 3. September 1927 wurde die Firma in das Handelsregister eingetragen.
Am 11. Oktober 1903 wurde der Sohn Walter, am 14. Oktober 1904 der Sohn Fritz geboren.
Max Strauß’ Geschäft war von Anfang an recht erfolgreich. Mit großem Engagement baute er das Geschäft aus, knüpfte auch zahlreiche Kontakte ins benachbarte Ausland. Und er wollte mit dem, was er erwirtschaftete, seiner Familie ein eigenes Heim bieten und aus der Mietwohnung am Haydnplatz 2 ausziehen, obwohl auch eine gute Adresse. So kaufte er 1909 in dem Villen-Neubaugebiet zwischen Kaiserallee und Maxaustraße. (heute Ludwig-Marum-Straße), das zu jener Zeit gerade erschlossen wurde, das Haus Richard-Wagner-Str.7 (damals wie heute eine der besten Wohnadressen in Karlsruhe). Sein prosperierendes Geschäft erlaubte es ihm, auch noch im Jahre 1925 das – größere – Haus Richard-Wagner-Straße 9 zu kaufen (das Haus Richard-Wagner-Straße 7 wurde danach vermietet an den Karlsruher Bürgermeister a.D. Karl Siegrist und 1933 an den Rechtsanwalt Ingenohl verkauft). Anfang der 1930er Jahre war das Geschäft von Max Strauß – trotz Weltwirtschaftskrise – eines der bedeutendsten in der Branche in Deutschland. Er erwarb Grundstücke in Kassel und Hagen (Westfalen) für die Errichtung einer Fabrik zur industriellen Verwertung von Erfindungen und Patenten des Sohnes Fritz bzw. für ein Auslieferungslager. Für 1934 war die Eröffnung einer Filiale in Düsseldorf geplant, aber dazu kam es durch die Ereignisse nicht mehr.
Marie Strauß war die gute Seele im „Hintergrund“. Sie kümmerte sich um den Haushalt, um die Erziehung und Schulausbildung der Kinder und mancherlei gesellschaftliche Verpflichtungen, die die Tätigkeit ihres Mannes mit sich brachte, sie hielt ihrem Mann den „Rücken frei“, damit er sich voll seinen Geschäften widmen konnte. Ihr soziales Engagement bewies sie durch aktive Mitarbeit im Israelitischen Frauenverein, in dem sie langjähriges Mitglied war.
Walter, der ältere Sohn besuchte von 1913 bis 1919 die Helmholtz Oberrealschule (heute Helmholtz-Gymnasium). Er war der mehr praktisch veranlagte Mensch, der auch kein Interesse am Abitur hatte, deshalb ging er mit dem Einjährigen ab. Fritz, der jüngere Sohn, besuchte von 1914 bis 1923 die gleiche Schule und legte dort im März 1923 sein Abitur ab.
Beide waren für das Jahr 1918 vom Schulbesuch abgemeldet. Das lässt darauf schließen, dass vermutlich die ganze Familie das Jahr 1918 nicht in Karlsruhe verbrachte. Aber das ist nicht mehr aufzuklären.
Fritz Strauß studierte die ersten vier Semester Elektrotechnik an der TH Karlsruhe, danach setzte er das Studium im gleichen Fach an der TH Berlin-Charlottenburg fort und legte dort am 30. Juni 1928 seine Diplom-Prüfung ab. Danach heuerte er bei der AEG in Berlin an und wurde sehr bald Leiter eines Forschungslabors. An der TH Berlin-Charlottenburg promovierte er am 2. November 1932 mit einer Dissertation über das Thema „Beitrag zur Theorie der ständergespeisten Drehstrom-Nebenschlussmotoren“ zum Dr. Ing.
Fritz Strauß war gut befreundet mit Hans-Albrecht Straus, Sohn von Dr. Moritz A. Straus, Teilhaber des Bankhauses Straus & Co. am Friedrichsplatz, der an der TH Karlsruhe Maschinenbau studierte und zeitweise sogar bei ihm wohnte.
Walter Strauß trat 1920 in die väterliche Firma als Lehrling ein. Er hatte offenbar in besonderem Maße die kaufmännische Befähigung seines Vaters geerbt, denn er lernte schnell, worauf es in diesem Geschäft ankam. Bereits zehn Jahre später, mit 27 Jahren – wir greifen dem Zeitablauf voraus - war er Prokurist und Teilhaber in der väterlichen Firma – eine beachtliche Karriere!
Und Walter Strauß war auch schon in jungen Jahren politisch und gesellschaftlich interessiert und engagiert. 1921 gründete er mit Gleichgesinnten die Ortsgruppe Ettlingen des jüdischen Wanderbundes „Kameraden“. Dieser Wanderbund „Kameraden“, 1919 in Berlin gegründet, hatte reichsweit 2.500 Mitglieder, in Ettlingen waren es 30. 1923/24 wurde die sogenannte Kreuzelberghütte, gelegen im Ettlinger Stadtwald beim Johannesbrunnen, als Wanderheim und für Liederabende errichtet, vom Vater Max Strauß finanziert. Ziel war die Pflege des Deutschtums (was dies beinhaltete ist nicht bekannt) bei jüdischen Schülern und Studenten aus Karlsruhe, die dem Besitz- und Bildungs-Bürgertum zuzurechnen waren. Paradoxerweise waren in diesen Kreis nur Karlsruher obwohl die Gruppe sich Ettlinger Ortsgruppe nannte. Eine Mitgliederliste existiert nicht, aber sicherlich war Hans Marum, der Sohn von RA Ludwig Marum, ebenso der oben erwähnte Hans-Albrecht Straus. Es darf angenommen werden, dass die handwerklich unerfahrenen jungen Leute fachliche Unterstützung durch einen Zimmerer-Betrieb für den Bau der Hütte erhielten. Das Areal wurde von der Stadt Ettlingen gepachtet für eine Jahrespacht von 5 RM. Ob es einen förmlichen Pachtvertrag gab oder die Errichtung der Hütte nur geduldet wurde, ist nicht überliefert. Gegenüber der Stadt Ettlingen galt Walter Strauß als der Verantwortliche und Ansprechpartner.
1932 wurde der Wanderbund wegen eines religiösen Richtungsstreites aufgespalten in die zionistischen „Werkleute“ und die „Deutschbewussten“, die sich dem sogenannten „Schwarzen Fähnlein“ anschlossen. Walter Strauß zog sich aber 1932 aus beruflichen Gründen aus dieser Gruppe zurück. Bis Anfang 1938 (kaum glaublich, denn schon Jahre zuvor wurden alle Jugendorganisationen zwangsweise durch die Nazis aufgelöst) wurde die Kreuzelberghütte noch vom „Schwarzen Fähnlein“ als Vereinsheim genutzt. Dazu gehört z.B. der Schüler Hans Adler aus Karlsruhe, Sohn des Karlsruher Gymnasiallehrers Abraham Adler. Dann wurde die Hütte von Max Strauß in Vollmacht seines Sohnes, der um diese Zeit schon fast fünf Jahre in Paris lebte (siehe unten) für 250 RM an die Stadt Ettlingen verkauft. Sie existiert noch heute, nach fast 100 Jahren, als Schützhütte für Waldarbeiter und Gerätelager und gehört zum Forstamt.
1925 wurde Walter Strauß Mitglied der SPD und des sozialdemokratischen Reichsbanners und des sozialistischen Arbeiterschützenvereins. Später wurde er sogar – durch Rechtsanwalt Dr. Hugo Marx – in den Vorstand der Centralvereinigung deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens berufen. Durch seine SPD-Mitgliedschaft zählten bedeutende Persönlichkeiten zu seinen politischen Freunden, so Rechtsanwalt Dr. Ludwig Haas, der schon erwähnte Dr. Hugo Marx und Dr. Ludwig Marum, mit dessen Sohn Hans er eng befreundet war. Zu seinen Freunden – in den 1920er Jahren – gehörte auch Otto Abetz, mit dem er den sogenannten Sohlbergkreis 1929 gründete (das war eine Bewegung zur Annäherung der deutschen und französischen Jugend); 1933 wurde diese Gruppierung, die sogar eine eigene Zeitschrift heraus gab, „abgeschaltet“. Abetz war Kunsterzieher am Fichte-Gymnasium. Er mutierte jedoch bereits Anfang der 1930er Jahre zum glühenden Nationalsozialisten (1931 NSDAP-Mitgliedschaft) und machte ab 1933 im Ribbentropp-Ministerium Karriere; 1940 wurde er deutscher Botschafter bei der Vichy-Regierung in Paris und spielte eine maßgebliche Rolle bei der Deportation der Juden von Frankreich in die Vernichtungslager. Er wurde 1949 in Paris zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, aber bereits 1954 aus der Haft entlassen; 1958 kam er bei einem Autounfall in Langenfeld ums Leben.
Walter Strauß nahm regelmäßig an den Kundgebungen des Reichsbanners teil, verteilte Flugblätter für die SPD und bildete mit Kameraden den Saalschutz bei Wahlversammlungen.
Für den Centralverein wirkte er als Redner bei örtlichen Veranstaltungen in der Region.
Mit der Machtübernahme Hitlers am 30.Januar 1933 änderte sich für die Familie schlagartig alles.
Die Söhne Walter und Fritz sahen ihre Zukunft offensichtlich nicht mehr in Deutschland. War es Weitsicht?
Nach der Verhaftung von Ludwig Marum und Adam Remmele, dem ehemaligen badischen Innenminister, verließ Walter Strauß Deutschland Ende Juli 1933 und floh über Straßburg nach Paris, wo sein Freund Hans Marum, der bereits Ende April das Land verlassen hatte, lebte. Hans Marum war für ihn die Anlaufadresse; entweder wohnte er einige Zeit auch bei ihm oder Hans Marum hatte ihm eine Wohnung verschafft. Walter Strauß fürchtete, wegen seiner politischen Bestätigung in der SPD verhaftet zu werden. Hier in Paris heiratete er Marianne Born (geboren am 27. September 1914). Außer ihrem Geburtsdatum und Mädchennamen sind keine weiteren Angaben zu ihr bekannt.1934 und 1936 wurden die Kinder Michel und Monique in Paris geboren.1934 gründete er eine eigene Firma in Paris in der gleichen Sparte wie die väterliche Firma. Der Anfang war außerordentlich schwer, wie er schrieb. Als er endlich die Firma auf ein die Existenz seiner Familie sicherndes Niveau gebracht hatte, brach der Krieg aus (siehe unten).
Fritz Strauß emigrierte im August 1933 nach Palästina und heiratete dort die aus Polen stammende Franziska (Nachname und Geburtsdatum sowie weitere Angaben zur Person sind nicht bekannt). 1934 wurde der – einzige – Sohn Joseph in Tel Aviv geboren. Etwa vier Jahre lebt die junge Familie in Palästina. Einzelheiten über sein Leben dort sind nicht überliefert. Offensichtlich fand er keine adäquate Beschäftigungsmöglichkeit als promovierter Elektro-Ingenieur im Lande, zu jener Zeit wurden dort andere Qualifikationen gebraucht. Zudem war Palästina von Flüchtlingen aus Deutschland, vor allem auch Akademikern, schon überflutet. Was er in dieser Zeit, immerhin fast vier Jahre, dort gemacht hat, ist nicht bekannt. Er entschloss sich, das Land zu verlassen, nach Deutschland zurück kam für ihn nicht in Frage. So reiste er mit Familie Mitte 1937 nach Frankreich zu seinem Bruder nach Paris. Einzelheiten über ihn und seine Familie hier in Paris bis zum Kriegsausbruch (siehe unten) sind nicht bekannt. Es liegt allerdings nahe, dass er eventuell in der Firma seines Bruders Walter mit tätig war.
Die Nazi-Parole „Kauft nicht beim Juden“ zeigte sehr bald auch für Max und Marie Strauß ihre Wirkung. Max Strauß verlor sehr bald einen Kunden nach dem anderen, sein Geschäft ging rapide bergab. Er veräußerte seine Warenbestände zu ‚Schleuderpreisen’ so schnell es ging und liquidierte die Firma schon 1934; 1936 wurde die Firma auch im Handelsregister gelöscht.
Nachdem die Söhne für immer Deutschland verlassen hatten, immer mehr Freunde und Bekannte emigrierten, beschlossen Max und Marie Strauß von Karlsruhe wegzugehen.
Sie zogen im Juni 1937 nach Wiesbaden, wo sie sich schon geraume Zeit zuvor ein Haus in der dortigen Richard-Wagner-Straße 3 gekauft hatten. Das – schöne – Haus Richard – Wagner – Str. 9 wurde nach den Buchenwald-Erfahrungen (siehe unten) 1939 an den Fabrik-Direktor Oskar Peter verkauft. Bis dahin stand das Haus entweder leer oder war an unbekannt vermietet.
Mit Kriegsbeginn wurde Walters Firma in Paris unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt, Walter und Fritz Strauß wurden als Ausländer interniert. Beide entschlossen sich, mehr oder weniger gezwungen, in die Fremdenlegion einzutreten, statt auf unbestimmte Zeit interniert zu bleiben. Sie kamen nach Algerien und Marokko. Nach dem Waffenstillstand wurden sie im Oktober 1940 aus der Legion entlassen. Danach lebten sie mit ihren Familien einige Zeit in der unbesetzten Zone Frankreichs und danach illegal im Untergrund bei der Resistance.
Walter Strauß war zeitweise als Knecht auf einem Bauernhof tätig. Der Sohn von Fritz Strauß, Joseph, wurde durch seine Mutter in einem Nonnenkloster in Nizza unter dem Decknamen Perrot untergebracht, wo er auch katholisch getauft wurde. Die Mutter schloss sich ebenfalls der Resistance an. Was die Familien Walter und Fritz Strauß von November 1940 bis zur Befreiung Frankreichs von der deutschen Besatzung gemacht haben, immerhin ein Zeitraum vom mehr als vier Jahren, und wo sie wie gelebt haben, ist leider nicht bekannt. Es ist jedoch zu vermuten, dass zumindest Fritz Strauß und Frau in der Nähe von Nizza lebten, um wenigstens von Zeit zu Zeit den Sohn besuchen zu können.
Nach den November-Pogromen 1938 wurde auch Max Strauß zwischen dem 11. und 13. November 1938 (das genaue Datum ist nicht mehr feststellbar) – zusammen mit fast 10.000 anderen Juden aus weiten Teilen des Reiches – in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Die Haftbedingungen und die Behandlung der Häftlinge durch die SS waren katastrophal, weit schlimmer noch als in anderen Konzentrationslagern (detaillierte Beschreibung siehe Harry Stein: Das Sonderlager im Konzentrationslager Buchenwald nach dem Pogrom 1938, in: Monica Kingreen: Nach der Kristallnacht, 1999). Am 12. Dezember 1938 (möglicherweise auch früher) wurde er wieder entlassen. Anfang 1940 kam er in Gestapohaft; vermutlich wollte die Gestapo von ihm Näheres über den Verbleib der beiden in Frankreich lebenden Söhne erzwingen. Über die Dauer der Haft ist nichts bekannt. Am 30. Juni 1940 starb Max Strauß in Wiesbaden, an den Folgen der Gestapohaft, wie der Sohn Walter vermutete, offiziell (Sterbeurkunde) an altersbedingter Herzmuskeldegeneration, nach einer Gestapoliste jedoch an einem Lungenödem. Was war zutreffend? Vermutlich keine der beiden Todesursachen.
Haben Max und Marie Strauß zu irgendeiner Zeit ihre Auswanderung betrieben? Es konnte kein Nachweis dafür gefunden werden, nicht in Karlsruhe, nicht in Wiesbaden. Dies ist umso verwunderlicher als ja die Söhne schon 1933 aus – begründeter – Furcht vor den Nazis das Land verlassen hatten und die Buchenwald-Erlebnisse von Max Strauß doch nachhaltig die Gefahr für Leib und Leben evident gemacht haben müssen. Anfang 1937 vor dem Umzug nach Wiesbaden, hatte Max Strauß noch in Karlsruhe beim Polizeipräsidium für sich und seine Frau einen neuen Reisepass beantragt, da der vorhandene schon ‚voll’ war und keine weiteren Einträge mehr möglich waren (ein Zeichen für die rege Reisetätigkeit in viele Länder von Max Strauß aus seiner Unternehmertätigkeit). Der Pass wurde – mit einjähriger Gültigkeit – erteilt, aber Gebrauch von der noch bestehenden Reisemöglichkeit wurde nicht gemacht.
Nach dem Tode ihres Mannes war Marie Strauß völlig allein – vermutlich die schlimmste Zeit ihres bisherigen Lebens. Zu den Söhnen und ihren Familien in Frankreich bestand wegen der Kriegsereignisse kein Kontakt mehr, ja, sie wusste nicht einmal, ob sie noch am Leben waren.
Die jüdischen Freunde und Bekannten waren größtenteils nach den USA ausgewandert, auch der Schwager Salomon Strauß, Bruder ihres Mannes, seinerzeit Trauzeuge bei ihrer Hochzeit in Mannheim, mit seinen Kindern und deren Familien. Dazu kamen die sozialen Ausgrenzungen und Diskriminierungen, die das Leben für Juden immer schwieriger machten. Ob und wie sie in das jüdische Leben in Wiesbaden eingebunden war, ist nicht bekannt.
Sicherlich hatte sie noch Verbindungen nach Karlsruhe und wird deshalb auch von den Deportationen der badischen und saarpfälzischen Juden nach Gurs in Südfrankreich am 22. Oktober 1940 gehört haben., auch ihre Schwester Greta, seit ihrer Heirat 1927 in Wiesbaden mit dem Kaufmann Oskar Reinmann, ebenfalls aus Mannheim stammend, die nach dem Tod ihres Mannes Oskar Reinmann am 6. April 1933 in Oerlikon/Schweiz im Mai 1933 wieder zurück nach Deutschland, nach Mannheim ihrer Geburtsstadt, zog, wurde von Mannheim aus dorthin deportiert. Und sie wird auch erfahren haben von den Deportationen der Juden aus der Nachbarstadt Frankfurt a.M. „nach dem Osten“, die am 19. Oktober 1941 begannen und in mehreren Wellen fortgesetzt wurden, bis auch Wiesbaden erreicht wurde.
Am 10. Juni 1942 begann – zusammen mit 372 Wiesbadener Juden – ihr letzter Weg. Sammelplatz für den Abtransport war der in der Nähe des Wiesbadener Hauptbahnhofs gelegene Schlachthof. Von hier erfolgte der Weitertransport per Bahn zum Hauptbahnhof in Frankfurt a.M. Hier trafen auch etwa 200 weitere Personen aus den umliegenden Landkreisen ein. Sie alle wurden – in Gruppen – zum Sammelplatz Großmarkthalle in Frankfurt a.M. geführt, bewacht von Polizisten, wo bereits 618 Frankfurter warteten.
Am Morgen des 11. Juni 1942 verließ ein Zug mit fast 1.200 Menschen Frankfurt a.M. Das Fahrziel war Izbica, 80 km von Lublin entfernt. Der Zug hielt – wie vorangegangene Transporte auch – in Lublin, etwa 200 Männer wurden „ausgeladen“ und nach Majdanek gebracht, alle übrigen dieses Transportes – Kinder, Frauen, ältere Männer – kamen nach Izbica, blieben dort aber nur 1-2 Tage, um von dort in eines der Vernichtungslager weiter transportiert zu werden, wahrscheinlich nach Sobibor. Das Öffnen der Türen des Zuges in Sobibor bedeutete, dass die Angekommenen nur noch zwei Stunden zu leben hatten. Überlebende dieses Transportes gab es
nicht. Auch das Leben von Marie Strauß wurde so ausgelöscht. Vielleicht ist sie aber schon auf dem Transport den Strapazen erlegen gewesen, wie so viele andere auch. Sie wurde 64 Jahre und 7 Monate.
Nachzutragen ist, dass in einem Eichmann- Schnellbrief vom 31. Januar 1942 an die Frankfurter Gestapo (auch zuständig für Wiesbaden) über die Planungen für die weiteren Deportationen informiert wurde. Hiernach waren für diese Transporte diejenigen vorgesehen, die unter 65 Jahren alt waren. Wäre Marie Strauß nur ein paar Monate älter gewesen, wäre sie – mutmaßlich – nicht auf diesen Transport gekommen, dann wäre sie jedoch mit Sicherheit im August oder September 1942 nach Theresienstadt gebracht worden, vielleicht nur ein kurzer Aufschub für ihr Leben, vielleicht aber eine winzige Chance für das Überleben. Sie hatte diese Möglichkeit nicht.
Auf dem Jüdischen Friedhof in Wiesbaden befindet sich ein Grabstein (ohne Grab) für Max und Marie Strauß, von Walter Strauß für seine Eltern in Auftrag gegeben, nachdem er von ihrem Schicksal erfahren hatte.
Walter und Fitz Strauß und ihre Familien konnten die Kriegszeit in Frankreich unter schwierigsten Bedingungen und oft in unmittelbarer Lebensgefahr überleben.
Fritz Strauß wanderte mit seiner Familie 1946 in die USA aus, da eine Schwester von Fritz Strauß’ Frau dort wohnhaft war. Die Ehefrau starb 1979, Fritz Strauß, hochbetagt, 1997. Der Sohn Joseph absolvierte wie sein Vater eine Ausbildung als Elektro-Ingenieur und arbeitete u.a. von 1964 bis 1979 in Deutschland für die amerikanische Firma Hughes Aircraft Industries, die einen Kooperationsvertrag mit der US-Airforce hatte, zunächst in Würzburg, wo er auch seine Frau Elisabeth kennen lernte und heiratete und später in Heide/Holstein, wo auch seine beiden Kinder Joseph und Stephanie 1966 bzw. 1969 geboren wurden. Nach seiner Rückkehr in die Staaten lebte er mit seiner Frau in einem Vorort von Los Angeles; er hat zwei Enkelkinder (Aidan und Ella).E in intensiver Kontakt des Autors mit Joseph (Vater) 2002 wurde von diesem 2003 abrupt abgebrochen, viele wichtige Details konnten deshalb nicht mehr in Erfahrung gebracht werden; alle Versuche, den Kontakt wieder aufzunehmen, scheiterten.
Walter Strauß blieb in Frankreich. Er starb am 1. Juli 1967. Er hatte einen Sohn, Michel, der 1970 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, und eine Tochter, Monique, die in Paris lebt. Aus der Ehe des Sohnes stammen zwei Kinder, Jean-Claude und Sophie, aus der Ehe der Tochter drei Kinder, Jerome, Judith und (?) sowie vier Enkelkinder. Ein Versuch des Autors mit der Tochter von Walter Strauß in Paris brieflich in Kontakt zu kommen, blieb ergebnislos, sie verweigerte eine Antwort.
Walter Strauß kümmerte sich auch um die Wiedergutmachungsansprüche; u.a. wurde das Elternhaus in Wiesbaden an die Erben, also die beiden Söhne, zurückgegeben, die es verkauften.
Nachzutragen bleibt das Schicksal der durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft umgekommenen Geschwister von Max Strauß:
Benno 1942 in Treblinka, Clara Nora 1942 in Izbica, Elsa 1941 in Riga, Isidor 1942 in Auschwitz, Arthur 1941 in Riga,
und der Schwester von Marie Strauß, Margarete (Greta) Reinmann, 1942 in Auschwitz (mit demselben Transport Nr. 26 wie Isidor, der am 31. August 1942 Drancy nach Auschwitz verließ. Auf dem Transport waren - wie zumeist – 1.000 Personen; 961 wurden bei Ankunft sofort vergast, 39 „zur Arbeit selektiert”; 17 Personen dieses Transportes haben überlebt, Isidor und Marie Strauß waren nicht darunter).
(Wolfgang Strauß, Januar 2003/ergänzt Februar 2021)