Traub, Ludwig Lazarus

Nachname: Traub
Vorname: Ludwig Lazarus
Geburtsdatum: 30. März 1868
Geburtsort: Karlsruhe-Grötzingen (Deutschland)
Familienstand: verheiratet
Eltern: Bernhard und Regine, geb. Holz, T.
Familie: Ehemann von Thekla T.;
Vater von Mina und Jenny, Regina Fischer, geb. T., und Martha;
Bruder von Leopold
Adresse:
Schultheiß-Kiefer-Str. (Mittelstr.) 27
Beruf:
Kaufmann
Deportation:
22.10.1940 nach Gurs (Frankreich) bis 20.2.1941,
20.2.1941 nach Noé (Frankreich)
Sterbeort:
Noé (Frankreich)
Sterbedatum:
4. Januar 1942

Biographie

Ludwig Lazarus, Jenny und Mina Traub

Wann die Traubs nach Grötzingen gekommen sind, können wir nicht sagen, eine erste Eintragung der Familie in den Kirchenbüchern finden wir im Jahr 1811. Zu dieser Zeit ist Salomon David Traub jüdischer Schullehrer im Ort, auch „Totengräber zu Grombach“, da die Grötzinger Juden bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem dortigen jüdischen Friedhof beerdigt werden mussten. Erst 1905 wurde damit begonnen, einen eigenen jüdischen Friedhof in Grötzingen anzulegen. Salomon und seine Ehefrau Bühele, die häufig als Zeugin bei Geburten im Dorf erwähnt wird, werden die Stammeltern von vier Generationen Traub im Dorf, bis der Vernichtungswahn des Nationalsozialismus diesen Namen in Grötzingen endgültig löschte. Die Traubs waren meist „Schutzjuden“, von einigen wissen wir, dass sie ins Bürgerrecht aufgenommen wurden. Im 19. Jahrhundert übten sie handwerkliche Berufe wie Schuster und Schneider aus, manche waren Handelsleute. In jeder Generation ist einer von ihnen Vorsänger oder Schullehrer der jüdischen Gemeinde, bis zu Leopold Traub, der 1941 im Lager Gurs umgekommen ist. Seit den 1830er Jahren hatte Maier Traub, der Sohn Salomons und Büheles, das Amt des Schullehrers und Vorbeters inne und wohnte daher im Synagogengebäude. Seine Bemühungen um ein angemessenes Gehalt und die Instandsetzung des Schulzimmers und der Lehrerwohnung (Boden nicht gedielt, Wohnzimmer feucht und Fußboden verfault etc.), sind mehrfach aktenkundig geworden. Der israelitische Oberrat musste im Dezember 1859 mit deutlichen Worten eingreifen, damit Maier von der Grötzinger Gemeinde endlich besser entlohnt wurde. Auch die Renovierung der Dienstwohnung und des Schulzimmers wurde erst begonnen, nachdem mehrfache Inspektionen es als „blutnotwendig“ bezeichneten, „diesem Zustand ein Ende zu machen“. Maier interessierte sich um 1848 für revolutionäre Ideen und war Leser des „Verkündiger“, einer in Karlsruhe erscheinenden Zeitung, welche unter anderem „den Lateinisch sprechenden Bürgermeister aus Grötzingen“ aufs Korn nahm. Sein Grabstein auf dem jüdischen Friedhof oberhalb Obergrombachs trägt folgende hebräische Inschrift:

Hier ist begraben
Ein getreuer Mann, untadelig wandelnd,
seine Taten waren gut und vollkommen,
frühmorgens und abends eilte er zu Tora und Gebet,
sein Name ist bekannt zu Ruhm und Preis;
es ist der Vorsänger, Herr Me’ir Traub,
Sohn des Chawer, Herrn Schlomo Halevi aus Grötzingen

Eine weitere, in die Ortsgeschichte eingegangene Persönlichkeit war Maiers Bruder Menke Traub. Wahrscheinlich mit einigem Vermögen gesegnet, wurde der Schuhmachermeister 1840 in das Bürgerrecht aufgenommen. Das beinhaltete einen Anteil am Allmendgenuss. Acht Jahre später, während der „Judenkrawalle“ nach mehreren Missernten, werden er und die anderen Grötzinger Juden gezwungen, auf dieses Recht zu verzichten. 1850 sollte dies („die Verzichtleistung des Menk Traub pp.“) auf Verlangen des Oberamtes wiederum rückgängig gemacht werden, und der Gemeinderat „unter Verfällung in die Kosten“ habe alle wieder einzusetzen. Es folgt ein erbitterter Streit, und obwohl die Mitglieder des Grötzinger Gemeinderates erst fünf, dann acht Gulden Strafe zahlen müssen, wollten sie den Prozess unter Beteiligung der Bürger an den Kosten bis in die höchste Instanz weiterführen. Erst 1851, als abzusehen war, dass ein Urteil zum Nachteil der christlichen Bevölkerung gesprochen werden würde, einigte man sich in einem Vergleich.

Im Jahr 1936 sind in Grötzingen nur noch zwei Haushalte der Familie Traub registriert: der von Ludwig Lazarus in der Waldstraße 13 (Bruchwaldstraße) und die Wohnung seines Bruders Leopold in der Synagogenstraße 15 (Krumme Straße). Leopold war der letzte Vorbeter und Gemeindediener der Grötzinger Synagoge. Ein weiterer Bruder, Samuel, muss nach 1904 verstorben oder weggezogen sein, dessen Ehefrau Bertha geb. Daube ist 1941 in Gurs verstorben.
Die Brüder Lazarus Ludwig und Leopold waren Söhne von Bernhard Bär Traub und Regine geb. Holz, Enkel von Löw und Jeannette Wolf. 1899 werden Bernhard Traub und sein Sohn Lazarus in der Festschrift zum hundertjährigen Jubiläum der Grötzinger Synagoge als Gemeindemitglieder erwähnt.
Ludwig Lazarus, geboren 1868, wurde im Ort nur „Lazer“ genannt. Auch über ihn könnte man gar nichts Schlechtes erzählen, wie über alle anderen Grötzinger Juden überhaupt, sagt eine betagte Grötzingerin. „Lazer“ handelte mit Hasenfellen, „Geisenfellen“ und Lumpen, so sein Inserat vom März 1919 im Anzeiger der Gemeinde. Man erinnert sich, dass er beim Schlachten der Hasen geholfen habe und dafür dann die Felle behalten durfte. Gelegentlich verschenkte er Matzen an die Kinder der Nachbarn. 1904 ist er auch Fabrikarbeiter. Lazarus war mit Thekla, geborene Groß aus Odenheim verheiratet. Die Familie wohnte mit vier Töchtern erst am Niddaplatz im „2. Stock (erste Etage) über der Kanne“, später in der Waldstraße 13 im Haus Käser. Sie galt als recht arm. Die Tochter Marta Traub wird 1913 mit sechs Jahren eingeschult, sie stirbt bereits 1935 nach einem Arbeitsunfall und ist auf dem Grötzinger jüdischen Friedhof beigesetzt. Die ledigen Töchter Mina, geboren 1901, und Jenny, geboren 1902, mussten zum Unterhalt der Familie beitragen und arbeiteten in der „Patron“, wie die „Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik“ bis heute im Grötzinger Volksmund heißt. Das Fabrikgelände der DWM lag an der Pfinz, dort wo heute das Wohngebiet „Im Speitel“ ist. Nach den Erinnerungen von Günter Fischer, dem Enkel von Lazarus und Thekla, war die Familie religiös, übte ihre Religion auch aus und war gut integriert in die dörfliche Gemeinschaft Grötzingens. Die Kinder besuchten die örtliche Schule und lebten wie andere Kinder auch.
Ruth Palm war 1933 das letzte im Dorf verbliebene jüdische Kind. Sie erinnert sich, dass nach 1938 die Familie Traub in ihrem Elternhaus gewohnt hat. Im Erdgeschoss, hinter dem „Manufakturwarengeschäft Max Palm“ war die letzte Wohnstätte der Familie Traub in Grötzingen.

Leopold und Lazarus Ludwig, dessen Ehefrau Thekla und seine Töchter Mina und Jenny wurden am 22. Oktober 1940 zusammen mit den anderen in Grötzingen verbliebenen Juden nach Gurs, der Vorhölle von Auschwitz, deportiert. Das Lager strotzte vor Läusen, Ratten und anderem Ungeziefer und versank im Morast. Lazarus litt dort besonders, denn im Ersten Weltkrieg hatte er ein Bein verloren. Im Schlamm des menschenfeindlichen Lagers konnte er sich mit seinem Holzbein kaum fortbewegen. Ein Überlebender beschreibt das Sterben der Alten und Kranken so: „Sterben zu nennen, was sich da abgespielt hat? Ich will lieber nicht den deutschen Ausdruck nennen, was das für ein Sterben war!“ Männer und Frauen wurden in Gurs voneinander getrennt, durften sich aber mit Sondergenehmigungen besuchen, wovon Thekla Gebrauch machte. Die Erteilungen dieser Ausweise dauerte ewig, so dass es – nicht nur ein Mal, sondern häufig - vorkam, dass ein Angehöriger den Zugang zum Block seines Familienmitglieds erst dann erreichte, wenn dieses schon seit Tagen unter der Erde lag.
Nach bitteren Wintermonaten in Gurs werden Thekla und Ludwig Lazarus im Frühjahr 1941 ins Lager Noé verlegt. Auch dort werden Männer und Frauen getrennt, haben aber Möglichkeiten sich zu besuchen, von denen Thekla Gebrauch macht. Am 2. Januar 1942 wird Thekla Traub ins Männerlager gerufen. Sie trifft Ludwig in einem beklagenswerten Zustand an: Er hat am ganzen Körper Geschwüre und leidet an starker Unterernährung. Am nächsten Tag wird sie wieder geholt. Ludwig Lazarus hat da bereits das Bewusstsein verloren. Er stirbt gegen 19 Uhr im Beisein seiner Ehefrau Thekla und seiner Tochter Jenny und wird am folgenden Tag auf dem Friedhof in Noé beigesetzt.


Ab dem 5. August 1942 wurden nach und nach die badischen und rheinpfälzischen Juden der Lager Gurs, Rivesaltes, Récébédou und Noé in Richtung Osten verbracht, unter grauenvollen Umständen und in verdreckten Viehwaggons. Am 12. August werden die Töchter Mina und Jenny nach Auschwitz deportiert. Sie sind dort umgekommen. Ihr Onkel Leopold starb bereits am 17. September 1941 in Gurs.

Lazarus’ Tochter Regina, die in Grötzingen nur Recha genannt wurde, hatte Anfang der 1920er Jahre beim Tanzen einen Hagsfelder, Erwin Fischer, kennen- und liebengelernt. Sie heiraten und ziehen in das elterliche Haus in Hagsfeld. Ihr jüngster Sohn Günter weiß von keinerlei Problemen, welche die Eheschließung der Jüdin mit einem Christen in den Familien verursacht hätte. Auch im Zusammenleben der Ehegatten habe die unterschiedliche Religionszugehörigkeit keine Rolle gespielt. Jeder hätte seiner Religion gelebt, ohne Beeinträchtigungen durch den Ehepartner. Die sechs Kinder wurden evangelisch getauft und erzogen, obwohl Recha die jüdischen Feiertage wahrnahm. In das dörfliche Leben Hagsfelds war die Familie gut integriert. Auch nach der Reichspogromnacht blieben sie akzeptiert. Ebenso, nachdem der Familienvater Erwin 1940 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Recha blieb mit den Kindern, das jüngste wurde erst 1941 geboren, im Haus der Schwiegereltern. In der Bombennacht vom 24. auf den 25. April 1944 wurde dieses Wohnhaus vollständig zerstört. Rechas Schwiegereltern kamen bei einer ihrer Töchter in Büchig unter, Recha bot man eine Wohnung auf dem Hof eines Bekannten in Hagsfeld an. In dieser Nachbarschaft wohnte auch der Ortsgruppenleiter Murr, welcher keine Jüdin nebenan dulden wollte. Er drohte gleich, sie werde nicht lange an diesem Ort bleiben, dafür würde er schon sorgen!
Rechas älteste Tochter Auguste arbeitete in der Karlsruher Oststadt bei „Haid und Neu“, der großen Nähmaschinenfabrik. Ihr Chef, der argwöhnte, dass sie wegen ihrer Abstammung Probleme haben könnte, schickte sie zum Arbeitseinsatz nach Tauberbischofsheim, wo sie bis Kriegsende in Sicherheit blieb.
Regina und Erwin Fischers älteste Söhne Herbert und Emil wurden 1944 „aus rassischen Gründen“ nach Oute Petit und Grand Couromue bei Rouen in Arbeitslager der Organisation Todt deportiert. Die „OT“ war eine militärisch organisierte Bautruppe, welche dem Reichsminister Albert Speer direkt unterstellt war. 1944 verfügte die, für ihre besonders harten und unmenschlichen Arbeitsbedingungen bekannte OT über 1.360.000 Arbeitskräfte, davon 14.000 „wehruntaugliche“ Deutsche und 22.000 KZ-Häftlinge. Der Rest setzte sich aus Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen zusammen.
Beide Brüder konnten nach Karlsruhe fliehen. Emil erkrankte hier an Lungenentzündung und man wies ihn ins Städtische Krankenhaus in der Moltkestraße ein. Wegen der immer häufiger werdenden Luftangriffe wurden die Patienten bald nach Flehingen verlegt. Um bei ihrem mit dem Tode ringenden Sohn zu sein und auch um den zunehmenden Repressalien in Hagsfeld zu entgehen, zog Recha 1944 mit den drei jüngsten Kindern zu Bekannten nach Flehingen. Anfang Februar 1945 wurde die Staatspolizeileitstelle in Karlsruhe angewiesen, alle noch verschont gebliebenen jüdischen Ehepartner in Mischehen und „Mischlinge ersten Grades“ zum „Arbeitseinsatz“ nach Theresienstadt zu verbringen, obwohl die endgültige Niederlage Deutschlands und das Kriegsende in Sicht waren.. Wegen ihres Umzugs konnte Recha am 10. Februar von der Gestapo in Hagsfeld nicht mehr ausfindig gemacht werden. Das hätte ihre Rettung sein können, doch Ortsgruppenleiter Albert Murr recherchierte, wurde fündig und informierte die Geheimpolizei über die neue Adresse, und so holte man Recha am 14. Februar 1945 in Flehingen ab. Selbst, dass der Ehemann Regina Fischers in Russland als deutscher Soldat fürs „nationalsozialistische Vaterland“ kämpfen musste, war kein Grund zur Schonung. Die Kinder Lotte und Rudi, 13 und 14 Jahre alt und Günter, erst vier, packten ihre Habe auf ein Leiterwägelchen und gingen zu Fuß zu ihren Großeltern nach Büchig. Emil blieb bis Kriegsende in Flehingen.

Der Transport aus Karlsruhe kam am Abend des 16. Februar in Theresienstadt an. Das Grauen, der Hunger, Durst und Kälte herrschten in dem Lager nordwestlich von Prag derart, dass eine Karlsruher Leidensgenossin dazu schrieb: „wir glaubten kaum, dass einer noch lebend da heraus käme.“ Eine der vielen unsäglichen Plagen dieses Orts des Grauens war der Typhus. Er verhinderte im Winter 1942/43 sogar einen geplanten Propagandabesuch Himmlers, weil man befürchtete, er könne ebenfalls erkranken. Die Seuche verzögerte auch den Rücktransport der am 5. Mai 1945 von russischen Truppen Befreiten. Regina Fischer nahm sich im Lager der schwer Erkrankten an, und hat sich dabei mit dem Erreger der Seuche infiziert.
Die Karlsruher Gruppe Befreiter, unter ihnen Recha, verlässt Theresienstadt im Güterwagen am 8. Juni und kommt mit einem Holzvergaser – Lkw am 16. Juni in Karlsruhe an. Leopold Ransenberg, „der gute Stern von Theresienstadt“ hatte die Rückkehr von 17 Karlsruhern federführend und unter großen Schwierigkeiten organisiert.

Regina Fischer und ihre Kinder hatten überlebt und trafen sich wieder bei den Großeltern in Büchig. Der Schwiegervater übertrug Recha ein Grundstück in Hagsfeld, auf dem die Söhne in Eigenarbeit und mit einfachsten Mitteln ein Behelfsheim errichteten: drei Zimmer für die Mutter und sechs Kinder!
1947 erhält die Familie eine schier unglaubliche Nachricht: die Grötzinger Großmutter Thekla Traub hat in Frankreich überlebt! Nach einer Bescheinigung der Präfektur Haute-Garonne hielt sie sich bis zum 17. August 1943 im Lager Noé auf und ist danach in ein Altersheim „entlassen“ worden. Dies geht aus einem Bescheid des Landesamtes für Wiedergutmachung aus dem Jahr 1960 hervor, der auf der Rückseite einen Vermerk trägt: „Dem Landesamt ist aus vielen gleichgelagerten Fällen bekannt, dass am 17. 8. 1943 die betagten Insassen aus dem Lager Noé in – nicht entschädigungsfähige – Altersheime verbracht worden sind“.
Thekla ist bei ihrer Rückkehr 77 Jahre alt und zieht zu ihrer Tochter Regina Fischer und den sechs Enkeln in das Hagsfelder Dreizimmerhaus. 1948 wird ihr eine vierwöchige Kur im KZ-Erholungshaus Rubens in Baden-Baden gewährt, wegen Asthma bronchiale mit Herz- und Kreislaufschwäche und doppelseitigen Leistenbruchs. Mehrfach bittet sie um Gewährung von Beihilfen und beantragt Wiedergutmachung. Es wird ihr eine monatliche Beihilfe von 150 Reichsmark zugesprochen – zunächst für ein halbes Jahr - , welche später in DM weiter gezahlt wird. Amtlicherseits stellt man fest, dass Thekla Traub Jüdin ist und infolge ihres Alters sehr hilfsbedürftig, aber Entschädigungen seien auf etwaige Wiedergutmachungsansprüche anzurechnen. Aber – wiederum auf der Rückseite – ein handschriftlicher Hinweis: „Nachgewiesen ist nichts. Glaubhaft ist Jüdin und Deportation nach Frankreich … der Nachweis rassistischer Verfolgung ist noch nicht erbracht“. Danach folgen eine Bestätigung der jüdischen Gemeinde und des Bürgermeisters von Grötzingen. Am 16. Februar 1950 stirbt Thekla Traub. Bis zu ihrem Tod habe sie nicht mehr gesprochen, wie sich der Enkel Günter Fischer erinnert.

1947 wird der Tod von Erwin Fischer in Russland bestätigt. Wahrscheinlich ist er in der Kriegsgefangenschaft nach Stalingrad verhungert. Diese amtliche Nachricht gibt Recha Regina die Möglichkeit, eine magere Kriegshinterbliebenenrente zu beantragen.
Anfang der 1950er Jahre erhält die Familie für alle acht (!) überlebenden Mitglieder zusammen eine Wiedergutmachung von sechstausend DM. Aus heutiger Sicht ein geringer Betrag, doch im damals noch zerstörten Deutschland für manche Menschen Grund zum Neid.
Regina Fischer blieb in Hagsfeld nach dem Krieg genauso integriert wie vorher. Sie wurde Mitbegründerin und Vorsitzende im 1950 entstandenen „Verband der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen“. Viele versuchten, über sie einen „Persilschein“ zu erreichen, denn Regina Fischer war stets bereit zu helfen. „Was passiert ist, kann man nicht mehr ändern“, war ihre Einstellung, aber man dürfe auch nicht alle pauschal verurteilen, denn: „Es waren nur wenige, die mir etwas angetan haben.“ Ihr großmütiges Verzeihen und ihre Hilfsbereitschaft kannten allerdings eine Ausnahme: Ortsgruppenleiter NSDAP a.D. Albert Murr. Nie erzählte sie über ihre Erlebnisse in Theresienstadt. Auf drängende Nachfragen ihres jüngsten Sohnes Günter antwortete sie stets: „Bu’, sei froh, wenn du nicht alles weißt!“ Auf ihre Kinder übte sie in Glaubensdingen keinerlei Druck aus, sie selbst blieb weiterhin ihrer jüdischen Religion treu, ging regelmäßig in die Synagoge und aß an jüdischen Feiertagen koscher. Viele Menschen meinten, sie müssten ihr nahe legen, dass sie zum evangelischen Glauben übertreten solle, „nach alledem was sie mitgemacht habe“…
Zum Lebensunterhalt der Familie musste Recha hinzuverdienen. Sie half als Bedienung bei Vereinsfeiern, vor allem im Clubhaus des ASV Hagsfeld. In ihrer Nachbarschaft kochte und bediente sie bei Familienfesten, sie arbeitete bei Bauern und nähte für andere Leute.
Im Juni 1955 bekam sie plötzlich Durchfall. Zu spät erkannte man, dass Typhus die Ursache war. Entsprechende Medikamente fehlten, man legte sie in Quarantäne, nach einer Woche ist sie gestorben: Die Seuche aus Theresienstadt hatte Recha Regina nach zehn Jahren wieder erreicht.
Der jüdische Friedhof in Karlsruhe konnte die Menschenmenge, die zu ihrer Beerdigung gekommen war, fast nicht fassen. Ganz Hagsfeld wollte Anteil nehmen beim Tode dieser im Ort allseits geschätzten Persönlichkeit, darunter auch viele, die zuvor noch nie einen jüdischen Friedhof betreten hatten.
1960 wird für Thekla Traub eine Kapitalentschädigung geleistet, allerdings nur für die Zeit der Haft in den Lagern Gurs und Noé bis 1943. Für 33 Monate und 26 Tage beträgt die Summe 4.950 DM, davon werden Vorleistungen von 3.961,70 DM abgezogen. Die Erben erhalten 988,30 DM, denn Thekla ist bereits seit zehn Jahren tot, ihre Tochter Recha Regina starb fast fünf Jahre zuvor.


(Rita Butendeich und Uschi Steinhardt-Stauch, März 2007)