Tuwiener, Inge Karoline Sofie

Nachname: Tuwiener
Vorname: Inge Karoline Sofie
Geburtsdatum: 21. Januar 1923
Geburtsort: Karlsruhe (Deutschland)
Familienstand: ledig
Eltern: Willi und Else T.
Familie: Schwester von Heinz
Adresse:
Durlacher Allee 26,
1927: Vorholzstr. 35,
1940: Reinhold-Frank-Str. (Westendstr.) 1
Beruf:
Schülerin
Deportation:
26.4. 1942 von Stuttgart nach Izbica (Polen)
Sterbeort:
vermutlich Sobibor oder Belzec (Polen)

Biographie

Familie Tuwiener

Von der vierköpfigen Familie Tuwiener (auch Tuwiner) verloren zwei Menschen ihr Leben direkt durch die nationalsozialistische Judenverfolgung. Das Familienoberhaupt Willi Tuwiener war kurz vor den Deportationen der Juden in den Tod 1940 noch eines natürlichen Todes gestorben. Seine Lebensgeschichte gibt den Hintergrund des Lebens der Ehefrau Else und dem der Kinder Heinz und Inge wieder. Bislang wurde der Sohn Heinz Tuwiener als Todesopfer im Konzentrationslager Buchenwald, verstorben am 10. Februar 1945, geführt. So auch immer noch im Gedenkbuch des Bundesarchivs. Tatsächlich aber überlebte Heinz Tuwiener das Kriegsende 1945. Diese durch die hier vorgelegten Nachforschungen gemachte Entdeckung wäre mit großer Freude verbunden gewesen, wenn Heinz Tuwiener nicht doch noch kurz nach Kriegsende an den Folgen der erlittenen Qualen in den Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Deutschlands verstorben wäre.

Willi Tuwiener war am 7. Dezember 1884 in Karlsruhe geboren als Sohn des aus dem russischen Litauen stammenden Juden Moritz (Mosche) Tuwiener. Dieser war 1848 in Alexoten, heute Stadtteil von Kaunas geboren und von dort schon 1870 nach Karlsruhe gekommen. Das war eine sehr frühe Zuwanderung, da die Migration von jüdischen Auswanderern aus Russland oder dem österreichischen Galizien erst zum Ende des 19. Jahrhunderts sowie kurz vor und nach dem Ersten Weltkrieg ihren Höhepunkt erlebte. Moritz Tuwiener war Handelsmann, für Altwaren und praktisch für alles was sich im An- und Verkauf handeln ließ. 1894 plante er eine Geflügelschlachterei im Hof seines Hauses einzurichten.. Wie viele ärmere Neuankömmlinge ließ er sich in der so genannten Altstadt Karlsruhes nieder. Immerhin schaffte er es bereits 1879 das Wohnhaus Waldhornstraße 35 zu erwerben, nach 1900 auch noch das Nachbarhaus Nr. 37. 1875 verheiratete er sich mit Sofie (Sissele) Jost, 1848 in Malsch bei Ettlingen geboren. Neun Jahre später kam Sohn Willi zur Welt. Er war eines der vier Kinder und der älteste von drei Söhnen.

Willi Tuwiener wechselte nach vier Jahren Elementarschule, das war die so genannte achtklassige Volksschule, für nochmals vier Jahre auf die Bürgerschule. Diese war praktisch eine erweiterte Volksschule durch Vermittlung einer Fremdsprache und vertieften mathematischen Kenntnissen. Zu bezahlen war ein Schulgeld, das zwar deutlich unter dem der tatsächlichen höheren Schulen lag, aber dennoch zur sozialen Unterscheidung beitrug. Moritz Tuwiener hatte offensichtlich für seine Kinder „etwas besseres“ vor. Nach dem Schulabschluss begann Willi eine Ausbildung zum Kaufmann bei der Firma Gebrüder Ettlinger in Karlsruhe. Diese Firma war Hoflieferant und gehörte zu den angesehensten Adressen der Modewarengeschäfte. Die Firmeninhaber stellten Willi Tuwiener ein hervorragendes Zeugnis aus als er nach sieben Jahren 1903 dort eine berufliche Änderung anstrebte.
Willis ältere und einzige Schwester Rosa wurde am 13. April 1878 in Karlsruhe geboren. Sie besuchte die Höhere Mädchenoberschule in der Sophienstraße 14, wo sich heute das Fichte-Gymnasium befindet. Aus dieser Schule ging nach 1893 das erste Mädchengymnasium hervor. Doch ist unbekannt, ob Rosa dieses besuchte, vermutlich machte sie eher in der traditionellen Abteilung einen mittleren Bildungsabschluss. Rosa Tuwiener verheiratete sich mit dem jüdischen Prokurist Carl Kaufmann, beide hatten ein Kind.
Willis Schwager Carl Kaufmann gründete schließlich 1901 das gleichnamige Orient-Teppichhaus in der Kaiserstraße 157 (heute überbaut vom Kaufhaus Karstadt, seinerzeit aber war dessen Vorläufer das jüdische Kaufhaus Knopf noch auf den historischen Bauteil des heutigen Karstadt-Hauses beschränkt). Bis 1906 bestand sogar eine direkte Niederlassung in Konstantinopel (heute Istanbul), vermutlich insbesondere für die direkte Abwicklung der Lieferungen. Das Geschäft führte das Prädikat Hoflieferant.

Willi Tuwiener war 1903 in das Geschäft seines Schwagers eingestiegen und erhielt 1911 die Prokura. 1915 verstarb Schwager Carl Kaufmann unerwartet. Seine Witwe und Schwester von Willi Tuwiener, Rosa Kaufmann, wurde damit Firmeninhaberin, übereignete aber offiziell im Januar 1917 das Geschäft an ihren Bruder Willi Tuwiener, der das Teppichhaus unter dem eingeführten Namen Carl Kaufmann als Alleininhaber weiterführte. Das Geschäft hatte eine ansehnliche Größe und war sehr hell eingerichtet und verfügte über große Schaufenster. Zur Warenauslieferung wurde ein Opel-Lieferwagen gehalten.

Zuvor war Willi Tuwiener als Soldat Teilnehmer des Ersten Weltkriegs. 1915/16 gehörte er zu den Grenadieren und war im unmittelbaren Froneinsatz. Dabei wurde er mehrmals verwundet und nach einer schweren Verwundung als dienstuntauglich entlassen. Tuwiener hatte das EK II und war besonders stolz darauf, dass er anlässlich des 20. Jahrestages des Ersten Weltkriegs, das noch von Reichspräsident Hindenburg 1934 mit dem Inhalt „Zur Erinnerung an die unvergänglichen Leistungen des deutschen Volkes im Weltkriege 1914/1918 stifte ich ein Ehrenkreuz für alle Kriegsteilnehmer“ geschaffene Ehrenkreuz für Frontkämpfer erhalten hatte. Er, als Jude, über ein Jahr nach der nationalsozialistischen Machtergreifung.
Ebenso war der jüngere Bruder Ludwig als Soldat Weltkriegsteilnehmer und wurde gleichfalls verwundet, wenn auch nicht so schwer wie Willi Tuwiener und war so bis zur Demobilisierung am Kriegsende Soldat gewesen.

Ludwig Tuwiener wurde 1910 im Teppichhaus des Schwagers Carl Kaufmann tätig und erhielt 1922 von seinem Bruder Willi die Prokura. Es bestand also zwischen der Schwester und den Brüdern eine sehr enge Bindung über die rein familiäre hinaus.
Ludwig Tuwiener war am 28. September 1892 in Karlsruhe geboren worden. Auch er hatte wie Willi nach vier Jahren Volksschule die Bürgerschule besucht. Ebenso wie seine Geschwister war er verheiratet und hatte ein Kind.
Willis zweiter Bruder Paul war am 10. Juni 1882 in Karlsruhe geboren, besuchte die Realschule (heute Kant-Gymnasium) und absolvierte seine Ausbildung im Teppichwaren- und Möbelstoffgeschäft von Alfred Blum. 1903 verließ er Karlsruhe, um in Berlin eine Stellung als Reisender in der gleichen Branche anzunehmen.

Vater Moritz Tuwiener war als russischer Staatsangehöriger nach Deutschland gekommen. Da er diese nicht erneuerte, verlor er sie schließlich ohne sich um die deutsche bzw. badische Einbürgerung zu kümmern. Damit galten alle Familienmitglieder als staatenlos. Rosa Kaufmann wurde durch die Heirat automatisch badische Staatsbürgerin. Die drei Brüder Willi, Ludwig und Paul stellten 1912/13 jeweils für sich den Antrag auf Einbürgerung. Sie wurden umstandslos als badische Staatsangehörige eingebürgert.

In den Jahren nach seinem geschäftlichen Aufstieg lernte Willi Tuwiener Else Karoline Held kennen und heiratete sie 1920. Sie war am 28. März 1897 in Mannheim geboren, verzog dann mit den Eltern nach Frankfurt a.M., wo schließlich auch die Heirat stattfand. Sie hatte keinen Beruf erlernt, wie seinerzeit immer mehr Mädchen nach der Schulausbildung, um im Falle einer Nichtverheiratung eine Ernährung zu haben. Sie entsprach der Rolle der Frau und war als Hausfrau und Mutter ausgefüllt. Schon im Jahr nach der Verheiratung wurde Sohn Heinz am 18. August 1921 in Karlsruhe geboren und am 21. Januar 1923 folgte mit Inge Karoline Sofie das zweite und letzte Kind der Familie. Die Familie wohnte in der Durlacher Allee 26, wo Willi Tuwiener bereits seit 1913 im Adressbuch nachweisbar ist. 1927 erfolgte der Umzug in eine größere und schönere Wohnung in der Vorholzstraße 34.

Die Geschäfte Willi Tuwieners gingen gut, die Familie konnte sich einen hohen Lebensstandard leisten. Unterbrochen allerdings von der Wirtschaftskrise. In dieser Zeit wurde das Geschäft auch von der Kaiserstraße in die Ritterstraße 5 verlegt. Schwieriger wurde es nach der nationalsozialistischen Machtergreifung. Von den acht Fachgeschäften in Karlsruhe waren fünf in jüdischem Besitz. Das wollten die Nationalsozialisten ändern und drangen auf „Arisierung“, das heißt Übergabe an „arische“, nichtjüdische, Eigentümer. Tatsächlich aber gab es zu Beginn 1938 nur noch fünf Teppichhäuser in der Stadt, darunter drei jüdische. Der Druck auf Willi Tuwiener wuchs indessen. So kam es zu Verhandlungen mit zwei „arischen“ Kaufleuten, die 1938 das eingeführte Teppichhaus übernehmen wollten. Der eine war Karl Veith, der selbst seit 1920 im Geschäft angestellt und sozusagen Erster Verkäufer gewesen war. Er sagte später, dass Willi Tuwiener ihn persönlich gebeten hätte, das Geschäft zu kaufen. Die gedachte Übernahme zum August 1938 verzögerte sich aber zunächst deswegen, weil die beiden die zunächst angesetzte Kaufsumme von 80.000,- RM des auch vom Badischen Finanz- und Wirtschaftsministerium überwachten Kaufvertrags nicht zusammenbrachten, da sie exakt nur über die Hälfte verfügten. Da die „Arisierung“ aber höchste Priorität hatte, ließ das Ministerium den Eigentümerwechsel so umsetzen, dass die neuen Eigentümer den Warenbestand für rund 65.000,- RM übernahmen und die Geschäftseinrichtung für 5.500, nicht zu 7.000, wie zuvor festgelegt. Die Summe sollten sie mit 45.000,- RM anzahlen und die Restsumme mit Raten über 1.000,- RM begleichen. Zum 1. Oktober 1938 gehörte das Geschäft nicht mehr Willi Tuwiener. Die neuen Firmeninhaber ließen es aber unter dem guteingeführten alten Namen Carl Kaufmann bestehen. In Reklamebeilagen warben sie mit „Teppichhaus Kaufmann ging in arischen Besitz über“. Mit diesem Wechsel verbunden war, dass der Bruder Ludwig Tuwiener, inzwischen seit 1931 in der Position des Geschäftsführers, das Geschäft verlassen musste, weil die „Arisierung“ mit der Entlassung von Juden verbunden war.

Unmittelbar auf den Verlust des Geschäfts folgte das Novemberpogrom am 9. und 10. November 1938. Das Pogrom war vom nationalsozialistischen Regime organisiert worden mit Gewaltmaßnahmen gegen Juden im gesamten Deutschen Reich. Fast alle Synagogen, noch bestehende jüdische Geschäfte und sogar Wohnungen wurden angegriffen und vielfach zerstört. Nach der bis dahin erfolgten Diskriminierung der Juden seit 1933, Entrechtung seit 1935, folgte nun die offene Phase des Terrors. Juden versuchten Deutschland zu verlassen, was sich aber als schwierig gestaltete, da kaum ein Land diese Flüchtlinge aufnehmen wollte. Das englische Parlament hatte unter dem Eindruck des 9. November beschlossen, 10.000 jüdische Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren aus Deutschland aufzunehmen. Else und Willi Tuwiener versuchten Tochter Inge in einem der organisierten „Kindertransporte“ unterzubringen. Am 16. Dezember 1938 erhielt sie beim Karlsruher Polizeipräsidium den notwendigen Reisepass für den unmittelbar bevorstehenden Transport über Holland. Tatsächlich aber fuhr sie niemals ab. Die Gründe dafür sind nicht festzustellen. Deutsche Behörden hätten keine Schwierigkeiten gemacht. Ob die Eltern im letzten Augenblick zögerten, ob Inge Tuwiener vielleicht ängstlich war oder ob es andere Ursachen waren, wird wohl für immer ungeklärt bleiben.

Überhaupt ist über Inge Tuwieners Lebensweg vor 1942 praktisch nichts feststellbar, im Vergleich zum Bruder Heinz.
Heinz Tuwiener war nach vier Jahren Volksschule 1931/32 an das Realgymnasium gewechselt. Da er nicht in den überlieferten Unterlagen des Humboldt-Realgymnasiums auftaucht, war er vermutlich auf das Goethe-Realgymnasium gegangen. Nach zwei Jahren verließ er es, die Gründe dafür sind unbekannt. Möglicherweise wurde er bereits als jüdischer Junge bedrängt, möglich wäre aber auch, dass er schulische Probleme hatte. Er besuchte noch zwei Jahre ein Internat sogar in Frankreich, ehe er die Schule nach obligatorischen acht Schuljahren beendete. Am 28. Juli 1934 war ein besonderer Tag für Heinz. Mit 13 Jahren wurde ein jüdischer Junge religionsmündig, wozu er sich zuvor in Unterrichten vorbereiten musste und was mit einem besonderen Festtag abgeschlossen wurde - der so genannten Bar Mitzwa, dass heißt das Heinz ab dem 13.ten Lebensjahr verpflichtet war, die jüdischen Gebote einzuhalten.
1936/37 war es für Juden nur noch möglich, in Betrieben anderer Juden einen Beruf zu erlernen oder zu arbeiten. Heinz begann eine Bijouterie-Lehre als Schmucksteinfasser. Ob dies seinem Wunsch entsprach oder aus der Not geboren war? Es war ein eher seltener Beruf. Dazu begab er sich mit nur 14 Jahren fort von seinen Eltern nach Pforzheim, wo die Schmuckwarenherstellung ein bedeutender Wirtschaftszweig war. In Pforzheim besuchte er auch die Goldschmiedeschule. Er blieb schließlich noch vor der Volljährigkeit (damals 21 Jahre) in Pforzheim wohnen, meldete sich offiziell um und wurde so bereits in jungen Jahren selbstständig gegenüber seinen Eltern.

Die noch dreiköpfige Familie in Karlsruhe musste aus ihrer Wohnung in der Vorholzstraße zum 1. August 1940 in die Westendstraße 1 (heute Reinhold-Frank-Straße) verziehen. Grund dafür war das am 12. April 1939 eingeführte „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“. Demnach war der Mieterschutz für Juden aufgehoben, sie mussten auf Verlangen ihre Wohnung für „arischen“ Bedarf freimachen.

Schon bevor es zur Massenvernichtung und Massendeportation kam, verstarb Willi Tuwiener am 26. November 1940. Grund für seinen frühen Tod könnten Spätfolgen der Kriegsverletzung oder eine Erkrankung gewesen sein.
Am 22. Oktober 1940 waren nahezu alle Juden aus Baden und der Saarpfalz nach dem besiegten Frankreich deportiert wurden. Sie kamen in das Internierungslager Gurs in Südfrankeich. Die Familie Tuwiener aus Karlsruhe befand sich nicht darunter. Ausgenommen von der Deportation waren nämlich zum einen nur die mit Christen verheirateten Ehepartner - was bei den Tuwieners nicht zutraf. Zum anderen wegen Transportunfähigkeit infolge Krankheit oder wenn Pflegebedürftige zu versorgen waren. Es ist davon auszugehen, dass letzteres hier zutraf, vermutlich auf Willi Tuwiener, der dann auch kurz danach verstarb. So waren Mutter Else mit Tochter Inge in Karlsruhe „zurück geblieben“.

Deportiert nach Gurs an jenem 22. Oktober 1940 hingegen wurde Sohn Heinz in Pforzheim.
Else und Inge Tuwiener blieben in der Westendstraße wohnen, versuchten sich vermutlich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Seit 1. September 1941 wurden sie gezwungen den Judenstern zu tragen.
Seit Ende 1941 gingen überall aus Deutschland planmäßige Judentransporte nach dem Osten, denn die so genannte Endlösung der Judenfrage war beschlossen worden. Juden aus Karlsruhe wurden dabei nach und nach den aus Stuttgart nach dem Osten abgehenden Transporten beigegeben. Else und Inge Tuwiener waren bei dem Deportationszug aus Stuttgart am 26. April 1942 dabei, der mit insgesamt 1.000 Menschen nach dem Transitghetto Izbica ging und dort am 29. April ankam. Danach verliert sich jede Spur von ihnen. Mit ziemlicher Sicherheit kamen sie von dort in eines der Vernichtungslager, vermutlich Belzec oder Sobibor.

Heinz Tuwiener indessen hatte die Strapazen des Lagers Gurs erfahren müssen. Dabei gehörte er zu den Jungen und Kräftigen dort. Das französische Vichy-Regime hatte als repressive Ausländer- und Antisemitismuspolitik seit September 1940 ein Gesetz zur Aufstellung von Arbeitskolonnen ausländischer Staatsbürger erlassen, die so genannten Groupes de Travailleurs Étrangers (GTE). Die internierten spanischen Bürgerkriegsflüchtlinge in Lagern wie unter anderem Gurs fielen darunter, nicht die gleichfalls internierten deutschen Juden. Jedoch konnten auch nichtfranzösische Juden dazu zwangsverpflichtet werden. Heinz Tuwiener scheint jedoch als Freiwilliger zur GTE gekommen zu sein, was zwar schwere Arbeit bedeutete, jedoch mit dem Verlassen des Lagers Gurs auch etwas mehr „Freiheit“ bedeutete. Er gehörte im Sommer 1942 zum 514.ten Arbeitskommando der GTE, das mit 200 Männern im Dorf Olliet bei Savigny im Department Haute Savoie eingesetzt war. Die rettende Schweiz lag nur 20 km entfernt. Vermutlich dürfte er Fluchtgedanken gehabt haben. Zur Umsetzung kam es nicht. Am 25/26. August 1942 ließ der Polizei-Chef der Vichy-Kollaborationsregierung, René Bousquet, in einer Razzia fast 10.000 nichtfranzösische Juden im so genannten Freien Frankreich verhaften und führte sie absprachegemäß den deutschen Dienststellen zur „Verbringung zum Arbeitseinsatz in den Osten“, zu, wie es hieß. Tatsächlich handelte es sich um die Transporte in Vernichtungslager wie insbesondere Auschwitz. Verhaftet wurde auch Heinz Tuwiener und war im Todestransport des 28. August 1942 zusammen mit 1.002 Juden nach Auschwitz. Fast alle wurden unmittelbar im Gas ermordet. 71 Menschen dieses Transports wurden noch zur Zwangsarbeit selektiert. Heinz Tuwiener war einer davon. Sein Leidensweg in Auschwitz bleibt vorerst ungeschrieben. Viele der zur Arbeit Selektierten starben schnell. Von jenem Transport des 28. August 1942 überlebten acht Männer bis zum Ende des Krieges. Sie waren noch kurz vor dem Heranrücken der Roten Armee nach Auschwitz in Evakuierungen und Todesmärschen Richtung Reich verbracht worden. Auschwitz überleben sollten insgesamt zwölf Karlsruher Juden. Heinz Tuwiener war aus dem KZ Auschwitz über das KZ Groß-Rosen am 10. Februar 1945 im KZ Buchenwald angekommen. Sein „Eingang“ ist im Lagerbuch nachgewiesen. Nicht nachgewiesen ist sein bislang vom Bundesarchiv vermuteter Tod in Buchenwald, im Gegenteil. Tatsächlich wurde er nämlich als Buchenwald-Häftling mit der Nummer 125587 registriert und in das Kleine Lager eingewiesen. Dies war ein Transitlager, um die Häftlinge in Außenkommandos der Rüstungsproduktion zuzuteilen. Vermutlich arbeitete auch Heinz Tuwiener als Arbeitssklave für die Rüstungsproduktion des untergehenden „Dritten Reiches“ und womöglich erlebte er einen der Todesmärsche vor den herannahenden Fronten der amerikanischen und sowjetischen Armee. Heinz Tuwiener überlebte und gehörte zu den Befreiten. Wie lebte er?
Sein Onkel Ludwig Tuwiener, Bruder des Vaters Willi, berichtete am 6. Juli 1946 dass der „aus dem KZ entlassene an Hand und Fuß verkrüppelte“ Heinz Tuwiener in Paris untergekommen sei. Nachforschungen deutscher Behörden im Jahre 1950 wegen der Erbberechtigung brachten den Nachweis, Heinz Tuwiener war am 14. September 1946 in Paris gestorben. Er war gerade einmal 25 Jahre geworden, Nachkommen hatte er nicht. Heinz Tuwiener wurde zum späten Opfer des nationalsozialistischen Judenmordprogramms.

Nachtrag:
Von Familie Willi Tuwiener lebte nach 1946 niemand mehr.
Die Schwester Rosa, verwitwete Kaufmann, war 1940 nach Gurs deportiert worden. Sie hatte das Glück wie wenige, dass sie im September 1941 über Marseille in die USA emigrieren konnte. Dort schloss sie ihren Sohn Hans, der bereits 1936 zu Verwandten in den USA geschickt worden war, wieder in die Arme.
Über Paul Tuwiener konnte nichts weiter mehr festgestellt werden. Ausschließen lässt sich aber, dass er ein Todesopfer der Judenverfolgung wurde.
Ludwig Tuwiener war mit einer Christin verheiratet. Während die einzige Tochter Vera 1939 mit einem Kindertransport nach England und 1940 weiter in die USA gelangte, wurde aus der 1939/40 geplanten Ausreise des Ehepaares in die USA 1939 nichts. Aber durch diese „Mischehe“ war Ludwig Tuwiener nicht unter den Deportierten von 1940. Er überlebte den Krieg, versuchte zunächst nach 1945 in Karlsruhe wieder Fuß zu fassen. Ein Leben in seiner „Heimatstadt“ aber war nicht mehr möglich. Er verließ Deutschland und kam am 2. Oktober 1947 in New York an. Es stand ihm eine kümmerliche Existenz mit Hilfsarbeiten bevor.
Das ehemalige Teppichgeschäftshaus fiel dem Luftkrieg zum Opfer. Die „Ariseure“ von 1938 versuchten es neu aufzubauen. Das Restitutionsverfahren legte fest, dass sie gegenüber der Kaufsumme von 1938 noch 4.500,- DM entsprechend 22.500,- RM nachzuzahlen hatten.

(Daniele Musso, Lessing-Gymnasium 12. Klasse, Oktober 2013)


Quellen und Literatur:
Generallandesarchiv Karlsruhe: 233/37098, 237/Zug. 1967-19/867, 1857; 330/624 und 1201-1206; 480/7950, 508-2/2010;
Staatsarchiv Ludwigsburg: EL 402/13 Bü 694;
Stadtarchiv Karlsruhe: 1/AEST/32, 36, 1238, 1239; 1/H-Reg. 1489; 6/BZA 13353-13355; 8/StS 34/137;
Israelitisches Gemeindeblatt, Ausgabe B vom 18.6.1934;
Angabe zu GTE: Mitteilung Frau Fivaz-Silvermann;
Josef Werner, Hakenkreuz und Judenstern, S. 26, S. 387f;