Halpern, Fanny

Nachname: Halpern
Vorname: Fanny
abweichender Name: Brief
Geburtsdatum: 4. Juni 1908
Geburtsort: Karlsruhe (Deutschland)
Familienstand: ledig
Eltern: Jakob und Rachel (gest. 1931) H.
Familie: Schwester von Bertold (14.11.1923-22.3.1924), Camill, Rose, Erna, Ester Mauzer geb. H. und Fanny
Adresse:
Kronenstr. 53,
Zähringerstr. 30, 1939 nach Fürth,
Kronenstr. 44,
Markgrafenstr. 17,
Schwanenstr. [ehemalige Straße im "Dörfle", nicht mehr existent] 13,
Kronenstr. 27,
Fasanenstr. 35,
Brunnenstr./Am Künstlerhaus (Durlacher Str.; Durlachertorstraße) 67,
Klauprechtstr. 21, 1939 nach Fürth
Beruf:
Verkäuferin bei Hermann Tietz
Deportation:
24.3.1941 von Nürnberg nach Izbica (Polen)

Biographie

Jakob, Camill, Erna und Fanny Halpern (Brief)

1905 wanderte die junge Familie Brief aus dem österreichisch-ungarischen Galizien nach Karlsruhe zu: Jakob Wolf Brief, Anfang 30, seine Frau Rachel, Mitte 20, und die kaum zweijährige Tochter Erna. Rachel war die Tochter eines Religionslehrers, Analphabetin und vor der Ehe „in Stellung“ als Köchin gewesen. Ihr Mann konnte etwas lesen und schreiben und übte als „ambulanter Händler“ (Hausierer) den wenig angesehenen Beruf seines Vaters aus.
Die drei kamen aus dem „Schtetl“, wo berufliche Perspektivlosigkeit, Hunger, Kindersterblichkeit und Rassismus allgegenwärtig und sozialistische, zionistische und aufgeklärt religiöse Ideen bereits im Schwange waren.
Etwa 1902 – Jakob Halpern musste dies aus dem jüdischen Kalender umrechnen – hatten die beiden nach rabbinischem Brauch in der alten Heimat geheiratet. Jakob und Rachel hatten wohl (wie üblich) den elterlichen Haushalt der Frau verlassen; Karlsruhe mag zunächst Anlaufstelle bei Verwandten, dann erster eigener Hausstand gewesen sein. Am 2. Oktober 1905 erfolgte die amtliche Anmeldung in Karlsruhe. Die Migration aus Österreich-Ungarn nach Deutschland war häufiger und im Allgemeinen leichter als etwa aus Russland. Deutschland galt oft als Sprungbrett zum idealen Migrationsziel USA, wenn es an finanziellen Möglichkeiten mangelte.
Die Familie war bei ihrer Ankunft in Karlsruhe, vermutlich ohne sie zu fragen, bei der liberalen" Israelitischen Religionsgemeinschaft registriert worden. Das Religionsleben dieser Gemeinde mit der Synagoge in der Kronenstraße entsprach aber nicht ihren frommen Religionsvorstellungen. So traten Jakob Wolf und seine Frau Rachel mit den Kindern Mina und Camill 1925 auch amtlich zur neo-orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft mit der Synagoge in der Karl-Friedrich-Straße über. Die meisten Familien osteuropäischer Herkunft fanden dort Anschluss. Wie üblich war der Familienvater auch in einer wohltätigen Vereinigung engagiert, dem rmenunterstützungsverein Malbisch Arumim."


Herkunft
Jakob Wolf Brief (amtlich: Halpern) wurde am 9. Juli 1872 in Mikulince, Bezirk Tarnopol, Österreich-Ungarn geboren. Viel ist nicht über seine Jugend bekannt; wegen seiner schwachen Konstitution musste er nicht zum Militär. Der Name Halpern ist sprachgeschichtlich auf Heilbronn(er) zurück zu führen.
Seine Eltern, Abraham Michael Brief und Fanny Jette Halpern, zuletzt im nahe gelegenen Leszniow, Kreis Trembowla, wohnhaft, waren beide 1915 nicht mehr am Leben. Da rabbinisch, nicht standesamtlich, verheiratet, wurde Jakob von den deutschen Behörden unter dem Mutternamen Halpern geführt.
Jakobs Ehefrau Rachel, geborene Mozer (amtlich: Strassberg) wurde am 21. Januar 1879 in Budzanow, Kreis Trembowla geboren. Ihr Vater hieß Abraham Dawid Mozer und lebte dort noch 1931, ihre Mutter Ester Ruchel (auch Ruchla oder Rachel) Strassberg war 1915 bereits verstorben. Sechs Geschwister sind belegt: Lipa (geboren 1880, im Alter von sieben Wochen 1881 gestorben), Machle (1882); ein Bruder, Salmen (1885), dann 1887 die Zwillinge Blima (gestorben 1889 mit zwei Jahren, einem Monat, zwölf Tagen) und Sara Lea (gestorben 1887 im Alter von zwei Monaten, fünf Tagen) und zuletzt Szeindla (1888).
Der ebenfalls aus Budzanow gebürtige Theaterpädagoge und Lehrer von Marilyn Monroe, Lee Strasberg (geboren 1901, in die USA 1909, gestorben 1982) hieß ursprünglich Israel Strassberg und wird vermutlich ein Verwandter gewesen sein.

Leben in Karlsruhe
Die Karlsruher Adressbücher führen Jakob 1907 auf als „Reisender“ ( also Vertreter oder Hausierer in irgendwelchen Waren) und „Kolporteur“ (ein Hausierer mit Zeitungsabonnements u.a.), ab 1909 als „Handelsmann“ oder „Händler“, was damals für Altwarenhändler oder Trödler stand. Es ging dabei in der Regel um den ambulanten Aufkauf von Kleidern und Wäsche, Altgold, kleinen Altertümern u.ä. In der Hierarchie des Gewerbes standen die Hausierer und Aufkäufer unten, die Ladenpächter oder gar -besitzer weiter oben.
1907 bis 1908 wohnte die Familie im Hinterhof der Kronenstraße 53, im 1. Obergeschoss.
Die zweite Tochter Fanny wurde am 4. Juni 1908 in Karlsruhe geboren.
Um 1909 zog die Familie in die Wohnung Zähringerstraße 30, in das Erdgeschoss des Hinterhauses, 1910 in die Kronenstraße 44, in das 2. Obergeschoss zur Straße.
Die dritte Tochter Rosa (auch Rose genannt) wurde hier am 24. Oktober 1910 geboren.
Um 1911 war die Meldeadresse Markgrafenstraße 17, ca. 1912 bis 1914 Schwanenstraße 13.
Die vierte Tochter Mina kam am 14. Januar 1914 zur Welt.
Die häufigen Umzüge innerhalb des „Dörfles“, der Karlsruher Altstadt, erscheinen als Zeichen für die unsichere berufliche Stellung. 1914/1915 wohnte die Familie in der Kronenstraße 27, etwa vom Sommer 1915 bis etwa zum Januar 1922 in der Fasanenstraße 35.
Am 22. Juni 1915 holten Jakob und Rachel im Karlsruher Rathaus die standesamtliche Eheschließung nach. Dadurch hießen die Kinder Halpern; der Vater erscheint in den Akten als „Halpern, genannt Brief“.
Camill, der einzige Sohn, wurde am 14. November 1918 in Karlsruhe geboren.
Als Nesthäkchen kam Sohn Bertold am 14. März 1923 zur Welt. Er wurde nur vier Monate alt und verstarb im St. Vincentius-Krankenhaus am 22. März 1924.
Sein Vater bemühte sich Ende 1921 um die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Protokoll gab er (magere) 15.000 RM Jahreseinkommen und ebensoviel Warenbestand an. In den Akten wird die „galizische Aussprache“ der Kinder erwähnt. Naheliegend, dass im Haus Jiddisch und nur etwa in Geschäft und Schule Deutsch gesprochen wurde. Ein als Leumund befragter Nachbar aus der Fasanenstraße schilderte Jakob zwar als „anständig“ und „fleißig“, sagte aber aus: „Ein guter deutscher Staatsbürger wird er wegen seines galizischen Wesens nie werden.“. Im Januar 1922 wurde der Einbürgerungsantrag abgelehnt. Begründung: das Einkommen genüge nicht, um die Familie zu ernähren. Dabei hatten die Halperns keine Leistungen von der Fürsorge beantragt.
Zum 15. Januar 1922 trat Erna nach neun Klassen Töchterschule in Karlsruhe eine Dienstmädchenstelle vermutlich in Frankfurt a.M. an; später arbeitete sie als Stenotypistin.
Im gleichen Jahr bezog die Familie eine Wohnung in der Durlacher Straße 67 im 2. Obergeschoss; bald war Jakob Hauseigentümer dieses Gebäudes von einfacher Bausubstanz.
Um 1923 verließ auch Fanny die Töchterschule und wurde Verkäuferin, u.a. beim Kaufhaus Hermann Tietz in der Kaiserstraße.
1924 bis 1926 ist unter Jakobs Namen das „An- und Verkaufgeschäft“ in der Zähringer Straße 28 belegt, offenbar war er Kompagnon oder Pächter im dortigen Geschäft von Maier Fridenberg (gestorben 1927).
Um 1926 beendete Rosa die Schule und wurde ebenfalls Stenotypistin.
1928 verließ die jüngste Tochter Mina die Volksschule und begann im April eine Lehre als Kontoristin bei den Atlan-Werken Artur Heder in der Hohenzollernstraße 1, wo sie bis September 1931 blieb.
Etwa 1927 bis Ende 1932 firmierte Jakob mit einem eigenen „Trödlergeschäft“ im (eigenen) Hause Durlacher Str. 67 im Parterre. Das Geschäft erlebte ab Mitte der 1920er Jahre einen gewissen Aufschwung. Jakobs Frau Rachel trug darin offenbar die Hauptlast. In ihrer späteren Krankenakte wird sie zitiert, Kunden, die ihr etwas verkaufen wollten, hätten gedroht: „Wart Jud, ich krieg dich“.
Anfang 1931 erkrankte die Mutter und wurde am 28. Januar 1931 in die „Heil- und Pflegeanstalt“ Illenau (Achern) eingeliefert, wo sie am 30. Januar unerwartet verstarb. Die Angehörigen veranlassten die Überführung nach Karlsruhe und die rituelle Waschung durch die Chewra Kadischa.
Etwa 1932/33 beendete Camill die 8-jährige Volksschule und startete eine Lehre im Karlsruher Warenhaus Knopf als Dekorateur. Seine Schwester Mina war ab Februar 1932 Hilfsarbeiterin im Stofflager bei Firma Blicker Herrenmäntel, Brauerstraße 8, bis August 1935.
1933 bis 1939 wohnte die Familie in der Klauprechtstraße 21 zur Miete, das „Trödlergeschäft“ war dort ebenfalls, im Hof.
Mina wechselte Mai 1936 zur „nichtarischen“ Firma Spiegel und Wels Nachf., Herren- und Knabenbekleidung, Kaiserstraße 166. Ihr Bruder Camill zog, wohl im selben Jahr, nach Mannheim und arbeitete im Konfektionsgeschäft Wronker. Sein letzter Wohnsitz war T6, 25. Von Mannheim aus wurde er am 27. Oktober 1938 wie Tausende andere, die die Nationalsozialisten als „polnische Juden“ bezeichneten nach Polen ausgewiesen, dort aber zunächst auch nicht ins Land gelassen.
Aus Verbitterung darüber, dass seine ebenso verschleppte Familie im deutsch-polnischen Niemandsland feststeckte, verübte bekanntlich Herschel Grynszpan am 7. November 1938 das Attentat auf den deutschen Legationsrat Ernst vom Rath in Paris. Die Nazis initiierten darauf hin das längst vorbereitete Novemberpogrom vom 9./10. November 1938, legten millionenschwere „Sühne“-Auflagen fest und schlossen Juden verschärft vom Wirtschaftsleben aus.
Mina verlor ihre Arbeitsstelle am 15. November 1938, vielleicht wegen der Zerstörung des Geschäfts, und war neun Monate arbeitslos.
Im September 1939 zog Jakob Halpern mit seinen Töchtern Erna und Fanny über Backnang ins fränkische Fürth, wo der Zuzug am 18. September 1939 belegt ist. Die beiden Frauen mussten dort in einer Rüstungsfabrik arbeiten, ihr Vater kam zunächst ins Fürther Jüdische Krankenhaus, Theaterstraße 36.
Jüdische Hilfsorganisationen spielten sicher eine Rolle dabei, dass den zwei jüngeren Schwestern die Auswanderung gelang. Mina hatte 1939 über eine Freundin das Angebot, im englischen Bradford als Kindermädchen zu arbeiten, erhalten und emigrierte am 27. Juli 1939; ihr letzter Wohnsitz war Klauprechtstraße 21. Wohl im selben Jahr wanderte Rosa ins britische Mandatsgebiet Palästina aus, ohne dass sich die näheren Umstände rekonstruieren lassen. Ihre letzte deutsche Adresse war Regensburg, Weißenburgstraße.

Verfolgung und Tod
1941 erhielt Rosa in England noch eine letzte Nachricht von ihrem Bruder aus dem galizischen Tarnopol. Tarnopol war nach Auflösung Österreich-Ungarns, obwohl östlich der gedachten Curzon-Linie gelegen, 1919 an Polen gefallen; gemäß dem „Hitler-Stalin-Abkommen“ von 1939 rückte im Oktober 1939 die Rote Armee in diese Landstriche ein, nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde diese okkupierte Region dem „Generalgouvernement“ einverleibt. Das legt die Vermutung nahe, dass Camill nach seiner Deportation im Oktober 1938 nach Polen noch im selben Jahr oder Anfang 1939 zu Verwandten gekommen war. Weiteres wissen wir nicht. Vielleicht gehörte Camill zu den Opfern, die gleich bei der Einnahme durch die deutsche Wehrmacht im Sommer 1941 von Angehörigen der Einsatzgruppe C oder einheimischen Kollaborateuren erschossen wurde, vielleicht musste er aber noch in ein Arbeitslager.
Eine andere Möglichkeit muss zumindest als Möglichkeit in Betracht gezogen werden – auch wenn damit die ursächliche antisemitische Verfolgung und Verantwortung des Deutschen Reiches nicht zu relativieren ist: Unmittelbar nach dem deutschen Überfall am 22. Juni 1941 kam es in der Ukraine zu Massenerschießungen durch den sowjetischen NKWD (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten – Innengeheimpolizei) gegen diejenigen, denen antisowjetisches Handeln vorgeworfen wurde; wenn auch nicht direkt antisemitisch motiviert, so befanden sich unter den Erschossenen doch zahlreiche Juden.
Die meisten jüdischen BürgerInnen Galiziens bzw. des „Generalgouvernements“ wurden jedoch im Laufe des Jahres 1942 systematisch ermordet; aus dem Raum Tarnopol gingen vor allem im August 1942 Transporte mit wöchentlich 10.000 Menschen in das Vernichtungslager Belzec. Hierbei wurde ihnen nicht mehr die „Umsiedlung“ vorgegaukelt, sondern sie wurden mit Waffengewalt aus den Häusern getrieben.

Erna und Fanny wurden am 22./23. März 1942 von Fürth nach Nürnberg-Langwasser gebracht und vom dortigen Bahnhof am 24. März nach dem Ghetto Izbica bei Lublin deportiert. Ihr letzter Aufenthaltsort war mit dem Vater in einer so genannten Judenwohnung in Fürth, Julienstraße 1. In den Meldeunterlagen von Fanny heißt es lapidar: „Abgewandert“. Aus diesem Transport sind keine Überlebenden bekannt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie in einem der nahegelegenen Vernichtungslager, Belzec oder Sobibor, umkamen.
Der Vater musste Fürth am 10. September 1942 verlassen und wurde unter der Nummer 582 im Transport II/25 am 11. September 1942 von Nürnberg nach Theresienstadt (Terezin) deportiert, mit insgesamt 1.000 Personen. Theresienstadt blieb nur eine Zwischenstation. Unter Nr. 430 ist er auf der Transportliste „Bs“ vermerkt, welcher Transport am 29. September 1942 von Theresienstadt in das Vernichtungslager Treblinka führte.
Im Entschädigungsverfahren nach 1945 wurde dieser Transport „Bs“ irrtümlich als nach Maly Trostenez führend angegeben, also nach einem Ghetto in Weißrussland, wo 1942 Massenerschießungen verübt wurden. Dabei muss es sich um eine Verwechslung handeln, denn die „ordentlich“ geführten Listen der NS-Exekutoren vermerken die Maly-Trostenez-Transporte unter anderen Nummern und Abfahrtsdaten.
Jakob Halpern wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Treblinka ermordet.

(Christoph Kalisch, Mai 2005)