Wertheimer, Ernst
Nachname: | Wertheimer |
---|---|
Vorname: | Ernst |
Geburtsdatum: | 5. September 1925 |
Geburtsort: | Karlsruhe (Deutschland) |
Familienstand: | ledig |
Eltern: | Semy und Cäcilie, geb. Baer, W. |
Familie: | Bruder von Gretel und Ilse |
ab 1935: Kaiserallee 25, 1937 nach Frankfurt a.M. verzogen
über Izbica nach Majdanek (Polen)
Biographie
Ernst Wertheimer
„Wir wurden erzogen, wie es in unserer Umwelt üblich war, zu rechten, gerechten und anständigen Menschen – aber immer mit der Betonung, dass wir uns als Juden noch besser zu benehmen hätten“ (Ilse Franck, geb. Wertheimer)
Ernst Wertheimer ist einer der eintausend Karlsruher jüdischer Herkunft, die der Schoah zum Opfer fielen. Er starb im Alter von 16 Jahren.
Seinem jungen Leben wurde am 7. August 1942 in Majdanek ein gewaltsames Ende gesetzt, einen Tag bevor seine Mutter in ein Vernichtungslager deportiert wurde, wo auch sie den Tod fand.
Ein solches Verbrechen ist nicht zu sühnen, vielmehr muss es uns bis an das Ende der Tage Mahnung vor dem Bösen aus unserer Mitte sein.
Begonnen hatte Ernsts Leben am 5. September 1925 noch unter verheißungsvollen Vorzeichen: Geboren als jüngstes Kind und einziger Sohn des selbstständigen, jüdischen Kaufmannes Semy Wertheimer und seiner jüdischen Ehefrau Cäcilie Bär, stand ihm eine behütete Kindheit, frei von finanziellen Entbehrungen bevor.
Die ursprünglich in Elsass-Lothringen lebende Familie Wertheimer hatte nach dem I. Weltkrieg im Jahre 1920 mit dem nun französischen Metz sowohl Heimat als auch den Sitz des väterlichen Betriebes in Richtung Karlsruhe verlassen.
Vater Semy Wertheimer, der 1877 in Kippenheim an der Lahr geboren worden war, hatte dort mit seiner vier Jahre jüngeren Ehefrau Cäcilie Bär eine Familie gegründet und war dann der besseren beruflichen Aussicht wegen in das 1871 annektierte Reichsland Elsass-Lothringen gegangen. Die erste Tochter Gretel kam im Jahre 1912 in Metz zur Welt. Ebenso hatte er sich eine selbstständige berufliche Existenz als Vertreiber chemisch–technischer Bergwerks- und Hüttenprodukte aufgebaut.
Trotz aller Widrigkeiten war es der Familie Wertheimer gelungen, in Karlsruhe schnell wieder in die Normalität einer gesicherten bürgerlichen Existenz zurückzufinden. Das Familienunternehmen hatte den Standortwechsel gut überstanden, wie die breite Produktpalette oder der eigene Gleisanschluss des Betriebes belegen. Ebenfalls im Jahre 1920 wurde die zweite Tochter Ilse geboren und 1924 zog die Familie in die Südliche Hildapromenade 5.
Da Ernsts Eltern, wie man der Korrespondenz seiner Schwester Ilse Wertheimer entnehmen kann, assimilierte Juden waren, darf man davon ausgehen, dass das Elternhaus, abgesehen von religiösen und kultischen Eigenheiten, einem zeitgenössischen gutbürgerlichen Haushalt entsprach. Dies galt ebenso für die frühe Kindheit von Ernst.
Cäcilie Wertheimer war nicht berufstätig, leitete den Hausstand und war für die Erziehung der Kinder verantwortlich, daneben betätigte sie sich auch in dem jüdischen Wohltätigkeitsverein der Tachrichim-Kasse.
Auch hier zeigt sich der Geist der Zeit: Während Ernst auf die Übernahme des väterlichen Betriebes hinerzogen und ausgebildet wurde, wurden seine Schwestern auf ihre zukünftige Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet.
Als Erziehungsideal stand der Anspruch der Eltern, ihre Kinder zu rechten und anständigen Menschen, ja zu anständigeren und rechteren, zu erziehen, allem voran.
Mit welch bitterem Hohn das Schicksal diesem Wunsch nachkommen sollte, war damals noch nicht abzusehen.
Die unbeschwerte Kindheit von Ernst endete mit seiner Einschulung in die Pestalozzi-Schule (in der Ständehausstraße, sie steht heute nicht mehr) im Jahre 1932, zu einem Zeitpunkt, an dem die Zeichen der Zeit schon auf Sturm standen. Von den Reaktionen und Gedanken der Wertheimer zur nationalsozialistischen Machtergreifung ist nichts überliefert, doch Ernst wird sie nur undeutlich wahrgenommen haben. Als er im Jahre 1936 seine Volksschulzeit mit dem Wechsel auf eine höhere Schule beschließen will, beginnt die Rassendiskriminierung des Nationalsozialismus auch im Bildungsbereich zu greifen: Letztlich wird Ernst die Genehmigung zum Besuch des öffentlichen Bismarck-Gymnasiums nur durch die Tatsache der Teilnahme des Vaters am I. Weltkrieg ermöglicht.
In diesen Zeitraum fällt auch der Umzug der Familie aus dem eigenen Haus in der Hildapromenade in die Kaiserallee 25 b. Ob dies mit einer Arisierung des väterlichen Betriebes zusammenhängt, ist nicht eindeutig belegbar, liegt jedoch im Bereich des Möglichen, da in den Wiedergutmachungsakten „eine Hinderung am beruflichen Fortkommen“ vermerkt ist.
Ernst wird nur ein Schuljahr lang am Bismarck-Gymnasium lernen, bis ihm der Besuch schließlich untersagt wird. In diesem Zeitraum bewährt er sich, wie in seiner gesamten Schulzeit, als sehr guter Schüler; seine Noten sind durchweg gut und die mündliche Bewertung beschreibt ihn als „(…) geistig geweckt und rege, (…) Führung gut, strebsam und ehrgeizig, (…) den anderen Jungen intellektmäßig voraus“.
Durch die sich immer weiter verschärfende Situation kamen die älteren Töchter zu dem Entschluss, Deutschland zu verlassen und nach Palästina zu emigrieren, Gretel verließ Deutschland schon 1936 in Richtung Nahem Osten. Obgleich die Eltern scheinbar keine Anstrengungen zeigten, zu fliehen, begann Ernst 1937 auch mit der Vorbereitung seiner Auswanderung in einem hessischen Ausbildungslager. Dies führte allerdings zu nichts, da er als Jugendlicher und deutscher Staatsangehöriger den zahlreichen staatenlosen Juden aus der zionistischen Vereinigung hinten angestellt wurde und er so keine unmittelbare Möglichkeit zur Emigration erhielt. Nach Ilses Flucht noch im selben Jahr blieben nur Ernst und die Eltern im Deutschen Reich zurück.
Ilse Wertheimer findet nachträglich eine Erklärung für das eigentlich unverständliche Verhalten der Eltern: „Echte Größe und Selbstlosigkeit bewiesen sie (…) darin, dass sie zuerst ihre Kinder zur Auswanderung brachten, um sie zu retten, und sie als letzte blieben und nicht mehr gerettet werden konnten.“
Ernst missfiel außerdem die größtenteils landwirtschaftliche Ausbildung und er hatte schon länger den Wunsch gehegt, das Philantropin in Frankfurt am Main zu besuchen.
Das Philantropin war die europaweit bekannte Schule der jüdischen Gemeinde in Frankfurt und genoss einen ausgezeichneten Ruf durch ihre vorbildliche Lehrtätigkeit sowie ihren Beitrag zur Assimilation weiter Teile des deutschen und europäischen Judentums. Die 1804 gegründete höhere Schule war bis zur Machtergreifung sowohl Juden als auch Christen zugänglich und kennzeichnete sich bis zu ihrer endgültigen Schließung im Jahre 1942 mit dem Wahlspruch „ Für Aufklärung und Humanität“.
Doch auch diese Insel in mitten eines tosenden Meeres von ausgelebtem Antisemitismus wurde immer stärker bedrängt, bis es schließlich in Folge der „Reichskristallnacht“ fast zum Erliegen der Lehr- und Lerntätigkeit kam:
Ein Großteil der Lehrer und Schüler wurde in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und auch nach ihrer Entlassung konnte der normale Schulbetrieb kaum mehr aufgenommen werden.
Für Ernst bedeutete dies das Ende seiner Schulzeit, denn er wird als Jude nun, 1939, zum Straßenkehren und anderen Zwangsarbeiten verpflichtet.
Nach dem Entschluss zur „Endlösung der Judenfrage“ wurde Ernst Wertheimer zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt in das Vernichtungslager Majdanek im besetzten Polen verschleppt.
Am 7. August 1942 sei der Häftling 7904 D an Typhus verstorben, heißt es in der Todesmeldung.
Auch wenn ich aufgrund der Quellenlage Ilse Wertheimers Wunsch nach einer Biografie, die „wirklich ein Bild von dem Verstorbenen geben soll, und Anhalt, der die völlig fremden Menschen, die das [Gedenk-] Buch einmal in die Hand nehmen, interessieren kann“, kaum gerecht werden kann, so möchte ich doch an den jungen Mann Ernst Wertheimer erinnern, der verfolgt, gedemütigt und ermordet wurde, möchte, dass man sich seines Schicksals erinnert, des Schicksals eines aus unserer Mitte.
(Nikolai Miotk, 12. Klasse Bismarck-Gymnasium, April 2005)