Wolf, Siegfried Süßmann
Nachname: | Wolf |
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Vorname: | Siegfried Süßmann |
Geburtsdatum: | 21. Juli 1913 |
Geburtsort: | Karlsruhe (Deutschland) |
Familienstand: | ledig |
Eltern: | Louis und Johanna W. |
Kaiserstr. 111,
Beiertheimer Allee 5
Biographie
Im Andenken an Louis Wolf und seinen Sohn Siegfried Süßmann
Der Ursprung der Familie Wolf liegt in Königsbach(-Stein) bei Pforzheim. 1699 hatte der badische Markgraf Friedrich Magnus einigen jüdischen Familien die Niederlassung in Baden-Durlach gestattet. Darunter auch drei in Königsbach. Zu jener Zeit hatte sich der Markgraf die Grundherrschaftsrechte im Ort noch mit den Freiherren von Saint André zu teilen, die ihrerseits bereits ein Dutzend jüdischen Familien den Schutzbürgerstatus gewährt hatten. So gab es in Königsbach eine lange jüdische Tradition, noch im 19. Jahrhundert waren 8 - 10 % der Bevölkerung Juden. Ein großer Teil von ihnen war im Viehhandel tätig, so auch die Familie Wolf, deren erster Vertreter im Ort, Moises Wolf, erstmals 1799 genannt wird.
Dessen Enkel war Salomon Wolf, der Frieda, geborene Steinem, heiratete, die Eltern von Louis Wolf, welchen wir zusammen mit seinem Sohn Siegfried Süßmann in dieser Biographie als Opfer der Judenverfolgung in Karlsruhe beschreiben.
Salomon und Frieda Wolf hatten insgesamt 12 Kinder:
● Hermine (2.8.1881-1915), in die USA ausgewandert, 1908 in New York verh. Eppstein
● Louis (14.12.1882 - 1942 Auschwitz), verwitwet
● Hedwig (30.10.1884 - 18.10.1918), unverheiratet
● Fanni (12.10.1886 - 18.12.1940 Gurs), unverheiratet
● Wilhelm (8.4.1889 - 15.12.1940 Gurs), unverheiratet
● Lippmann (21.5.1891 - 1953), verh., in die USA emigriert
● Moses (16.12.1891 - 6.6.1898)
● Joseph (6.12.1894 - 5.10.1979), 1938 emigriert, 1947 in die USA
● Sara (24.12.1895 - 24.2.1896)
● Karoline (11.4.1897 - 15.11.1898)
● Rosa (29.7.1898 - 8.7.1897)
● Lina (19.2.1900 - ?), verh. mit Max Maier, wohnhaft in Durlach Hauptstr. 83, 1938 in die USA emigriert
Louis Wolf wurde am 14. Dezember 1882 in Königsbach geboren. Louis Wolf zog schon im frühen Erwachsenenalter nach Karlsruhe, wo er am 7. Oktober 1912 sein Bekleidungsgeschäft „Hansa“ in das Handelsregister eintragen ließ. Er führte das Unternehmen vom Beginn bis zum Ende als alleiniger Inhaber. Dieses Geschäft für Herren- und Knabenbekleidung befand sich in der Kaiserstraße 50, der Hauptgeschäftsstraße in Karlsruhe und war sehr erfolgreich. Zwischen den Jahren 1930 bis 1932 wurde der Reingewinn auf jährlich 30.000 - 50 000 Reichsmark geschätzt. Das Haus an der nördlichen Ecke zur Adlerstraße steht heute noch; die Geschäftsräume hatten seinerzeit das ganze Erdgeschoss ausgemacht.
Über Louis Wolfs religiöses Leben gibt es keine Aufzeichnungen. Sein Engagement in den jüdischen Wohlfahrtsvereinen „Israelitischer Männerkrankenverein“ und „Malbisch Arumin“, sowie im „Verein Friedrichsheim Gailingen“, der das jüdische Altersheim dort am Hochrhein betrieb, belegen, dass er in der jüdischen Gemeinde aktiv eingebunden war.
Am 17. Oktober 1912 heiratete er seine Frau Johanna, geborene Grombacher, in ihrer Heimatstadt Obergimpern, wobei die Brüder der Braut als Brautzeugen dienten.
Johanna Wolf wurde am 25. Juni 1887 in Obergimpern als Tochter des Handelsmanns Süßmann Grombacher und dessen Frau Sophie geboren. Johanna Wolf ging keiner Berufstätigkeit nach und gehörte, so wie ihr Mann Louis, der jüdischen Religion an.
Das Ehepaar hatte zunächst seinen Wohnsitz in der Kaiserstraße 50, zog dann um nach Nummer 111, wo sich heute die Santander Bank Karlsruhe und ein Indisches Restaurant befinden. Einige Jahre später zog die Familie Wolf in die Beiertheimer Allee 5. Die Wohnhäuser und die ruhige Südweststadt weisen darauf hin, dass Familie Wolf es zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte.
Am 21. Juli 1913 gebar Johanna Wolf ihren einzigen Sohn Siegfried Süssman Wolf.
Siegfried Süßmann, der außerhalb der Familie immer Siegfried gerufen wurde, besuchte bis 1924 die Seminarschule, eine kleine Volksschule beim Lehrerseminar an der Bismarckstraße (heute PH Karlsruhe), dann wechselte er mit Schuljahresbeginn am 1. Mai 1924 auf das Humboldt-Realgymnasium (heute Gebäude der Ludwig-Erhard-Schule). In der Sexta b mit 34 Schülern gab es außer ihm noch einen weiteren jüdischen Jungen. Im Laufe des Schuljahres zeigten sich seine Leistungen im mittelmäßigen Bereich. Eine besondere Begabung wies er im Fach Sport auf, so dass später sogar im Notenbuch vermerkt wurde, dass er dem Sportlehrer in dessen Unterricht assistierte. Ob Siegfried eventuell in einem Sportverein aktiv war, beim jüdischen TCK 03 oder einem der traditionellen Karlsruher Sportvereine? Im Gegensatz zum Fach Sport war er von Anfang an in Französisch schlecht, dies setzt sich auch in den weiteren Klassen fort. Er machte keine Fortschritte und rutschte in den schulischen Leistungen weiter ab. In der Quarta b (der 7. Klasse nach dem heutigen System) war er der 24. von 31 Schülern, unter anderen auch wegen seiner schlechten Zensuren in Französisch und Deutsch. Verbesserte er sich in einem Fach, ging es in einem anderen herunter. Vermutlich bedeutete Schule für ihn eine Qual. Als Siegfried in der Untertertia b (8. Klasse) im nun zusätzlich eingeführten Fach Latein durchgehend mit „Fünfern“ abschnitt, verließ er die Schule mit Ablauf des Schuljahres. Da war er fast 15 Jahre alt, die vorgeschriebene achtjährige Schulausbildung hatte er absolviert und somit den Volksschulabschluss erreicht. Nach der Ausbildung arbeitete er einige Jahre als kaufmännischer Angestellter. Näheres war nicht festzustellen.
Am 5. März 1934 ging Siegfried Süßmann in die Niederlande. Ob dies bereits eine Emigration wegen der Machtübernahme der Nationalsozialisten war oder ob sich ihm vielleicht eher eine besondere Karriere dort anbot? Der Antisemitismus der Machthaber war in der Boykottaktion April 1933 offensichtlich geworden. Auch das väterliche Geschäft war davon betroffen, wie alle jüdischen Geschäfte in der Kaiserstraße. Der Umsatz jüdischer Geschäftsinhaber ging deutlich zurück, weil die nichtjüdischen Käufer entweder der antisemitischen Ideologie folgten oder von den permanenten Aufrufen „Kauft nicht beim Juden“ eingeschüchtert waren. Siegfried Süßmann Wolf lebte mit behördlicher Aufenthaltsgenehmigung in Amsterdam in der Beethovenstraat 16. Hier lernte er auch eine andere Emigrantin aus Deutschland kennen, die in Köln am 3. Oktober 1918 geborene Johanna Neugarten. Diese heiratete er später..
Am 25. November 1936 verstarb die Ehefrau von Louis und Mutter von Siegfried Süßmann Wolf Johanna Wolf im Alter von nur 48 Jahren. Die Traueranzeige im Israelischen Gemeindeblatt lässt erahnen, wie niedergedrückt Louis Wolf und die Verwandten waren. Vermutlich war es eine innige und glückliche Ehe gewesen.
Nach dem Tod seiner Frau zog die Tochter von deren Schwester, die verwitwete Betty Brückheimer mit ihrer eigenen Tochter Margot, nach Karlsruhe zu ihm in die Wohnung. Betty Brückheimer besorgte ihm den Haushalt.
Die Einnahmen des Bekleidungsgeschäfts von Louis Wolf, das er seit 1937 nicht mehr unter dem Namen „Hansa“ führte, sondern als „Louis Wolf“, waren seit 1933 stetig zurückgegangen. Dem dauernden Druck zur „Arisierung“, das heißt Aufgabe eines jüdischen Unternehmens und mögliche Übergabe in „arische Hand“ hielt er nicht mehr stand. Die nichtjüdischen Herrenausstattungseinzelhändler hätten offensichtlich gerne das Schließen eines Konkurrenten gesehen. Aber ein Herrenausstatter von außerhalb, die Firma Hettlage GmbH aus Kassel hatte Interesse, das Geschäft von Wolf zu übernehmen. Die Verhandlungen und die Überwachung des „Arisierungsvorgangs“ durch das badische Finanz- und Wirtschaftsministerium zogen sich im Sommer 1938 hin. Zum 1. Oktober 1938 übernahm Hettlage das Geschäft von Louis Wolf, die Geschäftsräume mit kompletter Einrichtung, Büro und Lager, welches Louis Wolf selbst nur gemietet hatte. Der Kaufpreis betrug 38.000,- RM. Dieser beträchtliche Betrag weist nochmals auf den bedeutenden Umfang des Geschäftes hin. Zum Schluss waren immer noch zwei Angestellte beschäftigt gewesen. Einer davon war jüdischen Glaubens. Seine Entlassung zum 1. Oktober 1938 war Gegenstand des Kaufvertrages. Dennoch war der Kaufpreis zu niedrig angesetzt, im Restitutionsverfahren nach 1945 wurde gerichtlich eine ausgleichende Nachzahlung festgelegt.
Louis Wolf wurde am Morgen nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 wie viele andere jüdische Männer festgenommen und am Abend des 10. November nach Dachau deportiert, wo er einen Tag später registriert wurde. Die Nationalsozialisten wollten mit dieser „Schutzhaft“ im Konzentrationslager die Furcht und den Schrecken nach dem Judenpogrom steigern, um sie zum massenhaften Verlassen Deutschlands zu zwingen. Diejenigen, die ihre geplante Auswanderung nachwiesen, kamen früher aus Dachau wieder heraus. Wenn nicht bereits zuvor, spätestens in Dachau beschloss Louis Wolf zu seinem Sohn in die Niederlande auszuwandern. Da die Nichte Betty Brückheimer in Karlsruhe eigens dafür bei der Polizei einen Reisepass für ihn beantragte, konnte Louis Wolf als einer der ersten Juden Dachau nach einer Woche am 17. November 1938 wieder verlassen.
Unmittelbar die Tage nachdem ihm der Reisepass am 2. Dezember 1938 ausgehändigt wurde, emigrierte Louis Wolf nach Amsterdam, wo er beim Sohn Siegfried Süßmann wohnte, inzwischen im Stadionweg 214 III, nahe des Olympia-Stadions. Auch Betty und Margot Brückheimer waren in die Niederlande mitgekommen.
Nach Beendigung des Krieges konnten auf einem Konto von Louis Wolf für den Dezember 1938 17.350 Reichsmark nachgewiesen werden. Davon hatte er aber nur 4.735 Reichsmark offiziell auf ein Ausländerkonto überweisen können. Die Differenz vereinnahmte das Deutsche Reich, auf „legale“ Weise. Eine Form der Ausplünderung war die Erhebung der Reichsfluchtsteuer von allen Emigrierenden, die aber den größten Teil des Vermögens besteuerte, am Ende 1939 sogar über 90 %.
Persönliche Zeugnisse oder Briefe wie das Leben der Wolfs in den Niederlanden verlief, liegen nicht vor, bis auf einen undatierten kurzen Brief von Siegfried und Ehefrau Johanna Wolf, vermutlich vom Frühjahr 1942. „Hoffentlich kommt nach alles gut“, schrieben sie an Johannas Eltern. Die Familie erlebte den Überfall der deutschen Wehrmacht auf die neutralen Niederlande am 10. Mai 1940, schließlich die Besetzung. Nun waren sie wieder im direkten deutschen Machtbereich. Am 16. April 1942 hatten Siegfried Süßmann und Johanna (Hanni) Neugarten religiös geheiratet. Die Trauung fand in der Amsterdamer „Neuen Synagoge“ statt. Es ist zu vermuten, dass das enge Zusammenleben der fünf Menschen, Süßmann mit Johanna Wolf und Louis Wolf sowie Betty und Margot Brückheimer, in einer gewiss nicht großen Wohnung nicht einfach gewesen sein kann. Seit Mai 1942 mussten Juden in den Niederlanden den Judenstern tragen, im Sommer 1942 begannen die Deportationen in die Vernichtungslager. Dazu wurden die Juden der Niederlande in das Durchgangslager Westerbork verbracht. Siegfried Süßmann Wolf und seine Ehefrau wurden zuerst verhaftet und im Juli 1942 dorthin gebracht. Wenige Tage später mussten sie in den Zug, der sie am 15. Juli 1942 nach Auschwitz brachte. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Ob er eventuell aufgrund seines Alters von 29 Jahren nicht gleich in die Gaskammer kam, sondern erst noch einige Wochen KZ-Arbeit verrichten musste, ist nicht mehr belegt, läge aber im Bereich des Möglichen.
Der Vater Louis Wolf war im Juli nicht aufgegriffen worden. Vermutlich unter dem Eindruck des Geschehenen verfasste er am 11. August 1942 sein Testament vor einem Notar, in welchem er seine jüngste Schwester Lina Maier und den Bruder Liebmann Wolf, die beide vor 1939 in die USA emigriert waren, als Erben einsetzte.
Am 29. Januar 1943 wurde auch er zum Durchgangslager Westerbork überliefert, von wo aus er am 9. Februar nach Auschwitz deportiert wurde. Da er zum Zeitpunkt seiner Ankunft in Auschwitz schon 61 Jahre alt war, ist es wahrscheinlich, dass er direkt an der Rampe zur Gaskammer selektiert und ermordet wurde.
(Jasna Becker, Anna Brönneke, Annika Hauck, 11. Klasse Markgrafen-Gymnasium, Juli 2012)
Wir haben uns im Rahmen eines Schulprojektes mit dem Schicksal der Familie Wolf
beschäftigt. Während unserer Recherchen wurden uns die Auswirkungen des Nationalsozialismus bewusst und wir bemerkten, dass auch viele Karlsruher Schicksale dadurch bestimmt wurden.
Die Beschäftigung mit den Einzelschicksalen half uns, bei den sonst für uns anonymen Massenmorden an Juden, auch die persönliche Tragödie für die individuellen Familien nicht zu übersehen und zu vergessen.
Dieses Projekt hat uns in besonderer Weise vor Augen geführt, wie wichtig es ist die Verbrechen des Nationalsozialismus und ihre Opfer nicht zu vergessen. Obwohl wir nichts ungeschehen machen können, kann sich jeder Einzelne um eine tolerante und bessere Zukunft bemühen.